VwGH vom 14.04.2010, 2007/08/0125
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der G KEG in J, vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in 2070 Retz, Znaimer Straße 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. GS8-SV-374/001-2005, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:
Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 14-16), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom wurde die beschwerdeführende Partei gemäß §§ 11, 44, 49, 51, 54, 58 und 68 ASVG,§ 19f AZG,§ 10 UrlG und §§ 2 und 5 AMPFG zur Zahlung eines Nachrechnungsbetrages in Höhe von EUR 16.166,19 verpflichtet. Die dem Bescheid beigefügten Aufstellungen über nicht oder unrichtig gemeldete Beitragsgrundlagen sowie über die Auswertung der Tachografenscheiben wurden zum Bestandteil dieses Bescheides erklärt. Die Nachforderung resultiere aus der Nachverrechnung von Beiträgen und Umlagen auf Grund geleisteter, jedoch nicht abgerechneter Überstunden der Jahre 2000 bis 2002, die aus den Tachografenscheiben der Dienstnehmer Hubert Z. und Robert P. ableitbar seien, aus einer nicht abgerechneten Urlaubsersatzleistung anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses mit Herbert E. im November 2001 sowie aus der Nachverrechnung von Beiträgen und Umlagen auf Grund der Beschäftigung von sechs namentlich genannten Aushilfsfahrern in den Jahren 2000 bis 2002.
In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch brachte die beschwerdeführende Partei vor, die beiden betroffenen Dienstnehmer Hubert Z. und Robert P. hätten niemals Forderungen an den Dienstgeber gestellt, die dieser zurückgewiesen bzw. nicht erfüllt hätte. Da beide Dienstnehmer angegeben hätten, niemals mit einem Prüfer bzw. Erhebungsbeamten der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse ein Gespräch geführt bzw. eine Niederschrift darüber aufgenommen zu haben, werde ersucht, in die Niederschriften (über die im erstinstanzlichen Bescheid erwähnten Befragungen der Dienstnehmer) Einsicht nehmen zu können. Die betroffenen Dienstnehmer hätten angegeben, die vermehrten Einsatzzeiten aus eigenem Interesse gewollt zu haben, weil sie erhebliche Aufwandersätze in Form der Auslandsdiäten hätten zur Abrechnung bringen können. Es sei auch nicht richtig, dass den Betreffenden Überstunden in Form von Diätenzahlungen abgegolten worden seien. Richtig sei vielmehr, "dass zu keinem Zeitpunkt Überstundenzahlungen durch die Dienstnehmer gefordert wurden und Abgeltungen außer in Zeitausgleich erfolgt sind". Die beschwerdeführende Partei habe den betreffenden Dienstnehmern niemals den ordnungsgemäßen und vereinbarten Verbrauch der Zeitguthaben verweigert, versagt oder auch nur vereitelt, sondern jederzeit die Möglichkeit zum Verbrauch der ordnungsgemäß aufgezeichneten Zeitguthaben ermöglicht und angeboten. Ein Druck zum Verbrauch der Zeitguthaben sei nicht ausgeübt worden. Sämtliche Forderungen der Dienstnehmer an den Dienstgeber seien im Rahmen der gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen, Vereinbarungen und Grundlagen abgerechnet bzw. gewährt worden. Die gesetzlichen Beiträge, Steuern und Abgaben seien ordnungsgemäß gemeldet und abgeführt worden. Den Dienstnehmern seien auch "die Bezug nehmenden gesetzlichen Bestimmungen und die Fristen und Forderungsansprüche aus dem Kollektivvertrag bekannt". Zu keinem Zeitpunkt sei die Einsicht verweigert worden.
Abgeltungsforderungen und Ansprüche des Dienstnehmers müssten innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit bei sonstigem Verfall beim Dienstgeber schriftlich geltend gemacht werden. Es sei unrichtig, dass die beschwerdeführende Partei "für die von den obgenannten Personen erbrachten Zeitguthaben" keine Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen entrichtet habe bzw. dass solche zu entrichten gewesen wären.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde diesem Einspruch keine Folge gegeben. Die von der Nachtragsrechnung Nr. 6 und von der Gutschriftanzeige Nr. 6 betroffenen Dienstnehmer der beschwerdeführenden Partei hätten Überstunden geleistet, die von der Dienstgeberin weder in Form von Zeitausgleich noch in Form von Geldleistungen abgegolten worden seien. Die beschwerdeführende Partei habe in den Jahren 2000 bis 2002 Aushilfsfahrer beschäftigt, für deren zur Auszahlung gelangte Löhne keine Beiträge und keine Umlagen entrichtet worden seien. Der Inhalt der Aussagen der namentlich angeführten LKW-Fahrer werde von der beschwerdeführenden Partei nicht bestritten. Der Einspruch wende sich lediglich gegen die - allein von der beschwerdeführenden Partei aufgestellten - Mutmaßungen und Unterstellungen, wonach die Dienstnehmer Forderungen gestellt hätten, die von der beschwerdeführenden Partei zurückgewiesen worden wären. Die Angaben der Dienstnehmer würden von der beschwerdeführenden Partei bestätigt, weil der Einspruch vorbringe, die betroffenen Dienstnehmer hätten angegeben, "die vermehrten Einsatzzeiten aus eigenem Interesse gewollt zu haben, da diese nicht unerhebliche Aufwandersätze in Form der Auslandsdiäten zur Anrechnung bringen konnten. Bei einem Verzicht auf diese Fahrteinsätze wären diese Diätansprüche nicht vorgelegen." Die Haltung der beschwerdeführenden Partei dürfte der Grund dafür sein, dass die Dienstnehmer dieser gegenüber die Befragung durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse sowie die entsprechende Beantwortung geleugnet hätten. Der Inhalt dieser Fragebeantwortung sei von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse korrekt wiedergegeben worden. Die Übermittlung dieser Niederschriften an die beschwerdeführende Partei erübrige sich, weil diese einerseits jederzeit Akteneinsicht gehabt hätte und sich andererseits der Inhalt dieser Fragebeantwortungen mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei durchaus decke. Wenn die beschwerdeführende Partei als Dienstgeberin die Auswertungen der Tachografenscheiben nicht nachvollziehen könne, so sei dies bedenklich, könne aber an der - an sich nicht in Frage gestellten und somit unbestrittenen - Richtigkeit dieser Auswertungen nichts ändern. Es handle sich um anerkannte Beweismittel, die auch dem Dienstgeber die Möglichkeit zur Kontrolle der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften durch seine Dienstnehmer eröffnen solle. Anzeichen für eine Manipulation der Tachografenscheiben seien dem Akt nicht zu entnehmen. Dies würde im Einspruch auch nicht behauptet. Das Ablesen der Tachografenscheiben habe ergeben, dass sowohl Hubert Z. als auch Robert P. für die beschwerdeführende Partei weit mehr als die der Kasse gemeldeten 40 Stunden pro Woche tätig gewesen seien. Dies werde von der beschwerdeführenden Partei - wie bereits ausgeführt - selbst bestätigt. Angesichts dieser schlüssigen Übereinstimmung zwischen Beweisergebnis und Rechtsmittelausführungen bestehe kein Grund, die Richtigkeit der Aufzeichnungen und der Auswertung der Tachografenscheiben in Zweifel zu ziehen. Die daraus abgeleiteten rechtlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides würden zutreffen. Dise gelte auch hinsichtlich der schlüssig dargelegten Urlaubsersatzleistungen betreffend den Dienstnehmer Herbert E. und die Ermittlung der diesbezüglichen Beitragsgrundlage, Sonderzahlungsbeitragsgrundlage und des Gesamtrechnungsbetrages sowie hinsichtlich der schlüssig dargelegten Berechnungen des Gesamtnachrechnungsbetrages betreffend die als Aushilfsfahrer beschäftigten sechs Personen, zumal auch gegen diese schlüssig dargelegten Berechnungen im Einspruch nichts konkret vorgebracht worden sei. Schließlich werde in rechtlicher Hinsicht auf § 69 Abs. 1 ASVG verwiesen, wonach die Nachrechnungsbeträge keineswegs verjährt seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die beschwerdeführende Partei bringt vor, ihr Vertreter und Berater in Steuersachen habe sowohl im Verfahren vor der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse als auch im Verfahren vor der belangten Behörde mehrfach den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht gestellt "und darum ersucht und auch beantragt, dass diese Urkunden, nämlich die Niederschriften und die Fragebögen der beiden Arbeitnehmer, uns zur Einsichtnahme vorgelegt werden". Beide Behörden hätten "diese Akteneinsicht" jedoch ohne Begründung abgelehnt. Die belangte Behörde habe lediglich darauf verwiesen, dass der Inhalt der Fragebeantwortung korrekt wiedergegeben worden sei und dass sich eine Übermittlung der Niederschriften an die beschwerdeführende Partei erübrige, zumal diese ohnedies jederzeit Akteneinsicht gehabt hätte. Es sei nun Tatsache und aktenkundig, dass die belangte Behörde dem Ersuchen um Übermittlung von Abschriften dieser Fragebeantwortungen oder Niederschriften der Arbeitnehmer nicht entsprochen habe.
Das Recht auf Akteneinsicht im Sinn des § 17 Abs. 1 AVG stellt ein wesentliches prozessuales Recht der Partei des (abgeschlossenen) Verwaltungsverfahrens dar und erstreckt sich grundsätzlich auf alle Unterlagen, die sich auf ihre Sache beziehen (vgl. zum Umfang dieses Rechts das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/09/0039). Die Gebrauchnahme vom Recht auf Akteneinsicht setzt zwar keinen förmlichen Antrag, allerdings doch ein konkretes Verlangen nach Einsicht in die Akten eines bestimmten Verfahrens oder nach Abschriftnahme voraus. Die Behörde ist aber nicht verpflichtet, der Partei den Akteninhalt von sich aus zur Kenntnis zu bringen oder dieser ausdrücklich oder gar förmlich mitzuteilen, dass sie zu bestimmten Zeiten Einsicht in den Verwaltungsakt nehmen kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum AVG, Rz 6 zu § 17). Die beschwerdeführende Partei behauptet lediglich, die Akteneinsicht verlangt, nicht jedoch, deren Durchführung auch versucht zu haben. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist auch kein Hinweis auf einen derartigen Versuch (geschweige denn auf eine Vereitelung eines solchen durch die belangte Behörde) zu entnehmen. Der von der beschwerdeführenden Partei beanstandete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.
Die beschwerdeführende Partei hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass den Dienstnehmern Hubert Z. und Robert P. jederzeit die Möglichkeit zum Urlaubsantritt und zum Abbau der Zeitausgleichsansprüche offen gestanden sei. Sie habe den ordnungsgemäßen und vereinbarten Verbrauch der Zeitguthaben nicht verweigert, versagt oder auch nur vereitelt, sondern diesen angeboten. Druck zum Verbrauch der Zeitguthaben sei nicht ausgeübt worden. Sämtliche Forderungen der Dienstnehmer seien "abgerechnet bzw. gewährt" worden. Es sei unrichtig, dass für die von den genannten Personen erbrachten Zeitguthaben Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen nicht entrichtet worden seien bzw. solche zu entrichten gewesen seien.
Auch in der Beschwerde bringt die beschwerdeführende Partei ohne nähere Konkretisierung lediglich vor, dass ein Zeitausgleich "tatsächlich gewährt und verbraucht worden sei". Mit dieser Behauptung kann jedoch der Ermittlung der geleisteten Arbeitszeiten, die auf Grund einer nicht bestrittenen Auswertung der Tachografenscheiben der beiden genannten Arbeitnehmer erfolgte, nicht mit Erfolg entgegen getreten werden, da in diesen auch ein allfälliger Zeitausgleich Niederschlag gefunden hätte. Es wäre an der beschwerdeführenden Partei gelegen, behauptete Unrichtigkeiten in der Berechnung des angefochtenen Bescheides bzw. in den Beilagen, auf die verwiesen wurde, konkret darzutun. Dasselbe gilt auch für den unsubstanziierten Beschwerdeeinwand, "bezüglich der Festsetzung von Beiträgen für angeblich nicht konsumierten Urlaub des Dienstnehmers E. hat die belangte Behörde überhaupt keine Ausführungen getätigt. Dies gilt auch bezüglich der Beitragsvorschreibungen für Aushilfskräfte".
Wenn die beschwerdeführende Partei der belangten Behörde erstmals in der Beschwerde vorwirft, dass die Auswertungen der Tachografenscheiben nicht korrekt erfolgt bzw. diese nicht nachvollziehbar seien, sowie vorbringt, Herbert E. habe auf die Urlaubsersatzleistung verzichtet und die genannten Aushilfskräfte seien nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses, sondern auf Grund von Werkverträgen beschäftigt gewesen waren, so handelt es sich - abgesehen von der mangelnden Konkretisierung auch dieser Vorbringen - um im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerungen (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am