VwGH vom 13.12.2010, 2009/10/0009
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des mj. D K, vertreten durch seine Mutter E K, beide in F, beide vertreten durch Dr. Johann Lutz, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 1/IV, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. SZ-459-36969/1/9, betreffend Kostenübernahme für Rehabilitationsmaßnahmen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz (TRG) und wies darauf hin, dass er entsprechende fachliche Befunde nachreichen werde. In der Folge legte er einen psychodiagnostischen Kurzbefund und eine ärztliche Stellungnahme eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vor, in denen auf diagnostizierte Entwicklungsstörungen und die Notwendigkeit einer Therapie sowie darauf hingewiesen wurde, dass es sich um einen eher chronischen Leidensverlauf mit voraussichtlich relevanter Besserung/Heilung handle.
Mit Schreiben der Tiroler Landesregierung vom wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, es sei im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens festgestellt worden, dass bei ihm keine Behinderung iSd TRG vorliege. Es sei jedoch von Seiten der Tiroler Gebietskrankenkasse im Rahmen der "Clearingsitzung" die Übernahme der Kosten für insgesamt 20 Einheiten Logopädie und für 6 Einheiten Ergotherapie, die alternierend zu konsumieren seien, zugesagt worden.
Der Beschwerdeführer ersuchte um Übermittlung der amtsärztlichen Stellungnahme und wies darauf hin, dass er weder direkt untersucht noch ihm die Gründe dafür bekannt gegeben worden seien, warum der von ihm vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme nicht gefolgt wurde.
Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Amtsarzt der Landesregierung sei nach Einsicht in die vom Beschwerdeführer beigebrachten medizinischen Unterlagen zum Ergebnis gekommen, dass aus den vorgelegten Befundberichten keine Behinderung iSd TRG ersichtlich sei. Aus der gegenständlichen Befundung sei weder eine manifeste körperliche, noch eine geistige oder seelische Behinderung im Sinne eines Dauerzustandes, "der durch geeignete Therapiemaßnahmen per se nicht mehr relevant gebessert werden kann", ableitbar gewesen. Damit sei im vorliegenden Fall von einem im ungünstigsten Fall krankheitswertigen Zustandsbild auszugehen, über dessen Vorliegen jedoch der zuständige Sozialversicherungsträger zu entscheiden habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler Rehabilitationsgesetzes, LGBl. Nr. 58/1983 idF LGBl. Nr. 22/2006, (TRG) lauten auszugsweise wie folgt:
"§ 2
Personenkreis
Behinderte im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die wegen eines physischen oder psychischen Leidens oder Gebrechens in ihrer Fähigkeit dauernd wesentlich beeinträchtigt sind, ein selbständiges Leben in der Gesellschaft zu führen, insbesondere eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder zu behalten.
§ 3
Anspruch
(1) Voraussetzung für die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen ist, dass der Behinderte
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, |
b) | in Tirol seinen Hauptwohnsitz hat, |
c) | rehabilitationsfähig ist, |
d) | rehabilitationswillig ist, |
e) | keine Möglichkeit hat, nach anderen Rechtsvorschriften gleichartige oder ähnliche Leistungen zu erhalten. |
... | |
5) | Auf Leistungen nach diesem Gesetz, mit Ausnahme von Leistungen nach § 14 und § 15 Abs. 1 und 2, besteht ein Anspruch. Ein Anspruch auf Gewährung einer bestimmten Rehabilitationsmaßnahme besteht nicht. |
§ | 25 |
Behörden und Verfahren |
(1) Der Landesregierung obliegt die Entscheidung und Verfügung in allen Angelegenheiten dieses Gesetzes.
(2) Rehabilitationsmaßnahmen dürfen nur auf Antrag gewährt werden. Anträge auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen sind schriftlich beim Amt der Landesregierung oder bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in der der Antragsteller seinen Hauptwohnsitz hat, einzubringen.
(3) Vor der Entscheidung über einen Antrag nach Abs. 2 sind der Amtsarzt und bei Bedarf weitere Sachverständige zu hören. Die Sachverständigen können ein gemeinsames Gutachten (Gesamtplan) erstellen."
Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, der Amtsarzt der Landesregierung habe auf Grund der vom Beschwerdeführer beigebrachten (medizinischen) Unterlagen festgestellt, dass beim Beschwerdeführer keine Behinderung iSd TRG vorliege.
Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, er habe mit seinem Antrag einen psychodiagnostischen Befund sowie eine fachärztliche Stellungnahme vorgelegt. Aus diesen Unterlagen sei ersichtlich, dass er einen Bedarf nach Rehabilitationsmaßnahmen iSd TRG habe. Die Auffassung der belangten Behörde, bei ihm liege keine Behinderung iSd TRG vor, sei weder nachvollziehbar noch begründet. Darlegungen eines medizinischen Sachverständigen, auf die in der Bescheidbegründung hingewiesen werde, seien dem Beschwerdeführer jedenfalls weder im Verwaltungsverfahren, noch im Wege der Bescheidbegründung zur Kenntnis gebracht worden. Bei ordnungsgemäßer Einholung eines Amtsgutachtens hätte die belangte Behörde zur Auffassung gelangen müssen, dass bei ihm - wie das auch den seinem Antrag beigelegten fachlichen Unterlagen zu entnehmen sei - eine Behinderung iSd TRG vorliege und er daher einen Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen iSd TRG habe.
Die Beschwerde ist berechtigt:
Die Frage, ob beim Beschwerdeführer eine Behinderung iSd § 2 TRG vorliegt, ist eine Frage, zu deren Beantwortung die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen geboten ist. In diesem Sinn bestimmt auch § 25 Abs. 3 TRG, dass vor einer Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen "der Amtsarzt und bei Bedarf weitere Sachverständige zu hören" sind.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird zwar auf Feststellungen des Amtsarztes der Landesregierung hingewiesen, es werden aber die Gründe, aus denen der Amtsarzt aus der vorliegenden (vom Beschwerdeführer beigebrachten) Befundlage - im Gegensatz zu den vom Beschwerdeführer befassten Sachverständigen - das Vorliegen einer Behinderung iSd TRG verneinte, nicht dargelegt.
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ist eine Befassung des Amtsarztes bzw. eines anderen medizinischen Amtssachverständigen überhaupt nicht ersichtlich. Vielmehr heißt es in einem Aktenvermerk vom , dass "der Fall" in einer "Clearingsitzung" besprochen worden sei, und weiters - ohne nähere Begründung -, dass aus den vorliegenden Befundberichten keine Behinderung iSd TRG ableitbar sei. Weder ist jedoch ersichtlich, dass an dieser "Clearingsitzung" der Amtsarzt oder ein anderer medizinischer Sachverständiger teilgenommen hätte, noch, dass die Auffassung, aus den vorgelegten Befundberichten sei keine Behinderung des Beschwerdeführers iSd TRG ableitbar, auf der Grundlage medizinischen Fachwissens gewonnen worden wäre.
Die belangte Behörde weist nun in ihrer Gegenschrift darauf hin, dass es sich bei der "Clearingsitzung" um eine Koordinationsstelle der Rehabilitationsträger handle, der verschiedene Fachvertreter angehörten und deren Zweck es sei, "Grenzfälle" an Hand von ärztlichen Gutachten der Gebietskrankenkasse (bei Krankheit) bzw. der Landesregierung (bei Behinderung) zuzuordnen. Der Klient erspare sich dadurch unnötige Wege.
Dieses Vorbringen ändert allerdings nichts daran, dass eine medizinisch fundierte Begründung für die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Auffassung, beim Beschwerdeführer bestehe im Gegensatz zu den von ihm vorgelegten Unterlagen keine Behinderung iSd TRG, weder aus dem Bescheid selbst ersichtlich ist noch den vorgelegten Verwaltungsakten entnommen werden kann.
Die belangte Behörde hat, indem sie sich zur Frage des Vorliegens einer Behinderung iSd TRG beim Beschwerdeführer mit den nicht weiter begründeten Ergebnissen einer nicht näher beschriebenen "Clearingsitzung" begnügte und solcherart auch eine ordnungsgemäße Begründung des angefochtenen Bescheides schuldig blieb, Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte gelangen können. Sie hat den angefochtenen Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG zu seiner Aufhebung zu führen hatte.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-91354