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VwGH vom 09.05.2017, Ro 2014/08/0065

VwGH vom 09.05.2017, Ro 2014/08/0065

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Mag. H W in Wien, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich vom , GS5-A-1620/462-2013, betreffend Beitragszuschlag gemäß § 113 ASVG (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom schrieb die Mitbeteiligte der revisionswerbenden Partei (im Folgenden: Revisionswerber) einen Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG in der Höhe von EUR 2.300,-- vor. Sie führte begründend aus, der Revisionswerber habe es als Dienstgeber unterlassen, die von ihm am auf einer bestimmten Baustelle beschäftigten nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherten Dienstnehmer J K, G J und D B vor Arbeitsantritt beim zuständigen Sozialversicherungsträger anzumelden.

1.2. Dem Bescheid lagen als Beweismittel die von der Finanzpolizei unmittelbar nach der Betretung am aufgenommenen niederschriftlichen Aussagen des J K, des G J und des D B zugrunde. Da es sich bei den Genannten um polnische Staatsangehörige handelte, wurde den Vernehmungen der örtliche Pfarrer Mag. S als nichtamtlicher Dolmetscher für die polnische Sprache beigezogen.

2.1. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Einspruch und machte im Wesentlichen örtliche und sachliche Unzuständigkeit sowie unrichtige rechtliche Beurteilung wegen Vorliegens eines Werkvertrags bzw. Nichtvorliegens von meldepflichtigen Dienstverhältnissen geltend. Als Verfahrensmangel rügte er, dem Bescheid sei kein Ermittlungsverfahren vorangegangen, in dem ihm Parteiengehör gewährt worden wäre. Im Hinblick auf seine beim Verfassungsgerichtshof anhängige Maßnahmenbeschwerde, die eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kontrolle herbeiführen solle, begehrte er die Aussetzung bzw. Unterbrechung des Verfahrens. Zum Beweis für sein Vorbringen legte er diverse Urkunden vor und beantragte seine Parteienvernehmung.

2.2. Die Mitbeteiligte führte in der Folge weitere Ermittlungen bei den polnischen Behörden zu der Frage durch, ob die bei der Kontrolle am auf der Baustelle angetroffenen Personen sozialversichert (gewesen) seien.

3. Nach der Aktenlage wurden dem Revisionswerber weder die von der Finanzpolizei mit den Zeugen J K, G J und D B am aufgenommenen Niederschriften noch die Ergebnisse der Ermittlungen bei den polnischen Behörden im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht. Die Mitbeteiligte und die belangte Behörde führten auch keine Parteienvernehmung des Revisionswerbers durch.

4.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch des Revisionswerbers keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid.

4.2. Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen:

Bei der Kontrolle am seien auf der Privatbaustelle des Revisionswerbers die polnischen Staatsangehörigen J K, G J und D B bei Betonierarbeiten im Hauseingangsbereich, also bei Tätigkeiten, die typischer Weise auf das Vorliegen von Dienstverhältnissen schließen ließen, angetroffen worden.

Für die drei Genannten seien vor Arbeitsantritt keine Anmeldungen bei der Mitbeteiligten erstattet worden. Sie hätten gegenüber der Finanzpolizei übereinstimmend den Revisionswerber als Dienstgeber angegeben. Folglich sei diesem mit Bescheid vom ein Beitragszuschlag von EUR 2.300,-- vorgeschrieben worden.

Die Recherchen der Mitbeteiligten bei den polnischen Behörden hätten ergeben, dass J K von 1994 "bis laufend" - später wurde eingeschränkt: "nur bis zum " - als Landwirt sozialversichert gewesen sei, im Gewerbetätigkeitsregister sei er bis Juni 1995 eingetragen gewesen. G J sei von Juli 2011 bis April 2012 keiner Sozialversicherung in Polen unterlegen und erst von Mai bis Oktober 2012 auf Grund einer selbständigen Tätigkeit angemeldet gewesen.

4.3. In der rechtlichen Würdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

Die Mitbeteiligte sei im Hinblick auf den Beschäftigungsort (Baustelle des Revisionswerbers) und die Eigenschaft der betretenen Personen als unselbständige Erwerbstätige örtlich und sachlich zuständig (gewesen).

Das Vorliegen von Dienstverhältnissen ergebe sich eindeutig aus den niederschriftlichen Aussagen des J K, des G J und des D B. Die Aussagen seien unmittelbar nach der Betretung getätigt worden und daher als zuverlässig anzusehen. Sie stimmten inhaltlich miteinander überein und bestätigten die Wahrnehmungen der Finanzpolizei bei der Kontrolle. Sie seien daher als schlüssig und richtig zu erachten.

Nach diesen Aussagen sei der Revisionswerber der "Chef" gewesen, der die Arbeiten gegenüber den Dienstnehmern vorgegeben, regelmäßige Kontrollen durchgeführt und die Entlohnung festgesetzt habe. Er habe im Wesentlichen auch das Arbeitsmaterial (ausgenommen das aus Polen mitgebrachte Dachblech) und das Werkzeug zur Verfügung gestellt. Die Dienstnehmer hätten zwar "Werkverträge" unterschrieben, seien aber über deren Inhalt wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht (hinreichend) informiert gewesen. Gegen das Vorliegen solcher Verträge spreche auch die stundenweise Abrechnung mit dem "klassischen Pfuscherlohn" von EUR 10,-- pro Stunde sowie das Fehlen jeglicher Rechnungslegung. Die Dienstnehmer hätten im relevanten Zeitraum keine Unternehmen in Polen betrieben und seien dort nicht sozialversichert gewesen. Sie seien vielmehr von ihrer Anmeldung durch den Revisionswerber ausgegangen. Insgesamt ergebe sich daher, dass nach dem anzuwendenden österreichischen Recht die betretenen Personen auf Grund des eindeutigen Überwiegens der für ein Dienstverhältnis sprechenden Kriterien als Dienstnehmer zu erachten seien und vom Revisionswerber anzumelden gewesen wären. Dies sei nicht geschehen, sodass ein Beitragszuschlag als Ausgleich für den verursachten Mehraufwand bei der Bearbeitung vorzuschreiben gewesen sei.

Die behauptete Verletzung des Parteiengehörs liege nicht vor. Das Verfahren sei nach den in § 357 ASVG (vor der Aufhebung durch BGBl. I Nr. 87/2013) genannten Bestimmungen des AVG durchzuführen.

§ 45 Abs. 2 (gemeint wohl: Abs. 3) AVG sei dort nicht angeführt. Im Übrigen seien die wesentlichen Beweismittel (vor allem die Aussagen der betretenen Personen) auch Gegenstand des beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahrens, sodass deren Kenntnis vorauszusetzen sei.

Die behauptete Rechtswidrigkeit der Kontrolle am sei ebenso in keiner Weise ersichtlich. Die Zulässigkeit einer Kontrolle auf privatem Grund sei bereits wiederholt Gegenstand von höchstgerichtlichen Entscheidungen gewesen. Für eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Maßnahmenbeschwerde bestehe kein Anlass.

4.4. Zur Nichtdurchführung der beantragten Vernehmung des Revisionswerbers hielt die belangte Behörde fest, die Beweisthemen seien zum Teil nicht konkretisiert worden, eine Relevanz sei nicht ersichtlich. Im Übrigen habe der Revisionswerber ohnedies im Rechtsmittel "ausreichend Gelegenheit zur Darstellung seiner Rechtsansicht" gehabt.

5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Revision (auf eine vom Verfassungsgerichtshof nach dem gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretene Bescheidbeschwerde ist § 4 VwGbk-ÜG sinngemäß anzuwenden; vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ro 2014/17/0078).

Der Revisionswerber bekämpft den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts und beantragt die Aufhebung der Entscheidung.

Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und begehrt die Abweisung der Revision.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Voranzustellen ist, dass nach § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG für die Behandlung der Revision die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß gelten.

7.1. Der Revisionswerber macht in der Mängelrüge unter Hinweis auf Art. 6 EMRK geltend, die Mitbeteiligte und die belangte Behörde hätten ihm die Aktenlage bzw. die Ermittlungsergebnisse nicht offen gelegt und eine Stellungnahme nicht ermöglicht, sodass sein Parteiengehör verletzt sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids führende Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

7.2. Die Wahrung des Parteiengehörs, das zu den fundamentalen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit der Hoheitsverwaltung gehört, ist von Amts wegen, ausdrücklich, in förmlicher Weise und unter Einräumung einer angemessenen Frist zu gewähren (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2012/08/0085, und vom , 2012/10/0239). Das Parteiengehör besteht nicht nur darin, den Parteien im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen, sondern ihnen ganz allgemein zu ermöglichen, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen, mithin Vorbringen zu gegnerischen Behauptungen zu erstatten, Beweisanträge zu stellen und überhaupt die Streitsache zu erörtern (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2005/12/0157).

Nach der Aktenlage hat die Mitbeteiligte dem Revisionswerber wesentliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, nämlich die niederschriftlichen Aussagen des J K, des G J und des D B sowie die Ergebnisse der Ermittlungen bei den polnischen Behörden, nicht unter Einräumung einer angemessenen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme förmlich zur Kenntnis gebracht. Der Revisionswerber wurde hierdurch im Recht auf Parteiengehör verletzt, zumal ihm die Gelegenheit genommen wurde, von den durchgeführten Beweisen Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.

7.3. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde enthob der Umstand, dass in § 357 ASVG (vor der Aufhebung durch BGBl. I Nr. 87/2013) ein Großteil der Bestimmungen des AVG über das Ermittlungsverfahren (so auch § 45 Abs. 3) nicht für anwendbar erklärt wurde, die Mitbeteiligte nicht von der Verpflichtung, das Parteiengehör als allgemeinen Verfahrensgrundsatz zu beachten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2012/08/0241).

7.4. Die Verletzung des Parteiengehörs wurde auch nicht etwa im Rechtsmittelverfahren geheilt. Eine Verletzung des Parteiengehörs durch die erste Instanz ist dann als saniert anzusehen, wenn die Partei Gelegenheit gehabt hat, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens im Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/07/0062). Dies setzt jedoch voraus, dass der Partei unter anderem durch die Begründung des Bescheids erster Instanz Kenntnis von den Beweisergebnissen verschafft wurde, die ihr eigentlich im Rahmen des Parteiengehörs zu vermitteln gewesen wäre. Ist dies nicht geschehen, so ist die Rechtsmittelinstanz verpflichtet, ihrerseits Parteiengehör zu gewähren, um den unterlaufenen Verfahrensfehler zu sanieren (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2003/07/0062, und vom , 2011/02/0324).

Vorliegend wurde dem Revisionswerber durch den Bescheid erster Instanz keine Kenntnis von den niederschriftlichen Aussagen des J K, des G J und des D B verschafft, sodass die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, ihrerseits Parteiengehör zu gewähren, was nicht geschehen ist. Dies gilt umso mehr für die Ergebnisse der - erst auf Grund des Einspruchs des Revisionswerbers - veranlassten Ermittlungen bei den polnischen Behörden.

7.5. Soweit die belangte Behörde argumentiert, die wesentlichen Beweismittel seien auch Gegenstand des Verfahrens über die Maßnahmenbeschwerde (gewesen), ihre Kenntnis sei daher "vorauszusetzen", ist ihr entgegenzuhalten, dass die Gegenstände der beiden Verfahren verschieden (gewesen) sind, sodass die Behörde nicht davon ausgehen durfte, der Revisionswerber könnte im gegenständlichen Verfahren im Rahmen des Parteiengehörs zu den Ermittlungsergebnissen keine weiteren bzw. anders lautenden Einwendungen erheben (vgl. in dem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom , 2013/12/0058).

7.6. Die Verletzung des Parteiengehörs führt zu einem rechtserheblichen Verfahrensmangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2013/22/0114).

Die belangte Behörde hätte bei Vermeidung des Mangels zu einem anderen für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangen können, hat doch der Revisionswerber diverse Punkte angesprochen, in Ansehung derer die Verletzung des Parteiengehörs relevant im Sinn eines möglichen Einflusses auf den angefochtenen Bescheid sein konnte.

7.7. Im fortgesetzten Verfahren wird daher das - seit der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit an die Stelle der belangten Behörde getretene - Verwaltungsgericht dem Revisionswerber nach den dargelegten Grundsätzen Parteiengehör zu gewähren haben.

8.1. Der Revisionswerber macht als weiteren Verfahrensmangel geltend, die Behörde habe seinem Antrag auf Parteienvernehmung nicht entsprochen. Er zeigt damit eine weitere zur Aufhebung des Bescheids führende Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

8.2. Der Revisionswerber hat im Einspruch Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die für die Beurteilung, ob Dienstverhältnisse mit den bei der Kontrolle betretenen Personen bestanden haben, von Bedeutung sind. Er hat sich zum Beweis für dieses Vorbringen unter anderem auf seine Einvernahme als Partei berufen.

Die belangte Behörde hat von der Parteienvernehmung zu Unrecht Abstand genommen, indem sie die Beweisthemen als nicht eindeutig konkretisiert bzw. als nicht relevant erachtete.

Die belangte Behörde übersieht zudem, dass sie sich nur in Fällen, die nicht weiter strittig sind, mit - hier ebenso nicht eingeräumten - schriftlichen Stellungnahmen als Beweismittel begnügen darf. In Fällen - wie vorliegend -, in denen der Glaubwürdigkeit von Personen für die Beweiswürdigung besondere Bedeutung zukommt, ist es im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit erforderlich, die handelnden Personen förmlich als Zeugen oder Parteien zu vernehmen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2010/08/0241, und vom , Ro 2014/12/0029).

8.3. Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren - im Rahmen einer abzuhaltenden mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) - die vom Revisionswerber beantragte Parteienvernehmung zu den relevanten Themen nachzuholen haben.

9.1. Der Revisionswerber rügt ferner unter Berufung auf Art. 6 EMRK, die belangte Behörde habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt.

9.2. Ein Verstoß der belangten Behörde gegen Art. 6 EMRK liegt - unbeschadet der Frage, ob im konkreten Fall ein Verfahren über "civil rights" gegeben ist - schon deshalb nicht vor, weil es sich beim Landeshauptmann um kein Tribunal im Sinn der europarechtlichen Judikatur handelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2011/07/0265).

Der Revisionswerber hat zudem keinen Antrag auf Durchführung einer - in den einschlägigen Verwaltungsvorschriften nicht ausdrücklich angeordneten - mündlichen Verhandlung an die belangte Behörde gestellt. (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2011/10/0001, und vom , 2003/03/0124).

9.3. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, weil der Beschwerde ohnedies wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften stattgegeben wird (§ 39 Abs. 2 Z 3 VwGG), womit im fortgesetzten Verfahren weitere Ermittlungen anzustellen sind und der Revisionswerber die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt darzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/09/0158).

10.1. Der Revisionswerber macht des Weiteren geltend, die niederschriftlichen Einvernahmen am seien gesetzwidrig zustande gekommen. Die Aussagen hätten zunächst ohne Beiziehung eines Dolmetschers stattgefunden, sodass keine richtige Übersetzung erfolgt sei. Später sei der örtliche Pfarrer (gleichfalls ein Pole) beigezogen worden, der jedoch keine Ausbildung zum Dolmetscher habe und nicht qualifiziert sei. Seine Beiziehung habe letztlich zu einer "Korrektur" der Aussage und zu einem widersprüchlichen Protokoll geführt. Die befragten Personen seien auch nicht aufgeklärt worden, ob sie als "Beschwerdeführer" oder Zeugen einvernommen würden, über Aussageverweigerungsrechte seien sie nicht belehrt worden.

10.2. Nach dem - gemäß § 39a AVG auch auf Dolmetscher anzuwendenden - § 52 Abs. 2 AVG sind, wenn Amtsdolmetscher nicht zur Verfügung stehen, auch andere geeignete Personen als Dolmetscher von der Behörde beizuziehen; auf eine Beeidigung kommt es dabei nicht an (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2003/09/0040).

Vorliegend ist unstrittig, dass bei den Einvernahmen am kein Amtsdolmetscher zur Verfügung stand. Folglich konnte die Behörde eine andere geeignete Person, die hier in Gestalt des örtlichen Pfarrers Mag. S zur Verfügung stand, als nicht amtlichen Dolmetscher beiziehen. Da Mag. S nach dem Vorbringen des Revisionswerbers selbst "ein Pole" ist und demnach die polnische Sprache beherrscht, kann an seiner hinreichenden Befähigung, bei den Einvernahmen als Dolmetscher mitzuwirken, kein Zweifel bestehen.

Entgegen den Behauptungen des Revisionswerbers haben die Einvernahmen auch nicht ohne Beiziehung des Mag. S als Dolmetscher stattgefunden. Aus den Niederschriften geht hervor, dass der Genannte an den Vernehmungen des G J und des D B die ganze Zeit hindurch teilgenommen hat. Die Einvernahme des J K wurde zwar - weil dieser der deutschen Sprache hinreichend mächtig war - ohne Beiziehung des Mag. S begonnen. Dieser kam aber später hinzu, übersetzte die bis dahin aufgenommene Niederschrift in die polnische Sprache und wirkte bis zum Ende an der Vernehmung mit. Ein unzulässiges Vorgehen kann darin nicht erblickt werden. Es ist an Hand der mit J K aufgenommenen Niederschrift auch nicht nachvollziehbar, inwiefern das spätere Hinzukommen des Mag. S zu einem widersprüchlichen Protokoll geführt haben soll.

Der Vorwurf einer unzulänglichen Aufklärung und Belehrung der einvernommenen Personen erscheint ebensowenig begründet. Nach dem Inhalt der Niederschriften (wo unter anderem von einer erfolgten "Belehrung" und der Zusicherung ‚wahrheitsgetreuer' Angaben die Rede ist) konnte bei den befragten Personen kein Zweifel bestehen, dass sie förmlich als Zeugen niederschriftlich einvernommen wurden. Im Übrigen zeigt der Revisionswerber auch die Relevanz des behaupteten Mangels nicht auf.

11.1. Der Revisionswerber rügt ferner, das gegenständliche Verfahren sei trotz der - zunächst beim Verfassungsgerichtshof und nach Abtretung beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen - Maßnahmenbeschwerde nicht unterbrochen worden.

11.2. Die Vorschrift des § 38 AVG setzt (unter anderem) voraus, dass das Verfahren über die Vorfrage noch nicht beendet ist, also insbesondere von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgericht noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs und allenfalls des Verwaltungsgerichtshofs ändert daran nichts, die möglichen Auswirkungen der höchstgerichtlichen Entscheidung berechtigten nicht zu einem Vorgehen nach § 38 AVG (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Ro 2015/07/0018, und vom , 2009/07/0206, sowie den hg. Beschluss vom , 2012/12/0106).

Vorliegend wurde die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich vom - und damit schon vor der Erlassung des Bescheids erster Instanz - zurückgewiesen, womit das Verfahren beendet war. Die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs bzw. des Verwaltungsgerichtshofs - die im Übrigen auch nicht erfolgreich war (vgl. den hg. Beschluss vom , 2013/09/0056) - berechtigte die belangte Behörde nicht zur Anwendung des § 38 AVG.

12. Im Ergebnis war daher der angefochtene Bescheid aus den unter den Punkten 7. und 8. aufgezeigten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (§ 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG).

13. Das Begehren auf Kostenersatz war abzuweisen. Nach § 48 Abs. 1 Z 2 VwGG hat der obsiegende Revisionswerber Anspruch auf Ersatz des Aufwands, der für ihn mit der Einbringung der Revision durch einen Rechtsanwalt (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) verbunden war. Schreitet jedoch - wie hier - der Rechtsanwalt in eigener Sache ein, so kommt ein Ersatz für den Schriftsatzaufwand nicht in Betracht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0216). Ein Anspruch auf Ersatz der Eingabengebühr ist im Hinblick auf die sachliche Gebührenfreiheit nach § 110 ASVG nicht gegeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/08/0250).

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2017:RO2014080065.J00
Schlagworte:
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Verfahrensbestimmungen Allgemein "zu einem anderen Bescheid" Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Parteienvernehmung Beeidigung

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