VwGH vom 15.12.2014, Ra 2014/04/0028

VwGH vom 15.12.2014, Ra 2014/04/0028

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

Ra 2014/04/0030

Ra 2014/04/0029

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser und Dr. Mayr sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Revision 1. des H S in U, 2. der C Ü in L und 3. des J L in H, alle vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom ,

1) Zl. VGW-122/V/008/7425/2014 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2014/04/0028), 2) Zl. VGW-122/V/008/7426/2014 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2014/04/0029) und 3) Zl. VGW- 122/V/008/7427/2014 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2014/04/0030), betreffend jeweils die Vorschreibung von Auflagen gemäß § 79 GewO 1994 (oberste Verwaltungsbehörde: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft),

Spruch

I.: zu Recht erkannt:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis, soweit dieses die vorgenannten Revisionswerber betrifft, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien insgesamt Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II.: den Beschluss gefasst:

Die in der Revisionsbeantwortung gestellten Anträge des Magistrates der Stadt Wien, das angefochtene Erkenntnis vom insgesamt aufzuheben, werden zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom , MBA-Ba. 24.367/1/78, wurde betreffend den Standort W, Nstrasse 247, eine Betriebsanlagenbewilligung im Zusammenhang mit der an diesem Standort vom antragstellenden W.T. Verein (im Folgenden: Verein) ausgeübten Konzession "Gast- und Schankgewerbe" bzw. dem Vorhaben desselben Vereins zur Ausübung des Gewerbes "Trainieren und Warten von (Trab )Rennpferden" erteilt.

In dem Bewilligungsbescheid ist unter anderem Folgendes festgehalten:

"Beschreibung der Betriebsanlage:

Die Betriebsanlage ist nordöstlich von der Trabrennbahn gelegen. Sie umfasst insgesamt 14 Stallgebäude, ein Verwaltungsgebäude und mehrere Werkstättenräumlichkeiten (...)."

2. Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom wurden betreffend die oben bezeichnete Betriebsanlage gemäß § 79 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) folgende zusätzliche Auflagen vorgeschrieben:

"(...)

1) Sämtliche Senkgruben auf der Liegenschaft sind flüssigkeitsdicht herzustellen. Nach erfolgter Sanierung ist dem Magistratischen Bezirksamt eine schriftliche Bestätigung einer Fachfirma vorzulegen.

2) Die Einleitung von Schmutzwässern in die Sickerschächte ist umgehend zu beenden (in die Sickerschächte dürfen ausschließlich Dachwässer eingeleitet werden).

(...)"

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, die Vorschreibung der Auflagen diene dem Schutz des Grundwassers und beruhe auf einer Stellungnahme eines Amtssachverständigen der zuständigen Magistratsabteilung. Dieser Bescheid erging - neben einer weiteren am Verfahren nicht mehr beteiligten Person - an die drei namentlich angeführten Revisionswerber und an den Verein.

2.1. Das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) gab der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung (Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1 VwGbk-ÜG) der Revisionswerber mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Folge und bestätigte insoweit den bekämpften Bescheid. Hinsichtlich des Vereins (und den weiteren am Verfahren nicht mehr beteiligten Parteien) wurde der bekämpfte Bescheid behoben.

Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die gegenständliche Liegenschaft befinde sich im Besitz der Stadt W, die diese auf Dauer an den Verein vermietet habe. Dieser wiederum vermiete Stallungen und Betriebsgebäude an verschiedene Trainer und Rennställe. Der Verein selbst übe an dem Standort lediglich das Gastgewerbe aus.

Die Vorschreibung von Auflagen gemäß § 79 GewO 1994 könne sich nur an den Inhaber der Betriebsanlage richten. Die Inhaber müssten die Betriebsanlage auch tatsächlich betreiben. Die vorgeschriebenen Auflagen stünden nicht in Zusammenhang mit der Ausübung des Gastgewerbes, weshalb der Betreiber dieses Gewerbes nicht als Bescheidadressat in Frage komme. Vielmehr stünden die Auflagen in Zusammenhang mit der Ausübung des Pferdetrainergewerbes durch die Revisionswerber auf der Liegenschaft, weshalb diesen zu Recht die Auflagen vorgeschrieben würden.

Die im Bescheid vorgeschriebenen Auflagen seien zur Erreichung des hinreichenden Schutzes der Gewässer bzw. des Grundwassers erforderlich und insofern auch verhältnismäßig, weil der mit den Auflagen verbundene Aufwand nicht außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehe. Die gesetzte Leistungsfrist sei angemessen und wirtschaftlich zumutbar.

Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil fallbezogen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis im Umfang der Bestätigung des bekämpften Bescheids hinsichtlich der drei Revisionswerber richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, die Entscheidung im angefochtenen Umfang ersatzlos zu beheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und stellte ihrerseits den Antrag, die "angefochtenen Erkenntnisse" aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung und Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes gemäß § 79 Abs. 3 GewO 1994 zurückzuverweisen. In eventu beantragte sie, die "angefochtenen Erkenntnisse" aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung und Vorschreibung der Auflagen auch gegenüber dem Verein zurückzuverweisen. Für den Fall der Nichtstattgebung dieses Begehrens, beantragte sie die Abweisung der Revision.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu Punkt I.:

4.1. Die Revision bringt zusammengefasst vor, die Eigentümerin des Geländes, auf welchem sich die verfahrensgegenständliche Betriebsanlage befinde, habe dieses an den Verein verpachtet. Auf dem Gelände befänden sich Pferdestallungen, die als Superädifikate im Eigentum des Vereins stünden und an den Renntagen von Pferdetrainern - so auch vom Drittrevisionswerber - benutzt würden. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin hätten jeweils aufgrund eines mündlichen Vertrages Pferdeboxen gemietet, wobei die Anzahl der gemieteten Boxen, die überdies hauptsächlich an Renntagen genutzt würden, weniger als 10% der insgesamt vorhandenen Boxen ausmache. Im Innenverhältnis sei der Verein für die Instandhaltung der Boxen und Wartung der Stallungen zuständig.

Das angefochtene Erkenntnis schreibe somit - scheinbar willkürlich - drei Gewerbetreibenden die Auflagen vor, obwohl diese die genehmigte Betriebsanlage nur in untergeordnetem Ausmaß verwenden würden. Es sei daher die Rechtsfrage zu klären, ob die Auflagen nicht vielmehr dem Inhaber der Betriebsanlage vorzuschreiben seien. Das Verwaltungsgericht lege zudem bei der Beurteilung der Frage, wem die Auflagen vorzuschreiben seien, keine einheitlichen Maßstäbe an, zumal die Häufigkeit der Benutzung der Stallungen durch die Parteien des Verfahrens vom Verwaltungsgericht jeweils unterschiedlich gewichtet worden sei.

Weiter moniert die Revision die Unterlassung der Erhebung der voraussichtlich verbleibenden Nutzungsdauer der Stallungen - diese sollten in naher Zukunft im Rahmen einer Gesamtsanierung verlegt bzw. neu errichtet werden - in Hinblick auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Auflagen.

4.2. Die Revision ist zulässig und auch begründet.

4.3. Die hier relevante Bestimmung der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194/1994 idF BGBl. I Nr. 66/2010, lautet:

"§ 79. (1) Ergibt sich nach Genehmigung der Anlage, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, so hat die Behörde die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben; die Auflagen haben gegebenenfalls auch die zur Erreichung dieses Schutzes erforderliche Beseitigung eingetretener Folgen von Auswirkungen der Anlage zu umfassen; die Behörde hat festzulegen, daß bestimmte Auflagen erst nach Ablauf einer angemessenen, höchstens drei Jahre, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen (zB bei Betriebsübernahmen) höchstens fünf Jahre, betragenden Frist eingehalten werden müssen, wenn der Inhaber der Betriebsanlage nachweist, daß ihm (zB wegen der mit der Übernahme des Betriebes verbundenen Kosten) die Einhaltung dieser Auflagen erst innerhalb dieser Frist wirtschaftlich zumutbar ist, und gegen die Fristeinräumung keine Bedenken vom Standpunkt des Schutzes der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen bestehen. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

(...)"

4.3.1. Eine Auflage gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 hat sich gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs an den Inhaber der Betriebsanlage zu richten und darf nur gegen diesen normativ wirken (vgl. anstelle vieler das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/04/0338).

Fallbezogen ist daher zu klären ob den Revisionswerbern jeweils die Eigenschaft als Inhaber der Betriebsanlage zukommt, um beurteilen zu können, ob diesen zu Recht die Auflagen vorgeschrieben werden durften.

4.3.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "Inhaber", wer eine Sache in seiner Gewahrsame hat (§ 309 ABGB). Zum Unterschied vom Besitzer bedarf der Inhaber des sogenannten Eigentümerwillens nicht. Solcherart ist unter anderem auch der Bestandnehmer vom Inhaberbegriff eingeschlossen. Innehabung ist jedoch nicht bloß räumlich-körperlich zu verstehen, sondern als äußere Erscheinung der Herrschaft über den Gegenstand nach Maßgabe der Verkehrsauffassung. Sie kann auch durch abhängige Gehilfen, sog "Besitzdiener" (Familienangehörige, Hausgehilfen oder sonstige Dienstnehmer), ausgeübt und durch Partner aus solchen Rechtsverhältnissen vermittelt werden, die eine Anerkennung der Oberherrschaft bedeuten, sogenannte "Besitzmittler" (Verwahrer, Entlehner, Mieter, Kunden oder Gäste) (vgl. Spielbüchler in Rummel , ABGB3, § 309 (2); RIS-Justiz RS0010104). Mit der Innehabung der Betriebsanlage wird daher die Möglichkeit der Bestimmung des in der Betriebsanlage ausgeübten faktischen Geschehens angesprochen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/04/0155, mwN).

4.3.3. Zurecht verweist die Revision darauf, dass das Verwaltungsgericht die dargestellte Rechtslage verkennt, indem es in seinem Erkenntnis im Zusammenhang mit der Frage der Qualifikation der Revisionswerber als Inhaber der Betriebsanlage lediglich darauf abstellt, dass diese auf der Betriebsliegenschaft jeweils das Gewerbe "Trabertrainer" bzw. "Trainer von Reit- und Rennpferden" ausüben würden. Diese Feststellungen mögen ein Indiz für die jeweilige Inhaberschaft betreffend die verfahrensgegenständliche Betriebsanlage darstellen, erlauben jedoch per se keine abschließende Beurteilung der Frage, ob den Revisionswerbern tatsächlich eine faktische Verfügungsmacht über die Betriebsanlage zukommt. Die - allenfalls in Zusammenhang mit der Ausübung einer Gewerbeberechtigung stehende - Benutzung einzelner Anlagenteile aufgrund eines Vertragsverhältnisses räumt dem Verwendungsberechtigten nicht jedenfalls auch die Verfügungsmacht über die Betriebsanlage in ihrer Gesamtheit ein. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass Grundlage der behördlichen Prüfung nach § 79 GewO 1994 die gewerbliche Betriebsanlage in ihrem durch bestehende Genehmigungsbescheide umschriebenen Bestand ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/04/0137).

Abgesehen davon, dass die Feststellungen betreffend die Gewerbeausübung keinen Aufschluss darüber geben, in welcher Form und in welchem Ausmaß die Betriebsanlage von den Revisionswerbern genutzt wird, ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit zur Bestimmung des faktischen Geschehens betreffend die Betriebsanlage durch das Vertragsverhältnis der Revisionswerber zu dem Mieter der Liegenschaft - das ist laut den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis der Verein - bestimmt wird.

4.3.4. Da es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, diejenigen Feststellungen zu treffen, die für die Klärung der Rechtsfrage, ob die Revisionswerber als Inhaber der gegenständlichen Betriebsanlage anzusehen sind und damit als Adressaten der zu erteilenden Auflagen in Frage kommen, unerlässlich sind, liegt ein (sekundärer) Feststellungsmangel vor, der das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Das Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4.3.5. Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Zu II.:

4.4. Die belangte Behörde - als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht - stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in seinem Umfang betreffend die Revisionswerber und beantragt in ihrem ersten Eventualantrag zudem die Aufhebung und Zurückverweisung des Erkenntnisses hinsichtlich des W.T. Vereins. Ausgehend von der aktenkundigen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an die belangte Behörde am , erweisen sich die in der Revisionsbeantwortung vom gestellten Anträge auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, die der Sache nach wegen ihres auf die Anfechtung des Erkenntnisses abzielenden Inhalts als Revisionsanträge zu verstehen sind, unter Zugrundelegung der sechswöchigen Frist des § 26 Abs. 1 VwGG als verspätet. Die Anträge waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/02/0099).

Wien, am