VwGH vom 21.01.2015, Ro 2014/10/0115

VwGH vom 21.01.2015, Ro 2014/10/0115

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der M M in P, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-211/001-2014, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom wurden der Revisionswerberin zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts und Wohnbedarfs für Dezember 2012 EUR 528,08, für den Zeitraum vom 1. Jänner bis monatlich EUR 546,73 und für den Zeitraum vom 1. Mai bis längstens monatlich EUR 348,-- gemäß "§§ 4, 5, 6 Abs. 1 und 2, § 7, § 8 Abs. 1 und 2, § 9, § 10 Abs. 1 und 3, § 11 Abs. 1 und 3 NÖ Mindestsicherungsgesetz, LGBl. 9205", und "§§ 1 Abs. 1 Z. 2 lit a, 1 Abs. 2 Z. 3, 1 Abs. 2 Z. 2 lit a und 1 Abs. 2 Z. 3 NÖ Mindeststandardverordnung, LGBl. 9205/1", zuerkannt.

Darüber hinaus sprach das Verwaltungsgericht aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin besitze die österreichische Staatsbürgerschaft, sei alleinstehend und lebe in einer Mietwohnung in P. Die Höhe der Miete betrage EUR 322,--. Die Revisionswerberin sei Bezieherin von Pflegegeld der Pflegestufe 1 nach dem Niederösterreichischen Sozialhilfegesetz (NÖ SHG) und aufgrund einer Behinderung auch von erhöhter Familienbeihilfe. Die Revisionswerberin arbeite "Vollzeit" in einer Kolping-Tagesstätte und erhalte dort monatlich EUR 60,-- an therapeutischem Taschengeld sowie ein Mittagessen als Naturalleistung. Im Zeitraum vom 1. Mai bis habe die Revisionswerberin eine Subjektförderung in der Höhe von EUR 241,-- gemäß § 10 des Niederösterreichischen Wohnbauförderungsgesetzes 2005 erhalten. Darüber hinaus verfüge die Revisionswerberin über ein Vermögen von etwa EUR 2.000,-- auf einem Girokonto.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 der Niederösterreichischen Mindeststandardverordnung (NÖ MSV) sei für die Revisionswerberin der Mindeststandard zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs für das Jahr 2012 in der Höhe von EUR 579,95 (Leben) und EUR 193,31 (Wohnen) und für das Jahr 2013 in der Höhe von EUR 596,18 (Leben) und EUR 198,73 (Wohnen) maßgeblich. Darauf habe sich die Revisionswerberin ihr Einkommen gemäß § 6 Abs. 1 und 2 iVm § 43 Abs. 10 Niederösterreichisches Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) anrechnen zu lassen. Als Einkommen sei lediglich die Familienbeihilfe (Grundbetrag und Kinderabsetzbetrag) heranzuziehen. Der Erhöhungszuschlag sei nicht einzubeziehen. Das therapeutische Taschengeld sowie das Pflegegeld kämen der Revisionswerberin im Rahmen der Behindertenhilfe zu und seien daher von der Berechnung ausgenommen. Bei der Berechnung erfolge auch kein Zugriff auf das Girokonto der Revisionswerberin.

Aufgrund der Beschäftigung im Rahmen der Behindertenhilfe in der Kolping-Tagesstätte sei der 3/10-Wert der "freien Station" iSd § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge (Sachbezugswerteverordnung) zu berücksichtigen, weil die Revisionswerberin dort täglich das Mittagessen erhalte. Dieser Wert betrage EUR 58,86 pro Monat. Bei der Berechnung des Anrechnungsbetrages sei bei diesem Wert jedoch zu berücksichtigen, dass der Revisionswerberin im Rahmen der Behindertenhilfe 30 Tage pro Jahr an Urlaub zustünden. Bei aliquoter Berechnung ergebe sich ein auf das Einkommen anzurechnender Wert in der Höhe von EUR 37,08 pro Monat.

Der Wert der vollen freien Station sei in der Praxis ein häufig gewährter Sachbezug, für den in der Sachbezugswerteverordnung ein bundesweit gültiger Wert festgelegt worden sei. Es werde hier eine Analogie zu einer Verordnung einer anderen Rechtsmaterie gezogen. Das NÖ MSG verweise betreffend näherer Regelungen zum Einkommen auf die Niederösterreichische Eigenmittelverordnung. Diese beziehe ihre Grundlagen aus dem Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988. Die Sachbezugswerteverordnung sei eine Durchführungsverordnung zu § 15 Abs. 2 EStG 1988. Es bestehe zwar kein Dienstverhältnis zwischen der Revisionswerberin und der Tagesstätte, welches eine Steuerpflicht auslösen könne. Dennoch sei es plausibel, sich an diese Verordnung zu halten, um eine Bewertung von Sachgütern durchführen zu können. Da die Bewertung des Mittagessens für die Behörde schwer sei, greife sie auf die Sachbezugswerteverordnung zurück. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht habe allerdings dabei übersehen, dass sich die Revisionswerberin an den Wochenenden nicht in der Tagesstätte aufhalte und daher nur fünf Mal pro Woche ein Mittagessen erhalte sowie dass bei stationären Diensten ein Urlaub im Ausmaß von 30 Tagen zu berücksichtigen sei.

Der Revisionswerberin sei daher insgesamt ein Einkommen in der Höhe von EUR 247,19 (Familienbeihilfe Grundbetrag, Kinderabsetzbetrag sowie aliquoter 3/10-Wert der freien Station) auf die Berechnung der Leistung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung anzurechnen.

Zum Ausspruch der Zulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht aus, dass im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme, insbesondere weil eine Rechtsprechung zur Anrechnung des 3/10-Wertes der freien Station (im Wege der Analogie) gemäß § 1 Abs. 1 Sachbezugswerteverordnung bei der Berechnung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung fehle.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

Das Verwaltungsgericht hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

Die Niederösterreichische Landesregierung hat gemäß § 22 erster Satz VwGG ihren Eintritt in das Verfahren erklärt und eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Niederösterreichische Mindestsicherungsgesetzes - NÖ MSG, LGBl. Nr. 9205-0 in der Fassung LGBl. Nr. 9205/1-2, lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 6

Einsatz der eigenen Mittel

(1) Die Bemessung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem 3. Abschnitt hat unter Berücksichtigung des Einkommens und des verwertbaren Vermögens der Hilfe suchenden Person zu erfolgen.

(2) Als Einkommen gelten alle Einkünfte, die der Hilfe suchenden Person tatsächlich zufließen.

(...)

(6) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften über den Einsatz der eigenen Mittel zu erlassen, insbesondere inwieweit Einkommen und Vermögenswerte der hilfsbedürftigen Person und seiner unterhaltspflichtigen Angehörigen zu berücksichtigen sind oder anrechenfrei zu bleiben haben.

(...)

§ 8

Berücksichtigung von Leistungen Dritter

(1) Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind nur soweit zu erbringen, als der jeweilige Bedarf nicht durch Geld- oder Sachleistungen Dritter gedeckt ist.

(...)"

Die Verordnung der NÖ Landesregierung über die Berücksichtigung von Eigenmitteln (Eigenmittelverordnung), LGBl. Nr. 9200/2-0 in der Fassung LGBl. Nr. 9200/2-3, lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 1

Einkommen

Einkommen ist die Summe aller Geld- und Sachbezüge.

(...)

§ 2

Anrechenfreies Einkommen

(1) Vom Einkommen sind nicht anzurechnen:

1. freiwillige Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder Dritter, es sei denn, die Zuwendungen erreichen ein Ausmaß oder eine Dauer, dass Hilfe nach dem NÖ Sozialhilfegesetz 2000, LGBl. 9200 oder nach dem NÖ Mindestsicherungsgesetz, LGBl. 9205, nicht zu gewähren wäre;

(...)"

2. In der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, das Verwaltungsgericht führe selbst aus, dass das therapeutische Taschengeld sowie das Pflegegeld der Revisionswerberin bei der Berechnung der Mindestsicherung unberücksichtigt zu bleiben habe, weil es sich hierbei um eine Leistung im Rahmen der Behindertenhilfe handle. Ebenso sei die Beschäftigungstherapie eine Leistung im Rahmen der Behindertenhilfe. Wenn nun das Mittagessen im Rahmen der Beschäftigungstherapie gewährt und hierfür kein Kostenbeitrag eingehoben werde, sei davon auszugehen, dass es sich dabei auch um eine Leistung im Rahmen der Behindertenhilfe handle, die anrechenfrei zu bleiben habe. Dementsprechend hätte eine Anrechnung der freien Station für das Mittagessen schon aus diesem Grund nicht erfolgen dürfen.

Außerdem seien Sachleistungen nicht unter den Einkommensbegriff des § 6 Abs. 2 NÖ MSG zu subsumieren.

3. Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

3.1. Wie aus den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes hervorgeht, erhält die Revisionswerberin aufgrund ihrer Tätigkeit in der Kolping-Tagesstätte (neben einem therapeutischen Taschengeld in der Höhe von monatlich EUR 60,--) ein Mittagessen als Naturalleistung.

Gemäß § 8 Abs. 1 NÖ MSG sind Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nur soweit zu erbringen, als der jeweilige Bedarf nicht durch Geld- oder Sachleistungen Dritter gedeckt ist.

Unter derartigen Leistungen Dritter ist faktische Hilfe zu verstehen. Damit sind grundsätzlich alle Maßnahmen erfasst, durch die eine zumindest teilweise Deckung von Bedürfnissen im Rahmen der materiellen Existenzsicherung möglich ist (vgl. M.Mayr/Pfeil , Mindestsicherung und Sozialhilfe, Rz 48f, in Pürgy , Das Recht der Länder, Band II/2).

Darunter fallen auch die im vorliegenden Fall der Revisionswerberin gewährten Mittagessen.

Nach dem Einleitungssatz der - u.a. gemäß § 6 Abs. 6 NÖ MSG erlassenen - Eigenmittelverordnung ist unter "Einkommen" die "Summe aller Geld- und Sachbezüge" zu verstehen. Es ist somit davon auszugehen, dass der Begriff des Einkommens iSd § 6 Abs. 2 NÖ MSG nicht nur Geld-, sondern auch Sachleistungen umfasst.

Nach § 2 Abs. 1 Z. 1 Eigenmittelverordnung sind freiwillige Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder Dritter nicht als Einkommen anzurechnen, es sei denn, "die Zuwendungen erreichen ein Ausmaß oder eine Dauer", dass Hilfe nach dem NÖ SHG oder nach dem NÖ MSG "nicht zu gewähren wäre".

Diese Bestimmung ist mit Blick auf den Grundsatz des § 8 Abs. 1 NÖ MSG auszulegen, durch den der Nachrang der Mindestsicherung zum Ausdruck gebracht wird. Nach der somit gebotenen systematischen Auslegung stellt § 2 Abs. 1 Z. 1 Eigenmittelverordnung auf sämtliche Zuwendungen von dritter Seite ab; diese sind jedenfalls insoweit anzurechnen, als sie Ausmaß oder Dauer aufweisen, die eine Gewährung von Mindestsicherung ausschließen bzw. einschränken.

Davon ausgehend erweist sich das der Revisionswerberin in der von ihr besuchten Tagesstätte gewährte Mittagessen als Sachbezug, der bei der Gewährung von Mindestsicherung zu berücksichtigen ist.

Das Argument der Revisionswerberin, es handle sich dabei um eine pflegebezogene Leistung, ist insofern unzutreffend, als bei einem Mittagessen der Ernährungs- und nicht der Pflegezweck der Sinn der Leistung ist.

3.2. Gegen die vom Verwaltungsgericht im Weiteren vorgenommene Heranziehung der Sachbezugswerteverordnung zur Bewertung der "freien Station" im Bereich der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bestehen keine Bedenken des Gerichtshofes:

Werden Teilbereiche des Lebensbedarfes durch Sachleistungen Dritter befriedigt, so bedarf es eines Maßstabes zur Anrechnung der sich daraus ergebenden Bedarfsminderung auf eine in der Form einer Geldleistung gewährte Hilfe zum Lebensbedarf (vgl. das zum NÖ SHG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0246 = VwSlg. 14.715 A). Diesbezüglich finden sich im NÖ. MSG und in der NÖ. MSV allerdings keine Vorschriften.

Der anzuwendende Maßstab hat sich auf den Anteil zu beziehen, der dem durch Sachleistungen befriedigten Lebensbedürfnis in Bezug auf die nach Richtsätzen für den Durchschnittsbedarf zu gewährende Geldleistung zuzumessen ist. Ein standardisierter Maßstab wird diesem Zweck eher gerecht als eine individuelle Bewertung der Sachleistung; die Sachbezugswerteverordnung scheint dafür nicht von vornherein ungeeignet zu sein (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , mwN).

4. Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Ein Zuspruch von Aufwandersatz unterbleibt mangels Antrags in der erstatteten Revisionsbeantwortung.

Wien, am