VwGH vom 27.08.2014, Ra 2014/05/0001
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die außerordentliche Revision des M W in W, vertreten durch Freimüller Obereder Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in 1080 Wien, Alser Straße 21, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW-142/052/7764/2014, UVS-WBF/52/11960/2013, betreffend Versagung der Wohnbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; weitere Partei:
Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Aufwandersatzmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien (Magistratsabteilung 50) vom wurde der Antrag des Revisionswerbers vom auf Gewährung einer Wohnbeihilfe gemäß den §§ 20 bis 25, 60 und 61a des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes - WWFSG 1989 und der dazu ergangenen Verordnung der Wiener Landesregierung, LGBl. Nr. 32/89, abgewiesen, weil das monatliche Haushaltseinkommen des Revisionswerbers den im Bescheid angeführten, in der zitierten Verordnung festgesetzten Betrag übersteige.
Die vom Revisionswerber dagegen erhobene, als Berufung eingebrachte Beschwerde wurde mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen, wobei ausgesprochen wurde, dass gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision unzulässig sei.
In der Begründung seines Erkenntnisses vertrat das Verwaltungsgericht die Auffassung, dass zwar infolge der Änderung des WWFSG 1989 durch die Novelle LGBl. Nr. 67/2006 nunmehr die grundsätzliche Möglichkeit bestehe, auch für Wohngemeinschaften, die sich nicht ausschließlich aus nahestehende Personen zusammensetzten, Wohnbeihilfe zu gewähren. Dies bedeute jedoch nicht, dass für (Wohngemeinschaften von) Studenten automatisch ein Anspruch auf Wohnbeihilfe begründet sei. Insbesondere könne dies nicht dazu führen, dass sich gemäß § 231 ABGB unterhaltspflichtige Personen (im Regelfall Eltern) ihrer familienrechtlichen Pflichten entledigen und diese im Wege der Wohnbeihilfe auf die öffentliche Hand überwälzen könnten. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom , B 1109/10, für den Bereich des WWFSG 1989 klargestellt, dass die Verschaffung einer angemessenen Wohnung dem Begriff der Unterhaltsleistungen zu unterstellen sei. Der Unterhaltsanspruch jedes (noch nicht zur Gänze selbsterhaltungsfähigen) Kindes umfasse auch den Anspruch auf Deckung des Wohnbedarfes, sodass der Unterhaltspflichtige dem Kind eine seinen Lebensverhältnissen angemessene unentgeltliche Wohnmöglichkeit zur Verfügung zu stellen habe, sei es im eigenen Haushalt, sei es anderswo.
Da der Revisionswerber als noch nicht (zur Gänze) selbsterhaltungsfähiges Kind einen Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern habe, werde er im Lichte des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes durch den geltend gemachten Wohnungsaufwand nicht gemäß § 60 Abs. 1 WWFSG 1989 belastet, zumal die hier gegenständliche Wohnmöglichkeit von den unterhaltspflichtigen Kindeseltern zur Verfügung zu stellen sei. Somit sei eine Voraussetzung für die Gewährung von Wohnbeihilfe nicht erfüllt, weshalb die Beschwerde als unbegründet abzuweisen sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, "in eventu" wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Magistrat der Stadt Wien ist in seiner Revisionsbeantwortung dem Revisionsvorbringen entgegengetreten.
Der Revisionswerber hat darauf die Äußerung vom erstattet.
Die Wiener Landesregierung hat keine Revisionsbeantwortung eingebracht.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 leg. cit.) zu überprüfen
Im Rahmen der Ausführungen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bringt die Revision im Wesentlichen vor, es handle sich bei der Frage, ob ein auswärtig studierendes Kind einen Naturalunterhaltsanspruch auf Beistellung einer Wohnmöglichkeit gegen die unterhaltspflichtigen Eltern habe, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 133 Abs. 4 B-VG, wobei das vom Verwaltungsgericht zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes eine andere Rechtsfrage, nämlich die Hinzurechnung der Studienförderung einer im Ausland studierenden Tochter zum Familieneinkommen, behandle. Die Rechtsfrage, ob das auswärts studierende Kind einen Naturalunterhaltsanspruch dergestalt habe, dass die Eltern in jedem Fall auch am auswärtigen Studienort eine Wohnung zur Verfügung stellen müssten, oder ob die Eltern der Unterhaltspflicht auch schon dadurch nachkämen, wenn sie den geschuldeten Unterhalt in Geld leisteten, obwohl dies dazu führen könne, dass das Kind, ausgehend vom Unterhaltseinkommen, Wohnbeihilfe beanspruchen müsse oder könne, sei nicht beantwortet.
Das Verwaltungsgericht vertrat in der Begründung seines Ausspruches der Unzulässigkeit der ordentlichen Revision die Auffassung, dass weder seine Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch es an einer Rechtsprechung fehle und die dazu vorliegende Rechtsprechung nicht uneinheitlich sei. Auch lägen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes ist die Revision in Bezug auf die Frage der Einbeziehung eines fiktiven Unterhaltsanspruches in das Haushaltseinkommen eines Wohnbeihilfenwerbers zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2013/05/0189 - u.a. unter Bezugnahme auf das im vorliegend angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes - ausgeführt hat, sind dem Einkommen eines Wohnbeihilfenwerbers fiktive, nicht bezogene Unterhaltsleistungen nicht hinzuzurechnen, weil es hiefür an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage mangelt. Die Behörde kann sich daher insoweit nicht mit Erfolg auf einen allfälligen fiktiven, aber möglicherweise nicht realisierten Anspruch des Beihilfenwerbers auf Beistellung einer unentgeltlichen Wohnmöglichkeit (als Teil eines fiktiven, möglicherweise nicht realisierten Unterhaltsanspruches) berufen. Anders wäre es, wenn sich sachverhaltsmäßig ergäbe, dass die Wohnungskosten entweder von den Unterhaltspflichtigen (Eltern) bestritten würden oder der Wohnbeihilfenwerber diese zwar selbst bezahlte, jedoch hievon durch entsprechend zweckgewidmete Leistungen der Unterhaltspflichtigen (Eltern) ganz oder teilweise entlastet wäre.
Aus dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis geht nicht hervor, dass an den Revisionswerber von dessen Eltern oder sonstigen Unterhaltspflichtigen solche konkreten, zweckgewidmeten Leistungen erbracht worden seien.
Indem das Verwaltungsgericht einen (lediglich) fiktiven Unterhaltsanspruch bei der Berechnung des Haushaltseinkommens des Revisionswerbers einbezog und deshalb zur Abweisung der an ihn erhobenen Beschwerde gelangte, ist es im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung abgesehen werden, wobei Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht. So hat der EGMR in seinen Entscheidungen vom , Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom , Nr. 17912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer (Revisionswerber) grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige.
In seinem Urteil vom , Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein), hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/05/0176).
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Revision werden ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht somit der Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Das Aufwandersatzmehrbegehren des Revisionswerbers war abzuweisen, weil dieses den pauschalierten Schriftsatzaufwand überschreitet und die verzeichnete Umsatzsteuer bereits in diesem Aufwand erhalten ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/05/0041, mwN).
Wien, am