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VwGH vom 22.03.2011, 2011/18/0023

VwGH vom 22.03.2011, 2011/18/0023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der ST in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/431733/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine tunesische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben erstmals im Jahr 2001 mit einem gültigen Visum nach Österreich gekommen sei. Im Sommer 2004 habe sie in W den österreichischen Staatsbürger H. kennengelernt und diesen am geheiratet.

Mangels Aufscheinen eines Aufenthaltstitels für die Beschwerdeführerin in den Evidenzen und wohl auch wegen des großen Altersunterschiedes von 15 Jahren habe die Behörde erster Instanz den Verdacht des Vorliegens einer Scheinehe gehegt und entsprechende Erhebungen angeordnet. Die Beschwerdeführerin sei am , somit nur ca. sechs Wochen nach der Eheschließung, in der Wohnung ihres Ehemannes nicht angetroffen worden; es hätten dort auch keinerlei Hinweise auf den Aufenthalt einer Frau gefunden werden können. H. habe weder Kleidungsstücke noch Urkunden seiner Frau vorweisen können. Er habe angegeben, dass die Beschwerdeführerin seit ca. drei Tagen nicht mehr bei ihm aufhältig, aber bei einem Cousin in W anzutreffen sei. Sie wolle wegen Problemen mit dem Visum nach Tunesien zurückkehren. Ein namentlich genannter Wohnungsnachbar habe gegenüber dem Erhebungsorgan angegeben, dass er seit Mai 2005 im Haus wohne und mit Sicherheit sagen könne, dass in der in Rede stehenden Wohnung nur H., aber keine Frau aufhältig bzw. wohnhaft sei. Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - sei seit an der Adresse ihres Ehemannes behördlich gemeldet gewesen.

Am sei H. bei der Behörde erster Instanz erschienen und habe angegeben, dass die Beschwerdeführerin bereits wieder in Tunesien sei und sich dort um die "Visumerteilung" kümmere.

Tatsächlich habe die Beschwerdeführerin im Wege der österreichischen Botschaft in Tunis bereits am den Erstantrag auf Ausstellung der Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familienangehöriger von Österreicher" eingereicht. Daraus gehe im Übrigen hervor, dass sie zuletzt ein bis gültiges Visum C gehabt habe. Sie habe sich also offenkundig vom bis März 2006 unrechtmäßig in Österreich aufgehalten. Es mute seltsam an, dass ihr Ehemann am von der erfolgten Antragstellung offensichtlich nichts gewusst habe.

Im April 2007 sei die Beschwerdeführerin wieder nach Österreich gekommen; sie habe sich am an der Adresse des Ehemannes behördlich angemeldet, am von dort aber wieder abgemeldet.

Laut einem Erhebungsbericht des Landespolizeikommandos Wien vom habe durch Befragung von drei Hausparteien als sehr wahrscheinlich, wenngleich nicht ganz sicher, festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin an der Adresse ihres Ehemannes nicht aufhältig gewesen sei bzw. gewohnt habe.

Am habe die Beschwerdeführerin bei ihrer Vernehmung vor der Behörde erster Instanz unter anderem angegeben, dass sie vom "bis fünf Monate vor der Scheidung" (die am erfolgt sei) eine Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft mit H. gehabt habe.

Das gemeinsame Familienleben habe somit - so die belangte Behörde - bis Ende Dezember 2007/Anfang Jänner 2008 gedauert. Die Beschwerdeführerin habe sich jedoch noch in dem am gestellten Antrag auf Verlängerung der Niederlassungsbewilligung auf die Ehe mit H. berufen. Nebenbei sei erwähnt, dass die Beschwerdeführerin offensichtlich vom bis unangemeldet in Wien gewohnt habe. H. habe bei seiner Zeugenvernehmung am zunächst angegeben, dass die Beschwerdeführerin "im März 2008" ausgezogen sei. (In der Niederschrift vom ist zunächst die Aussage des H. protokolliert, dass die Beschwerdeführerin "im April 2008 endgültig" ausgezogen sei.) Er habe sich dann aber dahingehend verbessert, dass die Beschwerdeführerin "Ende 2007" endgültig aus seiner Wohnung ausgezogen sei. Letztgenannte Angabe stimme somit mit jener der Beschwerdeführerin überein.

Die von der Beschwerdeführerin zum Beweis dafür, dass sie mit H. eine aufrechte Lebensgemeinschaft geführt habe, beantragte Zeugin habe diesen Umstand bei ihrer Vernehmung am in keiner Weise bestätigt. Diese habe ausgesagt, das Ehepaar ein einziges Mal, nämlich nur bei deren Hochzeit, gesehen zu haben.

Aus dem Scheidungsbeschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom gehe hervor, dass die eheliche Gemeinschaft seit mindestens einem halben Jahr (somit seit mindestens Dezember 2007) aufgehoben sei.

Nach der mit Schreiben vom erfolgten Ankündigung der Erlassung des Aufenthaltsverbotes habe die Beschwerdeführerin zwar eine Stellungnahme abgegeben, die zur Abschätzung der persönlichen und privaten Verhältnisse gestellte Fragen seien aber nicht beantwortet worden.

Die geschiedene Beschwerdeführerin sei ohne Sorgepflichten und stehe seit Mai 2007 in einem Beschäftigungsverhältnis. In Tunesien dürften noch ihre Eltern leben, bei denen sie sich 2006/2007 aufgehalten habe.

Nach Zitierung vorliegend maßgeblicher gesetzlicher Bestimmungen führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, dass sich die Beschwerdeführerin im Antrag vom auf die Ehe mit H. berufen habe, obwohl nach den eindeutigen Verfahrensergebnissen, nämlich den Aussagen beider (früherer) Ehepartner, spätestens seit Jahreswechsel 2007/2008 kein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK bestanden habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass ein Zuwiderhandeln gegen § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG gegebenenfalls als Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG gewertet werden dürfe.

Die Tatsache des seit Dezember 2007 mangelnden gemeinsamen Familienlebens der Eheleute werde außerdem durch das Scheidungsurteil vom gestützt, wonach die eheliche Gemeinschaft damals seit mindestens einem halben Jahr aufgehoben gewesen sei. Diesbezüglich habe sich das Gericht auf das Vorbringen der Ehepartner gestützt. Der Verantwortung der Beschwerdeführerin, sie und ihr früherer Ehemann hätten (im Scheidungsverfahren) quasi lügen müssen, um geschieden zu werden, sei zu entgegnen, dass angesichts der Aussagen vom von einer Lüge bzw. Unrichtigkeit keine Rede sein könne. Im Übrigen könnten z.B. die Fremdenbehörden kaum Aussagen von in deren Verfahren involvierten Personen verwerten, weil zu unterstellen sei, dass "dort" (gemeint wohl: im Scheidungsverfahren) oft gelogen werde. Zurückzuweisen sei schließlich der von der Beschwerdeführerin ausgesprochene Gedanke, dass die unabhängigen Organe der Rechtsprechung in von ihnen geführten Verfahren Parteien zur Lüge anhielten bzw. anstifteten.

Das Verhalten der Beschwerdeführerin laufe den öffentlichen Interessen zuwider und stelle eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Fremdenwesens, dar. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei nicht nur zulässig, sondern sogar dringend geboten.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG fielen der - allerdings von 2001 (ab Ablauf der Gültigkeit des Visums) bis Anfang 2006 unrechtmäßige und erst ab Mai 2007 rechtmäßige - mehrjährige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet sowie berufliche Bindungen ins Gewicht, die ab Februar 2008 allerdings nur wegen der Falschangaben der Beschwerdeführerin in ihrem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung bestehen hätten können. Familiäre Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich seien nicht bekannt. Ihren persönlichen Interessen am weiteren Aufenthalt in Österreich stehe jedoch noch bedeutsamer gegenüber, dass sie durch wissentlich falsche Angaben über ihre Familienverhältnisse gegenüber einer österreichischen Behörde maßgebliche öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) erheblich beeinträchtigt und sich einen Aufenthaltstitel gleichsam zu erschleichen versucht habe. Das Aufenthaltsverbot sei daher zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Abgesehen von den gewürdigten Umständen seien amtswegig keine Gründe gefunden bzw. von der Beschwerdeführerin vorgebracht worden, die eine für sie günstige Ermessensentscheidung zugelassen hätten.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2).

Nach § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen.

Gemäß § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darf ein Zuwiderhandeln gegen § 30 Abs. 1 NAG gegebenenfalls als Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG gewertet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0161, mwN).

2.1. Gegen die behördliche Feststellung der Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG richtet sich die Beschwerde mit dem Vorbringen, die belangte Behörde halte es für unglaubwürdig, dass die Gerichte die Ehepartner dahingehend belehrten, eine einvernehmliche Scheidung sei erst nach sechsmonatiger Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft möglich, und die Parteien im Ehescheidungsverfahren dazu anhielten, entsprechend vorzubringen.

Wenn die belangte Behörde meine, dass die Scheidungsparteien nur aus Bequemlichkeit nicht einige Wochen oder Monate zuwarteten, bis die Sechsmonatsfrist abgelaufen sei, sei festzuhalten, dass "dann ein neuer Antrag eingebracht werden müsste, der nur mit völlig unnötigen Kosten verbunden wäre". In diesem Zusammenhang komme es durchaus vor, dass die Richter die Parteien belehrten, entsprechend vorbringen zu müssen, insbesondere dann, wenn es sich um eine "kurze" Ehe handle und es auch keine Kinder gebe.

Die Beschwerdeführerin habe im Zeitpunkt der Antragstellung zur Verlängerung der Niederlassungsbewilligung am mit ihrem zwischenzeitig geschiedenen Ehemann zusammengelebt. Eine Täuschungshandlung sei ihr daher nicht anzulasten.

2.2. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Die Beschwerdebehauptung eines im Zeitpunkt der Antragstellung am gegebenen ehelichen Zusammenlebens steht im Widerspruch zu den insoweit übereinstimmenden Aussagen der früheren Eheleute vom , deren richtige Wiedergabe in den Niederschriften und im angefochtenen Bescheid nicht bestritten wird. Danach habe eine Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft der Eheleute vom bis fünf Monate vor der (mit Beschluss vom erfolgten einvernehmlichen) Scheidung bestanden (Aussage der Beschwerdeführerin), bzw. es sei die Beschwerdeführerin Ende 2007 endgültig aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen (Aussage des H.). Auf diesen zentralen Punkt der Beweiswürdigung der belangten Behörde geht die Beschwerde nicht ein.

Die Beschwerdeführerin vermochte im Verwaltungsverfahren auch keine konkrete familiäre Begebenheit und keinen konkreten Umstand aufzuzeigen, der für ein im Zeitpunkt der Antragstellung am geführtes gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen würde.

Vor dem Hintergrund dieser Beweislage führt auch das die behördlichen Erwägungen zum Scheidungsbeschluss vom in Zweifel ziehende Vorbringen die Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind zwar für einen Beschluss über die einvernehmliche Scheidung einer Ehe gemäß § 55a EheG Formalangaben vorausgesetzt, weshalb einem derartigen Scheidungsbeschluss und den dazu führenden Angaben der Parteien im Hinblick auf Natur und Zweck der Ehe kein entscheidender Beweiswert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0388, mwN). Ein näheres Eingehen auf die zum Scheidungsbeschluss vom erfolgten Erwägungen der belangten Behörde und das dazu erstattete Beschwerdevorbringen kann an dieser Stelle jedoch unterbleiben. Selbst wenn man nämlich im vorliegenden Zusammenhang der Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich des Scheidungsbeschlusses (im Sinne eines - zusätzlichen - Anhaltspunktes für ein bei der Antragstellung nicht geführtes gemeinsames Familienleben) nicht folgte, wäre deshalb der Umkehrschluss, aus dem Scheidungsbeschluss ergebe sich, dass im Zeitpunkt des Antrages vom ein gemeinsames Familienleben der Eheleute iSd Art. 8 EMRK bestanden habe, ebenso wenig zulässig.

2.3. Auf dem Boden des Vorgesagten hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die behördliche Ansicht, dass sich die Beschwerdeführerin zwecks Verlängerung ihrer Niederlassungsbewilligung auf die Ehe mit ihrem früheren Ehemann berufen hat, obwohl ein Familienleben jedenfalls in diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden hat. Auf Grund des Zuwiderhandelns gegen § 30 Abs. 1 NAG durfte die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG als erfüllt ansehen.

Auch die Beurteilung der belangten Behörde, dass deshalb die Annahme gemäß § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt sei, ist nicht zu beanstanden.

3. Ferner bestehen seitens des Verwaltungsgerichtshofes gegen das - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG durchgeführten Interessenabwägung keine Bedenken.

4. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am