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VwGH vom 26.01.2010, 2007/08/0091

VwGH vom 26.01.2010, 2007/08/0091

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des Dr. J S in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Frohner, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 3- AlV/05661/2006-10270, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (im Folgenden: AMS) einen Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe. Auf die im Formular gestellte Frage "In meinem Haushalt liegen erhöhte Aufwendungen aus Anlass von Krankheit in der Familie, Schwangerschaft, Todesfall, Rückzahlungsverpflichtungen (z.B. Kredit), Hausstandsgründungen usw. vor" gab er handschriftlich "Arztkosten für Tochter J Unterhalt u. Studiengebühr f. Tochter I" an. Dies ergänzte er am : "Für J haben wir erhöhte Aufwendungen, da sie bei einem Psychologen in Behandlung ist und daher lfd. Honorarnoten anfallen, Beleg reiche ich nach."

Mit Bescheid des AMS vom wurde der genannte Antrag vom mangels Vorliegen einer Notlage abgewiesen. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass das anrechenbare Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers trotz Berücksichtigung der erhöhten gesetzlichen Freigrenzen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe übersteige.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, in seinem Fall wären Freigrenzen in Höhe von EUR 916,-- (je Angehörigem EUR 458,--) zu gewähren gewesen. Dies würde zwar einen Arbeitslosengeldanspruch in der Dauer von 52 Wochen voraussetzen, der ihm nicht zuerkannt worden sei. Es sei jedoch nicht berücksichtigt worden, dass er vor seiner Zeit in der Privatwirtschaft viele Jahre als Bundesbeamter beschäftigt gewesen sei. Wäre er während dieser Zeit arbeitslosenversichert gewesen, so würde er die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld in der Dauer von 52 Wochen erfüllen, was zu einer höheren Freigrenze führen würde. Im Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer Honorarnoten und Überweisungsbelege für die ärztlichen Behandlungen seiner Tochter J (vom über EUR 436,50, vom über EUR 558,25 und vom über EUR 339,50) sowie Nachweise über die Bezahlung von Behandlungsbeiträgen von EUR 69,98 und von Arzneimittelrechnungen (über EUR 12,47, EUR 9,20 und EUR 18,40) für seine Tochter J vor.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Das Überbrückungshilfengesetz komme nicht zur Anwendung. Der Beschwerdeführer habe nach dem 50. Lebensjahr keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Dauer von 52 Wochen oder länger erschöpft. Medikamentenkosten könnten nur im Zusammenhang mit dem Nachweis einer inneren Krankheit berücksichtigt werden. Honorarnoten zur Behandlung psychogener Kopfschmerzen könnten jedenfalls nicht zu einer Freigrenzenerhöhung führen.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers beziehe ein Nettoeinkommen von EUR 2.335,08. Für zwei unterhaltsberechtigte Kinder könne gemäß § 6 Abs. 2 NH-VO eine Freigrenze gewährt werden. Es ergebe sich nachstehende Berechnung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
"Einkommen
EUR
2.335,08
abzüglich
Werbekostenpauschale
EUR
11,--
Freigrenze für Ihre Tochter J
EUR
229,--
Freigrenze für Ihre Tochter I
EUR
229,--
Freigrenze für Ihren Partner
EUR
458,--
anrechenbares Einkommen
EUR
1.408,--
x 12 Monate : 365 Tage

ergibt einen Anrechnungsbetrag von EUR 46,29 täglich.

Ihr täglicher Notstandshilfeanspruch ohne Anrechnung betrüge EUR 33,45. Das anrechenbare Einkommen Ihres Partners übersteigt daher die Ihnen an sich gebührende Notstandshilfe."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde hätte im Hinblick auf seinen Einwand, dass das Überbrückungshilfengesetz anzuwenden sei, feststellen müssen, wann er als Beamter tätig gewesen sei. Es hätte ermittelt werden müssen, "wann die entsprechenden Zeiten erworben wurden und ob Zeiten nach Vollendung des 50. Lebensjahres darunter fallen".

1.2. § 1 Abs. 1 des Überbrückungshilfengesetzes in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 47/1997 lautet:

"Scheidet ein Bundesbediensteter des Dienststandes, der von der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 2 lit. a oder b des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609, ausgenommen ist, nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes aus dem Bundesdienstverhältnis aus, ohne daß ein Anspruch auf einen laufenden Ruhe- oder Versorgungsbezug besteht, so ist ihm auf Antrag für die Zeit, während der er das Arbeitslosengeld erhalten würde, wenn er während der Dauer des Bundesdienstverhältnisses arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen wäre, eine Überbrückungshilfe zu gewähren."

Gemäß § 3 Überbrückungshilfengesetz in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 103/2001 ist § 1 Überbrückungshilfengesetz auf ehemalige Bundesbedienstete nur bis zu dem Zeitpunkt anzuwenden, in dem diese einen Anspruch auf entsprechende Leistungen nach dem AlVG erwerben.

Zu § 3 Überbrückungshilfengesetz heißt es in den erläuternden Bemerkungen 146 BlgNR 10. GP 4:

"Diese Bestimmung sieht vor, dass Überbrückungshilfe oder erweiterte Überbrückungshilfe nur solange zu gewähren ist, als der ausgeschiedene Bundesbedienstete nicht auf Grund eines nach dem Ausscheiden liegenden arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses den Anspruch auf Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz bereits erworben hat."

Dieses in den Erläuterungen dargelegte Verständnis von § 3 Überbrückungshilfengesetz ergibt sich schon aus dessen Wortlaut, der von einer schon erfolgten Anwendung des Überbrückungshilfengesetzes, somit der Gewährung von Überbrückungshilfe, ausgeht, die dann zurücktreten soll, wenn - später - ein Anspruch auf Bezug von Arbeitslosengeld entstanden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0174).

Wie sich aus der im Akt erliegenden, nicht bestrittenen Aufstellung der Versicherungszeiten vom ergibt, stand der Beschwerdeführer bis zum in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Darüber hinaus war er vom bis zum und vom bis zum arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt. Vom bis zum sowie vom bis zum bezog er Arbeitslosengeld und Leistungen nach dem Überbrückungshilfengesetz. Vom bis zum , vom bis zum sowie vom bis zum war er 69 Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt. Vom bis zum bezog er Arbeitslosengeld. Vom bis zum war er wiederum arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt.

Die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die er ab dem bezogen hat, beruhten also auf Ansprüchen, die er nach den Bestimmungen des AlVG erworben hat. § 1 des Überbrückungshilfengesetzes ist auf ihn daher nicht mehr anwendbar.

1.3. § 6 der Notstandshilfeverordnung (NH-VO) in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 490/2001 lautet:

§ 6. (1) Bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) des (der) Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage ist wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist (Freigrenze). Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.

(2) Die Freigrenze beträgt pro Monat 430 Euro für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und die Hälfte dieses Betrages für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin) auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt.

(3) Die Freigrenze beträgt das Doppelte des jeweils maßgeblichen Betrages gemäß Abs. 2, wenn der Arbeitslose nach dem 50. Lebensjahr einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 52 Wochen (§ 18 Abs. 2 lit. b Arbeitslosenversicherungsgesetz) oder länger erschöpft hat.

(4) Die Freigrenze beträgt das Dreifache des jeweils maßgeblichen Betrages gemäß Abs. 2, wenn der Arbeitslose bei Eintritt der Arbeitslosigkeit nach dem 55. Lebensjahr einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 52 Wochen oder länger erschöpft und auf die Anwartschaft anrechenbare Zeiten (§ 14 Abs. 4 AlVG) von mindestens 240 Monaten oder von 1 040 Wochen nachgewiesen hat. Das Gleiche gilt, wenn eine Arbeitslose das 54. Lebensjahr vollendet hat und in den letzten 25 Jahren vor Vollendung des 54. Lebensjahres mindestens 180 Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

(5) Die im Abs. 3 und 4 genannten höheren Freigrenzen sind jeweils nur anzuwenden, wenn das Arbeitsmarktservice dem Arbeitslosen auch unter weitestmöglichem Einsatz von Beihilfen keine zumutbare Beschäftigung vermitteln konnte.

(6) Wenn der Arbeitslose oder sein Ehepartner (Lebensgefährte bzw. Lebensgefährtin) das 50. Lebensjahr vollendet hat und einen Grad der Behinderung von mindestens 50 vH aufweist oder eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bezieht, so ist in jedem Fall eine Erhöhung der Einkommensgrenzen um 50 vH vorzunehmen; der Nachweis der Behinderung hat gemäß § 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, zu erfolgen.

(7) Bei der Anrechnung ist § 5 Abs. 1 erster Satz und Abs. 4 sinngemäß anzuwenden. Bei der Anrechnung von Notstandshilfe als Einkommen ist nur die niedrigere Notstandshilfe auf die höhere Notstandshilfe anzurechnen. Bei der Ermittlung des Einkommens aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit - ausgenommen einem Einkommen aus einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb - ist § 5 Abs. 3 anzuwenden.

(8) Hat der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin) ein schwankendes Einkommen, wie zB Akkordverdienste, regelmäßige, aber ungleiche Überstundenleistungen, so ist der Anrechnung jeweils das durchschnittliche Erwerbseinkommen der letzten drei vollen Monate für den Anspruch auf Notstandshilfe für die darauffolgenden 52 Wochen zugrunde zu legen. Zwischenzeitliche Erhöhungen oder Verminderungen des schwankenden Einkommens bewirken keine Änderung der zuerkannten Notstandshilfe. Fällt das schwankende Erwerbseinkommen zur Gänze weg, ist der Anspruch auf Notstandshilfe neu zu bemessen.

(9) Bei der Anwendung des Abs. 8 ist eine Neubemessung des Anspruches auf Notstandshilfe auf Antrag des Leistungsbeziehers auch dann vorzunehmen, wenn die Methoden der Entgeltfindung geändert werden, zB Übergang von Akkord- zu Prämienentlohnung, oder durch Neubewertung der Entgeltfindung der mittlere Verdienst im Beurteilungszeitraum nach unten absinkt."

Gemäß dem in § 6 Abs. 3 NH-VO verwiesenen § 18 Abs. 2 lit. b AlVG erhöht sich die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf 52 Wochen, wenn in den letzten 15 Jahren vor der Geltendmachung des Anspruches arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen von 468 Wochen nachgewiesen werden und der Arbeitslose bei Geltendmachung des Anspruches das 50. Lebensjahr vollendet hat. Da der Beschwerdeführer diese Voraussetzung unter Zugrundelegung seiner arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten nicht erfüllt, kommt eine Erhöhung der Freigrenzen nach § 6 Abs. 3 oder 4 NH-VO nicht in Betracht.

2.1. Die Beschwerde macht weiters geltend, dass bei der Gewährung von Notstandshilfe die medizinischen Behandlungskosten, die der Beschwerdeführer für seine Tochter aufgewendet hat, hätten angerechnet werden müssen, sodass sich höhere Freigrenzen ergeben hätten.

2.2. Gemäß § 36 Abs. 5 AlVG kann eine Erhöhung der im § 36 Abs. 3 lit. B lit. a angeführten Freibeträge in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung und dgl. im Rahmen der vom Arbeitsmarktservice festgelegten Richtlinien erfolgen.

Nach der vom Arbeitsmarktservice Österreich gemäß § 4 Abs. 3 AMSG erlassenen, in der Wiener Zeitung kundgemachten (und bei Dirschmied, AlVG3, 487 ff, wiedergegebenen) Richtlinie zur Freigrenzenerhöhung gestattet die Berücksichtigungswürdigkeit von freigrenzenerhöhenden Umständen keine Ermessensentscheidung. Liegt daher Berücksichtigungswürdigkeit vor, so ist die Freigrenze zu erhöhen, wobei es - erst hier - im Ermessen des Arbeitsmarktservice liegt, in welchem Ausmaß die Freigrenze erhöht wird. Das Ausmaß der Erhöhung der Freigrenze darf die Freigrenze gemäß § 6 Abs. 2 bis 4 NH-VO um maximal 50 % übersteigen. Die Freigrenzenerhöhungsrichtlinie führt als berücksichtigungswürdige Umstände iSd § 36 Abs. 5 AlVG u.a. an "Krankheit der Leistungsbezieherin/des Leistungsbeziehers sowie von im Haushalt lebenden Angehörigen, für die Sorgepflicht besteht".

Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ist der genannten Richtlinie weder zu entnehmen, dass Medikamentenkosten nur im Zusammenhang mit dem Nachweis einer "inneren Krankheit" berücksichtigt werden könnten, noch dass die Behandlung "psychogener Kopfschmerzen" jedenfalls nicht zu einer Freigrenzenerhöhung führen könnten. Sollten die "psychogenen Kopfschmerzen" auf einer behandlungsbedürftigen Krankheit beruhen - was allenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären wäre -, so hätte die belangte Behörde im Rahmen des ihr von der genannten Richtlinie eingeräumten Ermessens die Freigrenzen gemäß § 6 Abs. 2 bis 4 NH-VO um bis zu 50 % erhöhen müssen. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass beim Beschwerdeführer iSd § 36 Abs. 2 AlVG das Vorliegen einer Notlage anzunehmen ist.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Der durch Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand deckt die anfallende Umsatzsteuer, sodass das auf deren Ersatz gerichtete Mehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am

Fundstelle(n):
JAAAE-91416