VwGH vom 14.04.2010, 2007/08/0040

VwGH vom 14.04.2010, 2007/08/0040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der B AG (vormals: A Fleischwaren AG) in W, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 9, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom , Zl. BMSG-225835/0006- II/A/3/2006, betreffend Versicherungspflicht nach ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. O in K;


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2.
Kärntner Gebietskrankenkasse in 9021 Klagenfurt, Kempfstraße 8;
3.
Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1; 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang des bekämpften Spruchpunktes 1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Erstmitbeteiligte stand ab in einem Beschäftigungsverhältnis zur A. Fleischwaren AG (der Rechtsvorgängerin der nunmehrigen beschwerdeführenden Partei) als Dienstgeber. Vom bis war er arbeitsunfähig und befand sich im Krankenstand. Mit Schreiben vom erstattete die damalige Dienstgeberin eine Abmeldung des Erstmitbeteiligten von der Pflichtversicherung; aus dieser ist ersichtlich, dass die Beschäftigung am einvernehmlich gelöst wurde und der Anspruch mit geendet hat.

Im Akt befindet sich ein vom Erstmitbeteiligten am ausgefüllter Fragebogen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse. Darin gab er an, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zwischen ihm und dem Dienstgeber am - und somit während des Krankenstandes - vereinbart worden sei. Dieser Zeitpunkt sei gewählt worden, da der Erstmitbeteiligte "erst am den OP-Termin" gehabt und der Krankenstand "zu lange" gedauert habe. Die Initiative zur Beendigung des Dienstverhältnisses sei vom Dienstgeber ausgegangen. Eine Wiedereinstellung nach dem Krankenstand sei mit dem Dienstgeber nicht vereinbart worden. Bei der Beendigung des Dienstverhältnisses sei der Erstmitbeteiligte über die Rechtsfolgen dieser Beendigung nicht aufgeklärt worden.

Laut Schreiben der A. Fleischwaren AG vom sei der Erstmitbeteiligte mit der Bitte an seinen Vorgesetzten F. herangetreten, das Dienstverhältnis "beidseitig" (gemeint wohl: einvernehmlich) zu beenden, da der Erstmitbeteiligte ein Lokal gepachtet habe und sich selbstständig mache. Es sei auf Grund des hohen Abfertigungsbetrages mit der Geschäftsleitung Rücksprache gehalten und letztendlich die Zustimmung für die Auflösung gegeben worden. F. habe nicht in Erwägung gezogen, den Dienstnehmer zu kündigen.

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom wurde ausgesprochen, dass die Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses zur Dienstgeberin A. Fleischwaren AG nicht mit , sondern mit ende und der genannte Dienstgeber verpflichtet sei, für diese Zeit auch die Sozialversicherungsbeiträge, Fondsbeiträge und Umlagen weiter zu entrichten. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses ohne ersichtlichen Grund und zum Nachteil des Versicherten als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gewertet werden müsse, weil der Dienstgeber damit sowohl die Fortzahlung des Entgeltes an den Dienstnehmer als auch die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen habe vermeiden wollen. Da die Willenserklärung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Dienstgeber an den Dienstnehmer herangetragen worden sei, sei die einvernehmliche Lösung als Entlassung ohne wichtigen Grund zu werten.

Die A. Fleischwaren AG erhob Einspruch gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom .

Diesem Einspruch gab der Landeshauptmann von Kärnten nach niederschriftlicher Einvernahme des Erstmitbeteiligten und des Zeugen F. mit Bescheid vom keine Folge, änderte jedoch den Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend ab, dass er als Endigungszeitpunkt des Beschäftigungsverhältnisses und der Beitragspflicht (anstelle des ) den feststellte (zumal der Krankenstand des Erstmitbeteiligten bis dahin gedauert habe).

Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der A. Fleischwaren AG hat die belangte Behörde nach Einvernahme des Zeugen D. und des Geschäftsführers R. der Dienstgeberin mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid ausgesprochen, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Beschäftigung bei der Dienstgeberin A. Fleischwaren AG vom bis der Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 (gemeint wohl: ASVG) sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei (Spruchpunkt 1.); hinsichtlich des Zeitraumes 23. Februar bis wurde der angefochtene Bescheid behoben (Spruchpunkt 2.).

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde - zum beschwerdegegenständlichen Spruchpunkt 1. - nach Darlegung des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, dass bezüglich der Begleitumstände, welche zu der vorliegenden Vereinbarung einer einvernehmlichen Beendigung des Dienstverhältnisses geführt haben, bei den diesbezüglich einander widersprechenden Angaben von R. und F. einerseits und dem Erstmitbeteiligten andererseits den Aussagen des Erstmitbeteiligten zu folgen sei, da diese schlüssig und lebensnah seien und mit dem vorgelegten Unfallbericht des Unfallkrankenhauses K. im Einklang stünden. Der Erstmitbeteiligte habe dargelegt, dass er sich anlässlich seiner Einwilligung in die einvernehmliche Beendigung des Dienstverhältnisses insofern in einer vom Dienstgeber ausgehenden Drucksituation befunden habe, als ihn der Dienstgeber mit für ihn überraschenden Beschuldigungen konfrontiert und ihm zu erkennen gegeben habe, dass er die gesetzlich für den Fall des Krankenstandes vorgesehenen Rechte des Erstmitbeteiligten nicht ohne Weiteres anerkennen werde. Es erscheine auch lebensnah und nachvollziehbar, dass der Erstmitbeteiligte angesichts seiner schwierigen gesundheitlichen Situation spontan beschlossen habe, den bevorstehenden Notwendigkeiten für seine Gesundung Priorität einzuräumen und sich nicht zusätzlich noch rechtliche Schwierigkeiten aufzubürden.

Die belangte Behörde setzte zusammengefasst fort, es sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Vereinbarung beiden Vertragsparteien bekannt gewesen sei, dass ein langer Krankenstand unmittelbar bevorstehe. Die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses habe für den Erstmitbeteiligten in der gegebenen Situation keinen ersichtlichen Vorteil gegenüber einer Fortzahlung seines Entgeltes im gesetzlichen Ausmaß bedeutet, da der Erstmitbeteiligte als begünstigter Behinderter keine Kündigung im Krankenstand befürchten hätte müssen. Das Argument der Dienstgeberseite, der Erstmitbeteiligte habe sich anders als im Fall einer Selbstkündigung hiedurch die volle Abfertigung gesichert, vermöge nicht zu überzeugen: Die Dienstgeberseite habe ein erkennbares Motiv gehabt, die vorliegende Vereinbarung - auch unter Anwendung von Druck - zu forcieren. Es sei davon auszugehen, dass der Erstmitbeteiligte der Vereinbarung der einvernehmlichen Beendigung seines Dienstverhältnisses unter wirtschaftlichem Druck zugestimmt habe. Die Vereinbarung sei geeignet gewesen, den Dienstnehmer sozialversicherungsrechtlich zu schädigen, weshalb die Nichtigkeitssanktion von § 6 EFZG zum Tragen komme. Die einvernehmliche Vertragsauflösung habe für den Erstmitbeteiligten, der als begünstigter behinderter Arbeitnehmer einen besonderen Kündigungsschutz genossen habe, in der gegebenen Situation jedenfalls einen Verzicht auf seine Rechte auf Entgeltfortzahlung, auch daran anschließendes Krankengeld, auf entsprechende Versicherungszeiten sowie auf Weiterbeschäftigung nach dem Krankenstand dargestellt. Die bezahlte Abfertigung von EUR 6.815,76 vermöge diese rechtlichen Nachteile nicht aufzuwiegen und die vorliegende Vereinbarung als von beiden Vertragsparteien aus freien Stücken gewollt erscheinen lassen. Der Erstmitbeteiligte habe sich zum Zeitpunkt der Einwilligung in die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Grund seines bevorstehenden Spitalsaufenthaltes und der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeit sowie der überraschenden Vorhaltungen des Dienstgebers über die Tatsache, dass seine Frau ein Gasthaus betreibe, und der Andeutung des Dienstgebers, dass er ihn mit rechtlichen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit dem zum damaligen Dienstgeber bestehenden Dienstverhältnis belasten könne, in einer schwachen Position befunden und hätte bei Beharren auf seinen Rechten mit rechtlichen Schritten bis hin zu einem Verfahren rechnen müssen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Erstmitbeteiligte dem aus Sorge um seine Gesundheit entgehen habe wollen und in die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses - unter Druck - eingewilligt habe. Es würden sich auch keine Anhaltspunkte für die Annahme finden, dass die hier vereinbarte einvernehmliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses auf Grund besonderer Umstände für den Erstmitbeteiligten vorteilhaft gewesen sei. Es sei von einer Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses im hier strittigen Zeitraum auszugehen. Zu diesem Ergebnis gelangt die belangte Behörde im Hinblick auf § 6 EFZG und die Darlegungen von Spitzl, Einvernehmliche Auflösung im Krankenstand, ecolex 2002, 195 ff, sowie Radner, Die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses während des Krankenstandes, DRdA 2004, 275 ff.

Gegen Spruchpunkt 1. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ebenso eine Gegenschrift erstattet und eine kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerde, die sich im Ergebnis gegen die Annahme der belangten Behörde wendet, wonach die einvernehmliche Lösung des Arbeitsverhältnisses wegen Umgehung des § 6 EFZG als nichtig zu erachten sei, kommt Berechtigung zu.

Im vorliegenden Fall hat der Erstmitbeteiligte, dessen Angaben die belangte Behörde gefolgt ist, beim Amt der Kärntner Landesregierung am im Wesentlichen ausgesagt, bei dem gegenständlichen Gespräch mit Vertretern des Arbeitgebers zwar sehr zornig über die überraschenden Anschuldigungen, dienstliche Fahrten auch für private Zwecke für das Gasthaus seiner Gattin zu nützen, gewesen zu sein, der einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses aber zugestimmt und dann am nächsten Tag die einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses im Betrieb bei Herrn F. unterschrieben zu haben.

Damit gleicht der Fall dem bereits im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0325, behandelten, in welchem der Verwaltungsgerichtshof die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses während eines entgeltpflichtigen Krankenstandes verneint hat, da einerseits § 6 EFZG (der - unter gewissen Voraussetzungen - nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern nur die Entgeltfortzahlungspflicht schützt) nicht zur Anwendung kommen kann, und andererseits § 539a ASVG der sozialversicherungsrechtlichen Beachtlichkeit der Auflösungsvereinbarung nicht entgegen steht. Es wird deshalb gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf dieses Erkenntnis verwiesen.

Gegen den Missbrauch von Formen und durch Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes im Sinne von § 539a Abs. 2 ASVG spricht im Übrigen hier auch eindeutig, dass es zu keiner (anschließenden) Weiterbeschäftigung des Erstmitbeteiligten gekommen ist.

Soweit die belangte Behörde in ihrer die Entscheidung tragenden Begründung davon ausgeht, dass sich der Erstmitbeteiligte bei Unterfertigung der Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses in einer "Drucksituation" befunden hat, verkennt sie, dass sie damit nur jene allgemeine Situation eines Arbeitnehmers beschreibt, die aus der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit resultiert und um deretwillen der Gesetzgeber dadurch, dass er einzelnen Bestimmungen zugunsten des Arbeitnehmers (einseitig) zwingenden Charakter verleiht, den Arbeitnehmer als den regelmäßig sozial und wirtschaftlich schwächeren Partner des Arbeitsvertrages vor unüberlegten, voreiligen oder durch Sorge um den Arbeitsplatz oder um die Arbeitsbedingungen beeinflussten Zugeständnissen mit der Folge unangemessener Vertragsgestaltungen und einer Verschlechterung der eigenen Rechtsposition bewahren will (SZ 57/188). Dies bedeutet aber nicht, dass alle vertraglichen Vereinbarungen während des Arbeitsverhältnisses, welche die Rechtsposition des Arbeitnehmers für die Zukunft verschlechtern (selbst wenn man eine einvernehmliche Beendigungsvereinbarung so zu verstehen hätte), ohne gegen zwingendes Recht zu verstoßen, schlechthin unwirksam wären.

Umstände, die auf Willensmängel des Erstmitbeteiligten bei Unterfertigung des Vertrages hindeuteten, wie das Vorliegen von Zwang, List oder Irrtum hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Dies begegnet schon deshalb keinen Bedenken, da der Erstmitbeteiligte diese Vereinbarung erst an dem dem Gespräch mit Vertretern des Arbeitgebers folgenden Tag und somit nach einer entsprechenden Überlegungsfrist unterschrieben hat. Es kann daher offen bleiben, ob solche Umstände sozialversicherungsrechtlich auch dann schon zu berücksichtigen wären, wenn sie vom Arbeitnehmer noch nicht gerichtlich geltend gemacht wurden. Dass einer frei von solchen Willensmängeln erfolgten, einvernehmlichen Beendigung des Dienstverhältnisses im Krankenstand zwingendes Recht nicht entgegensteht, wurde schon im zitierten Vorerkenntnis näher begründet (zustimmend Drs, DRdA 2009, 342 ff (344 f) - für das Vorliegen des von dieser Autorin aufgezeigten Sonderfalls einer vom Arbeitgeber verschuldeten Arbeitsunfähigkeit gibt es keinen Anhaltspunkt in den Verwaltungsakten).

Der angefochtene Bescheid war daher im bekämpften Umfang (Spruchpunkt 1.) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren der beschwerdeführenden Partei war im Hinblick auf die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenbefreiung gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am