VwGH vom 28.04.2011, 2007/07/0079
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. Sulzbacher und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde der T GmbH in M, vertreten durch Haslinger/Nagele Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Am Hof 13, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom , BMLFUW-UW 2.1.2/0169- VI/1/2007-Ki, betreffend Feststellung nach § 6 AWG 2002, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L (BH) vom wurde über Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft im Spruchpunkt a) festgestellt, dass jene 178.092 Tonnen Schüttmaterial (bestehend aus ca. 116.289 Tonnen Erdaushub, ca. 41.519 Tonnen Bauschutt, ca. 19.902 Tonnen Ziegelrecycling, ca. 372 Tonnen Gleisschotter sowie ca. 10 Tonnen Betonabbruch), die zur Aufschüttung des Grundstückes 1520/26, KG E., verwendet wurden, nicht Abfall im Sinn des § 2 AWG 2002 sind, und im Spruchpunkt b) festgestellt, dass dieses Schüttmaterial nicht dem Altlastenbeitrag unterliegt. Beim ersten Spruchpunkt wurde § 6 Abs. 1 AWG 2002 als Rechtsgrundlage genannt, beim zweiten Spruchpunkt § 10 Abs. 1 Altlastensanierungsgesetz (ALSAG).
Diesen Bescheid änderte der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (die belangte Behörde) mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid vom in Wahrnehmung seines Aufsichtsrechtes gemäß § 6 Abs. 4 Z 2 AWG 2002 von Amts wegen in seinem Spruchpunkt a) dahin ab, dass festgestellt wird, die angeführten 178.092 Tonnen Schüttmaterial, die zur Aufschüttung des Grundstückes Nr. 1520/26, KG E., verwendet "werden", stellen Abfall im Sinn des § 2 AWG dar.
In der rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde davon aus, dass Bodenaushub, Gleisschotter oder Baurestmassen, die einer Verwertung zugeführt werden, solange gemäß § 5 Abs. 1 AWG 2002 als Abfälle gelten, bis sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet werden. Es sei entscheidend, dass ein einem Rohstoff entsprechendes Erzeugnis vorliege, das die gleichen Merkmale wie dieser Rohstoff besitze und unter den gleichen Vorsichtsmaßnahmen für die Umwelt benutzt werden könne. Das verneinte die belangte Behörde und bezog sich dabei auf das (im angefochtenen Bescheid wörtlich wiedergegebene) Gutachten ihres Amtssachverständigen, der zusammenfassend zum Ergebnis gekommen war, bei der gegenständlichen Schüttung in einem Bereich mit Hochwassergefährdung könne keinesfalls davon ausgegangen werden, dass dieses Material dieselben Merkmale und Risikopotentiale aufweise wie ein vergleichbarer Primärrohstoff (nicht verunreinigter Bodenaushub). Selbst wenn man der Ansicht wäre, dass es sich um eine zulässige Verwertung handle, so könne dieses Material keinesfalls unter den gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie ein vergleichbarer Primärrohstoff (Bodenaushub bzw. Erde) verwendet werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte ihre Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren allein gegenständliche Feststellung der BH im Spruchpunkt a) des Bescheides vom und deren Abänderung durch die belangte Behörde mit Bescheid vom haben ihre verfahrensrechtliche Grundlage in § 6 AWG 2002, der auszugsweise in der (damals geltenden) Fassung BGBl. I Nr. 34/2006 lautete:
"Feststellungsbescheide
§ 6. (1) Bestehen begründete Zweifel,
1. ob eine Sache Abfall im Sinne dieses Bundesgesetzes ist,
...
hat die Bezirksverwaltungsbehörde dies entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Verfügungsberechtigten mit Bescheid festzustellen. ...
(4) Die Behörde hat den Bescheid samt einer Kopie der diesbezüglichen Akten unverzüglich an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zu übermitteln. Unbeschadet des § 68 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, kann ein Feststellungsbescheid von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde innerhalb von sechs Wochen nach Erlassung abgeändert oder aufgehoben werden, wenn
1. der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde oder
2. der Inhalt des Bescheides rechtswidrig ist.
Die Zeit des Parteiengehörs ist nicht in die Frist einzurechnen."
Zunächst ist in Bezug auf die Wahrung der erwähnten sechswöchigen Frist auf Basis der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten Folgendes festzustellen:
Der Bescheid der BH ist (den über entsprechendes Ersuchen übermittelten Rückscheinen zufolge) der beschwerdeführenden Partei am , dem Zollamt und der belangten Behörde am zugestellt worden. Die belangte Behörde holte sodann die Stellungnahme ihres Amtssachverständigen ein; dazu wurde der beschwerdeführenden Partei mit einem dieser am zugestellten Schreiben das Parteiengehör eingeräumt. Nach Gewährung von Fristerstreckungen erstattete die beschwerdeführende Partei eine am bei der belangten Behörde eingelangte Stellungnahme. Der angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom wurde der beschwerdeführenden Partei noch am selben Tag per Telefax zugestellt.
Die sechswöchige Frist begann im vorliegenden Fall mit der Erlassung des Bescheides der BH am . Bis zur Zustellung der Aufforderung zur Stellungnahme zum Amtssachverständigengutachten am sind 34 Tage verstrichen, sodass der angefochtene Ministerialbescheid der beschwerdeführenden Partei spätestens 8 Tage nach dem Einlangen ihrer Stellungnahme bei der belangten Behörde am , mit dem die gemäß § 6 Abs. 4 letzter Satz AWG 2002 in die Frist nicht einzurechnende Zeit des Parteiengehörs endete, hätte zugestellt werden müssen. Das war im Hinblick auf die mittels Telefax wirksam (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/06/0170, und mehrere daran anschließende Entscheidungen) am vorgenommene Zustellung des angefochtenen Bescheides der Fall.
In der Sache wird in der Beschwerde einleitend vorgebracht, die beschwerdeführende Partei, die Mitglied einer in der Bau-, Rohstoff- und Abfallwirtschaft tätigen Unternehmensgruppe sei, habe im Jahr 2005 unter Verwendung von recycliertem Baumaterial die Auflandung eines Industriegebietes zur Errichtung einer Betriebsanlage im Industriehafen E. vorgenommen. Das Gelände habe nämlich gemäß dem Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom für die Vorbereitung der Betriebsanlagenerrichtung zur Erreichung ausreichender Hochwassersicherheit aufgeschüttet werden müssen. Diese Aufschüttung sei am baubehördlich bewilligt worden. In dem die Betriebsanlage betreffenden abfallwirtschaftsrechtlichen Bewilligungsbescheid vom seien in einem näher angeführten Spruchpunkt Auflagen formuliert worden, welche "die Qualität von Recyclingmaterial und die Vorgangsweise bei der Aufschüttung definierten". Im Jahr 2005 seien diese Auflandungen dann unter Einhaltung der vorgeschriebenen Qualitätsvorgaben und unter Aufsicht der im Bewilligungsverfahren beteiligten Amtssachverständigen sowie laufender Eigen- und Fremdüberwachung durchgeführt und abgeschlossen worden. Die beschwerdeführende Partei habe der BH sodann den Abschluss der Arbeiten im ersten Abschnitt nach dem Einbau von ca. 178.092 Tonnen Material im Zeitraum Mai 2005 bis mitgeteilt und mit Schreiben vom den (gegenständlichen) Antrag eingebracht, "anhand der beiliegenden Unterlagen festzustellen, dass es sich bei den aufbereiteten, qualitätsgesicherten und entsprechend den technischen Vorschreibungen eingebauten mineralischen Baurestmassen (Betonabbruch, teilweise Ziegelabbruch und natürlicher Bodenaushub) um keinen Abfall im Sinne des AWG 2002 bzw. AlSAG handelt".
In den Beschwerdegründen wurde inhaltlich daran anknüpfend (u.a.) geltend gemacht, die beschwerdeführende Partei habe in ihrer Stellungnahme vom nochmals Materialqualität, "Analytik" und Einbauort ausführlich - mit den geforderten und notwendigen fachgutachtlichen Nachweisen versehen - dargelegt. Es sei auch der Nachweis geführt worden, dass sämtliche "Qualitätsnormen - vor allem der Bewilligungsbescheide, dem damals veröffentlichten BAWPL sowie der Recyclingrichtlinie des BRV - erfüllt" seien. Nur jene neueren Regelungen, die erst Ende Juni 2006 erlassen worden seien (damit ist der vom Amtssachverständigen und von der belangten Behörde herangezogene Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2006 gemeint), habe die beschwerdeführende Partei im Jahr 2005 nicht einhalten können; freilich seien auch dazu ergänzende Untersuchungen nachgereicht worden.
Die belangte Behörde habe aber gänzlich übersehen, dass die fehlenden Analysen allesamt mit der technischen Beschreibung vom übermittelt worden seien, wobei alle geforderten Nachweise erbracht worden seien. Sie habe weder die vorgelegte "Analytik" noch die dazu vorgetragenen Erläuterungen inhaltlich gewürdigt, was einen schweren Begründungsmangel darstelle. Hätte sich die belangte Behörde mit den von der beschwerdeführenden Partei vorgelegten Nachweisen "nach den maßgeblichen fachlichen Beurteilungsgrundlagen" auseinandergesetzt, so wäre sie zur Entscheidung gelangt, dass alle vorgeschriebenen Qualitätsnachweise und Sicherheitsanforderungen eingehalten worden seien. Sie hätte festzustellen gehabt, dass nach allen labortechnischen Untersuchungen die chemische Unbedenklichkeit des Materials und dessen bautechnische Eignung als Schüttmaterial bestätigt worden seien. Der Einbauort sei so gewählt worden, dass die Auflandung weder in einem hydrologisch sensiblen Gebiet noch im Grundwasserbereich erfolgt sei; sie befinde sich auch außerhalb des Hochwasserabflusses. Im erwähnten technischen Bericht sei überdies die Erfüllung der Voraussetzungen für das Abfallende nach § 5 Abs. 1 AWG 2002 unter sinngemäßer Heranziehung der Kriterien des Abs. 2 ausführlich dargestellt worden.
Mit diesen Argumenten habe sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit keinem Wort auseinandergesetzt. Diese ausführliche, gutachtlich untermauerte Stellungnahme sei dem Amtssachverständigen auch gar nicht mehr vorgelegt worden, sondern die belangte Behörde sei darüber begründungslos hinweggegangen und habe allein auf Basis der früheren Stellungnahme des Amtssachverständigen entschieden.
Auf dieses Beschwerdevorbringen ist die belangte Behörde in der Gegenschrift nicht eingegangen.
Im gegenständlichen Fall ist nicht strittig, dass es sich bei dem zur Aufschüttung verwendeten Material vor dessen Einbau um Abfall gemäß § 2 Abs. 1 AWG 2002 gehandelt hat. Fraglich ist nur, ob das "Abfallende" im Sinne des § 5 Abs. 1 AWG 2002 eingetreten ist. Das hat die belangte Behörde verneint und sich dabei in tragender Weise auf die von ihr eingeholte Stellungnahme des Amtssachverständigen gestützt.
Die belangte Behörde hat zwar erkannt, dass - so führte sie im bekämpften Bescheid aus - "die Nichtgewährung von Parteigehör durch die Behörde einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, der zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt, wenn der Beschwerdeführer diesen Mangel ausdrücklich in der Beschwerde aufzeigt und vorbringt, dass er bei Gewährung des Parteiengehörs die Unrichtigkeit der Sachverhaltsannahmen der Behörde hätte nachweisen können". Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der die Wahrung des Parteiengehörs zu den von der Behörde zugrunde gelegten Beweisergebnissen als fundamentalen Grundsatz des Verwaltungsverfahrens auch für ein Aufsichtsverfahren der vorliegenden Art verlangt. Die Erstattung einer Stellungnahme vor der belangten Behörde bietet der durch den geprüften Bescheid begünstigten Partei nämlich im Aufsichtsverfahren die einzige Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen und die Oberbehörde zu überzeugen, dass kein Grund zum Einschreiten vorliegt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2000/07/0003, ergangen zu der mit § 6 Abs. 4 AWG 2002 im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmung des § 10 Abs. 2 ALSAG; siehe daran anschließend auch das Erkenntnis vom , Zl. 2001/07/0114 ).
Von daher wäre die belangte Behörde aber nicht nur verpflichtet gewesen, der beschwerdeführenden Partei die Gelegenheit zu geben, sich zum Amtssachverständigengutachten zu äußern, sondern es wäre auch geboten gewesen, sich mit der fristgerecht eingelangten Stellungnahme, in der dem erwähnten Gutachten unter Anschluss von entsprechenden Beweismitteln entgegen getreten wurde, im angefochtenen Bescheid - allenfalls nach ergänzender Befassung des Amtssachverständigen - inhaltlich auseinander zu setzen. Die belangte Behörde beschränkte sich jedoch auf die Erwähnung, dass mit dem Schreiben vom "umfangreiche Unterlagen ('Werk Enns - Aufschüttung mit Recyclingbaustoffe Technische Beschreibung')" übermittelt worden seien und hierzu im Begleitschreiben u.a. ausgeführt worden sei, aus der Dokumentation sei ersichtlich, "dass das Material aufgrund seiner unbedenklichen und qualitätsgesicherten Materialqualität, dem definierten Einbauort im Zusammenhang mit einer konkreten, übergeordneten und bewilligten Baumaßnahme und der durch Fremdüberwachung nachgewiesenen Unbedenklichkeit einer zulässigen stofflichen Verwertung zugeführt werde".
Der Beschwerdeeinwand, die belangte Behörde habe sich mit den vorgelegten technischen Unterlagen und den darauf aufbauenden Argumenten der beschwerdeführenden Partei "mit keinem Wort" auseinander gesetzt, ist daher berechtigt. Der bekämpfte Bescheid ist demnach mit einem relevanten Begründungsmangel belastet (vgl. zu einem ähnlichen Fehler der belangten Behörde in einem aufsichtsbehördlichen Bescheid auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/07/0090).
Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-90910