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VwGH vom 12.09.1978, 2840/77

VwGH vom 12.09.1978, 2840/77

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kadecka und die Hofräte Dr. Karlik, Dr. Simon, Dr. Kirschner und Dr. Schubert als Richter, im Beisein der Schriftführerin Ministerialsekretär Papp, über die Beschwerde der FG in G, vertreten durch Dr. Helmut Destaller, Rechtsanwalt in Graz, Grazbachgasse 5 (Dietrichsteinplatz), gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , Zl. B 280-3/77. betreffend außergewöhnliche Belastung für 1976, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die 1912 geborene und verwitwete Beschwerdeführerin ist Pensionistin. Ihre "Gesamteinkünfte" betrugen 1976 rund S 139.000,-

-. Für dieses Jahr beantragte die Beschwerdeführerin die Eintragung eines steuerfreien Betrages auf der Lohnsteuerkarte wegen außergewöhnlicher Belastung. Insgesamt machte sie einen Betrag von S 52.991,-- geltend. Davon entfielen S 33.466,-- auf Kosten, die der Beschwerdeführerin zwangsläufig erwachsen seien, weil ihr Sohn, dessen Frau und dreijähriges Kind nach einen Aufenthalt in Südafrika in Not geraten seien, wodurch finanzielle Unterstützungen noch während des Südafrikaaufenthaltes, Aufwendungen für den Aufenthalt des Sohnes und seiner Familie vor seiner im Spätsommer erfolgten weiteren Auswanderung nach Kanada bei der Beschwerdeführerin und diverse Nebenspesen (Lagerspesen und Auslandstelefonate) angefallen seien. Die restlichen S 19.525,-

- entfallen auf Krankenhauskosten für den Sohn, weil dieser während seines Aufenthaltes bei der Beschwerdeführerin von ihrem Schäferhund gebissen worden sei.

Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, daß der Sohn der Beschwerdeführerin in Südafrika als Ingenieur in einem Architektenbüro beschäftigt war und sich entschlossen hatte, nach Kanada auszuwandern. Noch vorher trat er um die Jahreswende 1975/1976 mit seiner Familie eine mehrmonatige Campingreise in Südafrika an. Nach der Darstellung der Beschwerdeführerin habe er nach deren Beendigung nicht nur seinen Posten verloren, sondern auch eine geringere Zahlung erhalten als jene, mit der er gerechnet habe. Die schon vorher beantragte Einreise nach Kanada habe sich sodann verzögert, weshalb der längere Zwischenaufenthalt bei der Beschwerdeführerin notwendig geworden sei. Daß die Beschwerdeführerin zur Tragung von Kosten für die Rückholung des Sohnes, seinen hiesigen Aufenthalt und seine Weiterreise nach Kanada nicht aus rechtlichen Gründen verpflichtet war, stellte die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren außer Streit und behauptet das auch nicht vor dem Verwaltungsgerichtshof. Bezüglich der Krankenhauskosten steht unbestritten fest, daß ein gegen die Beschwerdeführerin eingeleitetes Strafverfahren wegen eines möglichen Verschuldens der Beschwerdeführerin am Hundebiß durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden ist.

Beide Instanzen des abgabenbehördlichen Verfahrens haben das Vorliegen einer außergewöhnlichen Belastung mangels Zwangsläufigkeit verneint. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zu den Krankenhauskosten darauf hingewiesen, daß das Halten eines Hundes nicht zwangsläufig sei. Fehle der Hundehaltung die Zwangsläufigkeit, so könnten Schäden, die der Hund in der Folge anrichte, nicht als zwangsläufig erfolgt angesehen werden.

Gegen diese abweisende Berufungsentscheidung der belangten Behörde (= angefochtener Bescheid) richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwog hat:

Gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1972 ist für eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des Gesetzes u.a. deren Zwangsläufigkeit erforderlich, wobei Absatz 3 dieser Gesetzesstelle ergänzend bestimmt, daß Zwangsläufigkeit vorliegt, wenn der Steuerpflichtige sich der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Im Beschwerdefall kommt - was die "Rückholung" des Sohnes anlangt - nur die Frage einer sittlichen Verpflichtung der Beschwerdeführerin in Betracht. Eine sittliche Verpflichtung in dem hier maßgeblichen Sinn ist anzunehmen, wenn nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen ein Steuerpflichtiger sich zu der betreffenden Leistung für verpflichtet halten kann (Blümich-Falk, 10. Auflage, S. 2442). Nun sind anderseits nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Aufwendungen im Sinne des § 34 EStG 1973 nur vermögensmindernde Ausgaben zu verstehen (siehe Schubert-Pokorny-Schuch, Anmerkung 12 zu § 34 und die dort zitierte Judikatur). Betrachtet man den Fall der Beschwerdeführerin sowohl vom Gesichtspunkt einer sittlichen Verpflichtung wie auch von dem einer bloßen Vermögensumschichtung, so ergibt sich, daß die Beschwerdeführerin unter keinerlei sittlichem Zwang stand, die strittigen Aufwendungen endgültig auf sich zu nehmen. Der Sohn der Beschwerdeführerin besitzt eine abgeschlossene Berufsausbildung, die eine Eingliederung in das Erwerbsleben auf höherem Niveau ermöglicht. Seine tatsächliche Auswanderung nach Kanada diente dem Zweck, sich dort eine Existenz aufzubauen, von der er wohl mit Recht annahm, daß sie ihm und seiner Familie ein angemessenes Einkommen garantieren werde. Unter diesen Umständen hätte sich die Beschwerdeführerin keineswegs dem Vorwurf der Verletzung sittlicher Verpflichtungen, d. h. eines nach den Sittengesetzen verwerflichen Verhaltens, ausgesetzt, wenn sie ihrem Sohn zur Erleichterung seiner angeblichen, voraussichtlich aber nur vorübergehenden Notlage lediglich vorschußweise Hilfe geleistet hätte. Die endgültige Übernahme der gegenständlichen Aufwendungen beruht auf einem freien Entschluß der Beschwerdeführerin; sie stellt daher eine Zwangsläufigkeit, der sich die Beschwerdeführerin nicht hätte entziehen können, nicht dar. Bei dieser rechtlichen Beurteilung brauchte auf die einzelnen Ausführungen der Beschwerde nicht eingegangen werden, insbesondere erübrige sich eine Auseinandersetzung damit, wie lange die Campingreise des Sohnes der Beschwerdeführerin tatsächlich gedauert hat und was die näheren Umstände waren, die ihn dazu bewogen, sein Berufsleben in Südafrika aufzugeben und nach Kanada zu verlegen.

Was die durch den Hundebiß entstandenen Krankenhauskosten des Sohnes betrifft, so vermag der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde nicht zu folgen. Zwar ist es richtig, daß der Verwaltungsgerichtshof wiederholt den Grundsatz aufgestellt hat, daß Zwangsläufigkeit im hier maßgeblichen Sinn nicht vorliegt, wenn sich die außergewöhnliche Belastung als Folge eines Verhaltens darstellt, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat, obwohl er mit dem Eintritt dieser Folgen rechnen mußte (siehe die bei Schögl-Wiesner-Scholz, S. 817 unter Z. 92 angeführte hg. Judikatur). Dieser Grundsatz hat jedoch seine Grenze dort, wo nach dem Urteil vernünftig denkender Menschen ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen Ursache und schließlicher Folge nicht mehr gegeben ist. Denn sonst wäre beispielsweise die Geltendmachung einer außergewöhnlichen Belastung für einen Schaden, der durch ein vom Steuerpflichtigen angeschafftes technisches Gerät irgendeiner Art dem Steuerpflichtigen oder einem Dritten entsteht, schlechthin ausgeschlossen, ohne daß eine Prüfung der Umstände, die im Einzelfall zu diesem Schaden führten, überhaupt stattzufinden hätte. Daher wäre die abweisende Entscheidung der belangten Behörde - was die Krankenhauskosten anlangt - nur dann im Gesetz begründet, wenn die Beschwerdeführerin keine Rechtspflicht zum Schadenersatz trifft. Für die Verneinung einer Ersatzpflicht genügt die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nicht. Abgesehen davon, daß das Fehlen oder die mangelnde Beweisbarkeit eines strafrechtlich zuzurechnenden Verschuldens nicht zwingend ein zum Schadenersatz führendes Verschulden im Sinne des § 1295 ABGB ausschließt, ist hier auch auf die besondere Regelung des § 1320 ABGB Bedacht zu nehmen. Nach dieser Vorschrift haftet für die Beschädigung durch ein Tier derjenige, der es hiezu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Für den Tierhalter ist darüber hinaus noch eine Umkehrung der Beweislast vorgesehen, indem seine Haftung auch dann besteht, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Ist nach dem Gesagten eine rechtliche Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Übernahme der Krankenhauskosten zu verneinen, so besteht aus den schon oben erwähnten Gründen auch keine sittliche Verpflichtung zur Kostenübernahme.

Da die belangte Behörde in der Frage der Krankenhauskosten als Folge des vom Sohn der Beschwerdeführerin erlittenen Hundebisses von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist und infolgedessen die erforderlichen Ermittlungen darüber, ob die Beschwerdeführerin nicht eine Rechtspflicht zum Schadenersatz getroffen hat, unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 542/1977. Die von der Beschwerdeführerin begehrte Umsatzsteuer war nicht zuzusprechen, weil dieser Aufwand durch den pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits abgegolten ist.

Wien, am