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VwGH vom 15.04.2016, Ra 2014/02/0058

VwGH vom 15.04.2016, Ra 2014/02/0058

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich in Linz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-600317/2/MS/BD, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: W in L, vertreten durch die Haslinger/Nagele Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Roseggerstraße 58), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei vom wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe am an einem näher bezeichneten Ort ein Kfz vor einer Garageneinfahrt zum Parken abgestellt, sodass andere Verkehrsteilnehmer am Einfahren in die dortige Tiefgarage gehindert gewesen seien. Der Mitbeteiligte habe hierdurch gegen § 24 Abs. 3 lit. b StVO verstoßen. Über den Mitbeteiligten wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 69 Stunden) verhängt.

2 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Dieses gab der Beschwerde gemäß § 50 VwGVG statt, behob das bekämpfte Straferkenntnis und sprach aus, dass "das Straferkenntnis eingestellt" werde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

3 Im angefochtenen Erkenntnis hielt das Verwaltungsgericht fest, dass es von vorliegendem Sachverhalt ausgehe: Der Mitbeteiligte habe sein Fahrzeug am um 19.27 Uhr vor der Garageneinfahrt auf der mittleren Einfahrtspur der Tiefgarage an einem näher genannten Ort in Linz unmittelbar vor dem Einfahrschranken abgestellt, weil er aufgrund des defekten Schrankens, der sich nicht geöffnet habe, nicht in das Parkhaus habe einfahren können. Das Fahrzeug sei dort bis 19.55 Uhr verblieben. Zu diesem Zeitpunkt sei das Fahrzeug abgeschleppt worden. Der Mitbeteiligte habe im Verfahren vorgebracht, dass er sein Fahrzeug in der mittleren Einfahrtspur der Tiefgarage unmittelbar vor dem Schranken infolge des defekten Schrankens abgestellt habe. Auf dieses Verhalten sei nach Ansicht des Mitbeteiligten die Bestimmung des § 24 Abs. 3 lit. b StVO nicht anwendbar, weil Parkhäuser vom Anwendungsbereich der StVO nicht mitumfasst seien. Nach Darstellung der relevanten rechtlichen Bestimmungen verwies das Verwaltungsgericht auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2012/02/0038, in welcher dieser unter Verweis auf das Erkenntnis vom , 2003/02/0073, festgehalten habe, dass Straßen Landflächen seien, die dem Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr dienen, also der räumlichen Fortbewegung von einem Ort zu einem anderen Ort durch Personen oder Fahrzeuge, wobei als Zweck der Fortbewegung die Raumüberwindung im Vordergrund stehen müsse. Stehe ein anderer Zweck als die Raumüberwindung im Vordergrund und sei die Raumüberwindung lediglich Nebenzweck, dann könne eine Landfläche, die einem solchen "anderen Zweck" diene, nicht als Straße im Sinne der Straßenverkehrsordnung qualifiziert werden. Unter Zugrundelegung der geltenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei daher § 1 Abs. 1 StVO 1960 nicht anwendbar und es fehle schon aus diesem Grund die rechtliche Grundlage für die Bestrafung des Mitbeteiligten. Da die angewandte Bestimmung nicht auf den gegenständlichen Sachverhalt anzuwenden sei, sei der angefochtene Bescheid aufzuheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich als vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben und zurückverweisen, in eventu in der Sache selbst entscheiden und das Straferkenntnis der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vollinhaltlich bestätigen. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Vorauszuschicken ist zunächst, dass entgegen dem Vorbringen des Mitbeteiligten die vorliegende Revision nicht gemäß § 25a Abs. 4 VwGG unzulässig ist.

7 Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist im Falle einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig, wenn eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu 400 Euro verhängt wurde.

8 Der Mitbeteiligte bringt diesbezüglich unter anderem vor, dass sich der Gesetzgeber in § 25a Abs. 4 VwGG zwar explizit nur auf Fälle von Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG beziehe, darin jedoch ein unbeachtliches Vergreifen im Ausdruck liege. Wolle man § 25a Abs. 4 VwGG eine solche Beschränkung unterstellen, überschreite die Norm sowohl die Grenzen der Ermächtigung des Art. 133 Abs. 4 B-VG als auch die zwingenden Vorgaben des Art. 6 EMRK. Da der einfache Gesetzgeber mit § 25a Abs. 4 VwGG unzweifelhaft von der Ermächtigung iSd Art. 133 Abs. 4 letzter Satz B-VG zur Eindämmung von Bagatellfällen Gebrauch machen wollte, sei § 25a Abs. 4 VwGG dahingehend auszulegen, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen hinsichtlich der Geldstrafe sämtliche Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 6 B-VG, sohin auch die gegenständliche Revision der belangten Behörde, jedenfalls unzulässig sein müssen. Mit dieser Ansicht ist der Mitbeteiligte nicht im Recht.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich § 25a Abs. 4 VwGG bereits ausgesprochen, dass die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde nach Art. 133 Abs. 6 iVm Abs. 9 B-VG uneingeschränkt Revision wegen behaupteter Rechtswidrigkeit erheben kann (vgl ).

Im Fall einer solchen Amtsrevision geht es nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte (vgl. ). Vielmehr handelt es sich dabei um ein Instrument zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung, mit welchem als so genannte objektive Beschwerde (nunmehr: Revision) losgelöst vom individuellen Parteiinteresse die objektive Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides (nunmehr: des angefochtenen Erkenntnisses) geltend gemacht wird (vgl. zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle z. B. ; vgl. auch Grabenwarter/Fister , Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit5 (2016), S. 282). Zweck einer solchen Revision ist es, das Interesse an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns in einem verfassungsrechtlich abgesteckten Interessensbereich durchzusetzen (vgl. erneut Grabenwarter/Fister, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit5 (2016), S. 282).

So kann etwa, anders als bei einer Parteienbeschwerde, ein Rechtsschutzinteresse bei einer Amtsbeschwerde nicht wegfallen, weshalb unter anderem der Eintritt der Strafbarkeitsverjährung zwischen Erlassung des angefochtenen Bescheids und Erhebung der Amtsbeschwerde keine Auswirkung auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hat (vgl. ). Da es bei einer Amtsbeschwerde um die Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit des verwaltungsgerichtlichen Handelns geht, kommt weiters etwa auch eine Amtsrevision der belangten Behörde zugunsten des Beschuldigten in einem Verwaltungsstrafverfahren in Betracht (vgl. etwa ).

10 In Anbetracht der angeführten Besonderheiten und des unterschiedlichen Zweckes einer Amtsrevision hegt der Verwaltungsgerichtshof keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 25a Abs. 4 VwGG. Auch ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes keine Auslegung dieser Bestimmung dahingehend geboten, dass von der "Bagatellgrenze" des § 25a Abs. 4 VwGG entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung auch Amtsrevisionen umfasst seien. Vielmehr erscheint es sachgerecht, dass eine Amtsrevision zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung unabhängig von der Höhe der verhängten Strafe oder des Strafrahmens möglich ist.

11 Die vorliegende Revision ist weiters zulässig, weil das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der entscheidungsmaßgeblichen Rechtsfrage, ob es sich bei dem hier vorliegenden Tatort um eine Straße mit öffentlichem Verkehr gemäß § 1 Abs. 1 StVO handelt, sodass § 24 Abs. 3 lit. b StVO zur Anwendung gelangt, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

12 Gemäß § 1 Abs. 1 StVO gilt dieses Bundesgesetz für Straßen mit öffentlichem Verkehr. Als solche gelten Straßen, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 StVO gilt im Sinne dieses Bundesgesetzes als Straße eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche samt den in ihrem Zuge befindlichen und diesem Verkehr dienenden baulichen Anlagen.

Gemäß § 24 Abs. 3 lit. b StVO ist das Parken außer in den im Abs. 1 leg. cit. angeführten Fällen vor Haus- und Grundstückseinfahrten verboten.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Straße dann von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden, wenn sie nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freisteht. Für die Widmung als Straße mit öffentlichem Verkehr ist ein Widmungsakt nicht erforderlich und es kommt auch nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund an, d.h. also nicht darauf, ob die betreffende Landfläche ganz oder teilweise im Privateigentum steht (vgl. ). Auch kann aus dem Umstand, dass eine Straße nur von einer bestimmten Gruppe von Verkehrsteilnehmern benutzt wird, nicht geschlossen werden, dass es sich um eine Straße ohne öffentlichen Verkehr handelt (vgl. , mwN). Im Zusammenhang mit Parkplätzen vermag nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die Anbringung von Hinweisschildern, nach denen die Benützung der betreffenden Verkehrsfläche "Anrainern und Lieferanten" vorbehalten sei oder nach denen auf einem umzäunten Gasthausparkplatz "Parken nur für Gäste" erlaubt sein soll, an der Qualität der Verkehrsfläche als eine Straße mit öffentlichem Verkehr nichts zu ändern. Dabei steht im Vordergrund, dass der nach dem Willen des Grundeigentümers zur Benutzung der Verkehrsfläche berechtigte Personenkreis von vornherein unbestimmt ist, insbesondere weil jedermann die Möglichkeit hat, Gast zu werden (vgl. dazu , mwN). Dass ein Parkplatz im Bereich der Zu- und Ausfahrt mit einem Schranken abgegrenzt wird, um die Entrichtung des von jedermann für das Abstellen von Fahrzeugen auf dieser Fläche verlangten Entgelts sicherzustellen, nimmt dieser Fläche nicht die Eigenschaft als Straße mit öffentlichem Verkehr, zumal dieser Parkplatz von jedermann unter den gleichen Bedingungen (gegen Entrichtung des Entgelts für das Parken) benützt werden kann (vgl. , mwH).

14 Wie die revisionswerbende Behörde zu Recht aufzeigt, ist das vom Verwaltungsgericht angesprochene hg. Erkenntnis vom , 2012/02/0038, auf den hier zugrunde liegenden Sachverhalt insofern nicht anwendbar, als der jener Entscheidung zugrundeliegende Fall eine Verbindungsbrücke im Inneren eines Parkhauses zum Gegenstand hatte, während der vorliegende Fall eine Zufahrt zu einer Parkgarage betrifft, die außerhalb dieser (abgeschrankten) Parkgarage liegt. Das Verwaltungsgericht selbst hat im angefochtenen Erkenntnis in diesem Sinne festgestellt, dass der Mitbeteiligte das Fahrzeug vor der Einfahrt in die Parkgarage abgestellt habe. Es erscheint in Anbetracht dessen nicht nachvollziehbar, weshalb das Verwaltungsgericht seine Begründung auf eine - im Übrigen wegen der sachverhaltsbezogenen Besonderheiten vereinzelt gebliebene - hg. Rechtsprechung stützt, die für den gegenständlichen Fall aufgrund der gegebenen Unterschiede offenkundig nicht heranzuziehen war.

15 Selbst wenn man - wie das Verwaltungsgericht - davon ausgeht, dass die Einfahrtspur als Teil des Parkhauses bzw. der Tiefgarage zu sehen ist, ist zu berücksichtigen, dass auch bei einem Parkhaus bei Vorliegen weiterer Umstände eine Qualifikation als Straße iSd § 1 Abs. 1 StVO möglich ist, wobei jedoch auch hier entsprechende Feststellungen für eine diesbezügliche Beurteilung notwendig sind (vgl. hierzu ).

16 Das angefochtene Erkenntnis war wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, weshalb auf die weiteren Ausführungen der Revision nicht mehr einzugehen war.

Wien, am