VwGH vom 15.09.2011, 2009/09/0098

VwGH vom 15.09.2011, 2009/09/0098

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des Vereins M, vertreten durch Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 3/08114/2953216, betreffend Beschäftigungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom lehnte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Antrag des beschwerdeführenden Vereins auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den brasilianischen Staatsangehörigen V für die berufliche Tätigkeit als "Capoeira-Kursleiter" (bei einem monatlichen Bruttolohn von EUR 529,38 für eine Arbeitszeit von 25 Wochenstunden) gemäß § 4 Abs. 6 iVm § 4 Abs. 3 AuslBG ab. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die mit Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gemäß § 13 AuslBG festgelegte Landeshöchstzahl überschritten gewesen sei und keine der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 6 iVm Abs. 1 bis 3 AuslBG für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung vorliegen würden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die beschwerdeführende Partei zusammengefasst vor, dass es sich bei "Capoiera" um eine international anerkannte Kunstform handle, die Tanz mit Kampfkunst, Rhythmus mit Akrobatik und Poesie mit Ausdruck mische; seit sei diese Tanzform auch als internationales Kulturerbe in Brasilien anerkannt. Das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur habe im Rahmen des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs eine Dialog-Tour mit dem Programmpunkt: Tanzperformance "Abada Capoeira" veranstaltet. Im Rahmen dieses Impuls-Tanz-Festivals seien Capoeira-Workshops angeboten worden. An der künstlerischen Tätigkeit eines Capoiera-Kursleiters, dessen Aufgabe es sei, die Tanzform anderen zu lehren, könne daher kein Zweifel bestehen; der beantragte Arbeitnehmer verfüge auch über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten. Es seien dem beschwerdeführenden Verein für andere Arbeitnehmer für dieselbe Tätigkeit bereits Beschäftigungsbewilligungen als Künstler ausgestellt worden. Die erstinstanzliche Behörde habe sich mit der künstlerischen Tätigkeit und der diesbezüglichen Stellungnahme der beschwerdeführenden Partei nicht auseinandergesetzt, keinerlei Ermittlungen durchgeführt und auf § 4a AuslBG keinen Bezug genommen.

Dieser Berufung hat die belangten Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 4 Abs. 3 Z. 7 und Z. 11 AuslBG keine Folge gegeben.

In ihrer Bescheidbegründung hielt die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges dem Berufungsvorbringen entgegen, dass die Lehre der Tanzform Capoeira im beschwerdeführenden Verein "nach den getroffenen Erhebungen" nicht einer Tätigkeit entspreche, die überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sei. Es handle sich weder um eine Weiterentwicklung des Tanzes noch um eine Darbietung im Rahmen einer künstlerischen Veranstaltung oder eines Gesamtkonzepts. Der Unterricht dieses Tanzes durch V sei nicht als eine von künstlerischen Elementen bestimmte Tätigkeit einzustufen, weshalb § 4a AuslBG nicht zur Anwendung gelangen könne. Das Faktum, dass der beschwerdeführenden Partei für andere ausländische Staatsangehörige Beschäftigungsbewilligungen für die berufliche Tätigkeit "Tänzer" erteilt worden seien, lasse nicht die Qualifizierung von V als Künstler iSd § 4a AuslBG zu und könne keine Berücksichtigung finden. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei - so die belangte Behörde - festgestellt worden, dass V im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung als Künstler mit der Einschränkung "nur selbständige Erwerbstätigkeit zulässig" gemäß § 61 Abs. 1 NAG mit Gültigkeit vom bis gestanden sei, deren Verlängerung die beschwerdeführende Partei beim Amt der Wiener Landesregierung beantragt habe. Für die nunmehr von V zu verrichtende Erwerbstätigkeit reiche eine Aufenthaltsbewilligung als Künstler nicht aus. Außerdem sei V nach den beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger erfassten Versicherungsdaten seit - laut Schreiben der beschwerdeführenden Partei vom seit - mittels freiem Dienstvertrag als Angestellter im Verein der beschwerdeführenden Partei tätig; dies stelle gemäß § 4 Abs. 4 ASVG eine Verwendung dar, wofür eine Arbeitsberechtigung erforderlich sei, sodass nicht nur § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG sondern auch dessen Z. 11 einer Beschäftigungsbewilligung entgegenstehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom , B 38/09-5, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die §§ 4 und 4a des AuslBG in der hier maßgeblichen Fassung lauten (auszugweise) wie folgt:

"§ 4. (1) Die Beschäftigungsbewilligung ist, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt ist, zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zuläßt und wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen.

(2) …

(3) Die Beschäftigungsbewilligung darf weiters nur erteilt werden, wenn

7. der Ausländer über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG oder dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, verfügt, das die Ausübung einer Beschäftigung nicht ausschließt, oder einen Asylantrag eingebracht hat, über den seit drei Monaten nicht rechtskräftig abgesprochen wurde, und das Verfahren nicht eingestellt wurde (§ 24 AsylG 2005) oder auf Grund einer Verordnung gemäß § 76 NAG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt;

11. die Beschäftigung, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nicht bereits begonnen hat;

(6) Nach Überschreitung festgelegter Landeshöchstzahlen gemäß § 13 dürfen weitere Beschäftigungsbewilligungen nur dann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen der Abs. 1 bis 3 vorliegen und

1. der Regionalbeirat die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung einhellig befürwortet oder

2. die Beschäftigung des Ausländers im Hinblick auf seine fortgeschrittene Integration geboten erscheint oder

3. die Beschäftigung im Rahmen eines Kontingents gemäß § 5 ausgeübt werden soll oder


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4.
der Ausländer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 erfüllt oder
4a.
der Ausländer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind (einschließlich Stief- und Adoptivkind) eines auf Dauer rechtmäßig niedergelassenen und beschäftigten Ausländers ist oder
5.
die Beschäftigung auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung ausgeübt werden soll oder
6.
der Ausländer einer Personengruppe angehört, die auch nach Überziehung der Bundeshöchstzahl zu einer Beschäftigung zugelassen werden darf (§ 12a Abs. 2).

§ 4a. (1) Für einen Ausländer, dessen unselbständige Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, darf die Beschäftigungsbewilligung auch bei Fehlen der Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 bis 3 nur versagt werden, wenn die Beeinträchtigung der durch dieses Bundesgesetzes geschützten öffentlichen Interessen unverhältnismäßig schwerer wiegt als die Beeinträchtigung der Freiheit der Kunst des Ausländers.

(2) Bei der Abwägung gemäß Abs. 1 ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, daß durch die Versagung der Beschäftigungsbewilligung dem Ausländer eine zumutbare Ausübung der Kunst im Ergebnis nicht unmöglich gemacht wird. Dabei darf weder ein Urteil über den Wert der künstlerischen Tätigkeit, deren unselbständige Ausübung beantragt wurde, noch über die künstlerische Qualität des Künstlers, für den die Beschäftigungsbewilligung beantragt wurde, maßgebend sein.

(3) Die Voraussetzung der künstlerischen Tätigkeit des Ausländers im Sinne des Abs. 1 ist bei begründeten Zweifeln glaubhaft zu machen."

Die beschwerdeführende Partei wendet ein, dass die belangte Behörde zu Unrecht die Anwendung von § 4a AuslBG verneint habe, und macht dazu u.a. das Vorliegen von Begründungsmängeln geltend.

Damit kommt der Beschwerde Berechtigung zu:

Gemäß § 4a Abs. 1 AuslBG darf die Beschäftigungsbewilligung für einen Ausländer, dessen unselbständige Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, auch bei Fehlen der Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 bis 3 nur versagt werden, wenn die Beeinträchtigung der durch dieses Bundesgesetzes geschützten öffentlichen Interessen unverhältnismäßig schwerer wiegt als die Beeinträchtigung der Freiheit der Kunst des Ausländers.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Zlen. 97/09/0244 und 97/09/0245, dargelegt hat, ist bei der Prüfung der sachverhaltsmäßigen Anwendungsvoraussetzungen des § 4a AuslBG zu berücksichtigen, dass dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens eine Verpflichtung der Partei zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes korrespondiert, was immer dann der Fall ist, wenn der amtswegigen behördlichen Erhebung im Hinblick auf die nach den materiell-rechtlichen Verwaltungsvorschriften zu beachtenden Tatbestandsmerkmale faktische Grenzen gesetzt sind. Dies trifft auf die Bestimmung des § 4a AuslBG insofern zu, als die nach Abs. 1 leg. cit. vorzunehmende Interessenabwägung notwendiger Weise ein entsprechendes Vorbringen und Bescheinigungsanbringen der Partei über die beabsichtigte künstlerische Tätigkeit des Ausländers voraussetzt (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0294).

Die belangte Behörde hat die Rechtslage insoweit verkannt, als nach der angewendeten Bestimmung des § 4a AuslBG kein "Qualifikationsnachweis" zu erbringen ist, sondern lediglich die Voraussetzung der beabsichtigten künstlerischen Tätigkeit bei begründeten Zweifeln glaubhaft zu machen ist. Die beschwerdeführende Partei ist daher damit im Recht, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht im vorliegenden Verwaltungsverfahren dahingehend nachgekommen ist, dass allfällige Zweifel über die künstlerische Tätigkeit des Ausländers durch den Hinweis darauf, dass bereits in der Vergangenheit anderen Arbeitnehmern des beschwerdeführenden Vereins für dieselbe Tätigkeit Beschäftigungsbewilligungen als Künstler ausgestellt worden sei, zunächst ausreichend ausgeräumt wurden. Die belangte Behörde, die die Qualifikation von V für die gegenständliche Tätigkeit offenkundig nicht in Zweifel zieht, unterlässt es aber, sich im angefochtenen Bescheid mit dem Vorbringen zur Beurteilung "der Tanzform Capoeira" auseinanderzusetzen; es bleibt auch völlig offen, auf Grund welcher "getroffenen Erhebungen" sie das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit iSd § 4a AuslBG verneint, womit der angefochtene Bescheid auch einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht standzuhalten vermag (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/07/0184).

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am