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VwGH vom 29.04.2016, Ra 2014/08/0057

VwGH vom 29.04.2016, Ra 2014/08/0057

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel und den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des Dr. J B in L, vertreten durch die Sattlegger, Dorninger, Steiner Partner Anwaltssocietät in 4020 Linz, Harrachstraße 6, Atrium City Center, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L513 2011681-1/2E, betreffend Krankenversicherungsbeiträge gemäß § 73a ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77; weitere Partei:

Bundesministerin für Gesundheit), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber gemäß § 73a Abs. 1 ASVG verpflichtet, für die Zeit vom bis monatlich EUR 65,27 an Krankenversicherungsbeiträgen zu entrichten. Er beziehe an monatlicher Pension von der Pensionsversicherungsanstalt EUR 2.584,53 und von der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe in Deutschland (das berufsständische Versorgungswerk der Ärztekammer Westfalen-Lippe, im Folgenden: ÄVWL) EUR 1.279,87. In den monatlichen Zahlungen seien Kinderzuschüsse in Höhe von EUR 213,32 enthalten. Die Beitragszahlungen an die ÄVWL würden vom bis zum auf Pflichtbeiträgen und ab auf Beiträgen auf Grund einer freiwilligen Weiterversicherung beruhen. Durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 seien in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch die Sondersysteme in deren Geltungsbereich einbezogen ("koordiniert") worden. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelte für alle Rechtsvorschriften, die Leistungen bei Alter beinhalten würden. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 habe noch Ausnahmen von Sondersystemen für Selbständige vorgesehen, die jedoch von Österreich ab dem "gestrichen" worden seien, sodass seit diesem Zeitpunkt auch Ärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte etc. von der unionsrechtlichen Koordinierung erfasst seien. Art. 53 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2004 sei nur von leistungsrechtlicher Bedeutung, also für die Berechnung der Pension, nicht jedoch für die Berechnung von Krankenversicherungsbeiträgen.

Bei der ÄVWL handle es sich um ein Sondersystem für Selbständige und es obliege dem nationalen (deutschen) Recht, ob nach dem Ausscheiden aus einer Pflichtmitgliedschaft die Zahlung freiwilliger Beiträge zugelassen werde. In Österreich sei eine "Proratisierung" der Pflichtbeiträge und der freiwillig geleisteten Zahlungen weder vorgesehen noch möglich. Durch die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen an die ÄVWL sei ein Anspruch auf Rentenleistung in entsprechender Höhe entstanden. Durch diese Vorgangsweise werde entweder ein Rentenanspruch erworben oder die Leistung der Höhe nach verbessert. Somit beziehe der Revisionswerber aus dieser Versicherung (Ansparung) eine monatliche ausländische Rente. Da in Österreich eine Beitragspflicht zur Krankenversicherung nur bis zu einer jeweils geltenden Höchstbeitragsgrundlage bestehe, habe der Revisionswerber von seiner ausländischen Rente monatlich EUR 65,27 an Krankenversicherungsbeiträgen zu leisten. Gemäß § 73 Abs. 1 ASVG würden auch Kinderzuschüsse zu den Pensionen sowie zu den Pensionssonderzahlungen zählen, sodass auch vom Kinderzuschuss ein Krankenversicherungsbeitrag zu leisten sei.

2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Abweisung der Revision beantragt. Die Bundesministerin für Gesundheit als weitere Partei hat ebenfalls eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

3 Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit der Revision aus, zu § 73a ASVG liege keine (einheitliche) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Eine Definition der von dieser Norm umfassten Krankenversicherungsbeiträge von ausländischen Renten, die mit inländischen Pensionsleistungen vergleichbar seien, sei anhand des Gesetzes sowie der bisher vorhandenen Judikatur nicht möglich.

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt. 4 Der Revisionswerber bringt vor, seine ausländische Rente

resultiere aus privaten Ansparleistungen, die er aus seinem versteuerten Einkommen bezahlt habe. Er hätte die entsprechende Versicherungsleistung bei Pensionsantritt in Österreich auch als Kapitalauszahlung beanspruchen können. Es habe keine Pflichtversicherung oder Pflichtbeitragszahlung bestanden. Es habe sich ausschließlich um eine für den Altersfall vorgenommene Ansparung gehandelt. Eine Einhebung von Krankenversicherungsbeiträgen gemäß § 73a ASVG habe nicht zu erfolgen, zumal die Erläuterungen zu dieser Gesetzesstelle darauf hinwiesen, dass damit nur "mit inländischen Pensionsleistungen vergleichbare ausländische Leistungen aus ausländischen SV-Systemen" erfasst werden sollten. Jedenfalls nicht erfasst werden sollten Leistungen, die von nichtstaatlichen Stellen gewährt würden, wie z.B. Betriebspensionen. Überdies hätte das Verwaltungsgericht berücksichtigen müssen, dass gemäß Art. 53 Abs. 3 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der zuständige Träger den Betrag der Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates auf der Grundlage einer freiwilligen Versicherung oder einer freiwilligen Weiterversicherung erworben worden seien, nicht zu berücksichtigen habe.

5 Wird eine ausländische Rente bezogen, die insbesondere vom Geltungsbereich der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erfasst ist, so ist, wenn ein Anspruch des Beziehers der ausländischen Rente auf Leistungen der (österreichischen) Krankenversicherung besteht, gemäß § 73a Abs. 1 ASVG auch von dieser ausländischen Rente ein Krankenversicherungsbeitrag nach § 73 Abs. 1 ASVG zu entrichten.

6 § 73a ASVG stellt eine Präzisierung der insbesondere in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 enthaltenen Rechtsgrundlagen zur Möglichkeit der Einhebung von Krankenversicherungsbeiträgen von Rentenleistungen eines anderen Mitgliedstaates dar und bezieht alle vom zwischenstaatlichen Koordinierungsrecht erfassten Leistungen in die Beitragspflicht ein. Von den von § 73a Abs. 1 ASVG erfassten Leistungen aus gesetzlichen Rentensystemen sind die "ergänzenden Rentensysteme" iSd Richtlinie 98/49/EG des Rates zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbständigen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu- und abwandern, zu unterscheiden.

7 Die Beurteilung, ob die zur Rede stehenden ausländischen Rentenbezüge des Revisionswerbers vom zwischenstaatlichen Koordinierungsrecht umfasst sind, ist nach den im § 73a Abs. 1 ASVG verwiesenen europarechtlichen Regelungen (im vorliegenden Fall insbesondere nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004) vorzunehmen.

8 Gemäß Art. 1 lit. l der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Rechtsvorschriften" die Gesetze der Mitgliedstaaten in Bezug auf die im Art. 3 Abs. 1 leg. cit. genannten Zweige der sozialen Sicherheit. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. d leg. cit. gilt diese Verordnung ua für alle "Rechtsvorschriften" der Mitgliedstaaten, die "Leistungen bei Alter" als Zweig der sozialen Sicherheit betreffen.

9 Somit kommt es für die Anwendung des § 73a Abs. 1 ASVG auf die Rentenbezüge des Revisionswerbers darauf an, ob diese auf Rechtsvorschriften Deutschlands beruhen, die den Zweig der "sozialen Sicherheit für Leistungen bei Alter" betreffen und die somit - in Abgrenzung von den Leistungen aus einem "ergänzenden Rentensystem" iSd Art. 3 der Richtlinie 98/49/EG - als Leistungen aus gesetzlichen Rentensystemen zu werten sind (vgl. zum Ganzen das Liechtensteinische bzw. Schweizer Renten der "zweiten Säule" betreffende hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/08/0047, Ro 2014/08/0064).

10 Nach § 1 Z 1 des Heilberufsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (dt. HeilberG) werden im Land Nordrhein-Westfalen als berufliche Vertretungen der Ärztinnen und Ärzte die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe errichtet. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Gemäß § 6a Abs. 1 dt. HeilberG haben die Kammern durch besondere Satzung Versorgungseinrichtungen für die Kammerangehörigen und ihre Familienmitglieder zu schaffen. Sie können die Kammerangehörigen verpflichten, Mitglieder der Versorgungseinrichtung zu werden. Gemäß § 6a Abs. 4 dt. HeilberG gewähren die Versorgungseinrichtungen an Leistungen mit Rechtsanspruch die Altersrente, die Berufsunfähigkeitsrente sowie die Hinterbliebenenrente. Die Satzung kann weitere Leistungen vorsehen. Nach Abs. 5 leg. cit. erheben die Versorgungseinrichtungen von ihren Mitgliedern die zur Erbringung der Versorgungsleistungen notwendigen Beiträge, die sich nach den Einkünften aus der beruflichen Tätigkeit richten und sich an den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung orientieren. Gemäß Abs. 6 leg. cit. ist das Nähere in der Satzung zu regeln. Das gelte insbesondere für die versicherungspflichtigen Mitglieder, den Beginn und das Ende der Pflichtmitgliedschaft, die Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft, die Mitgliedschaft nach Beendigung der Kammerzugehörigkeit, die Höhe der Beiträge, den Umfang der Versorgungsleistungen, die Verpflichtung der Mitglieder und sonstigen Leistungsberechtigten, die für Art und Umfang der Beitragspflicht oder der Versorgungsleistungen erforderlichen Auskünfte zu geben, weiters für die Bildung, Zusammensetzung, Wahl, Amtsdauer und Aufgaben der Organe der Versorgungseinrichtungen sowie für die Bestellung einer/s oder mehrerer hauptamtlicher Geschäftsführerinnen oder Geschäftsführer.

11 Bei den von der ÄVWL gezahlten Renten (bzw. bei allfälligen Kapitalabfindungen) und den von diesen umfassten Zuschüssen (wie z.B. dem gegenständlichen Kinderzuschuss) handelt es sich in Ansehung der erwähnten Regelungen um Leistungen bei Alter iSd Art. 3 Abs. 1 lit. d iVm Art. 1 lit. w der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die auf Rechtsvorschriften iSd Art. 1 lit. l leg.cit. Deutschlands beruhen, die den Zweig der sozialen Sicherheit für Leistungen bei Alter betreffen. Die Renten sind somit als Leistungen aus einem koordinierten (deutschen) Rentensystem zu qualifizieren.

12 Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen (hier: die Verpflichtung zur Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen von der österreichischen Pension), so sind nach Art. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.

13 Die von der gegenständlichen deutschen berufsständischen Vorsorge und die vom österreichischen gesetzlichen Pensionssystem bezogenen Leistungen bei Alter verfolgen dasselbe Ziel, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht. Die genannten Leistungen bei Alter sind daher als gleichartig iSd Art. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu qualifizieren. Die Tatsache, dass es insbesondere in Bezug auf die Art und Weise des Erwerbs der Ansprüche auf diese Leistungen oder die Möglichkeit für die Versicherten, in den Genuss überobligatorischer Leistungen zu kommen, Unterschiede gibt, rechtfertigt nicht eine Schlussfolgerung, wonach Leistungen bei Alter wie die in Rede Stehenden nicht als vergleichbar anzusehen wären (vgl. das ( Knauer ), Rz 32 bis 36). Eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gewährte Rentenleistung ist zur Gänze entweder einer entsprechenden Leistung gleichartig oder dieser nicht gleichartig iSd Art. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Eine differenzierende Beurteilung einheitlicher Leistungen aus einem Rentensystem (z.B. nach den Kriterien von "vorobligatorischen", "obligatorischen", "überobligatorischen" oder "freiwilligen" Beiträgen, mit denen ein konkretes "Alterskapital" aufgebaut worden ist), ist ausgeschlossen (vgl. nochmals das Erkenntnis Ro 2014/08/0047).

Der vom Revisionswerber ins Treffen geführte Art. 53 Abs. 3 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sieht eine Sonderbehandlung von Leistungen aus einer freiwilligen Versicherung nur insoweit vor, als sie nicht Kürzungen auf Grund von allfälligen Doppelleistungsbestimmungen unterliegen. Um solche geht es hier aber nicht.

14 Die Vorschreibung von Krankenversicherungsbeiträgen gemäß § 73a Abs. 1 ASVG in nicht bestrittener Höhe war rechtmäßig. Die Revision war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am