VwGH vom 22.02.2012, 2009/08/0279
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 6/7/15 in 1070 Wien, Seidengasse 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 06/9/6868/2009-3, betreffend Übertretung des ASVG (mitbeteiligte Partei: JB in Wien, vertreten durch Rechtsanwälte Pieler Pieler Partner KG, 1010 Wien, Lichtenfelsgasse 5; weitere Partei:
Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gegen ein erstinstanzliches Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom Folge, hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG ein.
Dem Mitbeteiligten sei mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis Folgendes zur Last gelegt worden:
"Sie haben in Wien ..., die Verpflichtung, jede von Ihnen beschäftigte, nach ASVG pflichtversicherte Person spätestens bei Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, nicht erfüllt, als die von den Organen des Finanzamtes ... angetroffenen Arbeitnehmer
1) Herrn JM. ... als Mechaniker und
2) Herrn KT. ... als Restaurator für Oldtimer-Autos
von bis beschäftigt waren, welche bei der Revision am um 10.55 Uhr nicht zur Sozialversicherung angemeldet waren."
Die erstinstanzliche Behörde habe über den Beschwerdeführer wegen zwei Übertretungen des § 111 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG gemäß § 111 Abs. 2 ASVG zwei Geldstrafen von je EUR 910,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 2 Tagen und 11 Stunden) verhängt.
Ob eine beim zuständigen Sozialversicherungsträger anzumeldende Person vollbeschäftigt oder bloß geringfügig beschäftigt und somit in der Kranken- und Unfallversicherung oder nur in der Unfallversicherung pflichtversichert gewesen sei - so die belangte Behörde weiter -, stelle ein wesentliches Tatbestandselement dar, das im Spruch des Straferkenntnisses aufscheinen müsse, damit es den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG gerecht werde. Übertretungen nach § 33 Abs. 1 bzw. Abs. 2 ASVG beträfen verschiedene Tatbestände, sodass im Spruch eindeutig klargestellt werden müsse, welchen dieser Tatbestände der Beschuldigten übertreten habe. Das erstinstanzliche Straferkenntnis lege dem Beschwerdeführer weder das Tatbild des § 33 Abs. 1 noch jenes des § 33 Abs. 2 ASVG zur Last. Aus der Tatanlastung ergebe sich zudem nicht, ob es sich beim Beschwerdeführer um den Dienstgeber, um eine sonstige nach § 36 ASVG meldepflichtige Person (Stelle) oder um eine bevollmächtigte Person nach § 25 Abs. 3 ASVG (richtig: § 35 Abs. 3 ASVG) handle. Weder der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses noch eine aus dem Akt ersichtliche Verfolgungshandlung werde den Kriterien des § 44a Z. 1 VStG gerecht. Es sei bereits Verfolgungsverjährung eingetreten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Für eine ausreichende Präzisierung des Tatbildes des § 111 ASVG in der Deliktskonstellation einer unterlassenen Meldung genügt es, wenn die Aufforderung zur Rechtfertigung (die dem Beschwerdeführer dem Akt zu Folge am zugegangen ist) bzw. das Straferkenntnis (das den Vertretern des Beschwerdeführers am zugestellt worden ist) den Hinweis darauf enthält, dass § 33 Abs. 1 ASVG verletzt worden sei (vgl. die mittlerweile ergangenen hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/08/0262, vom , Zl. 2010/08/0153, und vom , Zl. 2010/08/0198). Damit lag eine innerhalb der einjährigen Frist der Verfolgungsverjährung (§ 111 Abs. 3 ASVG) wirksam gewordene Verfolgungshandlung wegen einer Verletzung der Meldepflicht nach § 33 Abs. 1 ASVG vor. Dieser Tatvorwurf umfasst - für den Fall, dass es der Behörde nicht gelingt, einen Beschäftigungsumfang festzustellen, aus dem auf einen die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Anspruchslohn geschlossen werden kann - auch den Vorwurf eines Verstoßes gemäß § 33 Abs. 2 ASVG.
Zutreffend ist freilich, dass im Straferkenntnis Feststellungen darüber zu treffen sind, in welchem Umfang Arbeitsverpflichtungen bestanden und ob sohin - bezogen auf die einzelnen betroffenen Arbeitnehmer - überhaupt eine Meldepflicht nach § 33 Abs. 1 oder § 33 Abs. 2 ASVG bestand. Derartige Feststellungen können aber auch im Verfahren zweiter Instanz nachgeholt werden (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2010/08/0198).
2. Gegen die Auffassung der belangten Behörde, die erstinstanzliche Tatanlastung hätte erkennen lassen müssen, ob es sich beim Beschwerdeführer um den Dienstgeber, um eine sonstige nach § 36 ASVG meldepflichtige Person oder um eine bevollmächtigte Person iSd § 35 Abs. 3 ASVG handle, bringt das beschwerdeführende Finanzamt vor, wesentlich sei, dass die wegen einer bestimmten Tat verfolgte und bestrafte Person fest stehe. In welcher Eigenschaft dies erfolge, diene zwar der näheren und vollständigen Tatanlastung, könne aber in jeder Lage des Verfahrens - somit auch noch durch die Berufungsbehörde - ergänzt werden. Aus dem Akteninhalt ergebe sich, dass der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Inhaber des in W. etablierten Gewerbebetriebes und somit als Dienstgeber der dort und von diesem beschäftigten polnischen Staatsangehörigen verfolgt und bestraft worden sei.
Mit dieser Auffassung ist das beschwerdeführende Finanzamt im Recht:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dem § 44a VStG dann entsprochen, wenn
a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten und den Tatvorwurf zu widerlegen, und
b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/10/0024).
Die Erstbehörde hat in dem Verfahren betreffend Bestrafung nach dem § 111 Abs. 1 Z. 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG mit der im Spruch gewählten Formulierung "jede von Ihnen beschäftigte ... Person" iZm dem Meldeverstoß in einer der Umschreibung der Sache genügenden Weise das strafbare Verhalten ausreichend umschrieben (vgl. das § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 AuslBG betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/09/0243). Die Frage, in welcher Eigenschaft der Mitbeteiligte die Tat begangen hat (als Dienstgeber oder sonstige nach § 36 ASVG meldepflichtige Person oder als bevollmächtigte Person nach § 35 Abs. 3 ASVG), dient der Subsumtion unter alternative, gleichwertige Tatbestandselemente des § 111 Abs. 1 ASVG, sodass die Feststellung, um welche der drei Alternativen es sich im konkreten Fall gehandelt hat, auch noch im Verfahren vor der Behörde zweiter Instanz geklärt werden kann, ohne dass damit die "Sache" des Verfahrens überschritten würde (vgl. das zu § 9 Abs. 2 VStG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0203).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am