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VwGH 01.07.2010, 2009/09/0296

VwGH 01.07.2010, 2009/09/0296

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Eine Hinterlegung ohne schriftliche Verständigung oder eine fehlerhafte derartige Verständigung (z.B. keine Angabe über den Beginn der Abholfrist) entfaltet keine Rechtswirkungen (Hinweis auf Walter - Mayer, Das österr. Zustellrecht, Anm 18 und 28 zu § 17 ZustG).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 85/07/0161 E RS 1
Normen
RS 2
Eine Hinterlegung ist etwa dann unwirksam, wenn die Verständigung nach § 17 Abs. 2 ZustG in den Briefkasten einer anderen als der im Rückschein angegebenen Abgabestelle des Empfängers eingelegt wurde. Ebenso gilt eine hinterlegte Sendung auch dann nicht als zugestellt, wenn die in § 17 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 ZustG vorgesehenen Verständigungen nicht in das Hausbrieffach des Empfängers, sondern in das einer anderen Person eingelegt werden.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2005/18/0047 E RS 2
Normen
RS 3
Ist die Brieffachtüre nicht zur Gänze vorhanden und die im Brieffach befindliche Post zum Teil ersichtlich, so ist der Inhalt des Hausbrieffachs daher für Dritte zugänglich. Ein solches Hausbrieffach ist daher in einer seine Funktion beeinträchtigenden Weise beschädigt. Schon deshalb vermag das Einlegen einer Verständigungsanzeige iSd § 17 Abs 2 ZustG in ein derartiges Brieffach keine rechtswirksame Zustellung zu bewirken (Hinweis E , 2003/01/0362; E , 2005/01/0662).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2009/09/0127 E RS 3
Normen
RS 4
Liegen für den Zusteller erkennbare Hinweise darauf, dass das Briefkastenfach "stillgelegt" ist und daher von vornherein kein für die Abgabestelle bestimmter Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) iSd § 17 Abs. 2 ZustG sein kann, vor, und kann nach den für einen Zusteller ersichtlichen objektiven Gegebenheiten an der Abgabestelle auch ein anderes Hausbrieffach nicht zweifelsfrei als jenes identifiziert werden, das für die betreffende Abgabestelle bestimmt ist, da kein eindeutiger Hinweis auf eine solche Zuordnung vorhanden ist, wäre es Aufgabe des Zustellers, die Hinterlegungsanzeige - weil ihr Einlegen in ein Hausbrieffach nicht zulässig ist - gemäß § 17 Abs. 2 ZustG an der Eingangstüre anzubringen.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2009/09/0127 E RS 4

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde 1. der PM KEG in W und 2. der PM in W, beide vertreten durch Dr. Alice Hoch, Rechtsanwältin in 2361 Laxenburg, Schlossplatz 12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 07/AV/36/5272/2008-36, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Parteien: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom wurde die Zweitbeschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe es als unbeschränkt haftende Gesellschafterin und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der erstbeschwerdeführenden Partei zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeber mit Sitz in Wien am gegen 24 Uhr im Gastgewerbebetrieb in der Betriebsart einer Bar in Wien XY die ausländischen Staatsangehörigen Mihaela A., Corina C., Mirela C., Eleonora C., Dominika D. und Daniela K. als Arbeiterinnen bzw. Tänzerinnen beschäftigt habe, obwohl hiefür weder eine Beschäftigungsbewilligung, eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt noch eine Anzeigebestätigung ausgestellt worden sei und die Ausländerinnen weder eine Arbeitserlaubnis noch einen Befreiungsschein oder eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" oder einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder einen Niederlassungsnachweis besitzen. Über die Zweitbeschwerdeführerin wurden wegen Verletzung des § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) sechs Geldstrafen zu je EUR 2.000,--, zusammen EUR 12.000,-- (sechs Ersatzfreiheitsstrafen von je einer Woche, vier Tagen, fünf Stunden, zusammen neun Wochen, vier Tage, sechs Stunden) verhängt. Gemäß § 64 VStG wurde die Zweitbeschwerdeführerin verpflichtet, einen Kostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Strafe zu leisten.

Einen Ausspruch betreffend die Haftung der erstbeschwerdeführenden Partei gemäß § 9 Abs. 7 VStG enthielt das Straferkenntnis nicht.

Gegen dieses Straferkenntnis erhoben die beschwerdeführenden Parteien Berufung, die sie mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden haben (zur Abweisung eines Antrags der Zweitbeschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2009/09/0127, 0111, verwiesen). Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wurde der Berufung der erstbeschwerdeführenden Partei nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 66 Abs. 4 AVG

"in der Schuldfrage keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis insoweit bestätigt, dass die verletzten Verwaltungsvorschriften '§ 3 Abs. 1 AuslBG iVm § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG, idF BGBl. I Nr. 103/2005' zu lauten haben.

In der Straffrage wird der Berufung insofern Folge gegeben, als die zu Punkt 1) bis Punkt 6) des Straferkenntnisses für den Fall der Uneinbringlichkeit der jeweils verhängten Geldstrafe festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe von einer Woche, vier Tage und fünf Stunden auf je zwei Tage herabgesetzt wird.

Die von der Erstbehörde verhängten Geldstrafen in der Höhe von je Euro 2.000,-- werden hingegen bestätigt. Dementsprechend bleibt auch der erstinstanzliche Kostenbeitrag unverändert.

Die Strafnorm lautet:

§ 28 Abs. 1 Z. 1 erster Strafsatz AuslBG, idF BGBl. I Nr. 103/2005.

Gemäß § 65 VStG wird der Berufungswerberin kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt."

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Zweitbeschwerdeführerin sei unbeschränkt haftende Gesellschafterin der erstbeschwerdeführenden Partei und gemäß § 9 Abs. 1 VStG als nach außen zur Vertretung berufenes Organ für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften (hier: des Ausländerbeschäftigungsgesetzes) verantwortlich. Die Zweitbeschwerdeführerin sei mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien (der Erstbehörde) vom bestraft worden. Nach einem erfolglos gebliebenen Zustellversuch sei das Straferkenntnis an die Zweitbeschwerdeführerin am durch Hinterlegung zugestellt worden. Dem erstinstanzlichen Akteninhalt zufolge habe die Erstbehörde keine Zustellung einer Ausfertigung des Straferkenntnisses an die erstbeschwerdeführende Partei (als im Sinne des § 9 Abs. 7 VStG haftungspflichtigen Partei) veranlasst. Eine Ausfertigung des Straferkenntnisses sei am dem Finanzamt Wien 4/5/10 zugestellt worden.

Die erstbeschwerdeführende Partei habe in ihrer Berufung vorgebracht, dass sie die besagten Frauen nicht beschäftigt habe. Die Tänzerinnen seien weder angestellt noch in einer arbeitnehmerähnlichen Position tätig gewesen. Diese hätten vielmehr selbstständig in dem Lokal agiert. Die Tänzerinnen seien für eine Agentur tätig gewesen und über diese engagiert worden. Entsprechende Verträge lägen vor. Die Tänzerinnen seien über die Agentur auch noch in anderen Lokalen tätig. Auch das sonstige Tätigkeitsumfeld spreche für deren selbstständige Tätigkeit. Arbeitsverhältnisse im Sinne des AuslBG lägen nicht vor.

Zur Berufungslegitimation der erstbeschwerdeführenden Partei führte die belangte Behörde aus, dass das Straferkenntnis vom wohl der Zweitbeschwerdeführerin und dem Finanzamt, nicht jedoch der erstbeschwerdeführenden Partei zugestellt worden sei. Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 99/09/0002, ausgesprochen habe, sei der Haftungspflichtige nach § 9 Abs. 7 VStG im Verwaltungsstrafverfahren als Partei beizuziehen und könne in diesem Verfahren alle Parteirechte einschließlich des Berufungsrechtes ausüben, weil nur die volle Einbindung des Haftungspflichtigen als Partei in das Verfahren, in dem die Grundlage und der Umfang der Haftung ermittelt und festgesetzt werde, eine rechtlich einwandfreie Lösung darstelle. Das Fehlen einer "ausdrücklichen" Regelung der Parteistellung des Haftungspflichtigen im VStG könne infolge der allgemeinen Regeln des gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsverfahren anzuwendenden § 8 AVG zu keinem anderen Ergebnis führen. Da das Berufungsrecht unmittelbar aus der Parteistellung erfließe, sei die Berufung einer Partei gegen einen ihr zwar nicht zugestellten, jedoch seinem Inhalt nach zur Kenntnis gelangten und durch Zustellung an eine andere Partei erlassenen Bescheid zulässig.

Über die Berufung der erstbeschwerdeführenden Partei sei daher inhaltlich zu entscheiden gewesen. Bei den von den beschwerdeführenden Parteien vorgelegten Verträgen zwischen der Agentur und der erstbeschwerdeführenden Partei habe es sich um reine Scheinverträge gehandelt. Bei dem Lokal der erstbeschwerdeführenden Partei handle es sich um ein Striptease-Lokal, in dem Frauen leicht bekleidet oder "oben ohne" tantzen, was dazu führe, dass die Getränke teurer als in einem sonstigen Gastgewerbebetrieb angeboten würden. Die Tänzerinnen seien in den Arbeitsablauf der Striptease-Bar eingegliedert gewesen. Deren Tätigkeit sei als Beschäftigung im Sinn des § 2 Abs. 2 AuslBG zu qualifizieren. Die belangte Behörde sei "daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die (erstbeschwerdeführende Partei) in den vorliegenden sechs Fällen schuldhaft gegen die einschlägige Strafbestimmung des AuslBG verstoßen hat".

Gegen diesen Bescheid haben die beschwerdeführenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom , B 1425/09-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften des angefochtenen Bescheides geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Das erstinstanzliche Straferkenntnis wurde der erstbeschwerdeführenden Partei gar nicht, der Zweitbeschwerdeführerin nicht wirksam zugestellt (zur näheren Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG nochmals auf das die Zweitbeschwerdeführerin betreffende hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2009/09/0127, 0111, verwiesen). Ein erstinstanzlicher Strafbescheid wurde gegenüber den beschwerdeführenden Parteien daher bisher nicht erlassen.

Die belangte Behörde hat ihren Bescheid dadurch, dass sie die Berufungen, die gegen einen nicht erlassenen erstinstanzlichen Bescheid erhoben wurden, nicht als unzulässig zurückgewiesen, sondern eine Sachentscheidung getroffen hat, mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2009090296.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAE-91293