VwGH vom 30.06.2011, 2007/07/0169
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Beck, Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde des Bundes, vertreten durch das Zollamt P, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. RU4-B-153/001-2006, betreffend Zurückweisung eines Antrages nach § 10 ALSAG (mitbeteiligte Partei: J Steinmetzmeister GmbH Co KG in S, vertreten durch NH Niederhuber Hager Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wollzeile 24), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Schriftsatz vom stellte der Bund, vertreten durch das Zollamt K. (nunmehr Zollamt P. und in der Folge als beschwerdeführende Partei bezeichnet), bei der Bezirkshauptmannschaft G. (kurz: BH) einen Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß § 10 des Altlastensanierungsgesetzes (ALSAG). Beantragt wurde die Feststellung, ob der von der mitbeteiligten Partei "zwischengelagerte" Steinsägen- und Steinschleifschlamm Abfall sei (Punkt 1), ob dieser dem Altlastenbeitrag unterliege (Punkt 2), welche Abfallkategorie gemäß § 6 Abs. 1 ALSAG oder welcher Deponietyp gemäß § 6 Abs. 4 leg. cit. vorliege (Punkt 3) und, ob die Voraussetzungen vorlägen, die Zuschläge gemäß § 6 Abs. 2 oder 3 leg. cit. nicht anzuwenden (Punkt 4).
Die BH holte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine Stellungnahme des Amtssachverständigen für Chemie-Abfalltechnik ein; darin führte dieser (u.a.) Folgendes aus:
"Die antragsgegenständlichen Steinschleif- und Steinsägeschlämme stellen jedenfalls Abfälle dar, da eine Entledigungsabsicht durch Verbringen auf eine entsprechende Deponie vorliegt. Gemäß der 'Abfallverzeichnisverordnung', BGBl. II Nr. 570/2003 i.d.F.v. BGBl. II Nr. 89/2005 sind diese Abfälle der Schlüssel-Nummer 31602 der ÖNORM S 2100 als nicht gefährlicher Abfall zuzuordnen. …
Da die Steinschleif- und Steinsägeschlämme offensichtlich bereits mehr als ein Jahr gelagert sind und eine Verwertung dieser Rückstände nicht erfolgt, ist für diese Lagerung gemäß § 3 Abs. 1 Zif 3 ein Altlastenbeitrag zu entrichten. …
Zur Frage, welcher Abfallkategorie gemäß § 6 Abs. 1 ALSAG die gelagerten Steinschleif- und Steinsägeschlämme einzureihen sind oder welcher Deponietyp gemäß § 6 Abs. 4 ALSAG vorliegt, wird festgestellt, dass den vorgelegten Unterlagen keine Untersuchungen dieser Abfallstoffe zu entnehmen sind, die eine Aussage erlauben, welcher Abfallkategorie oder welchem Deponietyp diese Abfälle zuzuordnen sind. …
Da die gegenständliche Steinschleif- und Steinsägeschlämme offensichtlich nicht auf einer für die Abfälle genehmigten Deponie langfristig abgelagert werden, liegen keine Voraussetzungen vor, die Zuschläge gemäß § 6 Abs. 2 und 3 ALSAG nicht anzuwenden."
Die BH legte dieses Gutachten der beschwerdeführenden Partei im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme vor und forderte diese unter einem auf, ihren "Antrag … durch Vorlage eines Untersuchungsberichtes, aus dem die Parameter zur Einstufung nach § 6 ALSAG i.V.m. der Deponieverordnung ersichtlich sind, zu verbessern."
Die beschwerdeführende Partei gab mit Schreiben vom eine Stellungnahme zu diesem Gutachten ab und führte darin (u.a.) Folgendes aus:
"Nach ho. Beurteilung der Textierung des § 10 (1) ALSAG … in Verbindung mit § 21 ALSAG … lässt sich keine Zuständigkeit des Zollamtes K. zur Bereitstellung eines Gutachtens … ableiten.
Da dieses Gutachten eine Grundlage für die Erstellung eines Feststellungsbescheides durch die Bezirksverwaltungsbehörde bildet und seitens des h.o. Amtes Zweifel im Sinne der o.a. Ausführungen bestehen, ist nach h.o. Ansicht die Bezirksverwaltungsbehörde zur Beibringung allfälliger Gutachten oder anderer Informationen zur Erstellung eines Feststellungsbescheides zuständig.
Wir ersuchen daher, die Erstellung eines Gutachten Ihrerseits zu veranlassen und in deren Folge wie beantragt einen Feststellungsbescheid zu erlassen."
Mit Bescheid vom wies die BH den Antrag der beschwerdeführenden Partei vom gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurück.
Die beschwerdeführende Partei erhob dagegen Berufung.
Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung keine Folge.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird u. a. ausgeführt, dass die BH "nach den Grundsätzen der Offizialmaxime und der Erforschung der materiellen Wahrheit gehandelt" habe. Die belangte Behörde sei gestützt auf die Ausführungen des von der BH beigezogenen Amtssachverständigen davon ausgegangen, dass die Vorlage eines Untersuchungsberichtes die Grundlage für ein sodann vom Amtssachverständigen zu erstellendes Gutachten bilde und dies "in den Bereich der Mitwirkungspflicht" der beschwerdeführenden Partei falle. Formale Fehler seien im Verfahren nicht festgestellt worden, das Parteiengehör gemäß § 45 AVG sei gewahrt worden und die für die Verbesserung des Antrages im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG eingeräumte Frist sei ausreichend bemessen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Beschwerdelegitimation:
Der im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung für die Legitimation zur Erhebung der Amtsbeschwerde maßgebliche § 10 Abs. 3 ALSAG, in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 151/1998, lautete:
"Dem Bund, vertreten durch das Hauptzollamt, wird das Recht eingeräumt, Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben."
§ 10 Abs. 3 ALSAG, in der Fassung der Novellen BGBl. I Nr. 151/1998 und BGBl. I Nr. 40/2008 (in Kraft getreten am ), lautet nunmehr:
"Dem Bund, vertreten durch das Zollamt, wird das Recht eingeräumt, Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben."
Der Bund in seiner Eigenschaft als Abgabengläubiger ist somit - ungeachtet der veränderten Bestimmungen zu dessen Vertretung - Partei im Feststellungsverfahren nach § 10 ALSAG (vgl. zur Parteistellung nach § 10 ALSAG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/07/0065).
Die Beschwerde ist somit zulässig.
2. Zum Beschwerdevorbringen:
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die belangte Behörde zu Recht die von der BH gemäß § 13 Abs. 3 AVG ausgesprochene Zurückweisung des Antrages der beschwerdeführenden Partei bestätigt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes korrespondiert mit dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens eine Verpflichtung der Partei, an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken, wenn der amtswegigen behördlichen Erhebung im Hinblick auf die nach den materiell-rechtlichen Verwaltungsvorschriften zu beachtenden Tatbestandsmerkmale faktische Grenzen gesetzt sind (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rn. 9 ff, sowie bei Walter/Thienel,
Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 16 ff und 125 ff zu § 39 AVG, wiedergegebene Rechtsprechung).
Wenn auch die Partei eines Verwaltungsverfahrens, wenn sie ihrer Nähe zur Sache wegen näher am Beweis ist, eine entsprechende Mitwirkungsverpflichtung trifft, so entbindet diese die Behörde nicht davon, von sich aus für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/07/0074, m. w.N.)
Die Mitwirkungspflicht der Partei geht im Ergebnis keinesfalls so weit, dass sich die Behörde die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens ersparen könnte (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rn. 11, m.w.N.).
Dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden, ist es Aufgabe der Behörde, der Partei mitzuteilen, mit welchen Angaben sie ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes zu entsprechen hätte und sie aufzufordern, für ihre Angaben Beweise anzubieten. Die nicht gehörige Mitwirkung unterliegt dann der freien Beweiswürdigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/03/0340, m.w.N.).
Soweit nun die belangte Behörde der Ansicht ist, es liege im "Bereich der Mitwirkungspflicht" der beschwerdeführenden Partei, einen Untersuchungsbericht vorzulegen, der es in weiterer Folge dem Amtssachverständigen erlaube, zu beurteilen, welcher Abfallkategorie oder welchem Deponietyp diese Abfälle zuzuordnen seien, so vermag die belangte Behörde nicht einleuchtend darzulegen, aus welchen Gründen die beschwerdeführende Partei als "näher am Beweis" gelegen anzusehen sei. Unstrittig ist, dass die beschwerdeführende Partei den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat und Partei des Verwaltungsverfahrens ist. Daraus ergibt sich aber noch nichts zu der Frage, ob diese auch "näher am Beweis" liegt. Ganz im Gegenteil dazu hat die beschwerdeführende Partei im Rahmen ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass sie (rechtlich) nicht in der Lage sei, die geforderten Unterlagen vorzulegen. Anhaltspunkte, dass die von der belangten Behörde geforderten Unterlagen Umstände betreffen, die in der Sphäre der beschwerdeführenden Partei liegen würden, lassen sich den Verwaltungsakten nicht entnehmen.
Indem die belangte Behörde die ihr möglichen und zumutbaren Ermittlungen (hinsichtlich § 10 Abs. 1 Z 4 und 6 ALSAG) unterlassen hat, verkannte sie die Rechtslage und belastete den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-91080