VwGH vom 02.08.2013, 2011/21/0009
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des IE in W, vertreten durch Mag. Christian Frank, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 11/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-10-0053, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der bekämpfte Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkte I., III. und IV.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am von Italien aus mit dem Zug nach Österreich ein. Er wurde im Zug aufgegriffen und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde dieser Antrag gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen, weil Italien zu dessen Behandlung zuständig sei. Zugleich wurde der Beschwerdeführer, dessen Geburtsdatum gemäß seinen Angaben mit angenommen wurde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nach Italien ausgewiesen.
Der genannte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt. Im Anschluss daran wurde er gemäß § 39 Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Baden (BH) vorgeführt. Vor dieser gab er dann an, bereits am geboren worden zu sein.
Im Anschluss an diese Einvernahme verhängte die BH gemäß § 76 Abs. 2a Z 1 und Abs. 3 FPG Schubhaft, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und um die Abschiebung des Beschwerdeführers zu sichern.
Der Beschwerdeführer erhob Schubhaftbeschwerde. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) wies diese Beschwerde mit Bescheid vom - zu Spruchpunkt I. - insofern ab, als sie gegen die Verhängung der Schubhaft sowie gegen die "bisherige Anhaltung" des Beschwerdeführers gerichtet war. Unter Spruchpunkt II. stellte die belangte Behörde jedoch gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Außerdem wies sie das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers ab (Spruchpunkt III.) und sprach dem Bund Aufwandersatz zu (Spruchpunkt IV.).
Über die gegen diesen Bescheid - erkennbar nur gegen seine Spruchpunkte I., III. und IV. - erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:
Der im bekämpften Bescheid unter Spruchpunkt II. getroffene Ausspruch, es lägen im Zeitpunkt der Bescheiderlassung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vor, gründet im Ergebnis darauf, dass zu Gunsten des Beschwerdeführers im Zweifel von seiner Minderjährigkeit auszugehen sei. In Anbetracht dessen wäre ungeachtet der Erfüllung des Schubhafttatbestandes nach § 76 Abs. 2a Z 1 FPG mit gelinderen Mitteln das Auslangen zu finden, weil deren Anwendung bei Jugendlichen die Regel und die Schubhaft nur die Ausnahme darstelle.
Die belangte Behörde führte in diesem Zusammenhang aus, der Beschwerdeführer habe offenkundig ab seiner Einreise in das Bundesgebiet wahrheitsgemäße Angaben über seine Identität, seine Flucht nach Österreich und über seinen bereits davor in Italien eingebrachten Asylantrag gemacht. Seine Aussagen dazu stünden mit dem Eurodac-Treffer im Einklang. Er habe sich gegenüber der BH durchaus kooperativ gezeigt und alle Fragen umfassend beantwortet. Weiters habe sich der Beschwerdeführer trotz Kenntnis vom zu erwartenden negativen Ausgang des Asylverfahrens (Erhalt der Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 am ) weiterhin im Lager Traiskirchen aufgehalten und der behördlichen Vorladung im Asylverfahren entsprochen. Die im Schubhaftbescheid für die Nichtanwendung des gelinderen Mittels ins Treffen geführten Gründe seien nicht tragfähig. Auch der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer bereits in einem weiteren Dublin-Staat aufgehalten habe, könne für sich allein die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht ausschließen. Dies umso weniger, als im Lichte des Art. 37 der UN-Kinderrechtskonvention die Zahl der in Schubhaft angehaltenen Minderjährigen so gering als möglich gehalten werden solle.
Der Beschwerdeführer habe aber - so die belangte Behörde dann zu ihrer die Administrativbeschwerde abweisenden Entscheidung (Spruchpunkt I.) - anlässlich seiner Befragung durch die BH am "offenbar klar und unmissverständlich" zum Ausdruck gebracht, 1990 geboren und damit volljährig zu sein. Es könne daher der BH nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgehend die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2a FPG als erfüllt angesehen habe. Die Schubhaftverhängung und die daran anschließende Anhaltung in Schubhaft erwiesen sich somit als rechtmäßig, da weder das Alter noch sonstige in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Gründe "zu diesem Zeitpunkt nach der damals anzunehmen gewesenen Sachlage" dem entgegengestanden seien.
Diese, den abweisenden Teil des angefochtenen Bescheides tragenden Überlegungen verkennen, dass es bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Schubhaft nicht darauf ankommt, ob der Schubhaftbehörde schuldhaftes Verhalten anzulasten ist. Entscheidend ist allein, ob objektiv betrachtet die Voraussetzungen für Schubhaft vorgelegen haben oder nicht. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass es - bezogen auf den für Schubhaft relevanten Stand eines Asylverfahrens - weder auf Eintragungen in das Asylwerberinformationssystem, noch auf Verständigungen der Fremdenpolizeibehörde durch die Asylbehörden oder auf (unterbliebene) Mitteilungen des Fremden selbst ankommt, sondern ausschließlich auf die wahre Sachlage (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0175, vom , Zl. 2008/21/0034, vom , Zl. 2010/21/0353, und vom , Zl. 2010/21/0120). Das muss auch in Bezug auf die Frage der Minderjährigkeit gelten, unabhängig davon, worauf die seinerzeit allenfalls plausible, im Ergebnis nach Ansicht der belangten Behörde aber - im Zweifel - unrichtige Ansicht der Schubhaftbehörde gegründet war.
Der Auffassung der belangten Behörde, bei Minderjährigkeit des Beschwerdeführers sei Schubhaft gegen ihn unzulässig, ist nicht entgegenzutreten. Nach dem eben Gesagten hätte damit aber auch die Verhängung der Schubhaft sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers bis zur Entscheidung der belangten Behörde für rechtswidrig erklärt werden müssen. Der bekämpfte Bescheid war daher - im gesamten Umfang seiner Anfechtung, ohne dass auf die nicht näher begründeten Kostenentscheidungen eingegangen werden müsste - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am
Fundstelle(n):
YAAAE-91625