VwGH vom 22.07.2015, Ra 2014/02/0148

VwGH vom 22.07.2015, Ra 2014/02/0148

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-GF-14-0012, betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf; mitbeteiligte Partei: Ing. K in S, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis vom verhängte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf über den Mitbeteiligten gemäß "§ 130 Abs. 1 Z 2" des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) zwei Geldstrafen zu je EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von je 120 Stunden). Der Mitbeteiligte habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer der S GmbH zu verantworten, dass am ein Arbeitnehmer in einer näher bezeichneten Arbeitsstätte der S GmbH mit Arbeiten an der Grundwasserfreilegung (Teich) beschäftigt gewesen sei, ohne dass mit der Handhabung der Schutzausrüstung und Rettungsmittel unterwiesene Personen in ausreichender Zahl einsatzbereit anwesend gewesen seien, obwohl in diesem Bereich Ertrinkungsgefahr auftreten könne und der Mitbeteiligte für diese zu sorgen hätte (Spruchpunkt 1.). Der Mitbeteiligte habe in seiner Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer der S GmbH auch zu verantworten (Spruchpunkt 2.), dass in der genannten Arbeitsstätte der S GmbH am der "tagspezifische" (gemeint: tagbauspezifische) Gefahrenbereich am Ufer des Teiches, also der Bereich der Böschungskante der Grundwasserfreilegung, nicht durch technische Maßnahmen, zB durch Dämme, Wälle, Freisteine oder Absperrungen gegen unbefugtes Betreten oder Befahren abgesichert gewesen sei. Es seien vom Mitbeteiligten als Arbeitgeber auch keine Maßnahmen gesetzt worden, um ein unbefugtes Betreten oder Befahren zu verhindern, zB durch deutlich sichtbare Kennzeichnung der Gefahrenbereiche, schriftliche Anweisungen und eine wirksame Überwachung. Zum Erhebungszeitpunkt hätten sich zumindest 20 Personen im Bereich der Grundwasserfreilegung befunden. Der Mitbeteiligte habe dadurch die Rechtsvorschriften des § 6 Abs. 2 der Tagbauarbeitenverordnung (TAV), BGBl. II Nr. 416/2010, iVm § 130 Abs. 1 Z 22 ASchG bzw. des § 10 Abs. 2 der TAV iVm "§ 130 Abs. 1 Z 2" (gemeint wohl: § 130 Abs. 1 Z 6) ASchG verletzt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es die Revision für unzulässig.

In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, unbestritten sei, dass am ein Arbeitnehmer der K GmbH (Herr G.) nach einem tödlichen Arbeitsunfall auf einem näher bezeichneten Abbaufeld im Bereich einer Arbeitsstätte der S GmbH aufgefunden worden sei. Die K GmbH habe auf Werkvertragsbasis Baggerungsarbeiten für die S GmbH durchgeführt. Der verunfallte Arbeitnehmer sei nicht Arbeitnehmer der S GmbH und sei für dieses Unternehmen auch nicht im Wege der Arbeitskräfteüberlassung tätig gewesen. Nach den Ausführungen des Mitbeteiligten seien die Arbeiten noch am Vortag für beendet erklärt worden. Dies sei auch im Zuge der öffentlichen mündlichen Verhandlung durch einen Zeugen bestätigt worden.

Zum Zeitpunkt der Erhebung des Arbeitsinspektorates seien die Bergungsarbeiten durchgeführt worden. Der Zeuge Dipl.-Ing. B. habe im Zuge der Verhandlung Lichtbilder beigebracht, auf denen die Rettungskräfte und Einsatzfahrzeuge ersichtlich seien. Bei den eingesetzten Rettungs- und Bergungskräften könne jedoch nicht von unbefugten Personen gesprochen werden. Auf der Anzeige des Arbeitsinspektorates sei lediglich eine Zahl von 20 Personen angeführt. Es sei daraus jedoch kein Hinweis zu entnehmen, dass unbefugte Personen, dh Personen, die nicht mit der Suche des verunfallten Arbeitnehmers und der Bergung des Baggers zu tun gehabt hätten, vor Ort gewesen wären. Auf den im Zuge der Verhandlung beigebrachten Fotos sei auch ersichtlich, dass vor der Absturzkante ein - wenn auch niedriger - Erdwall vorhanden sei. Die Abbruchkante sei jedoch generell gut erkennbar.

Der Verunfallte sei nicht Arbeitnehmer der S GmbH gewesen; sohin sei der Mitbeteiligte als zur Vertretung nach außen berufenes Organ iSd § 9 Abs. 1 VStG nicht verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich. Zu Spruchpunkt 2. werde ausgeführt, dass keine unbefugten Personen aufhältig gewesen seien, sodass mangels Tatbestandsvoraussetzung die Einstellung des Strafverfahrens zu verfügen gewesen sei.

Die Revision sei unzulässig, weil es sich um keine Rechtsfrage handle, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gemäß § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes (ArbIG) erhobene außerordentliche Revision mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit den Anträgen, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen, und auf Zuerkennung der durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren entstandenen Kosten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, in der hier maßgeblichen Fassung lauten (auszugsweise):

" Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Arbeitnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die im Rahmen eines Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnisses tätig sind. Geistliche Amtsträger gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften sind keine Arbeitnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes. Arbeitgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes ist jede natürliche oder juristische Person, Personengesellschaft des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaft, die als Vertragspartei des Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer die Verantwortung für das Unternehmen oder den Betrieb trägt.

(...)

Überlassung

§ 9. (1) Eine Überlassung im Sinne dieses Bundesgesetzes liegt vor, wenn Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung gestellt werden, um für sie und unter deren Kontrolle zu arbeiten. Überlasser ist, wer als Arbeitgeber Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung an Dritte verpflichtet. Beschäftiger ist, wer diese Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung einsetzt.

(2) Für die Dauer der Überlassung gelten die Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes.

(...)

Strafbestimmungen

§ 130. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 EUR bis 7 260 EUR, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 290 EUR bis 14 530 EUR zu bestrafen ist, begeht, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen

(...)

6. die durchzuführenden Schutzmaßnahmen nicht festlegt oder nicht für deren Einhaltung sorgt,

(...)

22. Arbeitnehmer beschäftigt, ohne daß die gemäß § 62 Abs. 5 erforderliche Aufsicht gewährleistet ist,

(...)"

1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG), BGBl. Nr. 196/1988, in der hier maßgeblichen Fassung lauten (auszugsweise):

" Begriffsbestimmungen

§ 3. (1) Überlassung von Arbeitskräften ist die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte.

(2) Überlasser ist, wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet.

(3) Beschäftiger ist, wer Arbeitskräfte eines Überlassers zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzt.

(4) Arbeitskräfte sind Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen. Arbeitnehmerähnlich sind Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wirtschaftlich unselbständig sind.

Beurteilungsmaßstab

§ 4. (1) Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend.

(2) Arbeitskräfteüberlassung liegt insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber

1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder

2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder

3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder

4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet."

1.3. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 92/104/EWG des Rates vom über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in übertägigen oder untertägigen mineralgewinnenden Betrieben (Zwölfte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG), ABl. L 404 vom , Seite 10 (RL 92/104/EWG), lauten (auszugsweise):

" Artikel 1

Ziel

(1) Diese Richtlinie ist die zwölfte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG; sie legt Mindestvorschriften in bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in den übertägigen oder untertägigen mineralgewinnenden Betrieben nach Artikel 2 Buchstabe a) fest.

(2) Die Richtlinie 89/391/EWG findet unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie auf den gesamten in Absatz 1 genannten Bereich in vollem Umfang Anwendung.

Artikel 2

Definitionen

Im Sinne dieser Richtlinie sind:

(...)

b) Arbeitsstätte: alle Örtlichkeiten, die zur Einrichtung von Arbeitsplätzen vorgesehen sind und die Haupt- und Nebenbetriebe sowie Anlagen der übertägigen oder untertägigen mineralgewinnenden Betriebe umfassen - einschließlich der Abraumhalden und sonstigen Halden sowie gegebenenfalls vorhandener Unterkünfte -, zu denen die Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben.

(...)

Artikel 10

Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz

(1) Arbeitsstätten, die zum ersten Mal nach dem in Artikel 13 Absatz 1 genannten Zeitpunkt genutzt werden, zu dem die Mitgliedstaaten dieser Richtlinie spätestens nachzukommen haben, müssen den im Anhang auf geführten Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz entsprechen.

(2) Arbeitsstätten, die bereits vor dem in Artikel 13 Absatz 1 genannten Zeitpunkt genutzt wurden, zu dem die Mitgliedstaaten dieser Richtlinie spätestens nachzukommen haben, müssen möglichst bald, spätestens je doch neun Jahre nach diesem Zeitpunkt, die im Anhang aufgeführten Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz erfüllen.

(3) Werden an Arbeitsstätten nach dem in Artikel 13 Absatz 1 genannten Zeitpunkt, zu dem die Mitgliedstaaten dieser Richtlinie spätestens nachzukommen haben, Änderungen, Erweiterungen und/oder Umgestaltungen vorgenommen, so hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit diese Änderungen, Erweiterungen und/oder Umgestaltungen mit den entsprechenden Mindestvorschriften des Anhangs übereinstimmen.

(...)

ANHANG

MINDESTVORSCHRIFTEN FÜR SICHERHEIT UND GESUNDHEITSSCHUTZ

NACH ARTIKEL 10

Vorbemerkung

Die Anforderungen dieses Anhangs gelten in allen Fällen, in denen die Eigenschaften der Arbeitsstätte oder der Tätigkeit, die Umstände oder eine besondere Gefahr dies erfordern.

ABSCHNITT A

GEMEINSAME MINDESTVORSCHRIFTEN FÜR ÜBERTÄGIGE UND UNTERTÄGIGE

MINERALGEWINNENDE BETRIEBE UND ZUGEHÖRIGE TAGESANLAGEN

(...)

8. Gefahrenbereiche

8.1. Die Gefahrenbereiche müssen gut sichtbar gekennzeichnet sein.

8.2. Befinden sich in den Arbeitsstätten durch die Art der Arbeit bedingte Gefahrenbereiche, in denen z.B. Sturzgefahr für die Arbeitnehmer oder die Gefahr des Herabfallens von Gegenständen besteht, so müssen diese Bereiche nach Möglichkeit mit Vorrichtungen ausgestattet sein, die unbefugte Arbeitnehmer am Betreten dieser Bereiche hindern.

8.3. Zum Schutz der Arbeitnehmer, die zum Betreten der Gefahrenbereiche befügt sind, sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen."

1.4. Die maßgeblichen Bestimmungen der Tagbauarbeitenverordnung (TAV), BGBl. II Nr. 416/2010, lauten (auszugsweise):

" Geltungsbereich

§ 1. Die Verordnung gilt für Arbeitsstätten und auswärtige Arbeitsstellen im Sinn des ASchG, die folgenden Tätigkeiten dienen:

1. Aufsuchen oder Gewinnen fester mineralischer Rohstoffe obertage,

2. Aufbereiten dieser mineralischen Rohstoffe obertage in Zusammenhang mit den Tätigkeiten nach Z 1,

3. Tätigkeiten im Zuge des Betreibens, der Instandhaltung und Wartung von untertägigen und unterirdischen Förderanlagen und - einrichtungen (z.B. Sturzschächte und Förderstrecken, unterirdische Abzugseinrichtungen und Tunnel) in Zusammenhang mit den Tätigkeiten nach Z 1 und 2.

(...)

Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Sinn dieser Verordnung bedeuten die Begriffe

1. Tagbau: Teil einer Arbeitsstätte oder auswärtigen Arbeitsstelle, in dem mineralische Rohstoffe obertage gewonnen werden,

(...)

7. tagbauspezifische Gefahrenbereiche: jene Bereiche eines Tagbaues, insbesondere auf Arbeitsetagen, in denen Gefahren wie Absturz, Herabfallen von Gestein, Verschüttet werden oder Ertrinken, bestehen.

(...)

Tagbauspezifische Gefahrenbereiche

§ 10. (...)

(2) Tagbauspezifische Gefahrenbereiche sind durch technische Maßnahmen, z.B. durch Dämme, Wälle, Freisteine oder Absperrungen, gegen unbefugtes Betreten oder Befahren abzusichern. Ist eine Absicherung durch technische Maßnahmen nicht möglich, sind andere Maßnahmen zu setzen, um ein unbefugtes Betreten oder Befahren zu verhindern, z.B. deutlich sichtbare Kennzeichnung der Gefahrenbereiche, schriftliche Anweisungen und eine wirksame Überwachung.

(...)"

1.5. Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitsinspektionsgesetzes (ArbIG), BGBl. Nr. 27/1993, in der Fassung BGBl. I Nr. 71/2013, lauten (auszugsweise):

" Beteiligung der Arbeitsinspektion an Verfahren in Verwaltungsstrafsachen

§ 11. (1) In Verwaltungsstrafverfahren wegen der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist das zuständige Arbeitsinspektorat (§ 15 Abs. 6) Partei. Dies gilt auch für das Verfahren der Verwaltungsgerichte.

(...)

Revision beim Verwaltungsgerichtshof

§ 13. Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz ist bei Verfahren gemäß §§ 11 und 12 berechtigt, gegen Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Revision beim Verwaltungsgerichtshof zu erheben."

1.6. § 183 des Mineralrohstoffgesetzes (MinroG), BGBl. I Nr. 38/1999, lautet:

" Anwendung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes

§ 183. Für die diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeiten gilt das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung."

2. Zur Zulässigkeit der Revision durch den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz:

2.1. In der Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, es sei keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum für das vorliegende Verfahren relevanten § 10 Abs. 2 TAV ersichtlich; außerdem weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung zur Absicherung von Gefahrenbereichen nach der Bauarbeitenschutzverordnung (BauV), BGBl. Nr. 340/1994, und zum Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung ab.

2.2. Der Mitbeteiligte bestreitet in seiner Revisionsbeantwortung die Revisionsberechtigung des revisionswerbenden Bundesministers nach § 13 ArbIG: Eine "unmittelbare Übertretung" des ASchG - und damit ein Verfahren nach § 11 Abs. 1 ArbIG - habe im verfahrensgegenständlichen Fall nicht vorliegen können, weil sich die in Rede stehenden Vorfälle in einem Bergbaubetrieb bzw. in einem Mineralrohstoffe gewinnenden Betrieb zugetragen hätten. Die verfahrensgegenständlichen Arbeitnehmerschutzbestimmungen seien eindeutig Teil des Bergrechts: Der Bundesgesetzgeber habe nämlich in § 183 MinroG angeordnet, dass für die dem MinroG unterliegenden Tätigkeiten das ASchG in der jeweils geltenden Fassung gelte, in den Gesetzesmaterialien dazu aber Folgendes klargestellt (ErlRV 1428 BlgNR 20. GP 124; Hervorhebungen und Auslassung durch den Mitbeteiligten):

"Der Arbeitnehmerschutz wird seit jeher als Teil des Bergrechts verstanden und ist ein integrierender Bestandteil desselben. (...) In Fortsetzung der nach der geltenden Rechtslage bestehenden Rezipierung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes - ASchG -, welche derzeit bloß statisch erfolgt, soll nunmehr auch für den Bergbau eine dynamische Rezipierung erfolgen."

Damit habe der einfache Bundesgesetzgeber sichergestellt, dass die Arbeitnehmerschutzbestimmungen materiell auch in Zusammenhang mit den dem MinroG unterliegenden Tätigkeiten zu beachten seien. Der normative Wille des Bundesgesetzgebers sei dabei eindeutig der gewesen, dass - im Hinblick auf die auch in den Gesetzesmaterialien unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte "dynamische Rezipierung" - auch die Überwachung der Einhaltung der auf Grundlage von § 183 MinroG rezipierten Arbeitnehmerschutzbestimmungen ebenso wie der restlichen Bestimmung des MinroG - wie auch § 99 Z 6 ASchG (Anmerkung: in der zuletzt durch BGBl. I Nr. 71/2013 geänderten Fassung) zeige - den Mineralrohstoffbehörden und daher letztlich dem Bundesminister für Wissenschaft, Familie und Wirtschaft als oberste Mineralrohstoff-, bzw. Montanbehörde obliege.

2.3. Diese Ansicht ist unzutreffend, weil sie nicht mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in Einklang gebracht werden kann: Anders als noch in der RV 1428 BlgNR 20. GP, auf die sich auch die vom Mitbeteiligten ins Treffen geführten Erläuterungen beziehen, sieht § 183 MinroG in der beschlossenen Fassung nämlich - ohne jede Einschränkung - vor, dass für die diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeiten das ASchG gilt. Dementsprechend wurde im Bericht des Wirtschaftsausschusses festgehalten (AB 1527 BlgNR 20. GP 2):

"Der Arbeitnehmerschutz im Bergbau wird in Hinkunft vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales übernommen."

Aus diesem Grund kommt dem revisionswerbenden Bundesminister nach § 13 ArbIG die Berechtigung zu, auch im hier vorliegenden Fall Revision gegen das angefochtene Erkenntnis zu erheben.

3. Begründend führt der revisionswerbende Bundesminister im Wesentlichen ins Treffen, der Mitbeteiligte habe nach dem angefochtenen Erkenntnis selbst ausgeführt, dass der verunfallte Herr G. ca. zwei Jahre in der Kiesgrube der S GmbH gearbeitet, seine Arbeiten während der genehmigten Betriebszeiten verrichtet und dabei zum Teil Arbeitsmittel der S GmbH verwendet habe. Offenbar habe der Mitbeteiligte der Aussage des Zeugen K. zufolge G. teilweise auch Weisungen erteilt. Schon die lange Tätigkeitsdauer deute nach Ansicht des revisionswerbenden Bundesministers darauf hin, dass G. organisatorisch in den Betrieb der S GmbH eingegliedert gewesen sei und kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen der S GmbH abweichendes, unterscheidbares und der K GmbH zurechenbares Werk hergestellt oder an dessen Herstellung mitgewirkt habe. Im Sinne der Gesamtbetrachtung dürfte daher nach Auffassung des revisionswerbenden Bundesministers von einer Arbeitskräfteüberlassung auszugehen sein, wobei für eine abschließende Beurteilung Ergänzungen des Sachverhaltes erforderlich seien.

4. Nach § 9 ASchG liegt eine Überlassung iSd Gesetzes dann vor, wenn Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung gestellt werden, um für sie unter deren Kontrolle zu arbeiten. Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist gemäß § 4 Abs. 1 AÜG der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgeblich.

Nach § 4 Abs. 2 AÜG liegt Arbeitskräfteüberlassung insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen und eine der vier Ziffern dieser Bestimmung zur Gänze erfüllt ist. Dann ist eine Arbeitskräfteüberlassung jedenfalls gegeben und es bedarf keiner Gesamtbeurteilung des Sachverhaltes iSd § 4 Abs. 1 AÜG. Daher kann selbst im Fall zivilrechtlich als Werkvertrag einzustufender Vereinbarungen (und einer entsprechenden Vertragsabwicklung) zwischen Unternehmer und "Subunternehmer" eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegen (vgl. zu alledem das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2010/09/0161 bis 0163 sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/02/0141).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung nicht entscheidend, ob und welche Rechtsbeziehungen zwischen dem Beschäftiger (Auftraggeber) und der Arbeitskraft, aber auch zwischen dem Beschäftiger und dem Überlasser bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/02/0196, mwN). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt oder nicht, ist - unabhängig von der zivilrechtlichen Form, in die das Arbeitsverhältnis gekleidet ist - die Beurteilung sämtlicher für und wider ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis im konkreten Fall sprechender Umstände, die nicht isoliert voneinander gesehen werden dürfen, sondern in einer Gesamtbetrachtung nach Zahl, Stärke und Gewicht zu bewerten sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/09/0147, mwN).

5. Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl insbesondere das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/03/0076). Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/18/0097).

6. Diesen Anforderungen an die Begründung wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht:

Das Verwaltungsgericht hat keinerlei Feststellungen getroffen, die das von ihm erzielte rechtliche Ergebnis stützen könnten. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das Verwaltungsgericht mit den erstatteten Vorbringen und Zeugenaussagen oder den vorgelegten Urkunden in irgendeiner Form auseinander gesetzt und diese in ihre Überlegungen miteinbezogen hätte. Vom Verwaltungsgericht wäre insbesondere zu klären gewesen, ob Arbeitskräfte ein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen der S GmbH abweichendes, unterscheidbares und der K GmbH zurechenbares Werk hergestellt oder an dessen Herstellung mitgewirkt haben, sie die Arbeit vorwiegend mit Material und Werkzeug der K GmbH leisteten oder organisatorisch in den Betrieb der S GmbH eingegliedert waren und deren Dienst- und Fachaufsicht unterstanden.

Die rechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes im Zusammenhang mit der Verneinung der Arbeitgebereigenschaft der

S GmbH erschöpfen sich zur Gänze in Rechtsbehauptungen (mit der

K GmbH bestehe ein Werkvertrag, Herr G. sei somit nicht Arbeitnehmer der S GmbH und auch nicht im Wege der Arbeitskräfteüberlassung tätig gewesen) ohne konkrete Tatsachenfeststellungen, weshalb das angefochtene Erkenntnis mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet ist (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/02/0196, mwN).

7. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich damit insoweit als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

8. Der revisionswerbende Bundesminister führt weiter aus, das Verwaltungsgericht habe die Auffassung vertreten, eine Übertretung des § 10 Abs. 2 TAV liege nur vor, wenn der tagbauspezifische Gefahrenbereich nicht entsprechend abgesichert sei und er tatsächlich von Unbefugten betreten oder befahren werde. Nach Ansicht des revisionswerbenden Bundesministers sei § 10 Abs. 2 TAV jedoch so zu verstehen, dass durch die Absicherung der Möglichkeit eines unbefugten Betretens oder Befahrens vorgebeugt werden müsse. Es müsse somit nur die abstrakte Möglichkeit eines Betretens oder Befahrens bestehen. Dies ergebe sich auch aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu §§ 7 und 87 ff der BauV, wonach es bei Arbeitnehmerschutznormen auf die Verhinderung abstrakter Gefahrenlagen ankomme und Absturzsicherungen an allen Gefahrenstellen anzubringen seien, bei denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie von Arbeitnehmern betreten würden. Ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr bestehe, sei nicht entscheidend (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/02/0097, vom , Zl. 2008/02/0128, vom , Zl. 2008/02/0129, vom , Zl. 2006/02/0237 und vom , Zl. 2004/02/0002). In einem Tagbau sei natürlich stets mit der Möglichkeit eines Betretens des Gefahrenbereichs zumindest durch Arbeitnehmer zu rechnen. Dem Schutz der Arbeitnehmer und nicht etwa von unbeteiligten Passanten solle § 10 Abs. 2 TAV dienen, woraus sich ergebe, dass die Absicherung dem unbefugten Betreten durch Arbeitnehmer vorbeugen solle. Dies ergebe sich aus dem Anhang, Abschnitt A Punkt 8.2. der RL 92/104/EWG.

9. Gemäß § 10 Abs. 2 TAV sind tagbauspezifische Gefahrenbereiche durch technische Maßnahmen gegen unbefugtes Betreten oder Befahren abzusichern. Ist eine Absicherung durch technische Maßnahmen nicht möglich, sind andere Maßnahmen zu setzen, um unbefugtes Betreten oder Befahren zu verhindern.

10. Nach den Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der TAV soll mit dieser Bestimmung der Anhang, Abschnitt A, Punkt 8. der RL 92/104/EWG umgesetzt werden. Nach dem Anhang, Abschnitt A, Punkt 8.2. der RL 92/104/EWG sollen unbefugte Arbeitnehmer am Betreten von Gefahrenbereichen gehindert werden.

Damit ist klargestellt, dass der Verordnungsgeber in § 10 Abs. 2 TAV den spezifischen Schutz von Arbeitnehmern im Auge hatte. Dementsprechend fügt sich diese Bestimmung in das System des Arbeitnehmer-Gefahrenschutzes ein.

11. Der Verwaltungsgerichtshof hat im bereits zitierten Erkenntnis vom , Zl. 2009/02/0097, unter Hinweis auf Vorjudikatur ausgesprochen, dass für Absturzsicherungen auch dann Sorge zu tragen ist, wenn zwar an der Absturzstelle gerade nicht gearbeitet wird, aber jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass Arbeiten im Bereich der Absturzstelle durchgeführt werden, wobei das Kontrollsystem auch in Fällen "kurzfristiger" Arbeiten funktionieren muss.

Auch für eine Anwendbarkeit von § 10 Abs. 2 TAV kommt es daher nicht auf eine konkrete Gefahr an, die von tagbauspezifischen Gefahrenbereichen ausgeht, sondern auf die Verhinderung abstrakter Gefahrenlagen (vgl. allgemein und zur "Absturzgefahr" nach § 87 BauV die bereits zitierten hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/02/0128, sowie vom , Zl. 2008/02/0129).

12. Das Verwaltungsgericht hat das Verwaltungsstrafverfahren zu diesem Spruchpunkt des Straferkenntnisses mit der Begründung eingestellt, dass keine unbefugten Personen aufhältig gewesen seien. Bei den eingesetzten Rettungs- und Bergungskräften könne nicht von unbefugten Personen gesprochen werden. Der Anzeige des Arbeitsinspektorates sei kein Hinweis zu entnehmen, dass unbefugte Personen, dh Personen, die nicht mit der Suche des verunfallten Herrn G. und der Bergung des Baggers zu tun gehabt hätten, vor Ort gewesen wären.

13. Damit finden sich im angefochtenen Erkenntnis jedoch keine Ausführungen dazu, ob es im konkreten Fall auszuschließen war, dass sich ein Arbeitnehmer dem Gefahrenbereich nähert.

14. Das angefochtene Erkenntnis leidet daher insoweit an einem wesentlichen Begründungsmangel, sodass sich das angefochtene Erkenntnis auch insoweit als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erweist.

15. Im Übrigen lassen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes auch keine Überprüfung dahingehend zu, ob - angesichts der gegen den Mitbeteiligten zunächst geführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die nach einer im vorgelegten Verwaltungsakt erliegenden Mitteilung gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurden - gegebenenfalls eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens geboten war, um im Lichte des Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention eine unzulässige Doppelbestrafung des Mitbeteiligten zu vermeiden (siehe dazu näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/02/0238).

16. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am