VwGH 18.04.2012, 2009/10/0079
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | MeldeG 1991 §1 Abs7; SchOG Slbg 1995 §35 Abs1; SchOG Slbg 1995 §41 Abs1; SchOG Slbg 1995 §44 Abs1; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
RS 1 | Der im Slbg SchOG 1995 gebrauchte Begriff "Wohnsitz" ist als "Hauptwohnsitz" zu verstehen. Die einschlägige Judikatur des VwGH zu landesgesetzlichen Bestimmungen über Gastschulbeiträge, die an den Begriff "Hauptwohnsitz" anknüpfen, kann daher auf die Vorschreibung von Gastschulbeiträgen nach dem Slbg SchOG 1995 übertragen werden. |
Normen | B-VG Art6 Abs3; MeldeG 1991 §1 Abs7; SchOG Slbg 1995 §35 Abs1; SchOG Slbg 1995 §41 Abs1; SchOG Slbg 1995 §44 Abs1; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 2 | Die Meldung nach dem MeldeG 1991 ist in der Frage des Hauptwohnsitzes nicht von entscheidender Bedeutung. Jedenfalls kann die Annahme, eine Person habe in einem bestimmten Ort ihren Hauptwohnsitz, weder auf den Umstand der Meldung in diesem Ort als Hauptwohnsitz allein gegründet noch durch den Hinweis auf die Meldung in einem anderen Ort allein widerlegt werden (vgl. E , 2000/10/0192; E , 2004/10/0109). |
Normen | B-VG Art6 Abs3; MeldeG 1991 §1; MeldeG 1991 §2; SchOG Slbg 1995 §35 Abs1; SchOG Slbg 1995 §41 Abs1; SchOG Slbg 1995 §44 Abs1; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 3 | Durch die Aufnahme eines Jugendlichen in eine nach Jugendwohlfahrtsvorschriften errichtete Einrichtung - selbst zur "vollen Erziehung" - wird nicht ohne weiteres der Hauptwohnsitz des Jugendlichen iSd Art 6 Abs 3 B-VG in der Gemeinde des Standortes der Einrichtung begründet. Vielmehr wird es in solchen Fällen von Ausmaß und Intensität der sozialen Beziehungen zum "Herkunftsort", wie z.B. Aufenthalt bzw. Wohnsitz des bzw. der Erziehungsberechtigten, aufrechtes Bestehen der Erziehungsberechtigung, Ausmaß der Kontakte zwischen Jugendlichen und Erziehungsberechtigten abhängen, ob der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Jugendlichen am Wohnort des (der) Erziehungsberechtigten verbleibt oder (infolge völligen Wegfalles der sozialen Beziehungen zum Wohnort des (der) Erziehungsberechtigten) an jenem Ort begründet wird, an dem sich der Jugendliche auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt aufhält. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2000/10/0192 E VwSlg 15976 A/2002 RS 5 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Schick, Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der Gemeinde Wien in 1082 Wien, Rathaus, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 20201-1655/263-2009, betreffend Vorschreibung eines Gastschulbeitrags, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom schrieb die Salzburger Landesregierung der Gemeinde Wien einen Gastschulbeitrag für das Schuljahr 2006/2007 (Zeitraum vom 24. Jänner bis zum ) für den Schüler P. in Höhe von EUR 780,32 vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1.1. Das Salzburger Schulorganisations-Ausführungsgesetz 1995, LGBl. Nr. 64/1995, idF. LGBl. Nr. 64/2007, lautet (auszugsweise):
"Sprengelangehörigkeit
§ 35
(1) Sprengelangehörig sind jene schulpflichtigen Kinder, die im Schulsprengel, wenn auch nur zum Zweck des Schulbesuches, wohnen.
…
Gastschulbeiträge
§ 41
(1) Besucht ein Schüler eine auf Grund seines zuvor begründeten Wohnsitzes sprengelfremde allgemeinbildende Pflichtschule, hat seine Wohnsitzgemeinde an den gesetzlichen Schulerhalter Beiträge zum laufenden Schulerhaltungsaufwand zu leisten (Gastschulbeiträge), wenn der Schulpflichtige nur zum Zweck des Schulbesuches (z.B. Schülerheim, Schihauptschule) oder auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt im Schulsprengel Wohnung bezieht und damit sprengelangehörig (§ 35 Abs. 1) wird. Bei Besuch einer Schwerpunkthauptschule bzw. Schwerpunkthauptschulklasse (§ 6) wird jedenfalls angenommen, daß der Schüler lediglich zum Zweck des Schulbesuches im Schulsprengel Wohnung bezogen hat.
…
Beitragspflichtige Gemeinden anderer Bundesländer; Verhältnis
Salzburger Gemeinden zu gesetzlichen Schulerhaltern anderer
Bundesländer
§ 44
(1) Kommen für eine Beitragsleistung (§§ 37 bis 41) Gemeinden anderer Bundesländer in Betracht, so haben auch für sie hinsichtlich der Beitragspflicht, der Verrechnung der Beiträge und allfälliger Beitragsvereinbarungen die Vorschriften dieses Gesetzes Anwendung zu finden.
…"
1.2. Der Begriff des Hauptwohnsitzes wird in Art. 6 Abs. 3 B-VG in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 504/1994 wie folgt definiert:
"(3) Der Hauptwohnsitz einer Person ist dort begründet, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat."
1.3. § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991, LGBl. Nr. 9/1992, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 28/2001, lautet:
"(7) Der Hauptwohnsitz eines Menschen ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat."
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid auf die Annahme, der Schüler P. habe am einen Nebenwohnsitz an einer näher bezeichneten Adresse in der B. Straße in der Stadt Salzburg begründet. Dieser Nebenwohnsitz sei am zum Hauptwohnsitz umgemeldet worden. Am sei der Hauptwohnsitz in der Stadt Salzburg abgemeldet und nach Wien verlegt worden, gleichzeitig sei an der genannten Adresse in der Stadt Salzburg wieder ein Nebenwohnsitz angemeldet worden. Im maßgeblichen Zeitraum, für den der Schulsachaufwandsbeitrag vorgeschrieben worden sei, nämlich vom 24. Jänner bis zum , habe der Schüler P. demnach über einen Nebenwohnsitz in der Stadt Salzburg verfügt. Es sei unstrittig, dass P. aufgrund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt in der Stadt Salzburg Wohnung bezogen habe und im fraglichen Zeitpunkt in der Stadt Salzburg sprengelangehörig und in die Schule aufzunehmen gewesen sei, welche für ihn nach der Schulart in Betracht gekommen sei. Er sei in die Hauptschule S. Straße aufgenommen worden und habe die Schule auch tatsächlich besucht.
Aufgrund des Eintrages im Zentralen Melderegister sei davon auszugehen, dass P. von 24. Jänner bis seinen Hauptwohnsitz in der L. Straße im 10. Wiener Gemeindebezirk gehabt habe. Die von der beschwerdeführenden Gemeinde geäußerte Ansicht, aus dem Zentralen Melderegister ergäben sich keine eindeutigen Rückschlüsse auf den für einen Hauptwohnsitz notwendigen tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen, könne nicht geteilt werden. Beim Zentralen Melderegister handle es sich um ein öffentliches Register, in dem zum fraglichen Zeitpunkt die beschwerdeführende Gemeinde als Hauptwohnsitzgemeinde des Schülers P. eingetragen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die notwendigen Kriterien für das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes gegeben gewesen seien, andernfalls wäre der Eintrag nicht erfolgt.
2.2. Aus dieser Begründung ergibt sich, dass die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat.
2.2.1. Vorauszuschicken ist, dass der im Salzburger Schulorganisations-Ausführungsgesetz in den hier in Rede stehenden Bestimmungen gebrauchte Begriff "Wohnsitz" als "Hauptwohnsitz" zu verstehen ist. Dies ist auch erkennbar die übereinstimmende Auffassung der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu landesgesetzlichen Bestimmungen über Gastschulbeiträge, die an den Begriff "Hauptwohnsitz" anknüpfen, kann folglich auf den Beschwerdefall übertragen werden.
2.2.2. Maßgebend ist im Lichte der unter Punkt 1. wiedergegebenen Rechtsvorschriften somit der nach tatsächlichen Anknüpfungspunkten zu ermittelnde Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer Person (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2000/10/0192 (= Slg. Nr. 15.976/A), vom , Zl. 2001/10/0209, und vom , Zl. 2005/10/0051, zum NÖ Pflichtschulgesetz, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/10/0109, zum Oö. Pflichtschulorganisationsgesetz 1992). Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis vom ausgeführt hat, ist die Meldung nach dem Meldegesetz 1991 in der Frage des Hauptwohnsitzes nicht von entscheidender Bedeutung. Jedenfalls kann die Annahme, eine Person habe in einem bestimmten Ort ihren Hauptwohnsitz, weder auf den Umstand der Meldung in diesem Ort als Hauptwohnsitz allein gegründet noch durch den Hinweis auf die Meldung in einem anderen Ort allein widerlegt werden (vgl. auch hiezu das erwähnte hg. Erkenntnis vom ).
2.2.3. Im angefochtenen Bescheid fehlen - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - die nach dem Gesagten erforderlichen Feststellungen, auf deren Grundlage beurteilt werden könnte, in welchem Ort der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Schülers im Sinne des Art. 6 Abs. 3 B-VG im maßgeblichen Zeitpunkt gelegen war, zur Gänze. Aus der Begründung folgt, dass die belangte Behörde entsprechende Feststellungen im Hinblick auf die behördliche Meldung des Schülers in Wien "als Hauptwohnsitz" für entbehrlich hielt.
2.3. Die belangte Behörde hat somit - was die rechtliche Wirkung der behördlichen Meldung für die Eigenschaft eines bestimmten Ortes als "Hauptwohnsitz" einer Person betrifft - die Rechtslage verkannt, was zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG führen musste.
2.4. Für das fortzusetzende Verfahren ist darauf aufmerksam zu machen, dass nach der hg. Judikatur die Aufnahme eines Jugendlichen in eine nach Jugendwohlfahrtsvorschriften errichtete Einrichtung - selbst zur "vollen Erziehung" - nicht ohne weiteres bedeutet, dass damit der Hauptwohnsitz des Jugendlichen in der Gemeinde des Standortes begründet würde. Vielmehr werde es in solchen Fällen von Ausmaß und Intensität der sozialen Beziehungen zum "Herkunftsort", wie z.B. Aufenthalt bzw. Wohnsitz des bzw. der Erziehungsberechtigten, aufrechtes Bestehen der Erziehungsberechtigung, Ausmaß der Kontakte zwischen Jugendlichen und Erziehungsberechtigten, abhängen, ob der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Jugendlichen am Wohnort des (der) Erziehungsberechtigten verbleibt oder (infolge völligen Wegfalles der sozialen Beziehungen zum Wohnort des (der) Erziehungsberechtigten) an jenem Ort begründet wird, an dem sich der Jugendliche auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt aufhalte (vgl. die erwähnten hg. Erkenntnisse vom , vom und vom mwN.).
3. Ein Ausspruch über Aufwandersatz entfällt im Hinblick auf § 59 Abs. 1 VwGG.
Wien, am
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Normen | B-VG Art6 Abs3; MeldeG 1991 §1 Abs7; MeldeG 1991 §1; MeldeG 1991 §2; SchOG Slbg 1995 §35 Abs1; SchOG Slbg 1995 §41 Abs1; SchOG Slbg 1995 §44 Abs1; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
Schlagworte | Besondere Rechtsgebiete Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2009100079.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAE-91435