VwGH vom 22.02.2012, 2009/08/0295
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger, sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des H H in B, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rathausplatz 8/4, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom , Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2005, betreffend Einstellung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach einer von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice W aufgenommenen Niederschrift vom erklärte der Beschwerdeführer, dass er sich mit (vom Bezug des Arbeitslosengeldes) "abmelde". Grund hierfür sei ein Auslandsstudium in Italien und Malta mit Abreisedatum und Studienbeginn . Der Beschwerdeführer ersuche im Zuge seiner Leistungseinstellung um Bescheiderstellung.
Im Verwaltungsakt findet sich in Zusammenhang mit diesem Vorbringen eine Kursbescheinigung der "EF Education" für die Aufenthaltsdauer bis .
Mit Bescheid vom sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice W aus, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG "für" den einzustellen sei.
In seiner dagegen erhobenen Berufung vom wendete der Beschwerdeführer im Wesentlichen ein, seine Auslandsaufenthalte dienten dem Studium und der Perfektionierung der italienischen sowie englischen Sprache und seien zur Gänze selbst finanziert. Für Softwareentwickler würden zertifizierte Qualifikationen in Englisch sowie einer zusätzlichen Fremdsprache deutliche Besserstellungen am Arbeitsmarkt darstellen. Des Weiteren sei er auch trotz seines Aufenthalts im Ausland weiterhin für 20 Stunden/Woche an einen (offenbar gemeint: im Inland ansässigen) Arbeitgeber vermittelbar, da gerade in dieser Branche der Aufenthaltsort unerheblich sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer stehe seit im Arbeitslosengeldbezug und sei als Softwareentwickler und "Internettechniker" beschäftigt gewesen.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren heißt es im angefochtenen Bescheid:
"Vorgelegt wurde die Kursbescheinigung der EF Education über den EF Hauptkurs 2009 in Rom und Malta mit einer Aufenthaltsdauer vom bis . Der Hauptkurs beinhaltet 26 Lektionen pro Woche a 40 Minuten. Bestätigt wurde, dass das Sprachtraining selbst finanziert wird und das Sprachprogramm in Vollzeitunterricht mit Anwesenheitspflicht zu absolvieren ist. Pro Woche fallen zusätzlich ca. 8 Stunden für Hausübungen (z.B. Seminar- und Gruppenarbeiten, Präsentationen und Projekte) an. Der angestrebte Abschluss ist die international anerkannte Sprachprüfung Test of english as a foreign language (TOEFL) und/oder das Cambridge Examen bzw. sprachspezifische Examen, z. B. DALF/DELF oder DELE Examen. Diese Tests werden von internationalen Arbeitgebern und akademischen Institutionen weithin als offizielles Zertifikat für fundierte Fremdsprachenkenntnisse anerkannt. Der TOEFL-Test oder das Cambridge-Examen gelten an amerikanischen, englischen und australischen Universitäten und Colleges als Zulassungsvoraussetzung für ein Hochschulstudium. Festgehalten wurde, dass die Sprachausbildung mit EF für den (Beschwerdeführer) das entscheidende Kriterium für die weitere berufliche Entwicklung darstellt.
Die vom (Beschwerdeführer) angestrebten Sprachausbildungen und Zertifikate werden in Österreich (in fast allen Hauptstädten, insbesondere aber in Wien) an verschiedenen Instituten angeboten."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, aufgrund des Auslandsaufenthalts des Beschwerdeführers beginnend mit ruhe gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Es müsse nun geprüft werden, ob Nachsicht im Sinne des § 16 Abs. 3 AlVG erteilt werden könne. Im gegebenen Fall sei die belangte Behörde zur Überzeugung gelangt, dass im Hinblick darauf, dass diese vom Beschwerdeführer angestrebten Qualifikationen in Englisch und Italienisch auch in Österreich hätten erreicht werden können, keine Nachsicht vom Ruhen wegen des Auslandsaufenthalts gemäß § 16 Abs. 3 AlVG gewährt werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
Gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während des Aufenthalts im Ausland, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind.
Gemäß § 16 Abs. 3 AlVG in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1995 (BGBl. Nr. 297/1995) ist auf Antrag des Arbeitslosen das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umständen nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches (§ 18) nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.
Bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände im Sinne dieser Bestimmung ist Nachsicht zwingend zu erteilen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/08/0182, und vom , Zl. 99/08/0001).
Die Möglichkeit der Berücksichtigung einer Ausbildung im Ausland als Nachsichtsgrund wurde durch die AlVG-Novelle 1989 (BGBl. Nr. 364/1989) geschaffen. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (986 BlgNR 17. GP, 12) führten diesbezüglich (zur damaligen Fassung des § 16 Abs. 3 AlVG) aus:
"(…) Der Auslandsaufenthalt soll nach Anhörung des Vermittlungsausschusses grundsätzlich für acht Wochen möglich sein, in besonderen Fällen aber auch länger, wie zB im Falle einer Ausbildungsmaßnahme im Ausland, die in Österreich nicht durchgeführt werden kann."
Nach dem bereits zitierten Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0001, zur Gewährung von Nachsicht muss die Ausbildung - so die genannte Bestimmung für die Gewährung der Nachsicht - "im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit" gelegen sein. Weitere Bedingungen sind an die für die Nachsicht vorausgesetzten "berücksichtigungswürdigen Umstände", von denen das Gesetz drei Fälle, in denen sich der Arbeitslose ins Ausland begeben hat, hervorhebt ("insbesondere" Arbeitsplatzsuche, Vorstellung beim Arbeitgeber und Ausbildung), nicht geknüpft. Im Gegensatz zu den beiden Tatbeständen der Arbeitsplatzsuche und der Vorstellung bei einem Arbeitgeber, hinsichtlich derer der zu Grunde liegende Sachverhalt konkret darauf untersucht werden kann, ob der Auslandsaufenthalt im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen ist, handelt es sich bei der "Ausbildung" um einen allgemein umschriebenen abstrakten Nachsichtsgrund, bei dem zu prüfen ist, ob das in der Ausbildung erworbene Wissen oder die dabei erworbenen Fähigkeiten an sich geeignet sind, die Vermittlungschancen des Arbeitslosen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Dabei ist etwa auch an Arbeitsplätze zu denken, für die die zu beurteilende Ausbildung zwar nicht unmittelbare Einstellungsvoraussetzung ist, bei denen jedoch der potentielle Arbeitgeber an einer Einstellung auf Grund der spezifischen (höheren) Qualifikation des Arbeitslosen und dessen Engagement für eine Ausbildung in höherem Maße interessiert ist, als er es ohne diese Ausbildung des Arbeitslosen gewesen wäre.
2. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, die belangte Behörde habe festgehalten, dass die von ihm beabsichtigte Sprachausbildung ein entscheidendes Kriterium für die weitere berufliche Entwicklung darstelle. Sie habe damit "sogar außer Streit gestellt, dass die Sprachausbildung mit EF für den (Beschwerdeführer) ein entscheidendes Kriterium für die berufliche Entwicklung darstellt."
Mit diesem Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer die Begründung des angefochtenen Bescheids. Zwar findet sich im angefochtenen Bescheid folgender Satz:
"Festgehalten wurde, dass die Sprachausbildung mit EF für den (Beschwerdeführer) das entscheidende Kriterium für die weitere berufliche Entwicklung darstellt."
Dieser Satz wurde von der belangten Behörde jedoch im Rahmen der Wiedergabe des Inhalts der vom Beschwerdeführer vorgelegten Kursbescheinigung angeführt. Ein im Wesentlichen wortidenter Satz findet sich auch am Ende dieser Kursbescheinigung. Unter Beachtung dieses Zusammenhangs ist daher offensichtlich, dass es sich bei dem zitierten Satz im angefochtenen Bescheid nicht um eine Wertung der belangten Behörde, sondern um ein bloßes Zitat aus einem im Verwaltungsverfahren relevanten Schriftstück handelt. Ein "außer Streit Stellen" bzw. eine Feststellung der belangten Behörde dahingehend, dass die Ausbildung das entscheidende Kriterium für die weitere berufliche Entwicklung des Beschwerdeführers wäre, liegt daher nicht vor.
3. Der Beschwerdeführer führt weiters aus, es liege im höchsten Interesse an der Beendigung seiner Arbeitslosigkeit, dass er seine Fremdsprachenkenntnisse vertiefe und erweitere. Wenn der Beschwerdeführer Italienisch in Rom und Englisch in Malta lerne, erwerbe er dabei Kenntnisse und Fähigkeiten, die seine Chancen am allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich erhöhten. Dabei sei der Erfolg einer derartigen Sprachausbildung bei weitem höher, wenn eine Sprachausbildung in jenem Land absolviert werde, in dem die zu erlernende Sprache auch tatsächlich gesprochen werde. Zum Spracherwerb führe nicht bloß das theoretische Erlernen der Grammatik einer Sprache und die kurzfristige linguistische Sprachübung in einem Kurs, sondern wesentlich die tatsächliche Ausübung der neu erlernten Sprache bzw. "Sprachteile" gemeinsam mit Menschen, die die zu erlernende Sprache als Muttersprache beherrschten. Durch die sofortige Verwendung der erworbenen Lerninhalte und insbesondere durch das Hören der erworbenen Lerninhalte von Personen, die diese Sprache als Muttersprache sprächen, funktioniere der Spracherwerb nicht nur rascher, sondern auch sicherer und vor allem mit einem besseren Akzent. Nur wenn die neu zu erwerbende Sprache ständig gehört werde und die Möglichkeit bestehe, die erlernten neuen "Sprachteile" auch ständig anzuwenden, sei der Spracherwerb nicht bloß theoretisch, sondern praktisch und nachhaltig und sohin auch tatsächlich erfolgreich.
Der Beschwerdeführer führt unter Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/08/0177, und vom , Zl. 93/08/0099, aus, der Verwaltungsgerichtshof habe bereits in einer Vielzahl von Erkenntnissen ausgesprochen, dass die Behörde verpflichtet sei, das Ruhen des Arbeitslosengelds nachzusehen, wenn im Sinne des § 16 AlVG Ausbildungsmaßnahmen vom Arbeitslosen gesetzt würden, die in Österreich nicht oder nicht in dieser Qualität angeboten würden.
Beim gegenständlichen Fall sei ausschließlich entscheidungsrelevant, ob der Besuch der Ausbildungsveranstaltung in Rom und in Malta durch den Beschwerdeführer als Ausbildungsmaßnahme im Sinne des § 16 Abs. 3 AlVG anzusehen sei und im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers gelegen sei.
Diese Aspekte habe die belangte Behörde vollkommen außer Acht gelassen, wenn sie ihre abweisende Entscheidung ausschließlich auf das Argument stütze, dass eine entsprechende Ausbildung auch im Inland erworben werden könne. Die belangte Behörde habe lediglich eine pauschale Aussage darüber getroffen, dass man angeblich in Österreich Englisch und Italienisch genauso gut lernen könne, wie in Italien bzw. in Malta. Eine Begründung dafür habe die belangte Behörde aber nicht getroffen.
Die belangte Behörde lasse auch unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bei der Arbeitsplatzsuche bereits deshalb einen Vorteil habe, weil der Arbeitgeber erkennen müsse, dass der Arbeitslose ein besonderes Engagement zeige, dies allein wegen der Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich nachhaltig bemüht habe, seinen Ausbildungsstand zu verbessern, indem er einen lang andauernden Auslandsaufenthalt in Kauf nehme, damit er die Sprache in jenem Land, wo die Sprache auch gesprochen werde, tatsächlich gut lerne. Überdies erweitere sich für den Arbeitslosen durch den Spracherwerb der Arbeitsmarkt insofern, als dann, wenn er Englisch und Italienisch sehr gut beherrsche, mehr Arbeitgeber in Frage kämen, nämliche solche, die internationale Kunden hätten.
4. Zu diesem Vorbringen ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren die von ihm angestrebte Sprachausbildung mit dem Abschluss international standardisierter Sprachexamen (TOEFL, DALF/DELF und DELE) verknüpft und diesen Abschluss als Ziel der Ausbildung angegeben hat. Diese Sprachexamen stellten laut Beschwerdeführer ein entscheidendes Kriterium für seine weitere berufliche Entwicklung dar.
Dazu hat die belangte Behörde festgestellt, dass Ausbildungen, die zum Erwerb dieser Zertifikate führen, auch in Österreich angeboten werden. Dieser Feststellung tritt der Beschwerdeführer nur mit der Behauptung entgegen, dass die belangte Behörde dafür keine Begründung getroffen habe, ohne allerdings die Feststellung selbst in Zweifel zu ziehen. Die Feststellung der belangten Behörde begegnet daher keinen Bedenken und es ist davon auszugehen, dass das Erreichen der vom Beschwerdeführer angestrebten Zertifikate auch nach einer Ausbildung in Österreich möglich gewesen wäre.
Voraussetzung für eine nach § 16 Abs. 3 AlVG berücksichtigungswürdige Ausbildung ist aber, dass diese Ausbildung im Inland nicht oder nicht in dieser Qualität angeboten wird (vgl. das vom Beschwerdeführer zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0177).
Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie - auch wenn die Absolvierung einer Sprachausbildung in Kombination mit einem Aufenthalt in einem Land, in dem diese Sprache gesprochen wird, für den Beschwerdeführer Vorteile bieten mag - aufgrund der Möglichkeit, die vom Beschwerdeführer angestrebten Zertifikatsabschlüsse auch im Inland zu erreichen, zum Ergebnis gekommen ist, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 16 Abs. 3 AlVG vorliegt. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die Absolvierung einer Ausbildung (im vorliegenden Fall eher: einer Fortbildung) mit einer Dauer von knapp zehn Monaten - und damit für einen weit längeren Zeitraum als der möglichen Höchstdauer einer Nachsicht nach § 16 Abs. 3 AlVG - noch als im unmittelbaren Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen angesehen werden kann.
5. Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-90487