VwGH vom 06.09.2012, 2011/18/0223
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Ingrid Weisz, LL.M., Rechtsanwältin in 1080 Wien, Florianigasse 7/9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/102.614/2011, betreffend Entziehung eines Reisepasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid versagte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, einem österreichischen Staatsbürger, die Ausstellung eines österreichischen Personalausweises gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f iVm § 19 Abs. 2 Passgesetz 1992 - PassG, entzog ihm den von der Bundespolizeidirektion Wien ausgestellten Reisepass mit der Nummer HO856783 gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG und erkannte der Berufung gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung ab.
In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde zunächst auf den erstinstanzlichen Bescheid, dessen Gründe auch für die Berufungsentscheidung maßgebend gewesen seien. Die erstinstanzliche Behörde vertrat insbesondere die Ansicht, dass gemäß § 14 Abs. 3 PassG u.a. bei Tatsachen im Sinne des § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. b PassG (wie im vorliegenden Fall), denen gerichtlich strafbare Handlungen zu Grunde lägen, jedenfalls bis zum Ablauf von 3 Jahren nach der Tat ein Versagungsgrund vorliege. Weiters könnten persönliche und wirtschaftliche Folgen, die sich für den Beschwerdeführer auf Grund dieser Entscheidung ergäben, nach dem PassG nicht berücksichtigt werden.
Ergänzend führte sie zur Berufung aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 3, § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Jänner 2007 in vier Angriffen Cannabiskraut in großer Menge (§ 28 Abs. 6 SMG), nämlich insgesamt 7.838,90 Gramm brutto, an einen bekannten Suchtgiftabnehmer verkauft habe.
Die Versagung der Ausstellung eines Personalausweises als auch die Entziehung eines Reisepasses stelle eine vorbeugende Sicherheitsmaßnahme zur Abwendung künftiger Straftaten dar. Der Handel mit Suchtgift in großen Mengen stelle im Hinblick auf die nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes mit solchen Delikten verbundene Wiederholungsgefahr eine Tatsache dar, die die Annahme rechtfertige, dass der Inhaber seinen Reisepass bzw. seinen Personalausweis in Hinkunft benutzen wolle, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift einzuführen oder auch (wie bisher) in Verkehr zu setzen. Die letzte Tathandlung liege erst etwas mehr als vier Jahre zurück, wobei die in Gerichtshaft verbrachten Zeiten nicht als solche des Wohlverhaltens anzurechnen seien. Daher sei die Gefahr einer Wiederholung der kriminellen Aktivität durch den Beschwerdeführer keinesfalls mit Sicherheit auszuschließen. Es werde daher noch einer Zeit des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers bedürfen, um tatsächlich davon auszugehen zu können, dass sich dieser von der Suchtgiftszene gelöst habe.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner persönlichen und beruflichen Verhältnisse sei zu entgegnen, dass der Behörde bei der vorliegenden Entscheidung kein Ermessen zukomme.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Abgabe einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie nach Einlangen einer Stellungnahme der Bundesministerin für Inneres und des Beschwerdeführers in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0094, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass gemäß der Richtlinie 2004/38/EG und dem dazu ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (kurz: EuGH) vom , C-430/10, Rs Gaydarov, die Mitgliedsstaaten die Freizügigkeit eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einschränken dürften. Dies setze voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Solche Maßnahmen seien nur gerechtfertigt, wenn dafür ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sei; vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen seien nicht zulässig. Strafrechtliche Verurteilungen alleine könnten die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen.
Der EuGH hat in Randnummer 40 des genannten Urteils weiter ausgeführt, aus Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes lasse sich entnehmen, dass eine das Recht auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nur gerechtfertigt sein könne, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.
Dazu bringt die Beschwerde mit näherer Begründung vor, aufgrund der Lebensumstände des Beschwerdeführers rechtfertigten keine Tatsachen die Annahme, er wolle den Reisepass oder den Personalausweis für strafbare Handlungen nach dem SMG verwenden. Es sei auch nicht richtig, dass der Behörde kein Ermessensspielraum zustehe. Sie habe zu Unrecht die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände über sein Leben (Stammfamilie und Verlobte in Bosnien, Tatzeitraum viereinhalb Jahre zurückliegend) und über die Notwendigkeit der Benutzung eines Reisepasses aus beruflichen Gründen nicht geprüft.
Damit ist die Beschwerde im Recht. Dadurch, dass die belangte Behörde die Versagung des Personalausweises und die Entziehung des Reisepasses zur Abwendung künftiger Straftaten begründete, ohne auszuführen, welche in der Person des Beschwerdeführers gelegenen konkreten Umstände die Annahme einer Gefahr der Begehung künftiger Straftaten im Sinn des § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG rechtfertigten, wird der angefochtene Bescheid dieser Bestimmung in Verbindung mit den Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG und dem nicht gerecht (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/18/0168). Darüber hinaus ging die belangte Behörde in Verkennung der durch das genannte Urteil klargestellten Rechtslage davon aus, die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht berücksichtigen zu müssen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/18/0168).
Da somit der angefochtene Bescheid schon aus den genannten Gründen unionsrechtlichen Vorgaben nicht entsprochen hat, war er bereits deshalb wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf darüber hinaus gehende unionsrechtliche Problemstellungen hätte eingegangen werden müssen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am