VwGH vom 28.04.2011, 2007/08/0075

VwGH vom 28.04.2011, 2007/08/0075

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des R T in N, vertreten durch Dr. Helmut Kientzl, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Rudolf Diesel-Straße 26, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom , Zl. 6-SO-N2351/13-2007, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse in 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Über das Vermögen der Primärschuldnerin T-GmbH wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom das Konkursverfahren eröffnet; mit Beschluss dieses Gerichtes vom erfolgte die Aufhebung des Konkurses nach Ausschüttung einer Konkursquote in Höhe von 11,0582 %.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom teilweise Folge gegeben und die Haftung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der T-GmbH für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG statt mit EUR 45.541,61 mit EUR 12.094,57 festgestellt.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides sowie des Einspruches des Beschwerdeführers und der weiteren im Einspruchsverfahren erstatteten Schriftsätze aus, Anknüpfungspunkt für die persönliche Haftung der im § 67 Abs. 10 ASVG genannten Vertreter seien nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 98/08/0191, 0192, die ihnen gegenüber durch § 111 ASVG i.V.m. § 9 VStG sanktionierten Melde-, Anzeige- und Auskunftspflichten und die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Pflicht zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge. Der Geschäftsführer verletze seine im Zusammenhang mit der Beitragsentrichtung bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen unabhängig vom Gleichbehandlungsgebot auch dann, wenn er entgegen den Bestimmungen des § 60 ASVG iVm § 114 ASVG einbehaltene Beiträge (Dienstnehmeranteile) nicht der Sozialversicherung abführe, weil dieser Bestimmung ein Gebot der Abfuhr tatsächlich einbehaltener Dienstnehmeranteile zu Grunde liege. Einbehalten würden aber nicht nur jene Dienstnehmeranteile an Sozialversicherungsbeiträgen, die bei der Lohn- und Gehaltsauszahlung an die Dienstnehmer beim Dienstgeber verbleiben. Es genüge auch die rechnungsmäßige Kürzung der Löhne und Gehälter um den vom Dienstnehmer zu tragenden Sozialversicherungsbeitrag.

Im Anschluss heißt es im angefochtenen Bescheid - soweit für den Beschwerdefall von Relevanz - wörtlich (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Auf Grund der Aktenlage ergibt sich folgender, für die Entscheidung wesentlicher Sachverhalt:

Über das Vermögen der Primärschuldnerin T-GmbH, …, wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom das Konkursverfahren eröffnet. Die Aufhebung des Konkurses über das Vermögen der T-GmbH erfolgte mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom nach Ausschüttung einer Konkursquote in Höhe von 11,0582 %.

Auf dem Beitragskonto der Primärschuldnerin bei der (mitbeteiligten) Gebietskrankenkasse sind nach Abzug der vom IAG-Fonds geleisteten Dienstnehmer-Beitragsanteile für den Monat Dezember 1998 EUR 6.357,27 und für den Monat Jänner 1999 EUR 3.911,89 offen.

Seitens der Beitragsprüfung durch die Einspruchswerberin (gemeint wohl: Einspruchsgegnerin) am wurde vom Prüforgan der Einspruchswerberin (gemeint wohl: Einspruchsgegnerin) festgestellt, dass seitens der Primärschuldnerin bezüglich der mit fälligen Einmalzahlung laut Kollektivvertrag für Eisen- und Metallverarbeitende Industrie der Einspruchsgegnerin eine diesbezügliche Beitragsnachweisung nicht vorgelegt worden war. Aus

diesem Grund waren die diesbezüglichen Beiträge in Höhe von EUR 2.782,64 nachzuverrechnen (siehe auch die zum Bestandteil des Bescheides erklärte Beilage ./A. Die Unterlassung der Vorlage der Beitragsnachweisung für Februar 1999 an die Einspruchsgegnerin war für die Uneinbringlichkeit dieser Sozialversicherungsbeiträge kausal. Soweit der Einspruchswerber vorbringt, dass die Lohnverrechnung und die Meldung an die Gebietskrankenkasse jahrelang durch eine zuverlässige Mitarbeiterin des Unternehmens durchgeführt worden wäre und daher auch in den vergangenen Beitragsprüfungen keinerlei Beanstandungen aufgetreten wären, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Meldeverstoß des Nichtvorlegens einer Beitragsnachweisung zum Grundwissen eines Geschäftsführers gehört. Soweit er hiebei auf die Zuverlässigkeit einer langjährigen Mitarbeiterin verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass er keinerlei Vorbringen bezüglich der erforderlichen Kontrollmaßnahmen gegenüber der Mitarbeiterin erstattet hat.

Wenn der Einspruchswerber zudem seine Haftung für die Beiträge Jänner 1999 mit dem Vorbringen bestreitet, dass für diesen Zeitraum den Dienstnehmern kein Entgelt ausbezahlt worden wäre, wird bemerkt, dass er diesbezüglich kein substantielles Beweisvorbringen erstattet hat."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften (u.a.) die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 98/08/0191, 0192, VwSlg. 15.528 A/2000) gehört zu den den Vertretern auferlegten Pflichten im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG nicht auch die allgemeine, die Vertreter der Beitragsschuldner gegenüber den Beitragsgläubigern treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen. Vielmehr sind unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese im § 111 ASVG iVm. § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG (vgl. nunmehr § 153c Abs. 2 StGB) umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch einen gesetzlichen Vertreter kann daher, sofern dieser Verstoß verschuldet und für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung kausal ist, zu einer Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG führen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0212).

Ein Meldepflichtiger muss sich alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen; er hat den Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt zu vertreten. Ein Meldepflichtiger, der nicht über alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verfügt, ist nicht schon deshalb exkulpiert, weil er sich mit der strittigen Frage ohnedies, wenn auch nur auf Grund seiner eingeschränkten Kenntnisse, auseinandergesetzt hat und dementsprechend vorgegangen ist. Einen solchen Meldepflichtigen trifft vielmehr grundsätzlich eine Erkundigungspflicht. Im Rahmen dieser Erkundigungspflicht ist der Meldepflichtige gehalten, sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde bzw. bei einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen. Der Meldepflichtige ist also nur dann entschuldigt, wenn die zur Beurteilung im Einzelfall notwendigen Kenntnisse nicht zu dem einem Meldepflichtigen zu unterstellenden Grundwissen gehören und er die ihm zumutbaren Schritte unternommen hat, sich in der Frage der Meldepflicht hinsichtlich des Beschäftigungsverhältnisses sachkundig zu machen, und die Unterlassung der Meldung auf das Ergebnis dieser Bemühungen ursächlich zurückzuführen ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich der Dienstgeber auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der Gebietskrankenkasse, auf ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermag (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0104).

2. Der Beschwerde, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wird, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Dienstnehmerbeitragsanteile nicht nachvollziehbar sei, kommt Berechtigung zu:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Begründung nach § 60 AVG muss die Begründung eines Bescheides erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet; des Weiteren muss aus der Begründung des Bescheides hervorgehen, ob die Behörde die Grundlage ihrer Entscheidung in einem einwandfreien Verfahren gewonnen hat und ob die von der Behörde gezogenen Schlüsse dem Gesetz folgerichtigen Denkens entsprechen. Zur lückenlosen Begründung gehört nicht nur die Feststellung des Sachverhaltes, sondern auch die Anführung der Beweismittel und der bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen. Durch eine Begründung eines Bescheides, die diesen Erfordernissen nicht entspricht, wird nicht nur die Partei des Verwaltungsverfahrens in der Verfolgung ihrer Rechte, sondern auch der Verwaltungsgerichtshof an einer nachprüfenden Kontrolle gehindert (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/03/0112 u.v.a.).

Vorweg ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid schon deshalb an einem Begründungsmangel leidet, weil der im Spruch des Bescheides festgestellte Haftungsbetrag (von EUR 12,094,57) die in der Begründung des Bescheides genannten (Teil)Beträge (in Summe von EUR 13.051,80) nicht erreicht und die Gründe für diese "Reduzierung" nicht dargelegt werden.

Darüber hinaus erfolgte im vorliegenden Fall weder im erstnoch im zweitinstanzlichen Bescheid eine hinreichende Aufschlüsselung des mehrfach berichtigten Rückstands- bzw. Haftungsbetrages, aus der hervorgeht, in welchem Umfang an Dienstnehmer Nettolohn ausbezahlt wurde, ohne die Dienstnehmeranteile an die Gebietskrankenkasse abzuführen, und die sich daraus ergebende konkrete Berechnung des Haftungsbetrages. Eine solche Aufschlüsselung wäre im Hinblick auf das Einspruchsvorbringen, worin im Ergebnis die mangelnde Nachvollziehbarkeit mangels Kenntnis der Beitragsprüfungsgrundlagen gerügt und vorgebracht wird, dass die Gehälter teilweise nicht (mehr) ausbezahlt worden seien, geboten gewesen, zumal der Dienstgeber nach der hier noch maßgebenden Rechtslage nicht für den gesamten Rest der offenen Dienstnehmerbeiträge sondern nur für den aus der Unterlassung der Meldung oder der Vorenthaltung der Dienstnehmeranteile resultierenden Beitragsanteil haftet. Es findet sich auch in den Verwaltungsakten keine solche Aufschlüsselung, zu welcher dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährt worden wäre.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zur Beurteilung der Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers überdies festzustellen haben, wann die Fälligkeit der Dienstnehmer-Beitragsanteile gegeben war.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am