VwGH vom 14.12.2015, Ro 2014/11/0057
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision Dr. I S in H, vertreten durch Dr. Anke Reisch, Rechtsanwältin in 6370 Kitzbühel, Franz-Reisch-Straße 4, gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich vom , Zl. WFF/BA/2007/18821, betreffend Befreiung von der Beitragspflicht (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 1. dahin abgeändert, dass die Wortfolge "von bis " ersatzlos entfällt. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Die Ärztekammer für Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/11/0014, verwiesen. Mit diesem wurde ein Bescheid der belangten Behörde vom wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben, soweit mit ihm der Antrag der Revisionswerberin auf Befreiung von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (kurz: Wohlfahrtsfonds) im Instanzenzug abgewiesen worden war.
1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid vom (vom Beschwerdeausschuss beschlossen am ) wurde über den Antrag der Revisionswerberin auf Befreiung von der Beitragspflicht wie folgt abgesprochen:
"1. Die Beschwerdeführerin wird gemäß § 19 Abs. 1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds idF (Satzung WFF 2007) von den Beiträgen zur Grundrente und zur Zusatzleistung von bis befreit.
2. Der Antrag auf eine darüber hinaus gehende Befreiung wird gemäß § 19 Abs. 1 Satzung WFF abgewiesen."
In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens ausgeführt, dass der Erstbescheid aufgrund der gemäß § 63 Abs. 1 VwGG zugrunde zu legenden Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes spruchgemäß abzuändern gewesen sei.
Eine vollständige Befreiung von der Beitragspflicht sei gemäß § 19 Abs. 1 der Satzung nicht auszusprechen gewesen, weil nach dieser Bestimmung die Befreiung von der Beitragspflicht - ausgenommen die auf die Bestattungsbeihilfe und Hinterbliebenenunterstützung sowie auf die (anderen) Unterstützungsleistungen nach der Beitragsordnung entfallenden Teile des Fondsbeitrages - zu erfolgen habe.
1.3. Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der sie eventualiter auch Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhob und ausführte. Mit Beschluss vom , B 179/2014-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung dieser Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
1.4. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte den Verwaltungsakt zur Revision vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Dem Verwaltungsakt beigelegt ist eine "Äußerung" der Ärztekammer für Niederösterreich vom (die belangte Behörde - der Beschwerdeausschuss der Ärztekammer für Niederösterreich - war mit durch das 1. Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 80/2013, aufgelöst worden).
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Hat der Verfassungsgerichtshof eine Bescheidbeschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung nach Ablauf des dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, ist in sinngemäßer Anwendung des § 4 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetzes (VwGbk-ÜG) vorzugehen. Die abgetretene Beschwerde gilt daher als Revision, für welche die Regelungen des § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG maßgeblich sind, sodass gegenständlich die Bestimmungen des VwGG in der bis zum geltenden Fassung anzuwenden sind (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ro 2014/11/0053, mit Verweis auf den Beschluss vom , Ro 2014/04/0052, 0053, dieser mwN).
2.2. Das Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 122/2006, lautet auszugsweise:
"Befreiung von der Beitragspflicht
§ 112. (1) Erbringt ein ordentlicher Kammerangehöriger den Nachweis darüber, dass ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe(Versorgungs)genuss auf Grund eines unkündbaren Dienstverhältnisses zu einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach einem Gesetz oder den Pensionsvorschriften einer Dienstordnung gegenüber einer solchen Körperschaft zusteht, wie dieser gegenüber dem Wohlfahrtsfonds besteht, ist er auf Antrag nach Maßgabe des Antragsbegehrens und der folgenden Bestimmungen von der Verpflichtung nach § 109 zu befreien. Übt der Antragsteller keine ärztliche oder zahnärztliche Tätigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 dieses Bundesgesetzes oder § 23 Z 1 Zahnärztegesetz aus, kann die Satzung vorsehen, dass die Beitragspflicht zur Todesfallbeihilfe und zu den Unterstützungsleistungen bestehen bleibt. Übt der Antragsteller eine ärztliche oder zahnärztliche Tätigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 dieses Bundesgesetzes oder § 23 Z 1 Zahnärztegesetz aus, bleibt jedenfalls die Beitragspflicht zur Grundleistung bestehen. Die Satzung kann vorsehen, dass die Beitragspflicht darüber hinaus auch für die Ergänzungsleistungen, die Todesfallbeihilfe und die Unterstützungsleistungen bestehen bleibt.
..."
2.3. Die bei Beschlussfassung über den angefochtenen Bescheid maßgebenden Bestimmungen der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich lauten:
"§ 16
Überprüfung der Ermäßigung
(1) Ermäßigungen für gegenwärtige oder zukünftige Vorschreibungen werden grundsätzlich für die Dauer von 12 Monaten ausgesprochen, sofern nicht aufgrund der Natur des Ermäßigungsgrundes, der Bestimmungen in Gesetzen oder dieser Satzung oder aus berücksichtigungswürdigen Umständen eine andere Ermäßigungsdauer auszusprechen ist.
(2) Befreiungen und Ermäßigungen, die für einen längeren Zeitraum als drei Jahre ausgesprochen wurden, sind vom Verwaltungsausschuss jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren nach der Beschlussfassung auf das Vorliegen der für Ihre Gewährung maßgebenden Umstände zu überprüfen.
(3) Liegen die für die Gewährung der Ermäßigung oder Befreiung maßgebenden Umstände nicht oder nicht mehr vor, sodass die Ermäßigung oder Befreiung zu Unrecht gewährt wurde oder fortbestanden hat, so verlieren diesbezüglich ergangene Bescheide mit dem auf den Wegfall der für die Ermäßigung oder Befreiung maßgebenden Umstände folgenden Monat ihre Geltung.
...
§ 19
Befreiung von der Beitragspflicht
(1) Erbringt ein WFF-Mitglied im Sinne des § 11 Abs. 1 oder Abs. 3 den Nachweis darüber, dass ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe- oder Versorgungsgenuss auf Grund eines unkündbaren Dienstverhältnisses zu einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach einem Gesetz oder den Pensionsvorschriften einer Dienstordnung gegenüber einer solchen Körperschaft zusteht, wie dieser gegenüber dem WFF besteht, und übt er keine ärztliche und/oder zahnärztliche Tätigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Ärztegesetz oder § 23 Z. 1 Zahnärztegesetz aus, ist er auf Antrag, ausgenommen die auf die Bestattungsbeihilfe und Hinterbliebenenunterstützung sowie die sonstigen Unterstützungsleistungen nach der Beitragsordnung zu leistenden Beiträge, von der Verpflichtung der Beitragsleistung zum WFF zu befreien. Übt der Antragsteller jedoch eine ärztliche und/oder zahnärztliche Tätigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 oder § 23 Z. 1 Zahnärztegesetz aus, bleiben neben dem Beitrag zur Grundrente auch die Beiträge zu allen anderen Leistungen bestehen.
..."
2.4. Die Revisionswerberin vertritt in der Revision die Ansicht, die Beitragsleistung sei als Einheit anzusehen, sodass es nicht gesetzmäßig sei, die Befreiung nur für einzelne Teile der Beitragsleistung auszusprechen. Mit diesem Vorbringen ist die Revisionswerberin (deren Befreiungsgrund nach dem Vorerkenntnis in einer unkündbaren unselbständigen Beschäftigung liegt; für eine freiberufliche Tätigkeit gemäß § 45 Abs. 2 ÄrzteG 1998 gibt es keine Anhaltspunkte) auf § 19 Abs. 1 erster Satz der Satzung (bzw. auf § 112 Abs. 1 zweiter Satz ÄrzteG 1998) zu verweisen, wonach auch im Falle der Befreiung von der Beitragspflicht die Beiträge für die Bestattungsbeihilfe und Hinterbliebenenunterstützung sowie die sonstigen Unterstützungsleistungen zu leisten sind.
Die von der Revisionswerberin dagegen gehegten verfassungsrechtlichen Bedenken hat der Verfassungsgerichtshof - siehe den zitierten Ablehnungsbeschluss - nicht geteilt.
Von daher ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die Befreiung unter Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides nur hinsichtlich der Beiträge zur Grundrente und zur Zusatzleistung erfolgte und der darüber hinausgehende Antrag unter Spruchpunkt 2. abgewiesen wurde.
2.5. Gegen die (ebenfalls unter Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides ausgesprochene) Befristung der Befreiung bringt die Revision - zu Recht - vor, dass diesbezüglich jegliche Begründung im angefochtenen Bescheid fehlt.
In der genannten Äußerung der Ärztekammer für Niederösterreich vom , die am genannten Begründungsmangel grundsätzlich nichts mehr zu ändern vermag, wird (abgesehen von einer unzutreffenden Kritik am zitierten Vorerkenntnis Zl. 2010/11/0014) ausgeführt, dass Grundlage für die ausgesprochene Befristung der § 16 Abs. 2 der Satzung sei. Nach dieser Bestimmung stehe es der Behörde frei, eine Befreiung für mehr als drei Jahre auszusprechen, wobei dann spätestens nach drei Jahren das Vorliegen der für die Befreiung relevanten Voraussetzungen zu prüfen sei. Sinn der Befristung sei es, allfällige Änderungen der Berufstätigkeit des Arztes, die dieser nicht zeitgerecht melde, nicht unnötig lang unberücksichtigt zu lassen.
Sowohl bei der Entscheidung, ob eine Nebenbestimmung vorzuschreiben ist und wie diese inhaltlich auszugestalten ist, als auch bei der Typenwahl der Nebenbestimmung ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen, durch welche Anordnung am wenigsten in die Rechte des Betroffenen eingegriffen wird (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG, § 59 Rz 20 referierten Rechtsquellen).
Wird daher in einem Fall wie dem vorliegenden die Befreiung von der Beitragspflicht befristet, damit bei Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen die neuerliche Beitragsvorschreibung "nicht unnötig lang" verzögert wird, so erweist sich diese Befristung als unverhältnismäßig. Abgesehen davon, dass gegenständlich keine Anhaltspunkte für einen Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen nach Ablauf von 3 Jahren (ab Beschlussfassung über den angefochtenen Bescheid) vorliegen (ein Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen wäre gegeben, wenn die Revisionswerberin ihr - unkündbares - Dienstverhältnis beendete), erweist sich die Befristung angesichts des für die Revisionswerberin damit verbundenen Aufwandes (wiederkehrende Antragstellungen auf Befreiung von der Beitragspflicht mit allfälligen Rechtsmitteln gegen versagende Entscheidungen) im Verhältnis zum genannten Zweck der Befristung (zumindest) als unverhältnismäßig. Da nämlich die Rechtskraft des Bescheides über die Befreiung von der Beitragspflicht nur bei unverändertem Sachverhalt (und unveränderter Rechtslage) gewahrt bleibt, kommt der Behörde bei Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen ohnedies, also auch ohne die genannte Befristung, die Möglichkeit einer entsprechenden Beitragsvorschreibung zu (so auch ausdrücklich § 16 Abs. 3 der Satzung).
Die unter Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Befristung der Befreiung von der Beitragspflicht erweist sich daher als rechtswidrig.
3. Da gegenständlich die Voraussetzungen des § 42 Abs. 3a VwGG (nach dem Gesagten in der bis geltenden Fassung) vorlagen, war Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides durch die ersatzlose Streichung der dort vorgeschriebenen Befristung abzuändern. Im Übrigen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der (zufolge § 4 BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014 hier maßgebenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-91473