VwGH vom 19.03.2015, Ra 2014/06/0033

VwGH vom 19.03.2015, Ra 2014/06/0033

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag.a Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision 1. der A W und 2. des R W, beide in S, beide vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom , Zl. LVwG- 3/27/7-2014, betreffend Beseitigungsauftrag (mitbeteiligte Parteien: 1. G S und 2. Ing. R S, beide vertreten durch Dr. Sonja Moser, Rechtsänwaltin in 5020 Salzburg, Mühlbacherhofweg 4/11; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevertretung der Gemeinde S; weitere Partei: Salzburger Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Gemeinde S hat den revisionswerbenden Parteien zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/06/0087, und auf den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2014/06/0032, verwiesen. Demnach stellten die revisionswerbenden Parteien mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG hinsichtlich des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S vom , mit dem den mitbeteiligten Parteien die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses erteilt worden war.

Diese Wiederaufnahme lag im Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Erkenntnisses nicht vor.

Gegenstand des anhängigen Verfahrens sind mehrere Anträge der revisionswerbenden Parteien vom , , , , und auf Erlassung baupolizeilicher Aufträge gemäß § 16 Baupolizeigesetz - BauPolG.

Diese wurden mit Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde S vom (Beschlussfassung am ) als gemäß § 73 AVG zuständig gewordene sachlich in Betracht kommende Oberbehörde sowohl hinsichtlich der Anträge auf Einstellung der Ausführung der baulichen Maßnahmen als auch hinsichtlich der Anträge auf Erlassung von Beseitigungsaufträgen abgewiesen. Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, die Bauhöhen und die gesetzlichen Mindestabstände zur Liegenschaft der revisionswerbenden Parteien seien unter Zugrundelegung des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S vom eingehalten worden. Daraus folge, dass die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 16 BauPolG nicht vorlägen.

Die von den revisionswerbenden Parteien dagegen eingebrachte Vorstellung, die ab als Beschwerde an das LVwG zu werten war, wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis (vom ) abgewiesen. Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, gemäß § 16 Abs. 6 BauPolG komme es lediglich darauf an, welche Abstände rechtskräftig bewilligt worden seien und welche Abstände tatsächlich vorlägen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/06/0024). Im Gegensatz zum Verfahren betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens sei hinsichtlich eines Beseitigungsauftrages ohne Belang, wann die revisionswerbenden Parteien Kenntnis von einer ihrer Ansicht nach bescheidwidrigen Ausführung des Bauvorhabens erlangt hätten. Im vorliegenden Fall ließen sich keine Abweichungen zwischen den rechtskräftig bewilligten und den tatsächlich vorliegenden Abständen in Bezug auf das Projekt der mitbeteiligten Parteien zum Grundstück der revisionswerbenden Parteien ausmachen. Mangels Wiederaufnahme des Baubewilligungsverfahrens liege eine rechtskräftige Baubewilligung vor. Basierend auf dieser Bewilligung sei das Objekt der mitbeteiligten Parteien errichtet worden. Selbst wenn man auf Grund einer anderen Darstellung des Urgeländes zu einer anderen Beurteilung hinsichtlich des Kellergeschosses gelangte, ändere dies nichts an der seinerzeitigen Bewilligungsfähigkeit und der hierauf erfolgten Errichtung des Objektes der mitbeteiligten Parteien. Entsprechend der rechtskräftigen Baubewilligung aus dem Jahr 2007 sei das Kellergeschoss nicht als oberirdisches Geschoss zu beurteilen. Dem Vorbringen, das Verfahren sei rechtskräftig wiederaufgenommen worden, sei zu entgegnen, dass die mitbeteiligten Parteien gegen die bewilligte Wiederaufnahme fristgerecht Vorstellung erhoben hätten und dieser Folge gegeben worden sei. Die gegen diesen Vorstellungsbescheid erhobene Beschwerde sei nach wie vor beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.

Der Sachverhalt ergebe sich aus dem Akt der vor dem LVwG belangten Behörde. Aus diesem Grund werde gemäß § 44 Abs. 3 Z 4 (gemeint wohl: § 24) VwGVG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung Abstand genommen, weil eine solche eine weitere Klärung der Sach- und Rechtslage nicht erwarten lasse.

Schließlich erklärte das LVwG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der beantragt wurde, der Verwaltungsgerichtshof wolle "in Stattgebung dieser Revision das angefochtene Erkenntnis des

Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom , ... in

gänzlicher Stattgebung der erstatteten Anträge vom , , , , , und abändern oder das Erkenntnis aufheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Unterbehörde zurückverweisen".

Das LVwG legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Die mitbeteiligten Parteien beantragten, der Revision keine Folge zu geben, diese ab- bzw. zurückzuweisen und in eventu eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. In weiterer Folge legten sie u. a. das Erkenntnis des LVwG vom vor, in dem unter anderem der Wiederaufnahmeantrag betreffend den Bescheid vom als unzulässig zurückgewiesen wurde.

Auch die revisionswerbenden Parteien gaben mehrere Stellungnahmen ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 16 Salzburger Baupolizeigesetz 1997, LGBl. Nr. 40/1997, in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 31/2009, lautet auszugsweise:

" Folgen der bescheidwidrigen oder nicht

bewilligten Ausführung baulicher Maßnahmen

§ 16

(1) ...

(3) Ist eine bauliche Anlage ohne Bewilligung ausgeführt oder ist ihre Bewilligung nachträglich aufgehoben worden, so hat die Baubehörde dem Eigentümer und allenfalls auch dem Veranlasser aufzutragen, die bauliche Anlage binnen einer angemessenen Frist zu beseitigen. Wird ein Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung gestellt, darf eine Vollstreckung des Beseitigungsauftrages nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden. Bei Versagung der nachträglichen Bewilligung beginnt die Frist zur Beseitigung ab Rechtskraft des Versagungsbescheides neu zu laufen.

(4) ...

(6) Wird durch eine bescheidwidrige oder nicht bewilligte Ausführung einer baulichen Maßnahme gegen eine Bestimmung betreffend Abstände zu der Grenze des Bauplatzes oder zu anderen Bauten verstoßen, so steht dem hiedurch in seinen subjektivöffentlichen Rechten verletzten Nachbarn das Recht der Antragstellung auf behördliche Maßnahmen nach Abs. 1 bis 4 zu. Dies gilt nicht, wenn die bauliche Anlage 20 oder mehr Jahre ab Vollendung der baulichen Maßnahme, bei Bauten ab Aufnahme der auch nur teilweisen Benützung besteht. Der Antrag hat solche Gründe zu enthalten, die einen Verstoß gegen Abstandsbestimmungen als wahrscheinlich erkennen lassen.

(7) ..."

Sowohl die Baubehörden als auch das LVwG gingen zutreffend von einer Antragsbefugnis und somit Parteistellung der beschwerdeführenden Parteien betreffend die gegenständlichen baupolizeilichen Aufträge auf Grund der behaupteten Verletzung von Abstandsvorschriften aus (vgl. dazu die Ausführungen bei Giese , Salzburger Baurecht, Rz 36 zu § 7 BaupolG).

In ihrer Begründung der außerordentlichen Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG bzw. Art. 133 Abs. 4 B-VG führten die revisionswerbenden Parteien unter anderem das Unterlassen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das LVwG an. Die revisionswerbenden Parteien hätten das der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsmittel als Vorstellung eingebracht, weil zum Zeitpunkt der Einbringung das VwGVG noch nicht in Geltung gestanden und es nicht möglich gewesen sei, die Anberaumung einer Verhandlung zu beantragen. Das LVwG wäre jedoch verpflichtet gewesen, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, weil dies dem Grundsatz der materiellen Wahrheit dienlich gewesen wäre. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hätten die revisionswerbenden Parteien darlegen können, dass die Verletzung der Abstandsvorschriften keineswegs auf eine unterschiedliche Definition des Urgeländes zurückzuführen sei, sondern dass eine Divergenz zwischen der bewilligten Ausführung einerseits und der tatsächlichen Ausführung andererseits vorliege. Eine hg. Judikatur zu der Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen das LVwG zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung von Amts wegen verpflichtet sei, wenn Revisionswerber das Rechtsmittel auf Grund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesetzeslage noch als Vorstellung einzubringen gehabt hätten und daher die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gar nicht möglich gewesen sei, liege nicht vor. Da im gegenständlichen Verfahren wesentliche Beweismittel des umfangreichen Behördenaktes nicht berücksichtigt worden seien, wäre die Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Erforschung der materiellen Wahrheit und zur Wahrung des Parteiengehörs unumgänglich gewesen.

Bereits auf Grund dieser Ausführungen ist die Revision zulässig; sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom S. 389 entgegenstehen.

(5) ..."

Im gegenständlichen Fall führten die revisionswerbenden Parteien in ihrer noch an die Aufsichtsbehörde gerichteten Vorstellung (die ab als Beschwerde an das LVwG zu werten ist) aus, ihr Vorbringen in Bezug auf die bescheidwidrige Ausführung des Bauvorhabens sei völlig außer Acht gelassen worden, die Verletzung der Abstandsvorschriften sei infolge einer bescheidwidrigen Ausführung des Objektes erfolgt und die tatsächliche Ausführung des Objektes entspreche keineswegs den bewilligten Baumaßnahmen.

Im Hinblick auf dieses sachverhaltsbezogene Vorbringen der revisionswerbenden Parteien hätte das LVwG eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG steht nämlich nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/21/0019). Davon, dass (im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG) eine weitere Klärung der Rechtssache durch die mündliche Erörterung nicht zu erwarten war, konnte im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, zumal auch im angefochtenen Erkenntnis nicht nachvollziehbar dargelegt wurde, auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse von der Einhaltung der Mindestabstände unter Zugrundelegung des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S vom auszugehen sei.

Das angefochtene Erkenntnis war daher schon auf Grund der unterlassenen Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

Angesichts dessen konnte die Durchführung der von den mitbeteiligten Parteien beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am