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VwGH vom 29.04.2015, Ra 2014/08/0068

VwGH vom 29.04.2015, Ra 2014/08/0068

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision des G S in I, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. I407 2010105- 1/3E, wegen Familienzuschlag nach § 20 AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers auf rückwirkende Zuerkennung eines Familienzuschlages für die Zeiträume vom 3. Jänner bis , 15. Juli bis , sowie 5. September bis für den am geborenen (zweiten) Sohn des Revisionswerbers, A. S., gemäß §§ 20, 24, 17, 44 und 46 AlVG abgewiesen (Spruchpunkt A). Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

Der Revisionswerber habe am die Zuerkennung von Arbeitslosengeld geltend gemacht und auf Seite 2 unter Punkt 1. des Antragsformulars angegeben, dass in seinem Haushalt seine Ehefrau F. S. sowie sein (erster) Sohn S. S. leben würden. Der Revisionswerber habe in den im Spruch genannten Zeiträumen Arbeitslosengeld und einen Familienzuschlag für S. S. bezogen. Er habe dem Arbeitsmarktservice Innsbruck (im Folgenden: AMS) die Geburt des A. S. erst am gemeldet, als er der belangten Behörde eine "Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe" vom , ausgestellt vom Finanzamt Innsbruck, übermittelt habe, wonach für S. S. vom Juni 2009 bis Mai 2015 sowie für A. S. vom Jänner 2013 bis Mai 2015 Familienbeihilfe gewährt werde.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 20 Abs. 1 und 2 AlVG bestehe dem Grunde nach ein Anspruch auf Familienzuschlag (auch) für A. S. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer "Anspruchskorrektur nach § 24 Abs. 1 AlVG" seien in "normlogischer Vorgangsweise" zu prüfen. Der Verwaltungsgerichtshof habe (in seinem Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0132) für eine "eventuell vorzunehmende Korrektur des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 AlVG" implizit das Vorliegen eines entsprechenden Antrags vorausgesetzt. Der Revisionswerber hätte (rechtzeitig) einen Antrag auf Zuerkennung des Familienzuschlages stellen müssen. Es gehe nicht um die Korrektur eines fälschlich berechneten Anspruchs, sondern um das Vorliegen einer formellen Anspruchsvoraussetzung, nämlich eines Antrags. § 46 AlVG regle die Rechtsfolgen fehlerhafter oder unterlassener fristgerechter Antragstellungen. Dessen abschließende Normierung lasse es - selbst im Fall des Fehlens eines Verschuldens des Arbeitslosen - nicht zu, die Folgen einer (irrtümlich) unterlassenen rechtzeitigen Antragstellung nachträglich zu sanieren. Die Anwendung des § 24 AlVG bzw. eine rückwirkende Zuerkennung des Familienzuschlages sei grundsätzlich nicht möglich. Somit beginne der Anspruch auf Familienzuschlag "mit Übersendung der Bestätigung für die Familienbeihilfe und somit mit Antragstellung".

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision.

Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber vor, der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0363, ausgesprochen, dem § 24 Abs. 2 dritter Satz AlVG sei nicht zu entnehmen, dass im Falle einer zu Ungunsten der Partei erfolgten unrichtigen Leistungsbemessung ein Versehen der Behörde privilegiert werden sollte. Eine solche Bemessung sei gemäß § 24 Abs. 2 zweiter Satz AlVG zu korrigieren. Hinzu komme,

"dass es eben keine Universalgeltung des Antragsprinzips bei Ansprüchen nach dem AlVG gibt, die einer Prüfung nach § 24 AlVG, wenn der Anspruch nach § 46 AlVG als vorliegend beurteilt wird, zu unterziehen und - wie hier - zuzusprechen sind."

In weiterer Begründung der Revision führt der Revisionswerber aus, der Familienzuschlag sei in § 20 AlVG als Teil des Arbeitslosengeldes geregelt. Ein wirksamer Antrag nach § 46 AlVG löse einen Anspruch nach dem AlVG aus, der nach Maßgabe des § 24 Abs. 2 AlVG rückwirkend berichtigt werden könne. Der Revisionswerber habe Anspruch auf rückwirkende Zuerkennung des Familienzuschlages für den am geborenen A. S.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die §§ 17, 20, 24, 46 und 47 AlVG lauten auszugsweise samt

Überschrift:

"Beginn des Bezuges

§ 17. (1) Sind sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt und ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht gemäß § 16, gebührt das Arbeitslosengeld ab dem Tag der Geltendmachung, frühestens ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit. Der Anspruch gilt rückwirkend ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit

1. wenn diese ab einem Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag besteht und die Geltendmachung am ersten darauf folgenden Werktag erfolgt oder

2. wenn die Arbeitslosmeldung bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eingelangt ist und die Geltendmachung sowie eine gemäß § 46 Abs. 1 erforderliche persönliche Vorsprache binnen 10 Tagen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgt, soweit das Arbeitsmarktservice nicht hinsichtlich der persönlichen Vorsprache Abweichendes verfügt hat.

(2) Die Frist zur Geltendmachung verlängert sich um Zeiträume, während denen der Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 16 Abs. 1 ruht, ausgenommen bei Auslandsaufenthalt gemäß lit. g. Ruht der Anspruch oder ist der Bezug des Arbeitslosengeldes unterbrochen, so gebührt das Arbeitslosengeld ab dem Tag der Wiedermeldung oder neuerlichen Geltendmachung nach Maßgabe des § 46 Abs. 5.

(3) Die Arbeitslosmeldung hat zumindest den Namen, die Sozialversicherungsnummer, die Anschrift, den erlernten Beruf, die zuletzt ausgeübte Beschäftigung und den Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie die Angabe, auf welchem Weg eine rasche Kontaktaufnahme durch das Arbeitsmarktservice möglich ist (e-mail-Adresse, Faxnummer, Telefonnummer) zu enthalten. Für die Arbeitslosmeldung ist das bundeseinheitliche Meldeformular zu verwenden. Die Meldung gilt erst dann als erstattet, wenn das ausgefüllte Meldeformular bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt ist. Ist die Meldung aus Gründen, die nicht in der Verantwortung der Meldung erstattenden Person liegen, unvollständig, verspätet oder gar nicht eingelangt, so gilt die Meldung mit dem Zeitpunkt der nachweislichen Abgabe (Absendung) der Meldung als erstattet. Das Einlangen der Meldung ist zu bestätigen.

(4) Ist die Unterlassung einer rechtzeitigen Antragstellung auf einen Fehler der Behörde, der Amtshaftungsfolgen auslösen kann, wie zum Beispiel eine mangelnde oder unrichtige Auskunft, zurück zu führen, so kann die zuständige Landesgeschäftsstelle die regionale Geschäftsstelle amtswegig unter Berücksichtigung der Zweckmäßigkeit und der Erfolgsaussichten in einem Amtshaftungsverfahren zu einer Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab einem früheren Zeitpunkt, ab dem die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorliegen, ermächtigen."

"Ausmaß des Arbeitslosengeldes

§ 20. (1) Das Arbeitslosengeld besteht aus dem Grundbetrag und den Familienzuschlägen sowie einem allfälligen Ergänzungsbetrag.

(2) Familienzuschläge sind für Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt des jeweiligen Angehörigen tatsächlich wesentlich beiträgt und für diesen ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht.

(3) (...) ."

"Einstellung und Berichtigung des Arbeitslosengeldes

§ 24. (1) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Die bezugsberechtigte Person ist von der amtswegigen Einstellung oder Neubemessung unverzüglich durch Mitteilung an die zuletzt bekannt gegebene Zustelladresse in Kenntnis zu setzen. Die bezugsberechtigte Person hat das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung der Mitteilung einen Bescheid über die Einstellung oder Neubemessung zu begehren. Wird in diesem Fall nicht binnen vier Wochen nach Einlangen des Begehrens ein Bescheid erlassen, so tritt die Einstellung oder Neubemessung rückwirkend außer Kraft und die vorenthaltene Leistung ist nachzuzahlen. Ein späterer Widerruf gemäß Abs. 2 und eine spätere Rückforderung gemäß § 25 werden dadurch nicht ausgeschlossen.

(2) Wenn die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gesetzlich nicht begründet war, ist die Zuerkennung zu widerrufen. Wenn die Bemessung des Arbeitslosengeldes fehlerhaft war, ist die Bemessung rückwirkend zu berichtigen. Ist die fehlerhafte Zuerkennung oder Bemessung auf ein Versehen der Behörde zurückzuführen, so ist der Widerruf oder die Berichtigung nach Ablauf von fünf Jahren nicht mehr zulässig."

"Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld

§ 46. (1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. (...) Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle zumindest einmal persönlich vorgesprochen hat und das vollständig ausgefüllte Antragsformular übermittelt hat. Das Arbeitsmarktservice kann vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache absehen. Eine persönliche Vorsprache ist insbesondere nicht erforderlich, wenn die arbeitslose Person aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Abgabe (das Einlangen) des Antrages ist der arbeitslosen Person zu bestätigen. Können die Anspruchsvoraussetzungen auf Grund des eingelangten Antrages nicht ohne weitere persönliche Vorsprache beurteilt werden, so ist die betroffene Person verpflichtet, auf Verlangen bei der regionalen Geschäftsstelle vorzusprechen. Hat die regionale Geschäftsstelle zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen, etwa zur Beibringung des ausgefüllten Antragsformulars oder von sonstigen Unterlagen, eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt und wurde diese ohne triftigen Grund versäumt, so gilt der Anspruch erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind.

(2) (...) "

"§ 47. (1) Wird der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe anerkannt, so ist dem Leistungsbezieher eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. Wird der Anspruch nicht anerkannt, so ist darüber dem Antragsteller ein Bescheid auszufolgen. Ausfertigungen, die im Wege der automationsunterstützten Datenverarbeitung erstellt wurden, bedürfen weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung.

(2) Personen, die Kontrollmeldungen einzuhalten haben, ist von der regionalen Geschäftsstelle eine Meldekarte auszustellen, in der insbesondere die Zahl, die Zeit und der Ort der einzuhaltenden Kontrollmeldungen zu bestätigen sind."

Unstrittig ist, dass der Revisionswerber am einen (nicht auf eine bestimmte Leistungsart eingeschränkten) Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung auf dem bundeseinheitlichen Antragsformular gestellt hat. Damit liegt eine wirksame Geltendmachung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung vor, wobei selbst der Umstand, dass ein Arbeitsloser in seinem gemäß § 46 AlVG gestellten Antrag die begehrte Leistung durch Ankreuzen bei "Arbeitslosengeld" ausdrücklich bezeichnet hätte, die Behörde nicht von der Prüfung entheben würde, ob im Falle des Nichtbestehens eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld die Voraussetzungen einer anderen der in § 6 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Leistungen erfüllt sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0174).

Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch bei dem Familienzuschlag nicht einmal um eine andere in § 6 Abs. 1 AlVG vorgesehene Leistung, sondern - wie sich aus dem das Ausmaß des Arbeitslosengeldes regelnden § 20 Abs. 1 AlVG ergibt - um einen Bestandteil des unstreitig beantragten Arbeitslosengeldes.

Ändert sich während des laufenden Bezugs von Arbeitslosengeld der für die Bestimmung dessen Ausmaßes maßgebliche Sachverhalt gemäß § 20 Abs. 2 AlVG, so hat dies unmittelbar Einfluss auf die Höhe des Anspruchs und bedarf auch in dem Fall, dass sich eine Erhöhung des Anspruchs ergeben sollte, keiner neuerlichen Antragsstellung.

Der Revisionswerber hat zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen, wonach dem § 24 Abs. 2 letzter Satz AlVG nicht entnommen werden kann, dass im Fall einer zu Ungunsten der Partei erfolgten unrichtigen Leistungsbemessung ein Versehen der Behörde privilegiert werden sollte. Unabhängig von einem solchen Versehen - sohin auch bei einem Meldeverstoß (§ 50 Abs. 1 AlVG), der sich zu Lasten einer Partei auswirkte - ist eine Berichtigung des Anspruches auf die gesetzlich vorgesehene Höhe im Sinn des § 24 Abs. 2 zweiter Satz AlVG nicht nur zulässig, sondern geboten (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 2011/08/0363).

Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am