VwGH vom 31.03.2016, Ro 2014/07/0022
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Revision des Dr. M K in Z, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in 5700 Zell am See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs-2013/16/2908-11, betreffend Übertretung des Immissionsschutzgesetzes-Luft (weitere Partei: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz (im Folgenden: BH) vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe am um 08:54 Uhr als Lenker eines näher angeführten Kraftfahrzeuges die gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, LGBl. Nr. 36/2011, im Sanierungsgebiet auf der A12 Inntalautobahn erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 27 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zugunsten des Revisionswerbers abgezogen worden. Der Revisionswerber habe dadurch § 30 Abs. 1 Z 4 Immissionschutzgesetz-Luft iVm der zitierten Verordnung verletzt.
2 In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung machte der Revisionswerber geltend, er habe in seiner schriftlichen Stellungnahme vom mehrere näher bezeichnete Anträge, u.a. die Vorlage des Eichscheines des Radarmessgerätes, gestellt. Diese Anträge habe die BH nicht berücksichtigt, wodurch diese wesentliche Verfahrensvorschriften, nämlich die Ermittlung des tatsächlichen Sachverhaltes, verletzt habe. Der Revisionswerber bestritt, mit einer Geschwindigkeit von 127 km/h gefahren zu sein, und beantragte erneut u.a. die Vorlage des Eichscheins des verwendeten Messgerätes.
3 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am wies der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom die Berufung des Revisionswerbers gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG als unbegründet ab.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der Berufung im Wesentlichen aus, in der mündlichen Verhandlung, zu welcher der Revisionswerber ordnungsgemäß geladen worden, aber nicht erschienen sei, seien die Meldungsleger vernommen und eine Stellungnahme des Sachbearbeiters G. der ASFINAG hinsichtlich der Frage der Stellung des Portals bei km 80.806 eingeholt worden. Weitere Beweise seien nicht aufgenommen worden. Der erstinstanzliche Akt und der Berufungsakt hätten als verlesen gegolten und es sei in das Messprotokoll Einsicht genommen worden. Aufgrund des Ermittlungsverfahrens ergebe sich, dass zum Zeitpunkt der Lasermessung die "100er Geschwindigkeit" laut der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, LGBl. Nr. 36/2011, gegolten habe. Diese Geschwindigkeitsbegrenzung sei auf dem Portal ordnungsgemäß kundgemacht worden. Das Portal 80.806 befinde sich bei diesem Straßenkilometer. Dies sei durch die Stellungnahme des Bearbeiters des Sachgebietes der ASFINAG erwiesen. Aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Polizisten sei erwiesen, dass die Messung anstandslos verlaufen sei und der Revisionswerber nach der Nachfahrt angehalten und mittels eines Ausweises identifiziert worden sei. Somit stünden die Geschwindigkeit und die Eigenschaft des Revisionswerbers als Verursacher dieser Geschwindigkeitsüberschreitung fest. Gegen die Verordnung des "IG- 100er" im Sanierungsgebiet bestünden keine Bedenken, weil diese entsprechend den Vorschriften des Immissionsschutzgesetzes-Luft erfolgt sei. Ebenso bestünden keine Bedenken, dass die messtechnischen Voraussetzungen für die Verordnung des "IG-100er" zum Tatzeitpunkt bestanden hätten.
4 In der gegen diesen gegenüber dem Revisionswerber am erlassenen Bescheid erhobenen Revision wird die Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die Aufhebung des Bescheides beantragt.
5 Das an die Stelle der belangten Behörde getretene Landesverwaltungsgericht Tirol (in weiterer Folge: LVwG) legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der es die Zurückweisung der Revision, in eventu die kostenpflichtige Abweisung der Revision als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Voranzustellen ist, dass für die Behandlung der vorliegenden (Übergangs )Revision gemäß § 4 Abs. 5 fünfter Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) die Bestimmungen des VwGG (mit Ausnahme der gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ablehnung) in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß gelten.
7 Im Rahmen der Zulässigkeitsgründe wird in der Revision vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Nichtberücksichtigung des beantragten Beweises, nämlich der Vorlage des Eichscheines des Radarmessgerätes, ab. Die belangte Behörde habe weder einen Eichschein noch eine Bestätigung oder Auskunft des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen eingeholt. Sie habe sich lediglich mit Auskünften der messenden Beamten begnügt, dass eine ordnungsgemäße Eichung vorgelegen habe.
8 Auch in den Revisionsgründen wird geltend gemacht, dass die belangte Behörde jedenfalls den Eichschein einholen hätte müssen. Wäre sie dem Beweisantrag nachgekommen, hätte dies ergeben, dass das verwendete Messgerät nicht ordnungsgemäß geeicht gewesen sei. Ferner wird ausgeführt, die belangte Behörde habe es aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Polizisten als erwiesen angesehen, dass die Messung anstandslos verlaufen sei. Ausführungen bezüglich des Einwandes, dass der Revisionswerber gar nicht eine Geschwindigkeit von 127 km/h eingehalten habe, fehlten zur Gänze.
9 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
10 Der Revisionswerber hatte sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in der Berufung die Vorlage des Eichscheines des verwendeten Messgerätes zum Beweis dafür beantragt, dass er die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeit von 127 km/h nicht gefahren sei.
11 Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/08/0169, sowie vom , Ra 2015/09/0053, jeweils mwN).
12 Die belangte Behörde hat den vom Revisionswerber auch in der Berufung beantragten Beweis der Vorlage des Eichscheines des verwendeten Messgerätes im angefochtenen Bescheid weder aufgenommen noch darüber abgesprochen. Sie ist bereits aus diesem Grund von der zitierten hg. Rechtsprechung abgewichen.
13 Angesichts des vom Revisionswerber im Verwaltungsstrafverfahren erstatteten Vorbringens hätte die Behörde Feststellungen darüber zu treffen gehabt, ob und wann das verwendete Messsystem vorschriftsmäßig geeicht wurde (siehe dazu § 13 Abs. 2 Z 2 des Maß- und Eichgesetzes, BGBl. Nr. 152/1950 idF BGBl. I Nr. 115/2010), sodass die Zuverlässigkeit der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Messung beurteilt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/02/0334).
Die Eichung eines Gerätes kann auch auf andere Weise als durch Einholung eines Eichscheines bewiesen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/11/0131, mwN). Ein solcher Beweis muss nach der hg. Rechtsprechung aber aus der Sphäre des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen stammen. So kann der Beweis durch entsprechende Auskunft eines Bediensteten des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/03/0260) bzw. durch Einholung einer diesbezüglichen Bestätigung dieser Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/02/0005) erbracht werden. Hingegen reichen Aussagen von Meldungslegern hinsichtlich der Eichung eines verwendeten Gerätes nicht aus, um diesbezügliche Feststellungen betreffend die Eichung des Gerätes zu treffen (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/02/0334).
14 Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen darüber, ob und wann das verwendete Messsystem vorschriftsmäßig geeicht wurde. Vielmehr begnügte sie sich mit einem Verweis auf die Auskunft der Meldungsleger sowie darauf, dass der erstinstanzliche Akt und der Berufungsakt im Rahmen der mündlichen Verhandlung als verlesen gegolten hätten. Wie sich aus der bereits zitierten hg. Rechtsprechung ergibt, hätten diese Beweismittel - selbst unter der Annahme entsprechender Feststellungen - für den Beweis der ordnungsgemäßen Eichung des verwendeten Gerätes nicht genügt. Somit ist die belangte Behörde aus den dargelegten Gründen im angefochtenen Bescheid von der hg. Rechtsprechung abgewichen.
15 Das LVwG führt in seiner Gegenschrift aus, die nach Einbringung der Revision durchgeführte Einsichtnahme in den früheren Eichschein-Register-Akt der belangten Behörde zeige, dass die aufgefundene Eichscheinkopie mit den Daten in der zum Straferkenntnis der BH vom geführt habenden Anzeige, in welcher sich in einer Rubrik das Eichdatum des verwendeten Messgerätes finde, und der Aussage der Meldungsleger übereinstimme.
16 Diese in der Gegenschrift getätigten Ausführungen sind aber schon deswegen unbeachtlich, weil fehlende Elemente der Begründung eines beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/07/0017, mwN).
17 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und §§ 3 und 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-90422