VwGH vom 24.05.2016, Ra 2014/05/0057
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des T S in W, vertreten durch Hasberger Seitz Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gonzagagasse 4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-111/026/24069/2014, betreffend Versagung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom wurde der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 (im Folgenden: Magistrat), mit dem auf der Liegenschaft EZ 164 der KG G der Bau eines einstöckigen, unterkellerten Wohngebäudes mit einem ausgebauten Dachgeschoß inklusive zweier Treppenhausvorbauten iSd § 84 Abs. 2 lit. a Bauordnung für Wien (BO) bewilligt worden war, rechtskräftig bestätigt. Abweichend vom bewilligten Bauvorhaben wurde am die Bewilligung zweier Türvorbauten (vor zwei Treppenhäusern) beantragt. Mit Bescheid des Magistrates vom wurde die Bewilligung dieser eingereichten Bauteile versagt.
Die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde wurde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom als unbegründet abgewiesen. Ferner erklärte das Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
Dazu führte es nach Hinweis auf einzelne Bestimmungen der BO - darunter § 84 Abs. 1 und 2 BO - im Wesentlichen aus, dass aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2007/05/0143, nicht geschlossen werden könne, dass die beantragte Bauführung zulässig sei. Aus dem genannten Erkenntnis lasse sich ableiten, dass eine Kumulierung von in § 84 Abs. 2 lit. a und lit. b BO genannten Baulichkeiten ausgeschlossen sei. Unter "Kumulierung" sei sowohl eine Kumulierung nebeneinander als auch in die Tiefe, also hintereinander zu verstehen. Dies ergebe sich daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof keine qualitative Unterscheidung hinsichtlich des Wesens der Kumulierung getroffen habe und der Gerichtshof eine solche Unterscheidung getroffen hätte, wenn er dies beabsichtigt hätte. Besonders die vom Verwaltungsgerichtshof verwendete Terminologie, dass es keinen Anhaltspunkt gebe, dass eine "in lit. b genannte Baulichkeit zusätzlich zu einer nach lit. a oder lit. b bereits vorragende Baulichkeit hinausgehend vorragen dürfte", lasse darauf schließen, dass diese Rechtsprechung auch auf eine Kumulierung in die Tiefe anzuwenden sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.
Der Magistrat erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig zurück- oder allenfalls als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Revisionswerber bringt vor, dass es an einer Rechtsprechung betreffend die Kumulierung von Bauteilen gemäß § 84 Abs. 2 lit. a BO mit Bauteilen gemäß § 184 lit. a oder lit. b BO (gemeint wohl: § 84 Abs. 2 lit. a oder lit. b BO) bei Einhaltung der dort genannten Beschränkungen und Anordnung (von der Fassade des Hauses aus gesehen) hintereinander mangle.
Das vom Verwaltungsgericht zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 2007/05/0143, das sich gegen eine Kumulierung ausspreche, beziehe sich nur auf eine Überschreitung der Drittelbegrenzung des § 84 BO, welche zu einer nicht erwünschten Totalverbauung führe. Die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Ansicht, eine Kumulierung sei nicht zulässig, sei nur im Hinblick auf die Einhaltung der Drittelbeschränkung des § 84 BO getroffen worden, weshalb noch keine Rechtsprechung zur Kumulierung von Bauteilen iSd § 84 Abs. 2 lit. a und lit. b BO unter Einhaltung der Drittelbeschränkung des § 84 BO vorliege.
2. Die relevanten Bestimmungen der BO LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 25/2014 lauten auszugsweise:
" Bauweisen; bauliche Ausnützbarkeit
§ 76.
...
(10) Im Wohngebiet und im gemischten Baugebiet mit Ausnahme der Geschäftsviertel und Betriebsbaugebiete darf bei offener, bei offener oder gekuppelter, bei gekuppelter und bei der Gruppenbauweise das Ausmaß der bebauten Fläche nicht mehr als ein Drittel der Bauplatzfläche betragen. Außerdem darf die bebaute Fläche von Gebäuden in der Bauklasse I nicht mehr als 470 m2, in der Bauklasse II nicht mehr als 700 m2 betragen. Bei gekuppelter Bauweise ist diese Fläche, sofern die Bauplatzeigentümer nicht nachweislich ein anderes Aufteilungsverhältnis vereinbart haben, auf die beiden Bauplätze nach dem Verhältnis der Bauplatzflächen aufzuteilen, wobei aber auf den kleineren Bauplatz in der Bauklasse I eine bebaubare Fläche von mindestens 100 m2, in der Bauklasse II eine bebaubare Fläche von mindestens 150 m2 entfallen muss; in beiden Bauklassen darf die bebaubare Fläche jedoch nicht mehr als ein Drittel der Fläche des Bauplatzes betragen. Die Vereinbarung eines anderen Aufteilungsverhältnisses ist im Grundbuch auf den Einlagen der beiden Bauplätze anzumerken.
...
Bebaute Fläche
§ 80. (1) Als bebaute Fläche gilt die senkrechte Projektion des Gebäudes einschließlich aller raumbildenden oder raumergänzenden Vorbauten auf eine waagrechte Ebene; als raumbildend oder raumergänzend sind jene Bauteile anzusehen, die allseits baulich umschlossen sind oder bei denen die bauliche Umschließung an nur einer Seite fehlt. Unterirdische Gebäude oder Gebäudeteile bleiben bei der Ermittlung der bebauten Fläche außer Betracht.
(2) Vor die Gebäudefront ragende Gebäudeteile der in § 84 Abs. 1 und 2 genannten Art und in dem dort bezeichneten Ausmaß bleiben bei der Ermittlung der bebauten Fläche außer Betracht, gleichgültig, ob sie über Baufluchtlinien ragen oder nicht; überschreiten solche Gebäudeteile das genannte Ausmaß, sind sie zur Gänze nach Abs. 1 zu beurteilen. Erker, Balkone und Loggien, unter denen nicht überall eine freie Durchgangshöhe von mindestens 2,10 m gewährleistet ist, sind der bebauten Fläche voll zuzurechnen.
...
Bauteile vor den Baufluchtlinien und in Abstandsflächen und Vorgärten
§ 84.
...
(2) Über Baufluchtlinien, in die Abstandsflächen, in Vorgärten und in Abstände gemäß § 79 Abs. 5 erster Satz dürfen außerdem folgende Gebäudeteile vorragen:
a) auf eine Breite von höchstens einem Drittel der betreffenden Gebäudefront Erker, Treppenhausvorbauten und Aufzugsschächte sowie auf eine Breite von höchstens der Hälfte der betreffenden Gebäudefront Balkone, sofern die Ausladung der Balkone höchstens 2,50 m und der anderen Bauteile höchstens 1,50 m beträgt und sie von den Nachbargrenzen einen Abstand von wenigstens 3 m, im Gartensiedlungsgebiet von mindestens 2 m, einhalten; die sich daraus für Erker ergebende Kubatur an einer Gebäudefront kann unter Einhaltung dieser Ausladung und des Abstandes von Nachbargrenzen an dieser Front frei angeordnet werden. An Gebäuden, deren Gebäudehöhe nach den Bestimmungen des § 75 Abs. 4 und 5 zu bemessen ist, dürfen solche Vorbauten, mit Ausnahme von Balkonen, an den Straßenfronten nur eine Ausladung von höchstens 1 m aufweisen. Darüber hinaus sind Abschattungsvorrichtungen sowie bis zu insgesamt zwei Drittel der Gebäudefront Balkone im Sinne des ersten Halbsatzes über gärtnerisch auszugestaltenden Flächen, ausgenommen Abstandsflächen, zulässig;
b) auf einer Breite von höchstens einem Drittel der betreffenden Gebäudefront Türvorbauten, Freitreppen und Schutzdächer über Eingängen, sofern diese Bauteile höchstens 3 m, im Gartensiedlungsgebiet höchstens 2 m, in die vor den Baufluchtlinien gelegenen Flächen oder Abstandsflächen, aber keinesfalls mehr als auf halbe Vorgartentiefe vorragen und von den Nachbargrenzen einen Abstand von mindestens 1,50 m einhalten.
..."
3. Die Revision ist zulässig und begründet.
3.1. Das zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0143, hält fest, dass sich aus dem Text des § 84 Abs. 2 BO ergibt, dass die in lit. a bzw. lit. b geregelten Baulichkeiten über Baufluchtlinien, in die Abstandsflächen und in die Vorgärten jeweils für sich - wie in diesen Bestimmungen jeweils näher geregelt - vorragen dürfen und eine Kumulierung von Baulichkeiten iSd § 84 Abs. 2 lit. a und b BO nicht zulässig ist. Diese Judikatur bezieht sich jedoch auf nebeneinander liegende Gebäudeteile. Wie aus dem Erkenntnis klar hervorgeht, wurde ein Herausragen eines Gebäudeteils "zu einem weiteren Drittel" beantragt. Der gegenständliche Fall unterscheidet sich davon insofern, als keine Kumulierung nebeneinander liegender Gebäudeteile geplant und unstrittig die Einhaltung der Beschränkungen des § 84 Abs. 2 BO gegeben ist, weshalb entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes die genannte Judikatur auf den gegenständlichen Fall nicht übertragen werden kann.
Angesichts der Einhaltung der Beschränkungen des § 84 Abs. 2 BO ist die gegenständlich geplante Bauführung vielmehr im Lichte dieser Bestimmung zulässig.
3.2. Es ist aber auch § 80 Abs. 2 BO zu beachten, der Gebäudeteile nach § 84 Abs. 1 und Abs. 2 BO nicht schlechthin von der Flächenberechnung ausnimmt, sondern nur dann wenn sie "vor die Gebäudefront ragen". Dieses Tatbestandselement, dem nach dem Wortlaut der Bestimmung eine eigenständige Bedeutung zukommt, kann - auch im Lichte dessen, dass Ausnahmebestimmungen wie § 80 Abs. 2 BO restriktiv zu interpretieren sind (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/02/0002, mwN) -
nur so verstanden werden, dass die "Gebäudefront" im Sinne dieser Bestimmung jene ist, die die Gebäudeteile umschließt, deren Flächen in die Flächenberechnung nach § 80 Abs. 1 BO einzubeziehen sind. Daraus ergibt sich, dass Gebäudeteile nach § 84 Abs. 1 und Abs. 2 BO dann, wenn sie nicht vor eine solche "Gebäudefront" iSd § 80 Abs. 2 BO ragen, sondern vor Gebäudeteile gemäß § 84 Abs. 1 und Abs. 2 BO, die ihrerseits bereits nicht zur bebauten Fläche zählen, auf die bebaute Fläche voll anzurechnen sind.
Im fortgesetzten Verfahren wird daher zu klären sein, ob der geplante Gebäudeteil nach den obigen Grundsätzen auf die bebaute Fläche anzurechnen ist und ob gegebenenfalls das zulässige Ausmaß an bebauter Fläche überschritten wird.
4. Das angefochtene Erkenntnis war aus den oben dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014.
Wien, am