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VwGH vom 19.06.2012, 2011/18/0082

VwGH vom 19.06.2012, 2011/18/0082

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des AJ in W, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/533.510/2007, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, ein auf § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - aus, der Beschwerdeführer - diesem wurde den Verwaltungsakten zufolge zuletzt nach dem Fremdengesetz 1997 ein Niederlassungsnachweis, der gemäß § 11 Abs. 1 lit. C NAG-DV als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" weitergalt, erteilt - sei im Jahr 1976 in Wien geboren. Abgesehen von kurzfristigen Aufenthalten im Kindesalter in seinem Heimatland habe er immer in Österreich gelebt.

Das gegenständliche Aufenthaltsverbot sei auf eine im August 2007 vom Landesgericht für Strafsachen Wien ausgesprochene Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz zu stützen.

In ihrer rechtlichen Beurteilung gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass infolge § 87 FPG für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer die in § 86 Abs. 1 FPG enthaltenen Voraussetzungen maßgeblich seien, weil er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei.

Nach Wiedergabe von Bestimmungen des FPG führte die belangte Behörde in ihren rechtlichen Überlegungen weiter aus, auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers könne kein Zweifel bestehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Angesichts des der Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhaltens lägen aber auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG zur Erlassung der gegenständlichen fremdenpolizeilichen Maßnahme vor.

Des Weiteren legte die belangte Behörde - kursorisch und in formelhafter Weise - noch dar, weshalb ihrer Ansicht nach die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nach § 66 FPG zulässig sei und dem auch § 61 Z 3 und Z 4 FPG nicht entgegenstünden; auch tätigte sie Ausführungen zur Ermessensübung sowie - textbausteinartig bezugnehmend auf die Erlassung eines (entgegen dem auf "unbefristet" lautenden Bescheidspruch) befristeten Aufenthaltsverbotes - zur Festlegung der Dauer des Aufenthaltsverbotes.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1717/10-5, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer verweist auf die Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG und richtet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose. Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.

§ 86 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011; samt Überschrift) lautet:

"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen

§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Aufenthalt ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

…"

Zutreffend haben zunächst sowohl die Behörde erster Instanz - deren Entscheidungsgründe hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid durch Verweis zu eigen gemacht - als auch die belangte Behörde erkannt, dass infolge der Erfüllung des Tatbestandes des § 87 FPG (ebenfalls idF vor dem FrÄG 2011) die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten Beschwerdeführer anhand der in § 86 Abs. 1 FPG genannten Voraussetzungen zu messen ist. Ungeachtet dessen wurde aber eine solche Prüfung nicht vorgenommen. Mit ihren Ausführungen, dass angesichts des den Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG, der aber auf einen anderen Gefährdungsmaßstab abstellt (vgl. zu den im FPG enthaltenen Gefährdungsmaßstäben ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603), vorlägen, wird von der belangten Behörde nämlich in keiner Weise dargetan, dass und weshalb die - fallbezogen hier in Betracht zu ziehenden - Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG erfüllt wären (vgl. zur Notwendigkeit einer solchen Auseinandersetzung und der Notwendigkeit dazu auch entsprechende, die umfassende Beurteilung ermöglichende Feststellungen zu treffen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/18/0519, und vom , Zl. 2011/23/0264). Auch der Bescheid der Behörde erster Instanz, auf dessen Begründung die belangte Behörde verwiesen hat, befasst sich nicht mit dem in dieser Bestimmung enthaltenen Tatbestand.

Damit hat die belangte Behörde aber ihren Bescheid mit (prävalierender) inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Er war sohin aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Für das fortzusetzende Verfahren wird im Hinblick auf das bisherige Verfahrensergebnis allerdings auch auf die Bestimmung des nunmehr geltenden § 64 Abs. 1 FPG hingewiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im begehrten Ausmaß - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am