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VwGH vom 25.10.2017, Fe 2016/22/0001

VwGH vom 25.10.2017, Fe 2016/22/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über den auf § 11 Abs. 1 Amtshaftungsgesetz gegründeten Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , 30 Cg 15/15v- 17, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Bürgermeisters der Stadt Wien vom , MA 62-2985/2009, betreffend Entziehung eines Reisepasses (weitere Parteien:

1. Bürgermeister der Stadt Wien; 2. M S in W, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15; 3. Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in 1010 Wien, Singerstraße 17-19), zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass der Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien vom , MA 62-2985/2009, rechtswidrig war.

Die in diesem Verfahren erwachsenen Kosten der Parteien sind Kosten des Rechtsstreits vor dem antragstellenden Gericht.

Begründung

I.

Dem gegenständlichen Feststellungsantrag liegt folgender

Sachverhalt zugrunde:

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien (im

Folgenden: Behörde) vom wurde der - dem M S (im Folgenden: klagende Partei) mit Gültigkeit bis zum ausgestellte - Reisepass gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f Passgesetz 1992, BGBl. Nr. 839 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, entzogen.

In ihrer Begründung führte die Behörde eine seit rechtskräftige Verurteilung der klagenden Partei wegen den §§ 28 und 28a Suchtmittelgesetz (SMG) an. Dazu verwies sie auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge beim Handel mit Suchtgift in großen Mengen die Wiederholungsgefahr zum Wesen des deliktischen Verhaltens gehöre, welche die Annahme rechtfertige, der Passwerber könne sein Reisedokument dazu benützen, Suchtgift einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen. Der Drogenkriminalität hafte ein latenter Auslandsbezug an. Dass der Täter selbst Suchtgift aus dem Ausland eingeführt habe oder sich im Ausland aufgehalten habe, sei für die Entziehung des Reisepasses nicht unbedingt Voraussetzung. Erst nach einem längeren, mehrjährigen Wohlverhaltenszeitraum in Freiheit (Zeiten von Anhaltung in Haft hätten außer Betracht zu bleiben) könne die von der klagenden Partei ausgehende Gefahr als so reduziert angesehen werden, dass von einer Entziehung des Reisepasses abgesehen werden könne. Nachteilige persönliche und wirtschaftliche Folgen könnten im Passentziehungsverfahren nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, weil der Passbehörde hier kein Entscheidungsspielraum zukomme. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen sei der Reisepass zwingend zu entziehen.

2 Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung der klagenden Partei wurde dieser Bescheid mit Berufungsbescheid der Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, vom gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit an die Behörde zurückverwiesen.

Die Landespolizeidirektion verwies auf (nicht näher zitierte) Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) und "darauf gestützte (.) nunmehrige (.) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes", der zufolge in Verfahren zur Entziehung eines Reisepasses § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992 unangewendet zu bleiben habe. Vielmehr sei auf Grund der Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, (im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) die Beurteilung anzustellen, ob eine Einschränkung des unionsrechtlich zustehenden Rechts auf Freizügigkeit zulässig sei, wobei zu prüfen sei, ob vom Betroffenen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe und ob diese Annahme auch für die Zukunft gerechtfertigt sei. Weiters sei die Frage der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, weil der EuGH klargestellt habe, dass die beschränkende Maßnahme nicht über das hinausgehen dürfe, was zur Erreichung des Zieles erforderlich sei. Insbesondere zur geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung mangle es im gegenständlichen Verfahren an hinreichenden Feststellungen. Ausgehend davon sei der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zurückzuverweisen gewesen.

3 Mit Schreiben vom teilte die Behörde der klagenden Partei mit, dass das gegenständliche Ermittlungsverfahren gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f Passgesetz 1992 eingestellt werde.

4 Mit Amtshaftungsklage vom , verbessert mit Eingabe vom , begehrte die klagende Partei, die Republik Österreich (Bund; im Folgenden: beklagte Partei) für schuldig zu erklären, ihr die Kosten für das abgeführte Berufungsverfahren in der Höhe von EUR 1.121,54 samt Zinsen zu bezahlen.

Die klagende Partei führte aus, die Behörde habe die Entziehung des Reisepasses allein mit der gerichtlichen Verurteilung nach dem SMG begründet, ohne Art. 27 der Richtlinie 2004/38/EG und das , Gaydarov, zu beachten. Der Bescheid sei unvertretbar, weil nicht durch eine Einvernahme der klagenden Partei geprüft worden sei, ob ihr Verhalten eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle bzw. ob die beschränkende Maßnahme der Passentziehung verhältnismäßig sei. Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang der Richtlinie 2004/38/EG sei § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992 und das darin normierte "Außer-Betracht-Bleiben" der Haftzeiten (für die Frage des Zeitraums des Wohlverhaltens) unanwendbar. Die Richtlinie 2004/38/EG und das EuGH-Urteil Gaydarov hätten der Behörde bekannt sein müssen.

Die beklagte Partei stellte den Antrag, das Klagebegehren abzuweisen, zumal das EuGH-Urteil C-430/10 der Behörde bei Erlassung des Bescheides noch nicht vorgelegen sei und eine geänderte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erst seit (Verweis auf das Erkenntnis 2009/18/0168) bestehe.

5 Mit Urteil vom wies das antragstellende Landesgericht das Klagebegehren der klagenden Partei ab.

Dem antragstellenden Gericht erschien es zumindest nicht unvertretbar, wenn eine erstinstanzliche Behörde im Rahmen der Passentziehung die nach Art. 27 der Richtlinie 2004/38/EG bestehende Wertung "im Sinne einer Vorwegnahme der sodann erfolgten Leitentscheidung Gaydarov nicht direkt heranzieht", zumal es sich im Sinn der Judikatur des OGH (Verweis auf das Urteil vom , 1 Ob 14/10f) nicht um eine seit langem vorliegende Entscheidung handle. Die klagende Partei habe nicht dargelegt, weshalb von einer Kenntnis der betroffenen Organe der Behörde von dieser Entscheidung des EuGH auszugehen wäre. Es liege kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht vor. Der klagenden Partei sei es nicht gelungen, aufzuzeigen, dass die mit Bescheid der Behörde vom erfolgte Entziehung des Reisepasses unvertretbar rechtswidrig gewesen wäre.

6 Mit Beschluss vom gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen erhobenen Berufung der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Urteil des antragstellenden Landesgerichtes vom auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Das Oberlandesgericht verwies darauf, dass ein Amtshaftungsanspruch auch dann entstehen könne, wenn ein Organ unmittelbar anwendbares Unionsrecht vorwerfbar nicht anwende. Auch eine Verwaltungsbehörde sei verpflichtet, eine innerstaatliche Rechtsvorschrift nicht anzuwenden, wenn sie als von unmittelbar anwendbarem Unionsrecht verdrängt anzusehen sei. Die Vorwerfbarkeit könne auch in der Nichtbeachtung der ständigen Rechtsprechung des EuGH liegen. Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes sei Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (der bis zum umzusetzen gewesen wäre) unmittelbar anwendbar. Der lediglich auf eine gerichtlich strafbare Handlung Bezug nehmende § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f und Z 4 Passgesetz 1992 widerspreche den (näher dargestellten) Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG. Ausgehend davon bestünden Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Behörde vom . Bei Fehlen einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes könne das Amtshaftungsgericht die Rechtswidrigkeit des angeblich schadensursächlichen Bescheides zwar selbständig verneinen, nicht aber ohne Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes bejahen.

Vor einer solchen Anrufung könne das Amtshaftungsgericht die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Bescheides prüfen. Eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung könne allenfalls rechtswidrig sein, stelle aber kein Verschulden im Sinn des § 1 Abs. 1 Amtshaftungsgesetz (AHG) dar. Das Oberlandesgericht verkenne nicht, dass die Behörde den Bescheid vom im Sinn der (damals) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erlassen habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe seine Rechtsprechung mit der Leitentscheidung vom , 2009/18/0168, auf Grund des , Gaydarov, geändert. Dieses EuGH-Urteil, das jedenfalls die Unionsrechtswidrigkeit des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f und Z 4 Passgesetz 1992 klargestellt habe, sei zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides fast sieben Monate vorhanden gewesen. Es sei Sache des beklagten Rechtsträgers, die Vertretbarkeit des Verhaltens seiner Organe zu beweisen. Die "diesbezüglich vom Erstgericht getroffene Negativfeststellung" gehe daher zu Lasten der beklagten Partei. Es sei der beklagten Partei nicht gelungen, eine Vertretbarkeit der Rechtsansicht der Behörde zu beweisen.

Da - wie dargelegt - eine Bejahung der Rechtswidrigkeit des Bescheides ohne Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes nicht möglich sei, sei der Berufung Folge zu geben gewesen. Das Erstgericht (als Prozessgericht) werde im weiteren Verfahren gemäß § 11 Abs. 1 AHG vorzugehen und beim Verwaltungsgerichtshof die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Behörde vom zu begehren haben.

7 Im Hinblick darauf beantragte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Schriftsatz vom beim Verwaltungsgerichtshof gemäß § 11 Abs. 1 AHG die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Behörde vom .

Die Behörde erstattete eine Stellungnahme, in der sie die Abweisung des Feststellungsantrags des Landesgerichtes beantragte. II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Stellung eines Feststellungsantrages nach § 11 Abs. 1 AHG in Verbindung mit § 65 VwGG wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , Fe 2016/01/0001, verwiesen. Daraus ergibt sich auch, dass der Umstand, dass der vom Verwaltungsgerichtshof zu überprüfende Bescheid nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, kein Hindernis für die Antragstellung darstellt.

9 Die hier relevanten Regelungen des Passgesetzes 1992, BGBl. Nr. 839 in der (für die Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof am Maßstab der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des zu überprüfenden Bescheides maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, lauten auszugsweise:

"Paßversagung

§ 14. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn

...

3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Paßwerber

den Reisepaß benützen will, um

...

f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer

großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr

zu setzen, oder

4. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß durch den

Aufenthalt des Paßwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde, oder

...

(3) Liegen den in Abs. 1 Z 3 lit. b bis f und Z 4 und 5 angeführten Tatsachen gerichtlich strafbare Handlungen zugrunde, ist bis zum Ablauf von drei Jahren nach der Tat jedenfalls von einem Versagungsgrund auszugehen, wobei Haftzeiten und Zeiten einer Unterbringung nach den §§ 21 bis 23 StGB außer Betracht zu bleiben haben.

...

Paßentziehung

§ 15. (1) Ein Reisepaß, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, ist zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

..."

10 Die Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. L 158 vom , S 77, lautet auszugsweise:

"Artikel 4

Recht auf Ausreise

(1) Unbeschadet der für die Kontrollen von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften haben alle Unionsbürger, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, und ihre Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die einen gültigen Reisepass mit sich führen, das Recht, das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verlassen und sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben.

...

(3) Die Mitgliedstaaten stellen ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und verlängern diese Dokumente.

...

Artikel 27

Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

..."

11 Der EuGH hat in seinem bereits erwähnten Urteil vom in der Rs. C-430/10, Gaydarov, festgehalten, dass das Recht auf Freizügigkeit auch das Recht umfasst, den Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, und eine Konstellation wie die dort zugrunde liegende (dem Betroffenen wurde auf Grund einer Verurteilung wegen unerlaubten Mitführens von Suchtstoffen untersagt, den Herkunftsstaat zu verlassen, und es wurde ihm kein Pass ausgestellt) in den Geltungsbereich der Richtlinie 2004/38/EG falle (Rn. 25 ff). Der EuGH hat zu Recht erkannt, dass Art. 27 der Richtlinie 2004/38/EG einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, wonach das Recht eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, insbesondere deshalb beschränkt werden dürfe, weil er in einem anderen Staat wegen Handels mit Betäubungsmitteln strafrechtlich verurteilt worden sei, sofern - unter anderem - das persönliche Verhalten dieses Staatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, und die vorgesehene beschränkende Maßnahme geeignet sei, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei.

12 Im Anschluss daran hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2009/18/0094, festgehalten, dass durch eine Entziehung des Reisepasses gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 Passgesetz 1992 das unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt werde. Im Hinblick auf die Ausführungen im zitierten EuGH-Urteil C-430/10 müsse sich die Behörde daher damit auseinandersetzen, inwieweit vom Betroffenen immer noch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinn der Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG ausgehe.

13 Im Erkenntnis vom , 2009/18/0168, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Entziehung eines Reisepasses - wiederum unter Berufung auf das EuGH-Urteil C- 430/10 - ausgesprochen, dass bei dieser Entscheidung auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müsse. Die belangte Behörde habe sich mit der Verhältnismäßigkeit der von ihr getroffenen Maßnahme aber nicht auseinandergesetzt.

14 Unter Verweis auf dieses Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom selben Tag, 2009/18/0159, der belangten Behörde vorgehalten, sie habe sich im Rahmen der zu erstellenden Zukunftsprognose auf die allgemeinen Aussagen hinsichtlich des Erfahrungswissens im Zusammenhang mit der bei Suchtgiftdelikten bestehenden großen Wiederholungsgefahr gestützt und keine Tatsachen angeführt, die eine Annahme rechtfertigten, der Beschwerdeführer wolle den Reisepass dazu benützen, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen. Damit werde der angefochtene Bescheid § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f Passgesetz 1992 in Verbindung mit den Anforderungen der Richtlinie 2004/38/EG im Sinn des angeführten EuGH-Urteils C- 430/10 nicht gerecht. Darüber hinaus sei die belangte Behörde in Verkennung der durch das genannte EuGH-Urteil klargestellten Rechtslage davon ausgegangen, auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers keine Rücksicht nehmen zu müssen.

15 In einem weiteren Erkenntnis vom selben Tag, 2009/18/0041, hat der Verwaltungsgerichtshof schließlich die Vorschrift des § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992, mit der eine - keine Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles ermöglichende - gesetzliche Vermutung des Bestehens einer maßgeblichen Gefahr für eine im Vorhinein festgelegte Zeit angeordnet wird, als mit der Richtlinie 2004/38/EG unvereinbar und daher im Hinblick auf die Vorrangwirkung des Unionsrechts unanwendbar angesehen.

16 Auch im vorliegenden Fall ist eine Prüfung der Zulässigkeit der Beschränkung des der klagenden Partei zustehenden Rechts auf Freizügigkeit durch die Entziehung ihres Reisepasses anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes - somit im Hinblick auf das Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr - nicht erfolgt. Zwar hat die Behörde im zu überprüfenden Bescheid nicht allein auf den Umstand des Vorliegens einer strafrechtlichen Verurteilung abgestellt, sondern auch auf die zugrunde liegenden Tathandlungen Bezug genommen. Allerdings wurden keine auf den konkret vorliegenden Fall bezogenen Anhaltspunkte dargelegt, welche die Annahme rechtfertigen würden, die klagende Partei wolle den Reisepass dazu benützen, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen. Die Behörde ist - in Verkennung der durch das EuGH-Urteil C-430/10 klargestellten Rechtslage - auch davon ausgegangen, dass auf die persönlichen Folgen für die klagende Partei nicht abzustellen sei, und hat dementsprechend keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt.

17 Soweit die Behörde in ihrer Stellungnahme auf die in § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992 normierte "Mindest-Wohlverhaltensdauer" in Freiheit von drei Jahren verweist und anführt, bei der klagenden Partei sei zum Zeitpunkt der Erlassung des zu überprüfenden Bescheides erst ein Wohlverhalten von zwei Jahren und zehneinhalb Monaten vorgelegen, genügt es, auf die Ausführungen im bereits zitierten Erkenntnis 2009/18/0041 zu verweisen.

18 Mit ihrem Vorbringen, der Verwaltungsgerichtshof habe seine Rechtsprechung als Folge des EuGH-Urteils C-430/10 erst mit einer Reihe von Erkenntnissen vom (und somit nach Erlassung des hier gegenständlichen Bescheides) geändert und die Passbehörden seien erst mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom auf diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf das EuGH-Urteil C-430/10 hingewiesen worden, vermag die Behörde eine Rechtmäßigkeit ihres Bescheides vom nicht darzutun.

19 Da die Entziehung des Reisepasses durch den zu überprüfenden Bescheid der Behörde vom somit den dargestellten unionsrechtlichen Vorgaben nicht entsprochen hat, war gemäß § 67 VwGG die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides festzustellen.

20 Der Kostenausspruch gründet sich auf § 68 VwGG.

Wien, am

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Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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