VwGH vom 19.01.2011, 2009/08/0272
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der JR in G, vertreten durch Tögl Maitz Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom , Zl. LGS600/SfA/0566/2009-He/S, betreffend Versagung des Anspruches auf Arbeitslosengeld gemäß § 11 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin stand zuletzt in der Zeit vom bis in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis zum Magistrat der Stadt Wien als Kindergärtnerin. Dieses Dienstverhältnis endete durch Kündigung seitens der Beschwerdeführerin. Am beantragte die Beschwerdeführerin mit Wirkung vom bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice G (in der Folge: AMS) die Zuerkennung von Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom hat das AMS festgestellt, dass die Beschwerdeführerin für die Zeit vom 5. September bis kein Arbeitslosengeld erhalte und keine Nachsicht erteilt werde. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass sie das Dienstverhältnis beim Magistrat der Stadt Wien freiwillig gekündigt habe; Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen würden nicht vorliegen bzw. könnten nicht berücksichtigt werden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen, als Einspruch bezeichneten Berufung wendete die Beschwerdeführerin ein, das Dienstverhältnis deshalb freiwillig beendet zu haben, weil sie ihren Lebensmittelpunkt nach G verlegt habe, der Arbeitsweg dann drei Stunden pro Richtung betragen hätte und sie voraussichtlich ab Oktober eine Fixanstellung haben würde.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Begründend führte sie dazu im Wesentlichen aus, dass die in § 11 AlVG normierte Sperre vom Bezug des Arbeitslosengeldes bei freiwilliger Beendigung des Dienstverhältnisses seitens des Arbeitnehmers lediglich durch Umstände verhindert würde, die die Beschwerdeführerin im arbeitsrechtlichen Sinne berechtigen würden, das Dienstverhältnis vorzeitig zu beenden, da eine Weiterbeschäftigung unzumutbar wäre. Solche Gründe würden hier nicht vorliegen, vielmehr habe sie aus persönlichen Gründen - sie habe ihren Lebensmittelpunkt auf Grund einer Beziehung nach G verlegt - ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst. Überdies sei eine nachhaltige Arbeitsaufnahme der Beschwerdeführerin nicht erfolgt, da sie lediglich vom 1. bis bei einer näher bezeichneten Kinderbetreuungseinrichtung beschäftig gewesen sei.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, worin sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 11 AlVG in der Fassung vor der Novelle BGBl I Nr. 142/2000 lautete:
"§ 11. Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. § 10 Abs. 2 gilt sinngemäß."
Seit der Novelle BGBl I Nr. 142/2000 lautet § 11 erster Satz:
"Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld."
§ 11 AlVG zweiter Satz in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:
"Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB wegen Aufnahme einer anderen Beschäftigung, freiwilliger Beendigung eines Dienstverhältnisses oder einer Erwerbstätigkeit aus zwingenden gesundheitlichen Gründen oder Einstellung der Erwerbstätigkeit wegen drohender Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit oder Saisonabhängigkeit wegen Saisonende, nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."
Die Anforderungen an die Arbeitswilligkeit werden in den (systematisch miteinander zusammenhängenden) §§ 9 bis 11 AlVG näher geregelt. Während § 9 AlVG jene Fälle regelt, in denen Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist, der Arbeitslose jedoch an der Beendigung dieses Zustandes nicht hinreichend mitwirkt, bestimmt § 11 in Ergänzung dazu, dass die in § 10 AlVG vorgesehene Sanktion des Verlustes des Anspruches auf Arbeitslosengeld auch denjenigen treffen soll, der den Zustand der Arbeitslosigkeit infolge Auflösung seines Dienstverhältnisses selbst herbeiführt (vgl. das zur Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 142/2000 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0092, mwN).
Gemäß § 11 zweiter Satz AlVG ist der Ausschluss vom Leistungsbezug in berücksichtigungswürdigen Fällen ganz oder teilweise nachzusehen. Mit der Novelle BGBl I Nr. 142/2000 fiel die Formulierung "ohne triftigen Grund" in § 11 erster Satz AlVG weg. Nach dem Bericht des Budgetausschusses (369 BlgNR 21. GP) sollen bei einer freiwilligen Lösung des Dienstverhältnisses allenfalls vorliegende Nachsichtsgründe, die die Auflösung eines Dienstverhältnisses rechtfertigen können, künftig nur mehr im Wege eines Nachsichtsverfahrens nach Anhörung des Regionalbeirats geprüft werden.
Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 11 durch die Novelle BGBl. I Nr. 77/2004 die Prüfung von im Einzelfall vorliegenden subjektiven Faktoren der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in den Bereich der Nachsichtsgewährung verlegen wollte. Weder dem Gesetz noch den Materialien ist aber zu entnehmen, dass dabei der Maßstab für deren Beachtlichkeit geändert werden soll. Die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze zum Vorliegen von "triftigen Gründen" im Sinne des § 11 erster Satz AlVG aF sind daher auch für die Beurteilung der "berücksichtigungswürdigen Gründe" im Sinne des § 11 erster Satz AlVG nF heranzuziehen. Insbesondere sind für die Beurteilung des Vorliegens von Nachsichtsgründen im Sinne des § 11 erster Satz AlVG nF Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie etwa § 9 Abs. 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom Arbeitsmarktservice vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht. Soweit das Arbeitsverhältnis betreffende Umstände für die Auflösung eines Dienstverhältnisses in Betracht kommen, wird es sich zwar nicht nur um Vorfälle handeln müssen, die einen Austrittsgrund im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes (etwa im Sinne des § 26 Angestelltengesetz und verwandter Rechtsvorschriften) darstellen, zumindest aber um solche, die einem solchen wichtigen Grund zumindest nahe kommen. Jedenfalls hat die bei Anwendung des § 11 AlVG vorzunehmende Zumutbarkeitsprüfung die gänzlich anders geartete Situation des in Beschäftigung Stehenden (zum Unterschied zu dem bereits arbeitslos Gewordenen) zu berücksichtigen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0063).
Durch die Novelle zum AlVG mit BGBl. I Nr. 104/2007 wurde durch die Einbeziehung neuer Personengruppen in die Arbeitslosenversicherung lediglich eine Erweiterung der in § 11 Abs. 2 AlVG beispielsweise aufgezählten berücksichtigungswürdigen Fällen vorgenommen; es bleibt aber durch die unveränderte Einleitung des Nebensatzes in "§ 11 Abs. 2 leg. cit. ("wie zB …") weiterhin evident, dass neben den aufgezählten Fällen auch andere Umstände berücksichtigungswürdige Fälle darstellen können (so auch ein Wohnsitzwechsel, vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0137).
Im vorliegenden Fall wurde dies von der belangten Behörde - wie die Beschwerdeführerin zutreffend aufzeigt - verkannt, indem im angefochtenen Bescheid keine Auseinandersetzung damit erfolgt, dass durch den Wohnsitzwechsel bei Aufrechterhaltung des (früheren) Dienstverhältnisses (tägliche) Wegzeiten zwischen dem Wohnort in G und der Arbeitsstätte in Wien entstanden wären, welche die Zumutbarkeitsgrenze gemäß § 9 Abs. 2 AlVG eindeutig bei Weitem überschritten hätten.
Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Übrigen der von der Beschwerdeführerin in der Berufung behauptetermaßen in Aussicht gestellten Beschäftigung entgegenhält, dass sie (lediglich) am 1. und bei einer näher bezeichneten Kinderbetreuungseinrichtung tätig gewesen sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführerin nach den vorgelegten Verwaltungsakten auch kein Parteiengehör zu den diesbezüglichen Ermittlungsergebnissen gewährt wurde. Mit dem erstmaligen Beschwerdevorbringen, wonach sie bei dieser Kinderbetreuungseinrichtung zunächst als Karenzvertretung tageweise im Zeitraum zwischen 15. Oktober und an weiteren sieben Tagen tätig gewesen und in der Folge mit auf unbefristete Zeit als "Assistenzkindergartenpädagogin/Springerin" eingestellt worden sei, verstößt die Beschwerdeführerin somit nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG. Auf Grund dieses Vorbringens kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass bei entsprechender Auseinandersetzung mit den ins Treffen geführten Angaben auch daraus auf das Vorliegen eines berücksichtigungswürdigen Falles im Sinne des § 11 Abs. 2 AlVG zu schließen wäre, womit der angefochtene Bescheid auch an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet.
Da aber eine inhaltliche Rechtswidrigkeit der einer solchen infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften prävaliert, war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am