VwGH vom 20.10.2010, 2007/08/0118
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des E E in W, vertreten durch Dr. Anton Frank, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Bauernstraße 9/WDZ 3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/05660907/2007-8, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1978 geborene Beschwerdeführer bezog seit Dezember 2004 mit kurzer Unterbrechung wegen Arbeitsaufnahme Notstandshilfe.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde der Bezug der Notstandshilfe des Beschwerdeführers ab mangels Arbeitsfähigkeit gemäß §§ 7 und 8 iVm § 38 AlVG eingestellt.
In ihrer Bescheidbegründung führt die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer bis 2006 in mehreren näher bezeichneten geschützten Bereichen tätig gewesen sei. Laut ärztlichem Sachverständigengutachten von Dr. B. vom sei die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers auf Grund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht gegeben. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten im Wesentlichen attestiert, dass ein "Gesamtgrad der Behinderung zum Zeitpunkt der Untersuchung von 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend" gegeben sei, es sich beim Krankheitsbild um einen Dauerzustand handle und der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dauernde Erwerbsunfähigkeit habe bereits vor dem 21. Lebensjahr bestanden, wobei sich der Sachverständige auf den Befund des Facharztes (für Psychiatrie und Neurologie) Dr. L. vom gestützt habe.
In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid des AMS W. vom , womit die Notstandshilfe eingestellt wurde, erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen eingewendet, arbeitsfähig zu sein. Er sei durch seine körperlichen und geringfügigen psychischen Beeinträchtigungen in seiner Leistungsfähigkeit sicherlich eingeschränkt und habe Probleme mit der Geschwindigkeit, könne dies jedoch durch seine Genauigkeit und Zuverlässigkeit ausgleichen; seine Arbeitsfähigkeit habe sich in den vergangenen Jahren sicherlich erhöht. Seine eingeschränkten Chancen am Arbeitsmarkt seien ihm bewusst. Die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit betrage 50%; bei der Testung seiner Arbeitsfähigkeit durch das AMS W. sei ausschließlich eine Testung des kognitiven Bereiches durchgeführt worden, sein handwerkliches Geschick sei nicht geprüft worden.
Im Zuge der ergänzenden Ermittlungen habe der Beschwerdeführer auf Ersuchen der belangten Behörde das Gutachten Dris. L. (bezüglich der Untersuchung des Beschwerdeführers am ) übermittelt. Die ärztliche Beurteilung in diesem von der Pensionsversicherungsanstalt "zur Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit (des Beschwerdeführers) nach § 252 Abs. 2 Z. 2 ASVG" eingeholten Gutachten laute darin im Wesentlichen:
"Patient unverändert am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht, aber im geschützten Bereich einsetzbar, was auch dem Wunsch des Patienten entspricht".
Weiters sei in dem beim AMS W. aufliegenden psychologischen Befund von Dr. H. vom Oktober 2006 festgestellt worden, dass die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers an Normalarbeitsstellen z. B. wegen Verlangsamung als reduziert und nicht ausreichend vorhanden einzuschätzen sei und die Aufnahme einer Beschäftigung im geschützten Arbeitsbereich sinnvoll und angemessen erscheine.
In ihrer rechtlichen Beurteilung kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass auf Grund der Facharztgutachten Dres. B. und L. "Arbeitsunfähigkeit" des Beschwerdeführers vorliege. Voraussetzung des Anspruches auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung sei u.a., dass eine den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechende, auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotene Beschäftigung aufgenommen werden könne. Diesen Kriterien stehe die Aufnahme einer Tätigkeit im geschützten Bereich (in einer nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt angebotenen Beschäftigung) in Folgendem entgegen: Bei den Tätigkeiten im geschützten Bereich handle es sich zumeist um einfache Anlern- oder Hilfstätigkeiten, die eher unselbständig, d.h. unter ständiger Anleitung und Kontrolle ausgeführt werden. Es werde meist unter täglicher Anleitung gearbeitet und auch täglich kontrolliert, wobei primär die Genauigkeit der Arbeitsausführung und weniger die Geschwindigkeit der Durchführung kontrolliert werde; Lärm und Gefahr seien selten. Der Beschwerdeführer habe durch seine vielen Tätigkeiten im geschützten Bereich, nicht zuletzt durch die letzte Tätigkeit bei der Arbeitsloseninitiative B7, bei der er weiterhin beschäftigt sei, bewiesen, dass er ausschließlich im Bereich des zweiten Arbeitsmarktes eine Beschäftigung aufnehmen könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 AlVG ist eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld die Arbeitsfähigkeit. Eine Beschäftigung kann und darf (nach Abs. 3 Z. 1 dieser Bestimmung) eine Person aufnehmen, die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält.
Gemäß § 8 Abs. 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid bzw. nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 bzw. 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist. Nach § 8 Abs. 3 leg. cit. sind die ärztlichen Gutachten der regionalen Geschäftsstellen einerseits und der Sozialversicherungsträger andererseits, soweit es sich um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit handelt, gegenseitig anzuerkennen.
Nach § 24 Abs. 1 AlVG ist, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, es einzustellen.
Gemäß § 38 leg. cit. sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Annahme seiner Arbeitsunfähigkeit. In der Beschwerde wird im Wesentlichen moniert, dass nicht auf Grund seines Berufungsvorbringens auch ein Gutachten "bezüglich (seiner) handwerklichen Arbeitsfähigkeit unter Einbeziehung der zur Zeit verrichteten Tätigkeit" eingeholt worden sei, wozu der Beschwerdeführer vorbringt, dass er gute Fähigkeiten im Bereich der Fahrradreparatur habe und in diesem Bereich arbeitsfähig sei. Die Ermittlungen der belangten Behörde seien sohin für eine abschließende Beurteilung nicht ausreichend; außerdem sei eine individuell auf seinen Arbeitsplatz in einer geschützten Werkstätte bezogene Prüfung der Arbeitsfähigkeit unterblieben.
Mit seinem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen:
Nach dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt wurde in einem ärztlichen Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt am festgestellt, dass der Beschwerdeführer "unverändert am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht, aber im geschützten Bereich einsetzbar sei". In dem darauf aufbauenden Gutachten Dris. B. vom wurde die dauernde Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers bei einem Gesamtgrad der Behinderung von 50% attestiert, wie auch im Befund Dris. H. vom Oktober 2006 die Arbeitsfähigkeit für Normalarbeitsstellen verneint wurde.
Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie aus diesen ärztlichen Gutachten den Schluss gezogen hat, dass der Beschwerdeführer invalid bzw. berufsunfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 AlVG iVm §§ 255, 273 ASVG ist. Mit dem bloßen Einwand in der Berufung, dass auch die handwerklichen Fähigkeiten gesondert zu prüfen gewesen wären, kann kein Verfahrensfehler aufgezeigt werden, weil nicht behauptet wird, dass dadurch eine Änderung des Kalküls eingetreten wäre. Auch im Übrigen vermag die Beschwerde keine Umstände aufzuzeigen, die eine neuerliche Begutachtung des Beschwerdeführers notwendig erscheinen hätten lassen, wie sie auch nicht geltend macht, dass sie dem ärztlichen Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0113). Ebensowenig kann mit der Behauptung, durch handwerkliche Fähigkeiten die Erfordernisse für eine Verwendung in geschützten Bereichen zu erfüllen, das von der belangten Behörde aus den Gutachten abgeleitete rechtliche Ergebnis des Mangels einer - bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt (vgl. § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG) und damit für die allfällige Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung relevanten - Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in Zweifel gezogen werden.
Der Beschwerdeführer regt schließlich an, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, da die Bestimmung des § 7 Abs. 2 AlVG, gleichheitswidrig sei, weil nach dieser Gesetzesstelle Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nur arbeitsfähigen Personen im Sinn des § 255 ASVG zustehen würden und Personen, welche als nicht arbeitsfähig gelten, aber dennoch eine arbeitslosenversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen haben, keine Leistung in Anspruch nehmen können. Der Verwaltungsgerichtshof hegt aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalls keine Bedenken ob der Sachlichkeit des § 7 Abs. 2 AlVG, die ihn zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags an den Verfassungsgerichtshof bewegen würden. Der Sitz einer allfälligen Verfassungswidrigkeit wäre im Übrigen in den die Versicherungspflicht berufsunfähiger Arbeitnehmer normierenden Bestimmungen zu suchen, die hier aber nicht präjudiziell sind.
3. Insgesamt war die Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am