VwGH vom 13.05.2011, 2009/10/0108
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der KM in Salzburg, vertreten durch Dr. Alexandra Dosch, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Imbergstraße 10, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 20301-S-30951/2-2009, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin, der Sozialhilfeträger möge die aus ihrem Einkommen ungedeckten Kosten ihrer Unterbringung in einem Heim aus Mitteln der Sozialhilfe übernehmen.
Mit Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Salzburg (Erstbehörde) vom wurde die Beschwerdeführerin auf Erhebungen hingewiesen, die ergeben hätten, dass sie zum Heimeintritt im Jahre 2001 über ein Vermögen von ca. EUR 30.000,-- (Eigentumswohnung verkauft am ) verfügt habe. Die durch Pension und Pflegegeld seit 2003 ungedeckten Heimkosten würden sich auf EUR 6.416,05 belaufen und könnten aus diesem Vermögen gedeckt werden. Die Beschwerdeführerin werde binnen gleichzeitig festgelegter Frist ersucht, Folgendes mitzuteilen:
"1. Bekanntgabe des noch vorhandenen Vermögens aus dem
Wohnungsverkauf
2. bzw. Verwendungszweck des Verkaufserlöses
3. Bestätigungen der Bank, dass keine weiteren
Sparbücher, Wertpapier-Depot auf Sie bzw. auf Ihr/e Konto/en legitimiert sind bzw. in den letzten 7 Jahren vorhanden waren."
Bei der Erstbehörde langte hiezu eine zunächst nur von der Tochter der Beschwerdeführerin, nach Zurückstellung auch von der Beschwerdeführerin unterfertigte Erklärung ein, in der auf bestimmte Aufwendungen anlässlich des Heimeintritts "(Badmöbel, Küchenkasten, Tisch, Sofa, Fernseher, Telefongebühr etc.)", die Notwendigkeit einer Neueinkleidung, "teure Aufbaumittel", ein Hörgerät, ein Zeitungsabonnement sowie darauf hingewiesen wurde, dass die Beschwerdeführerin ihr Geld bis vor eineinhalb Jahren selbst verwaltet habe. Sie besitze kein Vermögen. Vorgelegt wurde eine Bestätigung der S Bank AG, wonach derzeit kein Sparbuch auf den Namen der Beschwerdeführerin bestehe.
Mit einem weiteren Schreiben der Erstbehörde vom wurde die Beschwerdeführerin ersucht, binnen gleichzeitig festgesetzter Frist die Kontoauszüge vom August 2003 bis vorzulegen.
Nachdem der Erstbehörde die Kontoauszüge vorlagen, ersuchte sie die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom , binnen gleichzeitig festgesetzter Frist Folgendes mitzuteilen:
"1. Verwendungszweck der Behebung bzw. Barauszahlung
vom in Höhe von insgesamt EUR 29.300,--
2. Belege der Herkunft der Eigenerläge seit 2003 auf
Ihrem Konto
3. Bestätigung der Bank, dass seit 2003 keine
Sparbücher, Wertpapiere auf Ihren Namen bzw. Konto legitimiert waren."
Dieses Schreiben wurde von der Tochter der Beschwerdeführerin dahin beantwortet, dass EUR 29.300,-- für die Kontobegleichung im Seniorenheim sowie für "Anschaffungs- und Lebenskosten" verwendet worden seien. Aus diesen Mitteln seien die Eigenerläge auf das Konto getätigt worden, weil die Eigenpension zu gering gewesen sei. Die Bankbestätigung sei bereits vorgelegt worden.
Mit Bescheid der Erstbehörde vom wurde der Sozialhilfeantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 13 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 Salzburger Sozialhilfegesetz zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die - nach Abzug von Pension und Pflegegeld - offenen Heimunterbringungskosten in Höhe von EUR 6.426,05 aus dem Vermögen der Beschwerdeführerin zu leisten gewesen seien. Die Beschwerdeführerin habe nicht nachgewiesen:
1. den Verbleib der Barauszahlung bzw. Behebung vom
in Höhe von insgesamt EUR 29.300,--
2. die Herkunft der Eigenerläge
3. den Verbleib/Verwendungszweck des restlichen Vermögens
4. eine Bestätigung der Bank, dass seit 2003 keine
Sparbücher, Wertpapiere auf ihren Namen bzw. ihr Konto gelautet hätten; die vorgelegte Bestätigung der Bank sei nicht ausreichend, weil darin nur der derzeitige Stand bestätigt werde.
Die Anschaffungs- und Lebenskosten sowie die Heimkosten seien aus Pension, Pflegegeld und Sonderzahlungen getätigt worden. Da somit das Vermögen aus dem Liegenschaftsverkauf noch großteils vorhanden sein müsste, sei eine Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin nicht feststellbar.
Die Beschwerdeführerin - nunmehr anwaltlich vertreten - erhob Berufung und brachte vor, es sei beim Bezirksgericht Salzburg angeregt worden, ihr für Vermögensangelegenheiten und für die Vertretung vor Behörden einen Sachwalter zu bestellen. Ihre finanziellen Angelegenheiten würden bereits seit eineinhalb Jahren von ihrer Tochter erledigt. Diese habe auch im vorliegenden Sozialhilfeverfahren wohlmeinend Stellungnahmen für ihre Mutter erstattet. Auch die Rechtsvertreterin habe im Gespräch mit der Beschwerdeführerin den Eindruck gewonnen, dass diese nicht mehr in der Lage sei, ihre Interessen in finanziellen Angelegenheiten ausreichend zu wahren: Mangels Überblicks über ihre finanziellen Angelegenheiten könne sie die erforderlichen Auskünfte nicht erteilen. Sie könne auch die Tragweite des Verfahrens nicht nachvollziehen. Mangels Beiziehung eines für die Beschwerdeführerin bestellten Sachwalters leide das Verfahren an einem wesentlichen Mangel.
Mit Bescheid der Salzburger Landesregierung vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, Gegenstand des Berufungsverfahrens sei, ob die Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführerin gemäß § 13 Abs. 3 AVG zu Recht erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin habe den Verbleib eines Geldbetrages in Höhe von ca. EUR 40.000,-- nicht schlüssig erklären können. Es sei daher davon auszugehen gewesen, dass sie über ein zur Sicherstellung ihres Lebensbedarfes verwertbares Vermögen verfüge. Die Verbesserungsaufträge der Erstbehörde seien zu Recht erfolgt, der Sozialhilfeantrag sei aber nicht hinlänglich vervollständigt worden. Die Sachentscheidung sei der Beschwerdeführerin daher zu Recht verweigert worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 AVG ist, insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, diese von der Behörde nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
Ist für eine Person ein Sachwalter iSd. § 268 Abs. 1 ABGB bestellt, so kann diese Person innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten (§ 280 Abs. 1 ABGB).
Die Beschwerdeführerin bringt unter Vorlage einer Ausfertigung des Beschlusses des Bezirksgerichtes Salzburg vom , wonach ihr gemäß § 268 ABGB eine Sachwalterin, ihre Enkelin, für die Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie für die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt wurde, vor, sie habe bereits in ihrer Berufung darauf hingewiesen, dass am die Bestellung eines Sachwalters für Vermögensangelegenheiten und die Vertretung vor Behörden angeregt worden sei. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, die Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin zu prüfen und im Sinne des § 11 AVG vorzugehen. Demgegenüber habe sie den angefochtenen Bescheid darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin den ihr erteilten Aufträgen nicht vollständig nachgekommen sei, obwohl diese tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, die Bedeutung und Tragweite der prozessualen Vorgänge zu erfassen.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:
Die Sachwalterbestellung wirkt zwar insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist. Für die Zeit davor ist aber zu prüfen, ob der Betreffende schon damals nicht mehr prozessfähig und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereigneten prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0326, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Auf Grund der in der Berufung erstatteten Hinweise der Beschwerdeführerin sowohl auf ihre mangelnden Fähigkeiten zur Besorgung ihrer (finanziellen) Angelegenheiten, als auch auf die Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters konnte die belangte Behörde nicht ohne weitere Prüfung von der Handlungs- und Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin im Verfahren ausgehen. Dies umso weniger, als sich in den vorgelegten Verwaltungsakten der Hinweis findet, die Beschwerdeführerin sei "lt. Heim" nicht mehr geschäftsfähig.
Nun hat allerdings der Umstand, dass eine Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung ihre Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst besorgen kann, nicht jedenfalls zur Bestellung eines Sachwalters zu führen. Vielmehr ist die Bestellung eines Sachwalters gemäß § 268 Abs. 2 ABGB unzulässig, soweit Angelegenheiten der behinderten Person durch einen anderen gesetzlichen Vertreter oder im Rahmen einer anderen Hilfe, besonders in der Familie, in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder im Rahmen sozialer oder psychosozialer Dienste, im erforderlichen Ausmaß besorgt werden.
Vermag eine volljährige Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens nicht selbst zu besorgen und hat sie dafür keinen Sachwalter und auch sonst keinen gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter, so kann sie gemäß § 284b Abs. 1 ABGB bei diesen Rechtsgeschäften, soweit sie ihren Lebensverhältnissen entsprechen, von einem nächsten Angehörigen vertreten werden. Gleiches gilt für Rechtsgeschäfte zur Deckung des Pflegebedarfs sowie für die Geltendmachung von Ansprüchen, die aus Anlass von Alter, Krankheit, Behinderung oder Armut zustehen, insbesondere von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen, Ansprüchen auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie Gebührenbefreiungen und anderen Begünstigungen.
§ 284b Abs. 1 ABGB normiert somit in bestimmten Angelegenheiten, unter anderem für die Geltendmachung sozialversicherungsrechtlicher und ähnlicher Ansprüche, eine gesetzliche Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen einer volljährigen Person, die auf Grund ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung nicht fähig ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst zu besorgen. Eine Gefährdung des Wohles des Vertretenen erscheine hier - so die Gesetzesmaterialien (RV 1420 BlgNR 22. GP, 23) - von vorneherein ausgeschlossen, weil es bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie bei Gebührenbefreiungen und anderen Vergünstigungen um bloß berechtigende Handlungen für den Vertretenen gehe; ein für den Vertretenen eingebrachter Antrag könne nur zur Prüfung des Anspruches durch die Behörde oder sonstige Stelle führen. Im Übrigen könne jederzeit das Pflegschaftsgericht angerufen werden, das dann im Rahmen eines Sachwalterschaftsverfahrens die Lebenssituation des Betroffenen zu prüfen und festzustellen habe, ob dessen Angelegenheiten auf Grund der gesetzlichen Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger ausreichend besorgt werden und daher die Bestellung eines Sachwalters entbehrlich ist oder ob ein Sachwalterbestellungsverfahren einzuleiten ist (vgl. RV, aaO, 4).
Selbst wenn die belangte Behörde daher bei ordnungsgemäßer Prüfung zur Auffassung hätte gelangen müssen, die Beschwerdeführerin sei bereits vor dem Beschluss über die Sachwalterbestellung nicht in der Lage gewesen, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen, und sei daher nicht prozessfähig, hätte sie zunächst von der gesetzlichen Vertretungsbefugnis der einschreitenden Tochter gemäß § 284b Abs. 1 ABGB ausgehen können. Diese - eingeschränkte - Vertretungsbefugnis der Tochter der Beschwerdeführerin erlaubte es der belangten Behörde aber nicht, auch den Umstand, dass diese die Frage, welcher Verwendung die Beschwerdeführerin ihr Vermögen vor geraumer Zeit zugeführt habe, nicht oder nicht ausreichend beantworten konnte, der Beschwerdeführerin zuzurechnen. Denn eine Vertretungsbefugnis der Tochter der Beschwerdeführerin gemäß § 284b Abs. 1 ABGB war auf die "Geltendmachung" von Sozialhilfe eingeschränkt: Sie umfasste zwar die Antragstellung und damit im unmittelbaren Zusammenhang stehende Angaben, nicht aber auch Auskünfte über Akte der Vermögensverwaltung der Beschwerdeführerin aus einer verhältnismäßig weit zurückliegenden Zeit, in der diese ihre finanziellen Angelegenheiten noch selbst besorgte.
Soweit die belangte Behörde daher die Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin geltend machte und ihr in diesem Rahmen Verfahrenshandlungen abverlangte, hat sie übersehen, dass die Beschwerdeführerin - hätte die gebotene Prüfung ihre Prozessunfähigkeit ergeben - hiezu eines Sachwalters bedurft hätte.
Indem die belangte Behörde die mangelhafte Erfüllung der behördlichen Aufträge daher ohne weiteres als ausreichend erachtete, um auf dieser Grundlage eine Hilfebedürftigkeit der Beschwerdeführerin iSd Salzburger Sozialhilfegesetzes zu verneinen bzw. um ihren Sozialhilfeantrag zurückzuweisen, hat sie Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am