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VwGH vom 02.02.2017, Ra 2014/08/0045

VwGH vom 02.02.2017, Ra 2014/08/0045

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der H D in G, vertreten durch Mag. Elisabeth Mitterbauer, Rechtsanwältin in 4910 Ried im Innkreis, Eiselsbergstraße 1a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W209 2010000- 1/2E, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Die Pensionsversicherungsanstalt hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Die Revisionswerberin stellte am bei der Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihres am geborenen behinderten Sohnes K D rückwirkend ab dem . 1.2. Die Pensionsversicherungsanstalt sprach mit Bescheid vom aus, dass der Antrag abgelehnt werde. Die Arbeitskraft der Revisionswerberin werde durch die Pflege nicht gänzlich in Anspruch genommen, eine Berufstätigkeit ohne Nachteil für das Kind werde nicht unmöglich gemacht; zudem liege seit Juni 1994 kein Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe mehr vor.

1.3. Die Revisionswerberin erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, die Pflege ihres Sohnes sei sehr aufwändig und eine daneben ausgeübte Berufstätigkeit nicht möglich gewesen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab.

Es führte dazu im Wesentlichen aus, der Anspruch auf Selbstversicherung gemäß § 18a Abs. 1 ASVG setze (unter anderem) voraus, dass für das erheblich behinderte Kind eine erhöhte Familienbeihilfe im Sinn des § 8 Abs. 4 FLAG bezogen werde. Die Selbstversicherung beginne frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe gewährt werde, und ende mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die erhöhte Familienbeihilfe weggefallen sei. Vorliegend sei die erhöhte Familienbeihilfe lediglich bis Ende Mai 1994 zuerkannt worden, sodass ein Anspruch auf Selbstversicherung schon deshalb nur bis zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen wäre.

Zudem werde der Beginn der Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG durch die Regelung des § 669 Abs. 3 ASVG insofern eingeschränkt, als eine rückwirkende Anerkennung des Anspruchs längstens für einen 120 Monate vor der Antragstellung liegenden Zeitraum zulässig sei. Im gegenständlichen Fall seien mangels Bezugs einer erhöhten Familienbeihilfe in den letzten 120 Monaten vor der Antragstellung am 23. (richtig: 20.) August 2013 die Voraussetzungen für die Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG nicht vorgelegen, sodass der Antrag zwingend abzuweisen (gewesen) sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , 93/08/0226, ausgesprochen, dass die Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG zu verneinen sei, wenn im Entscheidungszeitpunkt feststehe, dass der Antragsteller für die betreffende Zeit nach § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG Beitragszeiten nicht mehr wirksam (durch Zahlung von Beiträgen) erwerben könne. Diese Rechtsprechung sei auch auf den gegenständlichen Fall übertragbar, zumal § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG ausdrücklich auf § 669 Abs. 3 ASVG verweise.

Im Hinblick auf den gegebenen zwingenden Ablehnungsgrund sei auf die Frage, ob die Arbeitskraft durch die Pflege gänzlich beansprucht worden sei oder ob die Revisionswerberin ohne Nachteil für ihr Kind eine Erwerbstätigkeit hätte ausüben können, nicht mehr einzugehen.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts mit einem Aufhebungs-, hilfsweise einem Abänderungsantrag.

Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Anfechtung vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur "Dauer der Rückwirkung" der Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG in Verbindung mit § 669 Abs. 3 ASVG. Das vom Verwaltungsgericht zitierte Erkenntnis 93/08/0226 sei vor dem Hintergrund einer anderen Rechtslage ergangen und daher hier nicht maßgebend.

In der Sache selbst führt die Revisionswerberin aus, eine rückwirkende Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG in Verbindung mit § 669 Abs. 3 ASVG sei für insgesamt 120 Monate im Zeitraum vom bis zum zulässig. Diese Dauer müsse freilich nicht in den letzten 120 Monaten unmittelbar vor der Antragstellung liegen.

3.2. Die Pensionsversicherungsanstalt erstattete eine Revisionsbeantwortung. Sie schloss sich darin - im Hinblick auf das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/08/0012 - zwar nicht der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts an, begehrte jedoch die Abweisung des Antrags auf Selbstversicherung nach allfälliger Verfahrensergänzung mangels Erfüllung der pflegerelevanten Voraussetzungen des § 18a ASVG.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung mit dem inzwischen ergangenen hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/08/0012, im Widerspruch steht. Sie ist wegen unrichtiger Auslegung bzw. Anwendung des § 669 Abs. 3 ASVG auch berechtigt.

5.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat im genannten Erkenntnis Ro 2015/08/0012 - nach Wiedergabe des § 225 Abs. 1 Z 3 und des § 669 Abs. 3 ASVG in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes-2012 (SRÄG 2012), BGBl. I Nr. 3/2013, sowie der Materialien zu diesem Gesetz, ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP, 23 (auf die diesbezüglichen Ausführungen kann nach § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden) - unter anderem Folgendes ausgesprochen:

"Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass die Zeiten, für die gemäß § 669 Abs. 3 ASVG rückwirkend eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG beansprucht werden kann, nicht in den letzten 120 Monaten vor der Antragstellung liegen müssen. Eine Antragstellung ist vielmehr - wie durch den Verweis auf § 18 Abs. 2 ASVG klargestellt wird - bis zum Stichtag (§ 223 Abs. 2 ASVG) für Zeiten möglich, die "irgendwann" in den Zeitraum zwischen dem und dem fallen (vgl. in diesem Sinne auch Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg.), Der SVKomm, Rz 14/1 zu § 18a ASVG).

Damit wurde bewusst hinsichtlich der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG eine Abkehr von der früheren Rechtslage (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/08/0226) vorgenommen.

Lediglich das Ausmaß der Versicherungsmonate, das rückwirkend Berücksichtigung finden kann, wird mit 120 begrenzt. Dabei ist vom Zeitpunkt der Antragstellung "rückzurechnen", woraus folgt, dass vorrangig die zeitlich näher liegenden Monate Berücksichtigung zu finden haben."

5.2. Im Hinblick auf diese - zu einer ganz ähnlichen Sachverhaltskonstellation getätigten - Aussagen des Verwaltungsgerichtshofs ist auch das hier angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts behaftet und aus dem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

6. Die Zuerkennung des Aufwandersatzes beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Der zustehende Schriftsatzaufwand beläuft sich auf lediglich EUR 1.106,40. Eine Eingabengebühr war wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) nicht zu ersetzen.

Wien, am