VwGH vom 15.10.2015, Ro 2014/11/0055

VwGH vom 15.10.2015, Ro 2014/11/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des Dr. M P in W, vertreten durch die Heller Gahler Rechtsanwaltspartnerschaft in 1030 Wien, Marokkanergasse 21, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit vom , BMG-92100/0198-II/A/3/2013, betreffend vorläufige Untersagung der Berufsausübung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom keine Folge und bestätigte diesen Bescheid mit der Maßgabe, dass dessen Spruch wie folgt laute:

"Herrn (Revisionswerber) wird wegen Gefahr in Verzug in Wahrung des öffentlichen Wohles bis zum rechtskräftigen Abschluss


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des beim Magistratischen Bezirksamt für den 23. Bezirk, zur Zahl MBA 23-S-6900/12, eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 62 Abs. 1 Z. 3 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. I 169/1998 und
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des bei der Staatsanwaltschaft Wien zur Zahl 8 St 41/11w eingeleiteten Strafverfahrens gemäß § 62 Abs. 1 Z. 2 Ärztegesetz 1998 die Ausübung des ärztlichen Berufes untersagt."
2.
Im genannten Bescheid vom (Bescheidbegründung Seite 33 ff) traf die Erstbehörde Feststellungen über das dem Revisionswerber einerseits im Verwaltungsstrafverfahren und andererseits im gerichtlichen Strafverfahren angelastete Verhalten.
Demnach sei dem Revisionswerber im genannten Verwaltungsstrafverfahren - unter anderem - (erstens) die Abgabe und Anwendung von suchtmittelhaltigen Arzneispezialitäten nicht nur in begründeten Einzelfällen entgegen § 21 Suchtgiftverordnung, (zweitens) die Anstiftung zur Vornahme von Substitutionsbehandlungen durch einen wissentlich nicht qualifizierten Vertreter entgegen § 2 Weiterbildungsverordnung orale Substitution, (drittens) das Nichtführen von Vormerkungen über den Suchtgiftbezug entgegen § 8 Abs. 5 SMG (gemeint: Suchtgiftverordnung), (viertens) das unversperrte Aufbewahren eines nicht mehr nachvollziehbar großen Umfanges an suchtgifthaltigen Arzneispezialitäten im Behandlungszimmer der Ordination entgegen § 9 Abs. 1 SMG, (fünftens) das unversperrte Aufbewahren von Suchtgiftvignetten entgegen § 22 Abs. 3 Suchtgiftverordnung und (sechstens) das Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit überschrittenem Ablaufdatum entgegen § 4 Abs. 3 Z 2 Arzneimittelgesetz vorgeworfen worden.
Im genannten Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Wien würden seit Ermittlungen gegen den Revisionswerber betreffend gewerbsmäßigen Betruges (§§ 146, 148 StGB) wegen unrechtmäßiger Verrechnung von Leistungen gegenüber der Wiener Gebietskrankenkasse geführt, wobei beim Revisionswerber eine Holzbox mit 52 E-cards sichergestellt worden sei. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Revisionswerber beträfen außerdem den Vorwurf des vorschriftswidrigen Besitzes einer großen Menge Suchtgift im Rahmen der ärztlichen Berufsausübung (§ 28 Abs. 1 SMG) sowie der vorschriftswidrigen Verschaffung von Suchtgift und von psychotropen Stoffen an einen namentlich genannten Substitutionspatienten seit zumindest .
3.
Im angefochtenen Bescheid gelangte die belangte Behörde, ausgehend von diesen Tatvorwürfen (im angefochtenen Bescheid wird u. a. auf den zitierten Erstbescheid vom verwiesen), zu dem Ergebnis, dass gemäß § 62 Abs. 1 Z 2 und 3 ÄrzteG 1998 in Wahrung des öffentlichen Wohles wegen Gefahr in Verzug die Ausübung des ärztlichen Berufes durch den Revisionswerber bis zum rechtskräftigen Abschluss der im Spruch genannten Strafverfahren zu untersagen sei.
Dazu führte sie in rechtlicher Hinsicht bezüglich des bei der Staatsanwaltschaft Wien laufenden Strafverfahrens aus, die zur Last gelegten Verstöße gemäß §§ 146, 148 StGB (gewerbsmäßiger Betrug) stellten grobe Verfehlungen bei der Ausübung des ärztlichen Berufes dar. Die E-Cards seien laut Polizeibericht teilweise "nachgesteckt" worden, wodurch es zu einer Verrechnung von angeblich erbrachten Leistungen gekommen sei. Erhebungen hätten ergeben, dass mit E-Cards auch Rezepte auf andere Namen ausgestellt und diese in verschiedenen Apotheken eingelöst worden seien.
In Hinblick auf das beim Magistrat der Stadt Wien laufende Verwaltungsstrafverfahren wegen des Verdachts auf Übertretung (u.a.) des ÄrzteG 1998, des Suchtmittelgesetzes, der Suchtmittelverordnung und des Arzneimittelgesetzes seien die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Z 3 ÄrzteG 1998 erfüllt. Auch die dort angelasteten Verfehlungen seien als gröblich anzusehen. Aus dem Gutachten des Amtssachverständigen vom gehe hervor, dass beispielsweise die unversperrte Lagerung von Suchtgiften (im vorliegenden Fall noch dazu in einer in einer "derartig ungewöhnlich hohen Anzahl"), sowie die unversperrte Lagerung von 780 Suchtgiftvignetten und von 1.241 "Blanko-Suchtgiftrezepten" im klaren Widerspruch zur diebstahlsicheren Aufbewahrung nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften bzw. der Suchtgiftverordnung stünden. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in der Ordination des Revisionswerbers hauptsächlich drogenabhängige Patienten behandelt würden, stelle eine solche Vorgehensweise die Verleitung zur missbräuchlichen Verwendung und damit eine besondere Gefahr für die Patientensicherheit dar. Auch die Verabreichung abgelaufener Arzneispezialitäten (das älteste Ablaufdatum stamme aus dem Jahr 1989) stelle eine nicht kalkulierbare Gefährdung der Patientensicherheit dar.
Eine Gefährdung der Patientensicherheit resultiere auch aus der Vertretungstätigkeit des Dr. P. für den Revisionswerber, weil der genannte Vertretungsarzt weder eine Berufsberechtigung noch, was dem Revisionswerber bekannt gewesen sei, eine einschlägige Qualifikation zur Substitutionsbehandlung besitze.
Durch die zahlreichen und wiederholten Verstöße des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit der Behandlung seiner Patienten und der manipulativen Abrechnung gegenüber der Krankenkasse sei jedenfalls von Gefahr in Verzug iSd § 62 Abs. 1 ÄrzteG 1998 auszugehen.
Soweit der Revisionswerber in der Berufung gegen das Vorliegen einer Gefahr bzw. gegen die Notwendigkeit der gegenständlichen Sicherungsmaßnahme ins Treffen geführt habe, dass er den Ordinationsbetrieb zwischenzeitig eingestellt habe und sich einer Operation unterziehen habe müssen, sei festzuhalten, dass dies nach Ansicht der belangten Behörde nichts am Vorliegen von Gefahr in Verzug und am Erfordernis, die Ausübung des ärztlichen Berufes vorläufig zu untersagen, ändere. Der Revisionswerber habe nämlich keinen endgültigen Verzicht auf die Berufsausübung erklärt und könnte daher trotz der Einstellung des Ordinationsbetriebes diesen jederzeit, eventuell an einem anderen Ort, wieder aufnehmen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/11/0339). Gleiches gelte für die Zeit nach seiner erfolgten Genesung.
Aufgrund der dargelegten Umstände sei von einer nicht geringen und unmittelbaren Patientengefährdung auszugehen, weshalb die vorläufige Untersagung der ärztlichen Berufstätigkeit als notwendige Maßnahme zur Wahrung des öffentlichen Wohles und zum Schutz der Patienten unabdingbar gewesen sei.
2.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG (in der bis zum geltenden Fassung), der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom ,
B 1114/2013-7, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung abgetreten hat.
Der Revisionswerber übermittelte einen ergänzenden Schriftsatz, das Verwaltungsgericht Wien legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.


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Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Hat der Verfassungsgerichtshof eine Bescheidbeschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung nach Ablauf des dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, ist in sinngemäßer Anwendung des § 4 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetzes (VwGbk-ÜG) vorzugehen (vgl. den hg. Beschluss vom , Ro 2014/04/0052, 0053, mwN). Die abgetretene Beschwerde gilt daher als Revision, für welche die Regelungen des § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG maßgeblich sind, sodass gegenständlich die Bestimmungen des VwGG in der bis zum geltenden Fassung anzuwenden sind.

2.2. Das Ärztegesetz 1998 lautet auszugsweise:

" Vorläufige Untersagung der Berufsausübung

§ 62. (1) In Wahrung des öffentlichen Wohles und bei Gefahr in Verzug hat der Landeshauptmann Ärzten die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens über die Bestellung eines Sachwalters nach § 268 ABGB oder eines Strafverfahrens zu untersagen, wenn gegen sie

1. ein Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach § 268 ABGB eingeleitet und nach §§ 118 und 119 AußStrG fortgesetzt oder

2. ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes, die mit gerichtlicher Strafe bedroht sind, eingeleitet oder

3. ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes, die mit Verwaltungsstrafe bedroht sind, eingeleitet worden ist."

2.3. Vom Revisionswerber bleibt unbestritten, dass die beiden gegen ihn gerichteten und im Spruch genannten Strafverfahren (betreffend einerseits mit gerichtlicher Strafe und andererseits mit Verwaltungsstrafe bedrohte Verfehlungen) im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides eingeleitet waren. Auch beim Verwaltungsgerichtshof bestehen gegen die Annahme der Erfüllung dieses Tatbestandselements keine Bedenken. Insbesondere war das Strafverfahren iSd § 62 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 gemäß § 1 Abs. 2 StPO (in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 19/2004) durch die genannten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (hier: betreffend gewerbsmäßigen Betrugs und Verstoß gegen § 28 SMG) eingeleitet.

Ebenso unbestritten bleibt, dass die genannten Tatvorwürfe Gegenstand der eingeleiteten Strafverfahren waren.

2.4. Die Revision vertritt vielmehr den Rechtsstandpunkt, die im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Umstände, dass der Revisionswerber seine Ordination bereits am geschlossen habe und dass er bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die Tätigkeit als Arzt aufgrund seines Gesundheitszustandes ohnehin nicht habe ausüben können, stünden dem Erfordernis der Sicherheitsmaßnahme der vorläufigen Untersagung der ärztlichen Berufsausübung entgegen. Durch die genannten Umstände seien nämlich die beiden Tatbestandselemente des § 62 Abs. 1 ÄrzteG 1998 "Gefahr in Verzug" und "In Wahrung des öffentlichen Wohles" nicht länger erfüllt. Indem die belangte Behörde diese Umstände nicht entsprechend berücksichtigt habe, habe sie das ihr zukommende Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes ausgeübt.

Das Argument der belangten Behörde, die vorläufige Untersagung der Berufsausübung sei trotz Einstellung des Ordinationsbetriebes durch den Revisionswerber notwendig, weil dieser den Ordinationsbetrieb jederzeit wieder aufnehmen könne, übersehe außerdem, dass die Wiederaufnahme des Ordinationsbetriebes durch den Revisionswerber meldepflichtig sei, sodass die Behörde - dann - die nötigen Maßnahmen setzen könne.

2.5. Zunächst ist festzuhalten, dass der Behörde in Vollziehung des § 62 Abs. 1 ÄrzteG 1998 kein Ermessen zukommt.

Hinsichtlich der Frage, ob das gegen den Revisionswerber eingeleitete Strafverfahren wegen gewerbsmäßigen Betruges (§§ 146, 148 StGB) die vorläufige Untersagung der ärztlichen Berufsausübung bis zum rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens gemäß § 62 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 nach sich ziehen musste, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/11/0221, verwiesen werden, in welchem diese Frage für den Fall des Betrugsverdachtes bejaht wurde (vgl. überdies das zur vergleichbaren Rechtslage nach § 35 Abs. 1 ÄrzteG 1984 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 95/11/0339).

Ebenso ist die verbleibende Frage, ob auch das wegen des Verdachts auf Begehung der genannten Verwaltungsübertretungen eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren zur vorläufigen Untersagung der ärztlichen Berufsausübung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsstrafverfahrens führen musste (§ 62 Abs. 1 Z 3 ÄrzteG 1998), zu bejahen:

Die eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren betreffen, wie dargestellt, den Verdacht der Begehung unterschiedlicher Verwaltungsübertretungen, darunter insbesondere die rechtswidrige Abgabe und Anwendung von suchtmittelhaltigen Arzneispezialitäten, die Anstiftung zur Vornahme von Substitutionsbehandlungen durch einen wissentlich nicht qualifizierten Vertreter, das unversperrte Aufbewahren eines nicht mehr nachvollziehbar großen Umfanges an suchtgifthaltigen Arzneispezialitäten im Behandlungszimmer der Ordination und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit überschrittenem Ablaufdatum. Es besteht kein Zweifel, dass diese Verdachtsmomente "grobe Verfehlungen" iSd § 62 Abs. 1 Z 2 und 3 ÄrzteG 1998 betreffen und - sowohl für sich gesehen als auch (umso mehr) in ihrer Gesamtheit - die Annahme rechtfertigen, der Revisionswerber sei wegen Gefahr in Verzug zum Schutz der Allgemeinheit bis zur Klärung des Tatverdachtes (rechtskräftiger Abschluss des Verwaltungsstrafverfahrens) von der Ausübung des ärztlichen Berufes auszuschließen. Daran ändert, wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, weder der Umstand, dass der Revisionswerber von sich aus den Ordinationsbetrieb freiwillig geschlossen hat (vgl. zu einem vergleichbaren Argument das zitierte Erkenntnis, Zl. 95/11/0339) - und zwar schon deshalb, weil dies die unselbständige Ausübung des Arztberufes nicht ausschließt (somit geht auch das Argument des Revisionswerbers hinsichtlich einer ihn treffenden Meldepflicht bei Wiedereröffnung seiner Ordination ins Leere) - noch der Umstand etwas, dass sich der Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen (vorübergehend) der ärztlichen Berufsausübung enthalten musste.

Nach dem Gesagten war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Mangels Antrages der obsiegenden Partei entfällt ein Kostenzuspruch.

Wien, am