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VwGH vom 20.12.2016, Ra 2014/15/0011

VwGH vom 20.12.2016, Ra 2014/15/0011

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Ing. E S in L, vertreten durch Haßlinger Haßlinger Planinc, Rechtsanwälte in 8530 Deutschlandsberg, Obere Schmiedgasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100555/2011, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2010, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2010 Pauschbeträge gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 für die auswärtige Berufsausbildung seiner Tochter und seines Sohnes geltend.

2 Das Finanzamt versagte die Berücksichtigung der beantragten Pauschbeträge mit der Begründung, dass die Ausbildungsstätte innerhalb des Einzugsbereichs des Wohnortes in L liege und die tägliche Hin- und Rückfahrt zumutbar seien.

3 Der Revisionswerber berief gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 und brachte in der Berufung vor, er und seine Kinder wohnten nicht in L, sondern in S, und dieser Ort scheine in der Liste der Orte mit zumutbarer täglicher Fahrt nach G nicht auf (keine öffentlichen Verkehrsmittel).

4 Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Ausbildungsstätte in G weniger als 80 Kilometer vom Wohnort in S entfernt sei. Die Strecke sei, unter Außerachtlassung der Weg- und Wartezeiten in S und G, mit einem Linienbus von S nach L sowie mit der S-Bahn von L nach G innerhalb von 54 Minuten bewältigbar.

5 Der Revisionswerber beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte im Vorlageantrag u.a. aus, dass die Ausbildung der Tochter einem fixen Stundenplan unterliege, wobei die Lehrveranstaltungen ausschließlich am Wochenende (Freitag und Samstag) stattfänden. Am Samstag gebe es keine öffentlichen Verkehrsmittel vom Wohnort zum Ausbildungsort, weil der Bus zwischen S und L nur an Schultagen verkehre.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der nunmehr als Beschwerde zu erledigenden Berufung keine Folge und begründete dies im Wesentlichen damit, dass im Veranlagungsjahr während des Tages zwischen dem Wohnort in der Gemeinde S und dem Ausbildungsort in G Verbindungen mit einer Fahrzeit von weniger als einer Stunde zur Verfügung gestanden hätten. Laut Fahrplanauskunft der ÖBB habe die Fahrzeit mit dem Regionalbus von S bis zum Bahnhof in L und mit dem Zug von L nach G 48 Minuten betragen. Auch in der Gegenrichtung habe eine Verkehrsverbindung mit einer Gesamtfahrzeit von 42 Minuten bestanden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei nicht zu prüfen, ob das öffentliche Verkehrsmittel mit einer Fahrzeit von nicht mehr als einer Stunde überhaupt verwendet werden könne. Entscheidend sei, dass es während des Tages Verbindungen mit einer Fahrzeit von nicht mehr als einer Stunde gegeben habe. Daher verhelfe das Vorbringen, Lehrveranstaltungen hätten an Samstagen stattgefunden und zu Zeiten begonnen oder geendet, zu denen kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung gestanden habe, der Beschwerde nicht zum Erfolg (Hinweis auf ).

7 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Revisionswerbers legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

8 Der Verwaltungsgerichtshof leitete gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren ein; das Finanzamt brachte keine Revisionsbeantwortung ein.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit u.a. vor, die außerordentliche Revision sei zulässig, weil das Bundesfinanzgericht der Ansicht sei, das Beschwerdevorbringen, Lehrveranstaltungen hätten auch an Samstagen stattgefunden, sei nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen, weil es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die konkrete Lagerung der von den Studierenden im Einzelfall besuchten Lehrveranstaltungen ankomme. Wenn das Bundesfinanzgericht in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2007/15/0306, verweise, übersehe es, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis zu beurteilen gehabt habe, ob bei Vorhandensein einer zumutbaren Verkehrsverbindung während des Tages der Ausbildung die konkrete zeitliche Lagerung derselben zu berücksichtigen sei. Lehrveranstaltungen, die an Samstagen stattfänden, an denen überhaupt kein öffentliches Verkehrsmittel verkehre, könnten daher nicht mit der Begründung für unbeachtlich erklärt werden, es käme nicht auf die konkrete Lagerung der von Studierenden im Einzelfall besuchten Lehrveranstaltungen an.

13 Der Revisionswerber erachtet sich in seinem subjektiven Recht auf rechtsrichtige Anwendung des § 34 Abs. 8 EStG 1988 insofern verletzt, als die Aufwendungen für die auswärtige Berufsausbildung seiner Tochter im Jahr 2010 nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt worden seien.

14 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet. 15 Gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 gelten Aufwendungen für eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht. Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von 110 EUR pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt.

16 Nach § 1 der zu dieser Bestimmung erlassenen Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes, BGBl. Nr. 624/1995, liegen Ausbildungsstätten, die vom Wohnort mehr als 80 km entfernt sind, nicht innerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes.

17 Im gegenständlichen Fall ist unbestritten, dass die Entfernung zwischen Ausbildungsstätte und Wohnort weniger als 80 Kilometer beträgt. Für diesen Fall bestimmt § 2 der angeführten Verordnung in seiner ab anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 449/2001 Folgendes:

"(1) Ausbildungsstätten innerhalb einer Entfernung von 80 km zum Wohnort gelten dann als nicht innerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes gelegen, wenn die Fahrzeit vom Wohnort zum Ausbildungsort und vom Ausbildungsort zum Wohnort mehr als je eine Stunde unter Benützung des günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels beträgt. Dabei sind die Grundsätze des § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, anzuwenden.

(2) Ausbildungsstätten innerhalb einer Entfernung von 80 km zum Wohnort gelten als innerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes gelegen, wenn von diesen Gemeinden die tägliche Hin- und Rückfahrt zum und vom Studienort nach den Verordnungen gemäß § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, zeitlich noch zumutbar sind. Abweichend davon kann nachgewiesen werden, dass von einer Gemeinde die tägliche Fahrzeit zum und vom Studienort unter Benützung der günstigsten öffentlichen Verkehrsmittel mehr als je eine Stunde beträgt. Dabei sind die Grundsätze des § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, anzuwenden. In diesem Fall gilt die tägliche Fahrt von dieser Gemeinde an den Studienort trotz Nennung in einer Verordnung gemäß § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, in der jeweils geltenden Fassung als nicht mehr zumutbar."

18 § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 lautet:

"(3) Von welchen Gemeinden diese tägliche Hin- und Rückfahrt zeitlich noch zumutbar ist, hat der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur durch Verordnung festzulegen. Eine Fahrzeit von mehr als je einer Stunde zum und vom Studienort unter Benützung der günstigsten öffentlichen Verkehrsmittel ist keinesfalls mehr zumutbar."

19 Die Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die Erreichbarkeit von Studienorten nach dem Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 605/1993, führt in ihrem § 2 Gemeinden an, von denen die tägliche Hin- und Rückfahrt zum und vom Studienort Graz zeitlich noch zumutbar ist. Die - mit dem am in Kraft getretenen Steiermärkischen Gemeindestrukturreformgesetz, LGBL Nr. 31/2014, in die Stadtgemeinde L eingemeindete - Gemeinde S ist in dieser Aufzählung nicht angeführt.

20 Ist eine Gemeinde nicht in der zu § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 ergangenen Verordnung angeführt, gelten Ausbildungsstätten innerhalb einer Entfernung von 80 km zum Wohnort als nicht innerhalb des Einzugsbereichs des Wohnortes gelegen, wenn die Fahrzeit vom Wohnort zum Ausbildungsort und zurück unter Benützung des günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels mehr als je eine Stunde beträgt (vgl. § 2 Abs. 1 der VO BGBl. II Nr. 449/2001). Auch dabei sind die Grundsätze des § 26 Abs. 3 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, anzuwenden (vgl. , zu einer nicht in den Verordnungen gemäß § 26 Abs. 3 Studienförderungsgesetz 1992 genannten Gemeinde).

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2006/15/0114, insbesondere aus dem Verweis auf § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 abgeleitet, dass das günstigste öffentliche Verkehrsmittel zwischen dem Studienort und dem Wohnort die schnellstmögliche Verbindung zwischen den Orten ist, weshalb die Erreichbarkeit der Abfahrstelle innerhalb der Gemeinde nach der ab geltenden Fassung des § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 624/1995 zu § 34 Abs. 8 EStG 1988 keine Rolle spielt. Im Erkenntnis vom , 2007/15/0306, sprach der Verwaltungsgerichtshof weiters aus, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 der Verordnung BGBl. Nr. 624/1995 idF BGBl. II Nr. 449/2001 ihrem Wortlaut entsprechend auf die allgemeine Fahrtdauer unter Benützung des günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels abstellt. Es kommt damit auch nicht auf die konkrete Lagerung der von Studierenden im Einzelfall besuchten Lehrveranstaltungen an.

22 Beim "günstigsten öffentlichen Verkehrsmittel" iSd § 2 Abs. 1 der Verordnung BGBl. Nr. 624/1995 idF BGBl. II Nr. 449/2001 muss es sich demnach - ungeachtet dessen, ob der Auszubildende dieses auch tatsächlich benutzen kann - um ein solches handeln, welches während des Tages Verkehrsverbindungen mit einer Fahrtdauer von höchstens einer Stunde sicherstellt. Aus der Zusammenschau von Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Satz der Verordnung ergibt sich aber, dass die "tägliche Fahrt" maßgeblich ist. Die Zumutbarkeit ist somit nur gegeben, wenn an jedem Tag, an dem die Ausbildungsstätte aufgesucht werden muss, eine solche Verkehrsverbindung (mit einer Fahrtdauer von je höchstens einer Stunde) besteht.

23 Der Revisionswerber brachte im Berufungsverfahren vor, dass die Ausbildung seiner Tochter einem fixen Stundenplan unterlegen sei, wobei die Lehrveranstaltungen ausschließlich am Wochenende (Freitag und Samstag) stattgefunden hätten. Er führte weiters aus, am Samstag habe es keine öffentliche Verkehrsverbindung vom Wohnort zum Ausbildungsort gegeben. An Tagen, an denen öffentliche Verkehrsmittel nicht verkehren, sind Fahrten vom Wohnort zum Ausbildungsort und vom Ausbildungsort zum Wohnort unter Benützung des "günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels" iSd § 2 Abs. 1 der Verordnung BGBl. Nr. 624/1995 idF BGBl. II Nr. 449/2001 von vornherein nicht möglich.

24 Das Verwaltungsgericht hat keine gegenteiligen Feststellungen getroffen. Besteht aber an zumindest einem Schultag pro Woche keine entsprechende Möglichkeit der Benutzung des öffentlichen Verkehrsmittels, so folgt daraus bereits, dass die Ausbildungsstätte nicht mehr im Einzugsbereich des Wohnortes iSd § 34 Abs. 8 EStG 1988 liegt.

25 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am