VwGH vom 16.02.2012, 2011/18/0011
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der LH in W, vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/399.256/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine laut angefochtenem Bescheid serbische, laut Verwaltungsakt und Beschwerdevorbringen hingegen armenische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei am nach Österreich gelangt und habe einen Asylantrag gestellt, der am vom "Asylgerichtshof" rechtskräftig abgewiesen worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe, nachdem er zunächst der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt habe, die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom abgelehnt.
Während des Asylverfahrens habe die Beschwerdeführerin über eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung nach asylrechtlichen Bestimmungen verfügt. Nach rechtskräftigem Abschluss desselben sei sie jedoch in Österreich geblieben und halte sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG lägen somit vor.
Die Beschwerdeführerin verfüge im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen. Auf Grund ihres langjährigen Aufenthaltes sei jedoch davon auszugehen, dass mit der vorliegenden Maßnahme ein Eingriff in ihr Privatleben verbunden sei. Dennoch sei die gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dringend geboten.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG sei auf den ca. neunjährigen inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin Bedacht genommen worden. Gleichzeitig sei zu berücksichtigen, dass sich der Asylantrag nachträglich als unberechtigt herausgestellt habe und die Beschwerdeführerin spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung ihres Asylantrages am nicht mehr von einem gesicherten Aufenthalt in Österreich habe ausgehen dürfen. Der unabhängige Bundesasylsenat habe den Asylantrag der Beschwerdeführerin bereits am - somit nur etwas mehr als fünf Jahre nach Antragstellung - abgewiesen, sodass das Asylverfahren damit rechtskräftig negativ abgeschlossen gewesen sei. Die privaten Interessen der Beschwerdeführerin hätten gegenüber den - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund zu treten. Bei dieser Entscheidung sei berücksichtigt worden, dass die Beschwerdeführerin unbescholten sei, die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 absolviert habe und im Bundesgebiet integriert sei. Sie habe - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - vier Unterstützungserklärungen, u.a. von der armenisch-apostolischen Kirchengemeinde Österreichs vorgelegt, durch die jedoch nicht dargelegt worden sei, in welchen konkreten Handlungen bzw. Ereignissen sich die Integration der Beschwerdeführerin in Österreich manifestieren solle. Ihr diesbezügliches Vorbringen sei daher in keiner Weise präzisiert. Wenn die Beschwerdeführerin einer körperlich behinderten Person helfend beistehe, lasse dies zwar ihre Hilfsbereitschaft erkennen, es reiche aber nicht aus, um von einer (über das normale Maß hinausgehenden) Integration ausgehen zu können. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin - die im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen verfüge - in ihrer Heimat zumindest verwandtschaftliche Beziehungen zu einer Cousine habe. Es sei daher davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland - schon auf Grund der Tatsache, dass sie den Großteil ihres Lebens dort verbracht habe und ihre Muttersprache perfekt beherrsche - dort reintegrieren könne bzw. es ihr möglich sein werde, bestehende soziale Kontakte wieder aufzufrischen und neue zu knüpfen. Dass die Beschwerdeführerin in ihrer Heimat keinen Pensionsanspruch erworben habe oder ihr keine Sozialhilfe gewährt werde, sei vor diesem Hintergrund nicht relevant.
Soweit die Beschwerdeführerin vorgebracht habe, an diversen Krankheiten zu leiden, habe sie nicht behauptet, dass ihr Leben von der medizinischen Behandlung in Österreich abhängig sei bzw. sie überhaupt an einer lebensbedrohenden Krankheit leide. Darüber hinaus bestehe in Armenien eine medizinische Versorgungsmöglichkeit, worauf im erstinstanzlichen Bescheid, dessen Ergebnis auch für die Berufungsentscheidung maßgebend sei, ausführlich eingegangen worden sei. Auch unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR sei von einer ausreichenden Behandlungsmöglichkeit der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland auszugehen.
Da sich die Beschwerdeführerin seit der Ablehnung der Behandlung ihrer Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, habe sie die Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes in gravierender Weise missachtet. Diese Missachtung maßgeblicher fremdenrechtlicher Normen bewirke eine Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens.
Vor diesem Hintergrund habe die belangte Behörde den weiteren Aufenthalt der Beschwerdeführerin auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens in Kauf nehmen können.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, wonach der Asylantrag der Beschwerdeführerin rechtskräftig abgewiesen und die Behandlung der dagegen an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde abgelehnt worden sei, wobei nicht behauptet wird, dass der Beschwerdeführerin auf Grund anderer Bestimmungen ein Aufenthaltsrecht zukomme, begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
Zunächst macht die Beschwerde einen - aus ihrer Sicht relevanten - Verfahrensmangel geltend. Die belangte Behörde habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass für die Beschwerdeführerin die notwendige medizinische Behandlung in Armenien nicht zugänglich sei und sie auch keinen Anspruch auf Pension oder Sozialhilfe habe, sodass sie im Fall ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Auf Grund ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Einschränkungen sei sie nicht in der Lage, auf dem ohnehin durch hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichneten armenischen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden. Die belangte Behörde hätte die Lebensbedingungen der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr durch Beischaffung geeigneter Länderberichte u.a. auch über das Sozialsystem in Armenien erheben müssen.
Dieses Vorbringen zielt auf eine Unzulässigkeit einer Abschiebung unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK ab. Dies führt nicht zur Beurteilung des angefochtenen Bescheides als rechtswidrig. Eine Abschiebung in einen Staat, in dem der Fremde keine Existenzgrundlage hätte, kann zwar zu einer Gefährdung im Sinn des § 50 Abs. 1 FPG führen, eine Bedrohung im genannten Sinn ist jedoch nicht im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung, sondern in gesonderten Verfahren (etwa nach asylrechtlichen Bestimmungen oder gemäß § 51 FPG) zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0177, mwN). Im Übrigen liegt gegen die Beschwerdeführerin eine rechtskräftige Entscheidung gemäß § 8 Asylgesetz 1997 vor.
Unter dem Blickwinkel des § 66 FPG bzw. des Art. 8 EMRK sowie des Ermessens bringt die Beschwerde unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 950/10 ua., vor, die rechtskräftige Beendigung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin sei im Jahr 2009, also erst acht Jahre nach der Antragstellung erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe keine Folgeanträge gestellt und die Dauer des Asylverfahrens daher nicht zu verantworten. Die belangte Behörde habe sich mit den in der Berufung vorgelegten Unterlagen zum Nachweis ihrer Integration nur unzureichend auseinandergesetzt. Unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Alters der Beschwerdeführerin und ihres nachweislich eingeschränkten Gesundheitszustandes belegten diese Unterlagen sehr wohl einen überdurchschnittlichen Integrationsgrad. Die Beschwerdeführerin spreche auch sehr gut Deutsch und habe in ihrem Herkunftsstaat keine engen Familienangehörigen mehr.
Der Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom vermag nicht zu überzeugen, weil dieser Entscheidung ein mit dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Der gegenständlich angefochtene Bescheid bezieht sich nicht auf minderjährige Kinder, die den Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht und einen mehrjährigen Schulbesuch in Österreich aufgewiesen haben. Entgegen der Beschwerdeansicht wurde das Asylverfahren der Beschwerdeführerin bereits mit Bescheid des Asylgerichtshofes am - somit nach etwa vier Jahren und drei Monaten nach Antragstellung - rechtskräftig beendet. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof hat lediglich die Wirkung, dass der Vollzug der Rechtswirkungen des angefochtenen Bescheides aufgeschoben wurde, ändert jedoch nichts an der Rechtskraft desselben. Darüber hinaus durfte die Beschwerdeführerin - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - nach der erstinstanzlichen Abweisung ihres Asylantrages im Dezember 2001, somit bereits etwa dreieinhalb Monate nach ihrer Antragstellung, nicht mehr damit rechnen, auf Dauer in Österreich bleiben zu können.
Auf die ausführlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid zu der medizinischen Versorgung in Armenien, auf die im angefochtenen Bescheid verwiesen wird, geht die Beschwerde nicht substantiiert ein. Dass die notwendige medizinische Behandlung für die Beschwerdeführerin in Armenien auf Grund ihrer finanziellen Lage nicht zugänglich sei, macht den angefochtenen Bescheid nicht rechtswidrig (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/18/0720 und 0709, mit Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
Vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet weder über familiäre Beziehungen verfügt noch selbsterhaltungsfähig ist - laut Verwaltungsakten lebt sie nach wie vor von der Grundversorgung -, begegnet das Ergebnis der Beurteilung der belangten Behörde hinsichtlich der Zulässigkeit der gegenständlichen Ausweisung im Hinblick auf § 66 FPG keinen Bedenken.
Die Beschwerde zeigt auch keine besonderen Umstände auf, die die belangte Behörde dazu hätte veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten der Beschwerdeführerin Gebrauch zu machen.
Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am