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VwGH vom 23.05.2012, 2011/17/0253

VwGH vom 23.05.2012, 2011/17/0253

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde 1. der M und 2. der Mag. E, beide in W und vertreten durch Dr. Julia Ecker, Mag. Wilfried Embacher und Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom , Zl. BMLFUW.LE.4.3.2/0030- I/2/2011, betreffend Verhängung einer Zwangsstrafe gemäß § 111 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit der Erledigung des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria (AMA) vom wurden die Beschwerdeführerinnen darauf hingewiesen, dass für das Jahr 2010 Beitragserklärungen betreffend den Agrarmarketingbeitrag fehlten und überdies keine Zahlungen geleistet worden seien. Weiters heißt es darin: "Sollten Sie die fehlende Beitragserklärung nicht bis spätestens 14 Tage nach Erhalt dieses Schreibens einbringen, muss gegen Sie gemäß § 111 Bundesabgabenordnung eine Zwangsstrafe von EUR 72,00 festgesetzt werden."

1.2. Mit dem Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der AMA vom setzte dieser als Abgabenbehörde erster Instanz die mit der "Erinnerung" vom angedrohte Zwangsstrafe von EUR 72,-- gemäß § 111 BAO fest.

Begründend wurde ausgeführt, die Beitragserklärung für den Agrarmarketingbeitrag betreffend das Beitragsjahr 2010 und die Beitragsart "Weinbau" sei von den Beschwerdeführerinnen trotz des Schreibens vom nicht eingebracht worden.

1.3. In ihrer dagegen erhobenen Berufung verwiesen die Beschwerdeführerinnen auf § 184 BAO; aus dieser Bestimmung folgerten sie, dass die im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides angeordnete Festsetzung einer Zwangsstrafe mit der Aufforderung zur Abgabe einer Abgabenerklärung nicht für die Berechnung (des Agrarmarketingbeitrages) erforderlich seien.

1.4. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde "betreffend die Verhängung einer Zwangsstrafe in der Höhe von EUR 74,-- wegen nicht vorgelegter AMA-Beitragserklärungen sowie wegen der Aufforderung zur Vorlage der Beitragserklärungen" aus, dass die Berufung als unbegründet abgewiesen werde und die Berufungswerberinnen aufgefordert würden, innerhalb von zwei Wochen ab Erhalt dieses Bescheides "die aushaftende Summe von EUR 74,-- an die AMA" auf ein näher angeführtes Konto bei sonstiger Exekution zu überweisen; weiters sei die Beitragserklärung gemäß §§ 21a ff AMA-Gesetz bei der AMA einzubringen, andernfalls die AMA das Recht habe, den doppelten Zwangsbetrag einzufordern.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerinnen seien von der AMA aufgefordert worden, die AMA-Beitragserklärungen für Weinbau betreffend das Jahr 2010 auszufüllen und an die AMA zu senden. Da dies nicht innerhalb der entsprechenden Frist erfolgt sei, habe die AMA gemäß den Bestimmungen der §§ 21a ff des AMA-Gesetzes eine Zwangsstrafe in der Höhe von EUR 72,-- festgesetzt.

Zum Berufungsvorbringen führte die belangte Behörde aus, für die AMA-Beiträge sei § 184 BAO "nicht als Rechtsgrundlage heranzuziehen". Der AMA-Beitrag sei im AMA-Gesetz geregelt, es gebe zur Auslegung der hier aufgeworfenen Fragen "ausreichende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die diese Fragen ausreichend" kläre.

Der AMA-Beitrag sei eine Selbstbemessungsabgabe; die Pflicht zur Vorlage der Abgabenerklärung treffe die in den §§ 21a ff des AMA-Gesetzes genannten Beitragspflichtigen und somit auch die Bewirtschafter von Weingartenflächen. Die Beitragserklärung sei jährlich einzubringen. Sollten Weingartenflächen stillgelegt werden, so hätten die Beitragspflichtigen die Möglichkeit, dies der AMA mitzuteilen, um zu Unrecht eingeforderte Beitragserklärungen zu vermeiden. Die Beschwerdeführerinnen hätten jedoch nicht vorgebracht, dass sie die Weingartenfläche stillgelegt hätten, sondern sie hätten sich nur auf den hier nicht anzuwendenden § 184 BAO berufen, weshalb der Berufung nicht stattzugeben gewesen sei.

1.5. Die Beschwerdeführerinnen bekämpfen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Das Bundesgesetz über die Errichtung der Marktordnungsstelle "Agrarmarkt Austria" (AMA-Gesetz 1992), BGBl. Nr. 376/1992 in der hier anzuwendenden Fassung durch BGBl. I Nr. 2/2008, regelt den Agrarmarketingbeitrag in seinem

2. Abschnitt, in den §§ 21a ff. Nach § 21c Abs. 1 Z. 8 leg. cit. unterliegt die Bewirtschaftung von Weingartenflächen dem Agrarmarketingbeitrag. Dabei beträgt nach § 21d Abs. 3 leg. cit. der Beitrag EUR 55,-- je Hektar Weingartenfläche (Flächenbeitrag) und EUR 1,10 je 100 Liter Wein (Literbeitrag).

Beitragsschuldner des Agrarmarketingbeitrags ist gemäß § 21e Abs. 1 Z. 9 AMA-Gesetz für Wein hinsichtlich des Flächenbeitrags der Bewirtschafter der Weingartenflächen, die je Bewirtschafter ein Gesamtausmaß von 0,5 ha übersteigen, sowie hinsichtlich des Literbeitrags die Winzergenossenschaft oder der Inhaber des Handelsbetriebes, die (der) Wein erstmals in Verkehr bringt.

Die Beitragsschuld für den Agrarmarketingbeitrag entsteht gemäß § 21f Abs. 1 Z. 5 lit. c leg. cit. im hier maßgeblichen Fall des § 21c Abs. 1 Z. 8 dieses Gesetzes jeweils am 1. Jänner für die im vorangegangenen Kalenderjahr bewirtschafteten Weingartenflächen.

§ 21g regelt näher die Beitragserklärung; sein Abs. 1 lautet wie folgt:

"(1) Der Beitragsschuldner hat bis zu dem in § 21f Abs. 2 oder 3 genannten Termin unter Verwendung eines hiefür von der AMA aufgelegten Vordrucks eine Beitragserklärung einzureichen, in der er in den Fällen des § 21f Abs. 1 Z 1 bis 3 den für den Vormonat zu entrichtenden Beitrag, in den Fällen des § 21f Abs. 1 Z 5 lit. a den für das laufende Jahr und in den Fällen des § 21f Abs. 1 Z 5 lit. b und c den für das Vorjahr und in den Fällen des § 21f Abs. 1 Z 4 und 6 den für die jeweils vorangehenden drei Monate zu entrichtenden Beitrag selbst zu berechnen hat."

Wird der Beitrag vom Beitragsschuldner nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Höhe entrichtet, so hat gemäß § 21g Abs. 2 AMA-Gesetz die AMA den Beitrag mit Bescheid vorzuschreiben.

In § 21h Abs. 1 AMA-Gesetz sind Aufzeichnungspflichten des Beitragsschuldners näher geregelt.

Die Beitragserhebung obliegt gemäß § 21i Abs. 1 leg. cit. der AMA, wobei gemäß Abs. 2 leg. cit. gegen Bescheide der AMA auf Grund dieses Abschnittes eine Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zulässig ist.

Nach § 21i Abs. 3 AMA-Gesetz sind die AMA und der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft bei der Vollziehung dieses Abschnitts Abgabenbehörden im Sinne des § 49 Abs. 1 BAO in der jeweils geltenden Fassung; weiters ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Oberbehörde bei Ausübung des Aufsichtsrechts.

Nach § 21l Abs. 1 AMA-Gesetz ist - sofern die Tat nicht dem Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist - wegen einer Verwaltungsübertretung von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu EUR 3.630,-- zu bestrafen, wer (Z. 1) seinen Verpflichtungen (unter anderem) gemäß § 21g Abs. 1 leg. cit. nicht nachkommt. Abs. 2 erster Satz leg. cit. erklärt auch den Versuch für strafbar.

§ 111 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 in der Fassung durch BGBl. I Nr. 99/2007, befasst sich mit den Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen. Er lautet wie folgt:

"(1) Die Abgabenbehörden sind berechtigt, die Befolgung ihrer auf Grund gesetzlicher Befugnisse getroffenen Anordnungen zur Erbringung von Leistungen, die sich wegen ihrer besonderen Beschaffenheit durch einen Dritten nicht bewerkstelligen lassen, durch Verhängung einer Zwangsstrafe zu erzwingen. Zu solchen Leistungen gehört auch die elektronische Übermittlung von Anbringen und Unterlagen, wenn eine diesbezügliche Verpflichtung besteht.

(2) Bevor eine Zwangsstrafe festgesetzt wird, muß der Verpflichtete unter Androhung der Zwangsstrafe mit Setzung einer angemessenen Frist zur Erbringung der von ihm verlangten Leistung aufgefordert werden. Die Aufforderung und die Androhung müssen schriftlich erfolgen, außer wenn Gefahr im Verzug ist.

(3) Die einzelne Zwangsstrafe darf den Betrag von 5 000 Euro nicht übersteigen.

(4) Gegen die Androhung einer Zwangsstrafe ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig."

Die Schätzung der Grundlagen für die Abgabenerhebung ist in § 184 BAO (in der Stammfassung) wie folgt geregelt:

"(1) Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.

(3) Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen."

Nach § 133 Abs. 1 BAO bestimmen die Abgabenvorschriften, wer zur Einreichung einer Abgabenerklärung verpflichtet ist. Zur Einreichung ist ferner verpflichtet, wer hiezu von der Abgabenbehörde aufgefordert wird. Die Aufforderung kann auch durch Zusendung von Vordrucken der Abgabenerklärungen erfolgen.

2.2. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht, dass sie zur Abgabe von Abgabenerklärungen auch unter Androhung einer Zwangsstrafe von EUR 72,-- aufgefordert wurden. Sie wären daher zur Abgabe der geforderten Erklärung verpflichtet gewesen, zumal sie auch eine unter die Agrarmarketingbeitragspflicht fallende Tätigkeit nicht bestritten haben (insofern unterscheidet sich der vorliegende Beschwerdefall von dem, den der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2008/17/0177, zu entscheiden hatte).

Die Beschwerdeführerinnen haben in ihrer Berufung (nur) auf die Schätzung durch die Abgabenbehörden im Sinne des § 184 BAO verwiesen. Die Möglichkeit zur Schätzung im Sinne der genannten Bestimmung befreit jedoch den Abgabepflichtigen nicht von der Verbindlichkeit, eine gesetzlich vorgesehene Abgabenerklärung zu erstatten (vgl. zur Schätzung bei einer Selbstbemessungsabgabe etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/17/0127).

Trotz dem die Beschwerdeführerinnen nach dem soeben Gesagten grundsätzlich zur Abgabe der geforderten Erklärung verpflichtet waren, und daher zu Recht von der Abgabenbehörde mit dem erstinstanzlichen Bescheid - nach vorhergehender Androhung der Verhängung einer Zwangsstrafe - hiezu verhalten wurden, erweist sich der angefochtene Bescheid dennoch als rechtswidrig:

Die Beschwerdeführerinnen haben vor dem Verwaltungsgerichtshof zutreffend darauf hingewiesen, dass die Abgabenbehörde erster Instanz die Verhängung einer Zwangsstrafe von EUR 72,-- angedroht und auch (nur) eine Zwangsstrafe in dieser Höhe verhängt hat; die belangte Behörde hat jedoch nach ihrem Spruch eine Zwangsstrafe in der Höhe von EUR 74,-- verhängt.

Nach herrschender Ansicht (vgl. Ritz , BAO4 Rz 7 zu § 111 mit weiteren Nachweisen) ist die angedrohte Höhe der Zwangsstrafe gleichzeitig die Obergrenze für deren Festsetzung; sie begrenzt daher auch die bestehende Änderungsbefugnis im Rechtsmittelverfahren. Dies bedeutet aber, dass ein Überschreiten der angedrohten Höhe der Zwangsstrafe durch die Berufungsbehörde deren Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet. Für den Beschwerdefall ist somit davon auszugehen, dass die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Fassung des Spruches rechtswidrig ist.

2.3. Der angefochtene Bescheid erwies sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.4. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war auch nicht unter dem Aspekt des Art. 6 MRK erforderlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/14/0079).

2.5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am