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VwGH vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005

VwGH vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

Ra 2014/08/0026 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter und Richterinnen, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die außerordentliche Revision der Salzburger Gebietskrankenkasse in 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Reinhold Gsöllpointner, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunnerstraße 7a, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. L504 2005915- 1/2E, betreffend Beitragszuschlag gemäß § 113 ASVG (mitbeteiligte Partei: H P in B, vertreten durch Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier Mag. Manuel Vogler Rechtanwälte und Strafverteidiger OG in 5500 Bischofshofen, Mohshammerplatz 14), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse (SGKK) vom wurde der mitbeteiligten Partei wegen eines Verstoßes gegen die sozialversicherungsrechtliche Meldepflicht hinsichtlich der beschäftigen S A gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG ein Beitragszuschlag von EUR 1.300,-- vorgeschrieben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Berufung (richtig: Beschwerde) mit der Begründung, S A habe nicht in seinem Betrieb gearbeitet.

Mit Schreiben vom legte die SGKK dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der mitbeteiligten Partei vor und verwies darauf, dass im Rahmen einer Kontrolle durch das Finanzamt S Frau S A am im Betrieb der mitbeteiligten Partei bei Stickarbeiten angetroffen worden sei, ohne rechtmäßig zur Sozialversicherung gemeldet gewesen zu sein. Zur Bestreitung der mitbeteiligten Partei, dass S A in ihrem Betrieb nicht gearbeitet habe, nahm die Gebietskrankenkasse Stellung und führte dazu aus, die Dienstnehmerin habe am Tag der Betretung selbst ausgesagt, seit ca. zehn Tagen für täglich 5- 6 Stunden für die Firma "S" tätig zu sein. Die mitbeteiligte Partei habe angegeben, dass es sich bei dieser Tätigkeit lediglich um eine Probearbeit ohne Entgelt gehandelt habe, S A müsse erst auf die Stickmaschine eingeschult werden. Gegenständliches Dienstverhältnis unterliege, sei es auch nur auf kurze Zeit ausgelegt oder nur auf Probe abgeschlossen, jedenfalls der Sozialversicherungspflicht und wäre S A noch vor Aufnahme ihrer Tätigkeit beim zuständigen Sozialversicherungsträger zu melden gewesen. Die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit spiele keine Rolle, es gelte das Anspruchslohnprinzip.

Mit Spruchpunkt A des nunmehr angefochtenen Beschlusses hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Gebietskrankenkasse zurück.

Mit Spruchpunkt B wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

In der Begründung legte das Verwaltungsgericht zunächst den Gang des verwaltungsbehördlichen Verfahrens dar und stellte nach Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt der Gebietskrankenkasse fest, dass diese im angefochtenen Bescheid die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts unterlassen habe und ergänzende Ermittlungsschritte erforderlich seien. In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Verwaltungsgericht nach Zitierung der einschlägigen Verfahrensbestimmungen davon aus, dass Tatbestandsvoraussetzung und damit Vorfrage für die rechtskonforme Vorschreibung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG jedenfalls sei, dass es sich bei S A um eine bei der mitbeteiligten Partei beschäftigte Person handle, die der Pflichtversicherung im ASVG unterläge. Die SGKK habe es im angefochtenen Bescheid unterlassen, in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise darzutun, von welchen konkreten Tatsachenfeststellungen sie für diese Annahme ausgegangen sei und welche beweiswürdigenden Überlegungen sie angestellt habe. Mangels Wahrung des Parteiengehörs sei die mitbeteiligte Partei erstmals im angefochtenen Bescheid mit jenem mangelhaften Sachverhalt konfrontiert worden, den die SGKK ihre Entscheidung zugrunde gelegt habe; sie habe sich erst im Rahmen der Beschwerde dazu äußern können. Mangels Sachverhaltssubstanz und fehlender Begründung bzw. beweiswürdigender Auseinandersetzung im Bescheid könne der mitbeteiligten Partei damit auch nicht vorgeworfen werden, dass sie das Vorliegen einer Beschäftigung der genannten Person in ihrem Betrieb "bloß" bestreite und nicht näher konkretisiere. Zwar werde nicht verkannt, dass die SGKK bis das AVG nur in Teilbereichen anzuwenden gehabt habe, jedoch hätte sie gemäß § 357 ASVG jedenfalls auch § 60 AVG anzuwenden gehabt und sei nicht befreit gewesen, "die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen". Von der gesetzlichen Möglichkeit, diesen mangelhaften Bescheid bzw. das Verfahren nunmehr seit unter Vollanwendung des AVG durch eine Beschwerdevorentscheidung zu sanieren, habe die SGKK keinen Gebrauch gemacht. Durch teilweisen Nachtrag einer Begründung im Zuge einer Stellungnahme mit der Beschwerdevorlage vermöge sie den Mangel in der Bescheidbegründung nicht zu beheben. Insbesondere sei dies auch eine nachgetragene Begründung außerhalb des Bescheides, von der die mitbeteiligte Partei bislang keine Möglichkeit gehabt habe sich dazu zu äußern. Im weiteren Verfahren sei von der SGKK der mitbeteiligten Partei im Rahmen des zu wahrenden Parteiengehörs zu ermöglichen, vom Ergebnis ihrer Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und dazu Stellung zu beziehen. Ohne Gewährung von Parteiengehör könne nicht von einem Ermittlungsverfahren im Sinn des AVG gesprochen werden. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG könne nicht davon ausgegangen werden, dass der maßgebliche Sachverhalt für die Entscheidung dieses Falles feststehe. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären. Die Zurückverweisung im Rahmen des § 28 Abs. 3 VwGVG folge konzeptionell dem Zurückweisungstatbestand des § 66 Abs. 2 AVG, stelle im Unterschied dazu aber nicht auf die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung ab. Es finde zur Auslegung des § 28 Abs. 3 VwGVG im Wesentlichen die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG Anwendung. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängere, sei bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme. Es sei in erster Linie die Aufgabe der SGKK als Tatsacheninstanz zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln, ihre Begründung im Bescheid nachvollziehbar darzustellen und diese zentrale Aufgabe nicht etwa an das Bundesverwaltungsgericht auszulagern.

Zur Unzulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme, zumal § 28 Abs. 3 VwGVG im Wesentlichen § 66 Abs. 2 AVG entspreche.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Das Bundesverwaltungsgericht legte dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision unter Anschluss der Akten des Verfahrens zur Entscheidung vor. Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet. Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz als Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 3 VwGG hat eine auf die Frage des Aufwandersatzes beschränkte Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennt der Verwaltungsgerichtshof über Revisionen gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist eine Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

§ 34 Abs. 1a des Verwaltungsgerichtshofsgesetzes 1985, BGBl Nr 10/1985, in der Fassung der Novelle BGBl I Nr 122/2013 lautet:

"(1a) Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3) zu überprüfen."

1.2. Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil die Rechtsauffassung der Vorinstanz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht. Die Revision ist auch berechtigt.

2. Gegenstand des angefochtenen Beschlusses war ein Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG.

§ 28 Abs. 1 bis 4 VwGVG, BGBl I Nr 33/2013, lautet:

"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn


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1.
der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.
die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Mit der zugrunde liegenden Frage, unter welchen Voraussetzungen das jeweilige Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann, hat sich der Verwaltungsgerichtshof jüngst ausführlich in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0063, auseinandergesetzt.

Demnach ist Zielsetzung des § 28 VwGVG, dass angesichts des in dieser Bestimmung insgesamt verankerten Systems die bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

Hinsichtlich der näheren Ausführungen dazu wird auf das Erkenntnis Ro 2014/03/0063 im Sinn des § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

3. Angewendet auf den vorliegenden Revisionsfall lagen dem Bundesverwaltungsgericht die Erhebungen im Verwaltungsverfahren vor, insbesondere der Strafantrag der Finanzpolizei samt darin wiedergegebenen Stellungnahmen der Beschäftigten als auch der mitbeteiligten Partei. Ausgehend von der zuvor erwähnten Zusammenschau mit den Feststellungen des Bescheides, den dem Bescheid zugrunde liegenden Verwaltungsakten und dem Vorbringen in der Beschwerde wäre das Bundesverwaltungsgericht verhalten gewesen, seine meritorische Entscheidungszuständigkeit wahrzunehmen.

Wenngleich der erstinstanzliche Bescheid der SGKK in der Begründung dürftig ist, liegen jedoch brauchbare Ermittlungsergebnisse vor, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind. Krasse oder besonders gravierende Ermittlungslücken liegen aktenkundig nicht vor und werden vom Verwaltungsgericht auch nicht aufgezeigt.

In Anbetracht dessen, dass die Verwaltungsgerichte in ihrer Konzeption nun die erste gerichtliche Tatsacheninstanz sind, haben sie auf Basis von vorhandenen Ermittlungsergebnissen und allfälligen Ergänzungen in der Sache selbst zu entscheiden.

Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Beschluss als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Revisionswerberin gebührt kein Aufwandersatz, weil sie selbst Rechtsträgerin im Sinne des § 47 Abs. 5 VwGG ist.

Wien, am