VwGH vom 16.03.2011, 2009/08/0260

VwGH vom 16.03.2011, 2009/08/0260

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der G B in Wien, vertreten durch Lansky, Ganzger Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rotenturmstraße 29/9, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9-002303, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, hier angefochtenen Bescheid wurde - in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides - der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom bis "widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 336,06 verpflichtet.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe ab bis mit kurzen Unterbrechungen Arbeitslosengeld als Vorschuss auf die Kündigungsentschädigung bzw. Stiftungsarbeitslosengeld in der Höhe von EUR 18,67 täglich zuerkannt und ausbezahlt erhalten, im Zeitraum vom bis (18 Tage) in Summe EUR 336,06. Sie sei bei der E GmbH vom bis als Angestellte in einem unter der Geringfügigkeitsgrenze des ASVG entlohnten Beschäftigungsverhältnis und unmittelbar anschließend ab in einem über der Geringfügigkeitsgrenze des ASVG entlohnten, voll versicherten Beschäftigungsverhältnis gestanden. Die Beschwerdeführerin habe das Arbeitsmarktservice von der Aufnahme des voll versicherten Beschäftigungsverhältnisses am am per Fax informiert.

Die Beschwerdeführerin gelte sohin ab nicht mehr als arbeitslos. Da sich nachträglich eine Anspruchsvoraussetzung - nämlich Arbeitslosigkeit - als nicht gesetzlich begründet herausgestellt habe, sei die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes im Zeitraum vom 13. bis zu widerrufen. Bei (u.a.) Widerruf einer Leistung sei der Empfänger der Notstandshilfe zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt habe oder wenn er erkennen habe müssen, dass die Leistung nicht oder nicht in der Höhe gebühre. Die Beschwerdeführerin habe in Entsprechung ihrer Meldepflichten nach § 50 AlVG die Aufnahme einer voll versicherten Beschäftigung ab am gemeldet. Das Arbeitsmarktservice habe daraufhin die Beschwerdeführerin über die Einstellung des Leistungsbezuges ab informiert. Dennoch sei im Juli 2007 das Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom bis in der Höhe von EUR 560,10 ausbezahlt worden (EUR 18,67 x 30 Tage). Wenn eine arbeitslose Person ein Beschäftigungsverhältnis antrete, sei im Allgemeinen davon auszugehen, dass ihr schon "nach den gewöhnlichen Fähigkeiten" erkennbar sei, dass für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe. Die Beschwerdeführerin habe darüber hinaus eine Mitteilung von der Leistungseinstellung erhalten. Da die der Beschwerdeführerin ab gebührende Leistung gleichbleibend EUR 18,67 täglich betragen habe, habe sie erkennen können und müssen, dass aufgrund der Beendigung der Arbeitslosigkeit ab für den Zeitraum 1. bis das Arbeitslosengeld nicht in Höhe von EUR 560,10 gebühre, sondern lediglich von EUR 224,04. Es liege fahrlässige Unkenntnis vor, was für die Erfüllung des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 AlVG ausreichend sei. Damit sei auch der gutgläubige Empfang der zu viel ausbezahlten Leistung von EUR 336,06 ausgeschlossen. Ohne Relevanz sei, ob ein gutgläubiger Verbrauch der nicht gebührenden Leistung erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (u.a.) arbeitslos ist. Als arbeitslos gilt insbesondere nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht (§ 12 Abs. 3 lit. a AlVG), es sei denn, diese Person bezieht aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt (§ 12 Abs. 6 lit. a AlVG).

Fällt eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld weg, ist es einzustellen (§ 24 Abs. 1 AlVG). Bei (u.a.) Einstellung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (§ 25 Abs. 1 AlVG).

Unstrittig fiel die Arbeitslosigkeit der Beschwerdeführerin mit weg, da sie ab diesem Tag in einem über der Geringfügigkeitsgrenze des ASVG entlohnten Beschäftigungsverhältnis stand, wovon die Beschwerdeführerin das Arbeitsmarktservice auch verständigte. Das Arbeitslosengeld war daher (im Ergebnis unstrittig) mit Ablauf des einzustellen. Dadurch, dass unzutreffend ein Widerruf (bzw. eine rückwirkende Berichtigung) ausgesprochen wurde, wird die Beschwerdeführerin in ihren Rechten nicht verletzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0258).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG schon nach dem isolierten Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass …" nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe nach erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße "Erkennenmüssen" ab und statuiert dadurch eine (zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genügt. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührt, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0300, mwN).

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist die allgemeine Vermutung der Gesetzeskenntnis (§ 2 ABGB) bei Beurteilung der Sorgfaltspflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 AlVG nicht ohne weiteres heranzuziehen, weil der Gesetzgeber in dieser Bestimmung nicht schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein für die Rückforderung genügen lassen wollte. "Erkennenmüssen" im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG kann daher nicht mit Rechtskenntnis und schon gar nicht mit Judikaturkenntnissen gleichgesetzt werden. Im Falle des "Erkennenmüssens" handelt es sich definitionsgemäß um Sachverhalte, bei denen in der Regel nicht der Leistungsempfänger (z.B. durch falsche Angaben oder Verschweigen maßgebender Tatsachen), sondern die Behörde selbst den Überbezug einer Leistung verursacht hat. Da die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dem Unterhalt des Leistungsempfängers zu dienen bestimmt sind und daher mit ihrem laufenden Verbrauch gerechnet werden muss, stellt die Rückforderung einer solchen Leistung in der Regel eine erhebliche Belastung für den Leistungsempfänger dar. Soweit daher der Leistungsempfänger am Entstehen eines Überbezuges nicht mitgewirkt hat, ist es sachlich nicht angebracht, vermeidbare Behördenfehler durch überstrenge Anforderungen an den vom Leistungsempfänger zu beobachtenden Sorgfaltsmaßstab zu kompensieren. Schlechtgläubig im Sinne des hier anzuwendenden Rückforderungstatbestandes ist daher nur ein Leistungsbezieher, der nach den konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalles ohne weiteres den Überbezug hätte erkennen müssen. Dem Leistungsbezieher muss der Umstand, dass er den Überbezug tatsächlich nicht erkannt hat - ohne dass ihn zunächst besondere Erkundigungspflichten träfen - nach seinen diesbezüglichen Lebens- und Rechtsverhältnissen vorwerfbar sein (vgl. das schon zitierte hg. Erkenntnis vom , mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zum dritten Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 AlVG somit der Sache nach darauf abgestellt, ob der Leistungsbezieher (erkannt hat oder doch) unter Heranziehung eines ihm nach seinen konkreten Lebensumständen zumutbaren Alltagswissens hätte erkennen müssen, dass ihm die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht (oder nicht in dieser Höhe) gebührte.

Die Beschwerdeführerin wendet ein, sie habe über einen mehrjährigen Zeitraum (vom bis zum ) Arbeitslosengeld bezogen. Da die Zahlungen jedoch in unterschiedlicher Höhe gewesen seien (im Jahr 2006 zwischen EUR 40,- und EUR 616,11; im Jahr 2007 zwischen EUR 74,68 und EUR 578,77), könne ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie gutgläubig meine, ihr gebühre der am ausbezahlte Betrag von EUR 560,10 für den Zeitraum vom 1. bis . Das Arbeitsmarktservice habe den Widerruf auch erst mehr als zwei Jahre nach Beendigung des Leistungsbezuges ausgesprochen.

Die belangte Behörde stützte die Rückersatzverpflichtung darauf, dass einer arbeitslosen Person nach den gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar ist, dass für den Zeitraum ab Antritt eines Beschäftigungsverhältnisses kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe; die Beschwerdeführerin habe auch eine Mitteilung von der Leistungseinstellung erhalten. Da die ab gebührende Leistung gleichbleibend EUR 18,67 täglich betragen habe, habe die Beschwerdeführerin erkennen müssen, dass für den Zeitraum vom 1. bis Arbeitslosengeld nicht in Höhe von EUR 560,10 gebühre.

Die Auffassung der belangten Behörde erweist sich als zutreffend.

Die Beschwerdeführerin verweist hinsichtlich der Zahlungen 2006 in der Beschwerde selbst darauf, dass der Betrag von EUR 40,-

mit dem Vermerk "Stipendium … W GmbH" überwiesen wurde. Es handelte sich daher - auch für die Beschwerdeführerin erkennbar - um eine Zahlung, die mit den laufenden monatlichen Zahlungen des Arbeitslosengeldes nicht unmittelbar vergleichbar war. Auch verwies die Beschwerdeführerin in der Beschwerde darauf, dass es - offenbar wiederholt - zu kurzen Unterbrechungen des Arbeitslosengeldbezuges gekommen war. Insoweit war aber - auch für die Beschwerdeführerin erkennbar - davon auszugehen, dass dies zu Zahlungen in unterschiedlicher Höhe samt allfälligen Nachzahlungen führen würde.

Im Übrigen betrug das tägliche Arbeitslosengeld aber - wie auch in der Beschwerde geschildert, also offenbar der Beschwerdeführerin bekannt - im gesamten Bezugszeitraum EUR 18,67. Ausgehend hievon war der Beschwerdeführerin (ohne dass hiefür komplexere Berechnungsvorgänge notwendig gewesen wären; vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0175) auch erkennbar, dass das Arbeitslosengeld für einen Monat mit 30 Tagen EUR 560,10 betrage (für 31 Tage EUR 578,77). Die Beschwerdeführerin schilderte auch in der Beschwerde, dass die Zahlungen (im Jahr 2007) höchstens EUR 578,77 betragen hatten. Insoweit musste der Beschwerdeführerin also bekannt sein, dass es sich hiebei um die Zahlung an Arbeitslosengeld für einen ganzen Monat handle.

Der Beschwerdeführerin war jedenfalls im Hinblick auf das Schreiben des Arbeitsmarktservice vom (welches sie auch mit ihrer als "Einspruch" bezeichneten Berufung vorlegte) bekannt, dass ihr Arbeitslosengeld ab dem nicht mehr zustehe. Ausgehend von dem ihr bekannten täglichen Arbeitslosengeld (EUR 18,67) und dem daraus ableitbaren monatlichen Arbeitslosengeldbezug (für 30 Tage EUR 560,10) war ihr somit auch ohne weiteres erkennbar und musste sie daher erkennen, dass sich der im Juli 2007 für Juni 2007 ausbezahlte Betrag von EUR 560,10 nicht für den Zeitraum bis einschließlich ergeben konnte.

Damit liegen die Voraussetzungen dafür vor, die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des entgegen der Einstellung ausbezahlten Betrages zu verpflichten.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am