VwGH vom 15.12.2011, 2009/09/0104
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des Disziplinaranwaltes für öffentlich-rechtliche Gemeindebedienstete beim Amt der Kärnter Landesregierung gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission für öffentlich-rechtliche Gemeindebedienstete vom , Zl. 3-KL22-82/5-2009, betreffend Einstellung des Disziplinarverfahrens (mitbeteiligte Partei: Ing. GQ in E, vertreten durch Mag. Birgit Brass, Rechtsanwältin in 9500 Villach, Italienerstraße 2a, 1. Stock; weitere Partei: Kärntner Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Das Land Kärnten hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren des Mitbeteiligten wird abgewiesen.
Begründung
Der Mitbeteiligte ist Beamter der Marktgemeinde E in Kärnten.
Mit Beschluss der Disziplinarkommission I. Instanz für öffentlich-rechtliche Gemeindebedienstete bei der Bezirkshauptmannschaft X (in der Folge: DK) vom (ausgefertigt am ) wurde gegen den Mitbeteiligten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen des Verdachtes von Dienstpflichtverletzungen gemäß § 17 Abs. 1 K-GBG iVm § 61 K-DRG und §§ 1 und 2 des Nebenbeschäftigungsgesetzes, LGBl. 24/1986, beschlossen und im Wesentlichen damit begründet, dass der Verdacht von Dienstpflichtverletzungen wegen nicht genehmigter Nebenbeschäftigung bzw. wegen vom Mitbeteiligten (der in seiner Funktion für die Leitung von Baubewilligungsverfahren leitend zuständig war) für die Erstellung von Planskizzen in Empfang genommener finanzieller Gegenleistungen bestünde.
Mit Beschluss vom hat die DK das Disziplinarverfahren gegen den Mitbeteiligten eingestellt und dazu begründend ausgeführt, dass der Gemeinderat der Marktgemeinde E am unter Heranziehung der Bestimmung des § 69 K-GBG einen einstimmigen Beschluss zur unverzüglichen Einstellung dieses gegen den Mitbeteiligten eingeleiteten Disziplinarverfahrens gefasst hat.
Der gegen diesen Einstellungsbeschluss der DK erhobenen Berufung des Disziplinaranwaltes, worin zusammengefasst die unrichtige Anwendung von § 69 K-BG mangels Vorliegens eines Bagatellfalles gerügt wird, hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben.
In ihrer Bescheidbegründung führte die belangte Behörde zum Verfahrensgang im Wesentlichen aus, dass der Bürgermeister der Marktgemeinde E mit Schreiben vom der DK einen beglaubigten Auszug aus der Niederschrift der Gemeinderatssitzung vom den diese Disziplinarangelegenheit betreffenden Teil übermittelt habe, woraus sich nachvollziehbar der einstimmige Gemeinderatsbeschluss ergebe. Mit Schreiben vom - welches dem Mitbeteiligten nachrichtlich übermittelt worden sei - habe der Bürgermeister der DK den Inhalt jenes Gemeinderatsbeschlusses wie folgt zur Kenntnis gebracht:
"Der Gemeinderat möge beschließen, das von der (DK) in der Sitzung vom eingeleitete Disziplinarverfahren unverzüglich einzustellen, da im Hinblick auf die Geringfügigkeit der verletzten dienstlichen Bestimmungen und der als gering zu wertenden und nachträglich im vollen Umfang versteuerten Aufwandsentschädigung für die Nebentätigkeit in Form der Verfassung von Planskizzen der ausgesprochene Verweis als Disziplinarmaßnahme als ausreichend erachtet wird. Dieser Beschluss wird weiters damit begründet, dass gegen den (Mitbeteiligten) kein Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft oder der Finanzbehörde aufgenommen wurde und er als äußerst gewissenhafter, korrekter, zuverlässiger und fleißiger Gemeindebeamter einer über den erteilten Verweis hinausgehender Bestrafung nicht zugeführt werden soll."
Laut den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft vom 13. Jänner und seien - so die belangte Behörde weiter - die Ermittlungsverfahren gegen den Mitbeteiligten (bezüglich näher bezeichneter Anzeigen) wegen § 223 bzw. § 302 StGB eingestellt worden. Im Schreiben vom an die DK habe der Mitbeteiligte den Abschlussbericht des Finanzamtes W übermittelt und ausgeführt, dass kein strafrechtlich relevanter Tatbestand gegeben sei.
Nach zusammengefasster Wiedergabe des Inhaltes der Berufungsverhandlung kam die belangte Behörde (wenngleich sie es als erwiesen ansah, dass der Mitbeteiligte als Beamter der Marktgemeinde E über einen Zeitraum von sieben bis acht Jahren seine Dienstpflichten insofern verletzt habe, als er jährlich zwei bis fünf Planskizzen verfasst und dafür eine "Entschädigung" angenommen habe sowie die ihm zur Last gelegte Tätigkeit nicht unverzüglich dem Dienstgeber angezeigt habe) insgesamt zum Ergebnis, dass sich ihre Entscheidung darauf zu beschränken habe, ob der DK eine Prüfung hinsichtlich des (im besagten Gemeinderatsbeschluss bejahten) "Vorliegens eines berücksichtigungswürdigen Falles" im Sinne von § 69 K-GBG zukomme. Nach dieser Bestimmung könne der Gemeinderat u.a. "anordnen", dass in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen ein eingeleitetes Disziplinarverfahren wieder eingestellt werde. In formaler Hinsicht sei das Vorliegen einer Anordnung hier zu bejahen, da sich aus dem beglaubigten Auszug aus der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung vom der einstimmige Gemeinderatsbeschluss nachvollziehbar ergebe. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung des § 69 K-GBG werde die Prüfung der darin genannten Voraussetzungen eindeutig dem Gemeinderat auferlegt. Die "Anordnung" des Gemeinderates erfolge im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, der aus dem Bereich der Landesvollziehung herrühre. Die inhaltliche Prüfung von Gemeinderatsbeschlüssen im Bereich der Selbstverwaltung und somit auch des Vorliegens eines Gemeinderatsbeschlusses obliege gemäß § 100 K-AGO ausschließlich der Kärntner Landesregierung als Gemeinderatsaufsichtsbehörde gemäß § 119a B-VG. Die DK sei auch gegenüber der Gemeinde keine "sachlich in Betracht kommende Oberbehörde", sodass sie insgesamt nicht zur inhaltlichen Prüfung des gegenständlichen Gemeinderatsbeschlusses berechtigt sei, sondern ihr einzig die Verpflichtung zur Einstellung des Disziplinarverfahrens zukomme.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung von Gegenschriften seitens der belangten Behörde und des Mitbeteiligten erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Kärntner Gemeindebedienstetengesetzes - K-GBG, LGBl. Nr. 56/1992 in der Fassung LGBl. Nr. 71/1998, lauten (auszugsweise):
"§ 17
Allgemeine Pflichten
(1) Der öffentlich rechtliche Bedienstete hat sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienste zu widmen und die Pflichten seines Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, jederzeit auf die Wahrung der öffentlichen Interessen bedacht zu sein, sowie alles zu vermeiden und hintanzuhalten, was diesen abträglich sein oder den geordneten Gang der Verwaltung beeinträchtigen könnte. Hiebei ist er an die bestehenden Gesetze, Verordnungen und Dienstanweisungen gebunden.
(2) …
§ 54
Dienstpflichtverletzungen
Öffentlich rechtliche Bedienstete, die schuldhaft ihre
Dienstpflichten verletzten, sind nach den Bestimmungen dieses Abschnittes zur Verantwortung zu ziehen.
§ 55
Disziplinarstrafen
(1) Disziplinarstrafen sind
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1. | der Verweis, |
2. | die Geldbuße bis zur Höhe eines halben Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage, |
3. | die Geldstrafe bis zur Höhe von fünf Monatsbezügen unter Ausschluss der Kinderzulage, |
4. | die Entlassung. |
(2) …
§ 59
Disziplinarkommission
(1) …
(7) Die Mitglieder der Disziplinarkommission sind in Ausübung dieses Amtes - unbeschadet der Regelung des § 69 - an keine Weisungen gebunden. Die Disziplinarkommission muss die Landesregierung auf Verlangen über alle Gegenstände ihrer Geschäftsführung informieren.
§ 60
Disziplinaroberkommission
(1) …
(4) Die Mitglieder der Disziplinaroberkommission sind in Ausübung dieses Amtes - unbeschadet der Regelung des § 69 - an keine Weisungen gebunden. Die Disziplinaroberkommission muss die Landesregierung auf Verlangen über alle Gegenstände ihrer Geschäftsführung informieren.
§ 69
Gnadenrecht
Der Gemeinderat kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen verhängte Disziplinarstrafen erlassen oder mildern, deren Rechtsfolgen nachsehen sowie anordnen, dass ein Disziplinarverfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete Disziplinarverfahren eingestellt wird."
§§ 1 und 2 des Kärntner Nebenbeschäftigungsgesetzes, LGBl. Nr. 24/1986, lautet:
"§ 1 Anwendungsbereich
Dieses Gesetz findet auf die Bediensteten des Landes, der Gemeinden und der Gemeindeverbände Anwendung, die
a. eine erwerbsmäßige Nebenbeschäftigung im Sinne des § 61 Abs. 3 des Kärntner Dienstrechtsgesetzes oder
b. eine Tätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in einem sonstigen Organ einer auf Gewinn gerichteten juristischen Person des privaten Rechts im Sinne des § 61 Abs. 5 des Kärntner Dienstrechtsgesetzes ausüben.
§ 2 Anzeigepflicht
(1) Der Bedienstete hat seiner Dienstbehörde jede beabsichtigte Ausübung einer Nebenbeschäftigung nach § 1 unverzüglich anzuzeigen.
(2) Der Anzeige sind alle zur Beurteilung der Nebenbeschäftigung und zur Beurteilung der Auswirkungen der Nebenbeschäftigung erforderlichen Angaben, wie insbesondere Angaben über die Art und die Dauer der Nebenbeschäftigung anzuschließen.
(3) Enthält die Anzeige die im Abs. 2 geforderten Angaben nicht oder nicht vollständig, ist nach § 13 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes vorzugehen."
Nach § 100 der Kärntner Allgemeinen Gemeindeordnung K-AGO, LGBl. Nr. 66/1998, können rechtskräftige Bescheide sowie Beschlüsse oder sonstige Maßnahmen der Gemeindeorgane, die den Wirkungsbereich der Gemeinde überschreiten oder Gesetze oder Verordnungen verletzen, außer in den Fällen der §§ 95 und 99, von der Aufsichtsbehörde von Amts wegen oder über Antrag aufgehoben werden.
Soweit in der vorliegenden Beschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 69 K-GBG bzw. insbesondere der darin enthaltenen Passage " in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" vorgebracht werden, vermag der Verwaltungsgerichtshof diese nicht zu teilen:
Nach dem - von der Beschwerde herangezogenen - Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG stehen dem Bundespräsidenten in Einzelfällen die Befugnisse der Begnadigung der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten, die Milderung und Umwandlung der von den Gerichten ausgesprochenen Strafen, die Nachsicht von Rechtsfolgen und die Tilgung von Verurteilungen im Gnadenweg, ferner die Niederschlagung des strafgerichtlichen Verfahrens bei den von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlungen zu. § 25 des Verfassungsübergangsgesetzes 1920 räumt dem Bundespräsidenten das Gnadenrecht nur für Bundesbedienstete, nicht aber für Gemeindebedienstete ein.
Im Gegensatz zu dieser Kompetenz des Staatsoberhauptes, in Einzelfällen (unbeschränkt) in die Strafgerichtspflege einzugreifen, räumt § 69 K-BGB dem Gemeinderat im eigenen Wirkungsbereich ein Gnadenrecht in Disziplinarverfahren, die nach diesem Gemeindegesetz gegen zur Gemeinde in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stehenden Personen geführt werden, "in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" ein. In der mit der zuletzt genannten Passage vorgenommenen, einen Ermessensspielraum gewährenden Einschränkung kann keine unzureichende Determinierung im Sinne Art. 18 B-VG erblickt werden. Bei einer systematischen Interpretation dieser Bestimmung im Gesamtzusammenhang der disziplinarrechtlichen Vorschriften des K-GBG lässt sich nämlich mit hinreichender Deutlichkeit die Art und das Gewicht der Umstände erkennen, die diese berücksichtigungswürdig machen und die damit als die gesetzliche Voraussetzung für die Ausübung der mit dieser dem Gemeinderat als obersten Organ der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich (vgl. § 34 Abs. 1 der Kärntner Allgemeinen Gemeindeordnung - K-AGO) heranzuziehen sind. Für die Ausübung dieser Befugnis sind all jene Umstände maßgeblich, die für die Verhängung und Vollstreckung der Disziplinarstrafe von Gesetzes wegen von Bedeutung sind, wie Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung, Ausmaß der Schuld und das konkrete Verhalten des Gemeindebeamten (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit und Auslegung des Begriffs "besondere berücksichtigungswürdige Gründe" etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14.850/1997). Ebenso bestehen keine Bedenken, wenn eine inhaltliche Prüfung dieser im Rahmen eines Gemeinderatsbeschlusses im Bereich der Selbstverwaltung ergangenen Entscheidung ausschließlich der Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde gemäß § 100 K-AGO iVm § 119a B-VG zukommt.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, der Anregung des Beschwerdeführers zu folgen und ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich § 69 K-GBG beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten.
Der gegenständliche Gemeinderatsbeschluss ist nach der Aktenlage von der Kärntner Landesregierung aufsichtsbehördlich unberührt geblieben. Den befassten Disziplinarkommissionen kommt die Prüfung eines allfälligen Ermessensmissbrauches seitens des Gemeinderates nicht zu, sondern sind sie gemäß § 59 Abs. 7 und § 60 Abs. 4 K-GBG daran gebunden.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Die vom Mitbeteiligten überdies begehrte Mehrwertsteuer hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes findet darin keine Deckung.
Wien, am