VwGH vom 12.09.2012, 2009/08/0290
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie der Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der A G in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9-003087, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 17 iVm § 38 und § 58 iVm den §§ 44 und 46 AlVG Notstandshilfe ab dem zugesprochen.
Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde als Sachverhalt fest, die Beschwerdeführerin stehe schon seit mehreren Jahren (mit Unterbrechungen) im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Sie sei vom 16. April bis im Krankenstand gewesen und habe dann vom 2. Juni bis Notstandshilfe in der täglichen Höhe von EUR 22,25 bezogen. Ihr sei ein Kontrollmeldetermin für den "vergeben" worden. Die Beschwerdeführerin habe ihren neuerlichen "Anspruch auf Notstandshilfe" erst am geltend gemacht.
Aufgrund des Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerin (wonach ihr bei einer Vorsprache am mitgeteilt worden wäre, dass ihre Notstandshilfe am auslaufen würde, ihr aber gesagt worden sei, es würde sich ausgehen, den Antrag auf Notstandshilfe beim nächsten Termin am zu erhalten) sei eine Rücksprache mit der regionalen Geschäftsstelle erfolgt, ob es vielleicht ein Missverständnis gegeben haben könnte. Der belangten Behörde sei dabei mitgeteilt worden, dass ein Missverständnis unwahrscheinlich sei und dass es - bei Feststellung eines Höchstausmaßes am bereits im Rahmen der Beratung - vollkommen widersinnig wäre, der Beschwerdeführerin mitzuteilen, dass sie den Antrag erst beim nächsten Kontrollmeldetermin erhalten würde.
Die Beschwerdeführerin habe ab wieder Notstandshilfe bezogen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Anspruch auf Notstandshilfe sei bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruchs sei das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Die Beschwerdeführerin stehe bereits seit mehreren Jahren im Bezug von Notstandshilfe, sodass sie einerseits über ihre Rechte und Pflichten gegenüber dem Arbeitsmarktservice informiert bzw. mit der Notwendigkeit einer Antragstellung bzw. rechtzeitigen Anspruchsverlängerung vertraut sei.
Diesbezüglich kenne das AlVG auch keinen Ermessensspielraum, sodass es auf die tatsächliche Geltendmachung eines Anspruchs ankomme. Die Beschwerdeführerin habe selbst angegeben, dass ihr mitgeteilt worden sei, dass ihre Notstandshilfe am das Höchstausmaß erreichen würde.
Das Berufungsvorbringen, dass eine Vorsprache am laut Auskunft des Arbeitsmarktservice ausreichend wäre (um den Anspruch ab zu wahren), habe im Rahmen des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens nach Rücksprache mit der für die Beschwerdeführerin zuständigen regionalen Geschäftsstelle nicht verifiziert werden können. In diesem Zusammenhang sei festzuhalten, dass ein Kontrollmeldetermin grundsätzlich der Beratung und Betreuung der KundInnen zwecks möglichst rascher Beendigung der Arbeitslosigkeit diene. Bei einem Kontrollmeldetermin sollten etwaige Vermittlungshindernisse und Möglichkeiten besprochen werden und wie diese Hindernisse behoben werden könnten. Von der Beratung als solche zu unterscheiden sei die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Geltendmachung eines Anspruchs auf Notstandshilfe bzw. der rechtzeitigen Antragsverlängerung.
Da die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Vormerkzeiten mit den Notwendigkeiten einer rechtzeitigen Antragstellung vertraut sei und es sich um zwingende gesetzliche Rechtsvorschriften betreffend die Notwendigkeit einer (persönlichen) Geltendmachung handle, habe die belangte Behörde keine anderslautende Entscheidung treffen können.
Es sei auch "kein Amtsverschulden in Überprüfung der Anwendung des § 17 Abs. 3 AlVG" festzustellen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführerin das bundeseinheitliche Antragsformular für die Notstandshilfe am ausgegeben wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ihr Notstandshilfe ab diesem Zeitpunkt zugesprochen. Damit hat die belangte Behörde über den von der Beschwerdeführerin behaupteten Anspruch zwischen dem Erreichen des Höchstausmaßes ihres letzten Notstandshilfebezugs - dem - und dem Tag der neuerlichen Zuerkennung - dem - negativ abgesprochen. Dieser Zeitraum ist daher Gegenstand des Verfahrens (vgl. die hg Erkenntnisse vom , Zl. 2001/08/0212 und vom , Zl. 2006/08/0013).
2. Gemäß § 46 Abs. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 82/2008 ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Das Arbeitsmarktservice hat neben einem schriftlichen auch ein elektronisches Antragsformular zur Verfügung zu stellen. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle persönlich vorgesprochen und das ausgefüllte Antragsformular abgegeben hat.
Diese Bestimmung ist gemäß § 58 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
3. Im Beschwerdefall wurde der Beschwerdeführerin vom Arbeitsmarktservice zwar mitgeteilt, ihr letzter Notstandshilfebezug ende mit . Strittig ist jedoch, ob die Beschwerdeführerin von ihrer Betreuerin die Information erhalten hat, es reiche, beim nächsten vorgeschriebenen Kontrolltermin am einen Antrag zu stellen, um einen nahtlosen Übergang vom alten in den neuen Notstandshilfebezug zu gewähren.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Feststellung der belangten Behörde, wonach eine solche Information nicht erfolgt wäre, und sieht im Wesentlichen den Sachverhalt in diesem Punkt unzureichend festgestellt.
Der Frage, ob die Beweiswürdigung der belangten Behörde in diesem Zusammenhang einer Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof standhalten würde, kommt jedoch aus folgenden Überlegungen keine Relevanz zu:
4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nimmt § 46 AlVG eine umfassende Regelung der Rechtsfolgen fehlerhafter oder unterlassener fristgerechter Antragstellungen vor. Diese abschließende Normierung lässt es - selbst im Falle des Fehlens eines Verschuldens des Arbeitslosen - nicht zu, die Folgen einer (irrtümlich) unterlassenen rechtzeitigen Antragstellung nachträglich zu sanieren, zumal selbst in jenen Fällen, in denen ein Arbeitsloser auf Grund einer von einem Organ des Arbeitsmarktservice schuldhaft erteilten unrichtigen Auskunft einen Schaden erleidet, dieser auf die Geltendmachung allfälliger Amtshaftungsansprüche verwiesen ist und die Fiktion einer dem Gesetz entsprechenden Antragstellung keine gesetzliche Grundlage findet. Die formalisierte Antragstellung im Sinne des § 46 AlVG, der eine abschließende Regelung enthält, schließt also selbst eine Bedachtnahme auf Fälle unverschuldet unterbliebener Antragstellung aus (vgl. zB die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/08/0245, und vom , Zl. 2006/08/0330, mwN).
Vor diesem Hintergrund scheidet auch im Falle, dass die Beschwerdeführerin vom Arbeitsmarktservice falsch über das Datum einer rechtzeitigen Antragstellung informiert wurde, eine Zuerkennung von Notstandshilfe vor dem aus. Ein diesbezüglicher Verfahrensmangel könnte daher zu keinem anderen Bescheidergebnis führen.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführerin am ein Kontrolltermin vorgeschrieben wurde, der - wie die Beschwerde zutreffend ausführt - zum Zeitpunkt der Vorschreibung außerhalb ihres Leistungsbezuges stand, was die Vorschreibung rechtswidrig machte. Zwar konnte bei der Beschwerdeführerin durch die Vorschreibung der Eindruck entstehen, ihr Leistungsanspruch wäre bis zu diesem Zeitpunkt noch aufrecht und eine Antragstellung betreffend eine weitere Leistung zum Zeitpunkt des Kontrolltermins würde daher rechtzeitig sein, § 46 AlVG lässt aber keine Berücksichtigung von Fällen zu, bei denen eine arbeitslose Person durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Arbeitsmarktservice die rechtzeitige Antragstellung versäumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0227).
5. Die Beschwerdeführerin erachtet sich weiters dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die belangte Behörde § 17 Abs. 3 (nunmehr Abs. 4) AlVG nicht zur Anwendung gebracht hat, obwohl ein Fehler der Behörde vorliege, der einen Amtshaftungsanspruch auslösen könne. § 17 Abs. 3 AlVG sei in das AlVG eingeführt worden, um bestimmte Behördenfehler rascher und in einem im Vergleich zum Amtshaftungsverfahren einfacheren Verfahren leichter behebbar zu machen. Die Bestimmung räume der Behörde kein freies Ermessen ein, sie anzuwenden oder nicht. Es müsse sich um eine Ermächtigung zu einer gebundenen Entscheidung handeln, die - bei Vorliegen der Voraussetzungen - zwingend zur Anwendung der Bestimmung führe.
6. § 17 Abs. 3 (mittlerweile Abs. 4) AlVG wurde durch BGBl. I Nr. 104/2007 angefügt und hat folgenden Wortlaut:
"(3) Ist die Unterlassung einer rechtzeitigen Antragstellung auf einen Fehler der Behörde, der Amtshaftungsfolgen auslösen kann, wie zum Beispiel eine mangelnde oder unrichtige Auskunft, zurück zu führen, so kann die zuständige Landesgeschäftsstelle die regionale Geschäftsstelle amtswegig unter Berücksichtigung der Zweckmäßigkeit und der Erfolgsaussichten in einem Amtshaftungsverfahren zu einer Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab einem früheren Zeitpunkt, ab dem die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorliegen, ermächtigen."
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007, RV 298 BlgNR 23. GP, 12, führen dazu aus:
"Das Arbeitslosenversicherungsgesetz sieht, abgesehen von unwesentlichen Ausnahmen für Geltendmachungen nach einem Wochenende oder Feiertag sowie innerhalb einer Woche nach Eintritt der Arbeitslosigkeit bei vorhergehender Arbeitslosmeldung, keine rückwirkende Gewährung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe vor. Das ist insofern auch berechtigt, als eine derartige Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nur Personen zustehen soll, die das Arbeitsmarktservice auf Grund der Kenntnis ihrer Verfügbarkeit auf einen neuen Arbeitsplatz vermitteln kann.
Wenn eine rechtzeitige Antragstellung aber auf Grund eines Fehlers der Behörde, etwa einer mangelnden oder fehlerhaften Auskunft, unterbleibt, führt diese strikte Regelung, die keine Korrektur zulässt, zu unbilligen Ergebnissen. Den Betroffenen bleibt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in solchen Fällen nur die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruches. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe dienen zur Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit. Mit dem Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ist überdies der Erwerb von Versicherungszeiten in der Kranken- und Pensionsversicherung verbunden. Der unverschuldete Verlust des Leistungsanspruches stellt daher einen schwer wiegenden Härtefall dar. Die Prüfung eines Amtshaftungsanspruches führt bei allen Beteiligten, insbesondere auch beim Arbeitsmarktservice, beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und bei der Finanzprokuratur, zu einem beträchtlichen Verwaltungsaufwand. Überdies fallen Kosten für die Rechtsvertretung an.
Künftig soll die zuständige Landesgeschäftsstelle die Möglichkeit haben, die zuständige regionale Geschäftsstelle zu ermächtigen, das Arbeitslosengeld oder - auf Grund des Verweises im § 38 AlVG - auch die Notstandshilfe rückwirkend zuzuerkennen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen ein Amtshaftungsanspruch gerechtfertigt erscheint. Aufwändige Amtshaftungsverfahren sollen damit auf strittige Fälle beschränkt werden. Ein Antragsrecht und ein Rechtsanspruch auf die Ausübung der Ermächtigungsbefugnis soll nicht eingeräumt werden, da andernfalls an Stelle einer Verwaltungsentlastung mit zusätzlichen Belastungen durch zahlreiche ungerechtfertigte Anträge gerechnet werden müsste."
Unter Verweis auf diese Erläuterungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0089, ausgeführt, dass auf die Ausübung der Ermächtigungsbefugnis des § 17 Abs. 3 AlVG kein Rechtsanspruch besteht.
Schon die Textierung dieser Bestimmung, wonach der Landesgeschäftsstelle die Möglichkeit eingeräumt wird, die regionale Geschäftsstelle unter näheren Voraussetzungen zu einer früheren Zuerkennung der Leistung zu ermächtigen, lässt erkennen, dass diese Bestimmung eine Ermächtigungsnorm im Verhältnis der Landesgeschäftsstelle zur regionalen Geschäftsstelle darstellt und sich nicht unmittelbar an die arbeitslose Person richtet. Insofern ist § 17 Abs. 3 AlVG (wie Gerhartl, AlVG (2008) § 17, Rz 5 zutreffend ausführt) an systematisch falscher Stelle eingefügt worden, da mit § 17 Abs. 3 (nunmehr Abs. 4) AlVG kein Anspruch der arbeitslosen Person gegenüber dem Arbeitsmarktservice geschaffen werden sollte. Zwar besteht für die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice nunmehr die Möglichkeit, die regionale Geschäftsstelle im Einzelfall zu ermächtigen, in Abweichung vom Wortlaut des § 46 AlVG Ansprüche bereits vor ihrer persönlichen Geltendmachung zuzuerkennen, um Amtshaftungsverfahren vorzubeugen. Es besteht aber kein Rechtsanspruch der arbeitslosen Person darauf, dass die Landesgeschäftsstelle diese Ermächtigung in einem konkreten Fall auch ausübt. Eine Rechtsschutzlücke entsteht dadurch nicht, da es der arbeitslosen Person - wie schon vor der Einfügung des § 17 Abs. 3 AlVG - weiterhin möglich ist, durch das Arbeitsmarktservice schuldhaft verursachte Schäden im Amtshaftungsweg geltend zu machen.
Die Beschwerdeführerin kann somit nicht dadurch in ihren Rechten verletzt werden, dass die belangte Behörde die ihr zukommende Ermächtigungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 3 AlVG nicht ausgeübt hat.
7. Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-90458