VwGH vom 28.03.2012, 2009/08/0214
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des G N in Wien, vertreten durch Mag. Martin Breunig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Herrengasse 5, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9-000464, betreffend Höhe des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Juni 1962 geborene Beschwerdeführer wurde von seinem Dienstgeber, dem Unternehmen P, am gemäß § 12 AVRAG gegen Entfall des Arbeitsentgeltes freigestellt und bezog anschließend vom bis Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG (und zwar - unter Heranziehung eines durchschnittlichen monatlichen Einkommens des Beschwerdeführers aus dem Kalenderjahr 2006 von EUR 1.612,76 - in Höhe von EUR 24,24 täglich im Zeitraum vom 1. Oktober bis bzw. von EUR 24,38 täglich im Zeitraum vom 1. Jänner bis ). Infolge Kündigung dieses Dienstverhältnisses per beanspruchte der Beschwerdeführer ab bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice H (in der Folge: AMS) Arbeitslosengeld. Am begehrte er die bescheidmäßige Feststellung über die Höhe des Arbeitslosengeldes.
Mit Bescheid vom hat das AMS festgestellt, dass dem Beschwerdeführer ab Arbeitslosengeld in der Höhe von täglich EUR 21,88 gebühre. Dies wurde damit begründet, dass das Arbeitslosengeld mit der im Hauptverband gespeicherten Bemessungsgrundlage aus dem Jahr 2007 zu bemessen sei; nach § 21 Abs. 8 AlVG könne eine Bemessungsgrundlage nur garantiert werden, wenn sie zur Bemessung von Arbeitslosengeld herangezogen worden sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass gemäß § 21 Abs. 8 leg. cit. das Weiterbildungsgeld dem Arbeitslosengeld bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage gleichzustellen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge.
In ihrer Bescheidbegründung führte die belangte Behörde nach kurzer Darlegung des Verfahrensganges und neben Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am das 45. Lebensjahr vollendet habe und zu diesem Zeitpunkt in einem Beschäftigungsverhältnis zum Unternehmen P gestanden sei, welches am begonnen und arbeitsrechtlich am durch seine Kündigung geendet habe. Sein Entgeltanspruch aus diesem Dienstverhältnis wie auch seine Pflichtversicherung habe bereits mit geendet, da er gegen Entfall des Arbeitsentgeltes freigestellt gewesen sei. Auf Grund seines Antrages vom sei ihm auf Basis seiner beim Sozialversicherungsträger gespeicherten durchschnittlichen monatlichen Beitragsgrundlagen aus dem Jahr 2007 von EUR 1.381,30 aus seinem Beschäftigungsverhältnis zum Unternehmen P ab Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 21,88 gewährt und ausbezahlt worden.
In rechtlicher Hinsicht setzte die belangte Behörde fort, dass nur Bemessungsgrundlagen eines Bezuges von Arbeitslosengeld oder einer daraus folgenden Notstandshilfe nach § 21 Abs. 8 AlVG gewahrt bleiben könnten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergäbe sich dies aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 8 leg. cit. unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Zwecks der Norm, dass durch den "Bemessungsgrundlagenschutz" die Arbeitsaufnahme und -versuche von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ab dem 45. Lebensjahr gefördert werden sollen. Arbeitssuchende ab diesem Alter sollen bei Aufnahme einer geringer bezahlten Beschäftigung nicht ein Absinken ihrer Bemessungsgrundlage für einen künftigen Arbeitslosengeldbezug befürchten müssen. Ein genereller Schutz aller auch vor dem 45. Lebensjahr erzielten und einem Arbeitslosengeldbezug zugrunde gelegten höheren Bemessungsgrundlagen für den Fall, dass eine erneute Arbeitslosigkeit erst nach Erreichen des 45. Lebensjahres eintritt, sollte nicht festgeschrieben sein.
Dies müsse - so die belangte Behörde weiter - auch im vorliegenden Fall des ersten Arbeitslosengeldbezuges des Beschwerdeführers nach Vollendung seines 45. Lebensjahres ab gelten; die von ihm geforderte Berücksichtigung und Sicherung einer Bemessungsgrundlage aus dem Jahr 2006 sei ausschließlich für die Bemessung von Weiterbildungsgeld herangezogen worden. Der "Bemessungsgrundlagenschutz" nach § 21 AlVG gelte nur dann, wenn Arbeitslosengeld nach Vollendung des 45. Lebensjahres bezogen worden sei, die betreffende Person danach wiederum eine Arbeit aufnehme und später erneut arbeitslos werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und einer Replik dazu seitens des Beschwerdeführers erwogen:
1. Die §§ 6 und 21 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 114/2005 lauten (auszugsweise) wie folgt:
"§ 6. (1) Als Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung werden gewährt:
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1. | Arbeitslosengeld; |
2. | Notstandshilfe; |
3. | Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung; |
4. | Weiterbildungsgeld; |
5. | Altersteilzeitgeld; |
6. | Übergangsgeld nach Altersteilzeit; |
7. | Übergangsgeld. |
(2) …
§ 21. (1) Für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ist bei Geltendmachung bis 30. Juni das Entgelt des vorletzten Kalenderjahres aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Bei Geltendmachung nach dem 30. Juni ist das Entgelt des letzten Kalenderjahres heranzuziehen. Liegen die nach den vorstehenden Sätzen heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen nicht vor, so sind jeweils die letzten vorliegenden Jahresbeitragsgrundlagen eines vorhergehenden Jahres heranzuziehen. Durch Teilung des Entgelts der maßgeblichen Jahresbeitragsgrundlagen durch zwölf ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt oder wegen Beschäftigungslosigkeit kein Entgelt bezogen hat, sowie Zeiten des Bezuges einer Lehrlingsentschädigung, wenn es für den Arbeitslosen günstiger ist, bleiben bei der Heranziehung der Beitragsgrundlagen außer Betracht. In diesem Fall ist das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu vervielfachen. Jahresbeitragsgrundlagen, die einen Zeitraum enthalten, in dem Karenz(urlaubs)geld oder Kinderbetreuungsgeld oder ein Kombilohn (§ 34a AMSG) bezogen wurde oder die Normalarbeitszeit zum Zwecke der Sterbebegleitung eines nahen Verwandten oder der Begleitung eines schwerst erkrankten Kindes gemäß § 14a oder § 14b AVRAG oder einer gleichartigen Regelung herabgesetzt wurde, bleiben außer Betracht, wenn diese niedriger als die sonst heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen sind. Sind die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung älter als vier Jahre, so sind diese mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der betreffenden Jahre aufzuwerten. Jahresbeitragsgrundlagen, die Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit enthalten, gelten als Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt.
(2) …
(8) Hat ein Arbeitsloser das 45. Lebensjahr vollendet, so ist abweichend von Abs. 1 ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen, bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt."
In der davor (infolge Änderung BGBl. I Nr. 104/2007) bis geltenden Fassung hatten die §§ 26 und 26a AlVG zum Weiterbildungsgeld (auszugsweise) folgenden Wortlaut:
"Leistungen zur Beschäftigungsförderung Weiterbildungsgeld
§ 26. (1) Personen, die eine Bildungskarenz gemäß § 11 oder eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß § 12 des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG), BGBl. Nr. 459/1993, in Anspruch nehmen, und die Anwartschaft erfüllen, gebührt für diese Zeit ein Weiterbildungsgeld in der Höhe des Kinderbetreuungsgeldes gemäß § 3 Abs. 1 KBGG bei Erfüllung der nachstehenden Voraussetzungen:
1. Bei einer Bildungskarenz gemäß § 11 AVRAG muss die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme im Ausmaß von mindestens 16 Wochenstunden oder eine vergleichbare zeitliche Belastung nachgewiesen werden.
2. Bei einer Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß § 12 AVRAG muß die Einstellung einer nicht nur geringfügig beschäftigten Ersatzarbeitskraft, die zuvor Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen hat, nachgewiesen werden.
(2) Zeiten, die für die Beurteilung der Anwartschaft auf Arbeitslosengeld oder Karenzgeld herangezogen wurden, können bei der Beurteilung der Anwartschaft nicht nochmals berücksichtigt werden.
…
§ 26a. Personen, die das 45. Lebensjahr vollendet haben, gebührt ein Weiterbildungsgeld gemäß § 26 in der Höhe des Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch in der gemäß § 26 Abs. 1 gebührenden Höhe."
2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung des § 21 Abs. 8 AlVG, wonach der "Bemessungsgrundlagenschutz" nach dieser Bestimmung lediglich dann gelten solle, wenn Arbeitslosengeld nach Vollendung des 45. Lebensjahres bezogen werde, die betreffende Person danach wiederum eine Arbeit aufnehme und später erneut arbeitslos werde. Er meint im Wesentlichen, dass der zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2007/08/0321, entwickelte Grundsatz, dass mit dem Bestandschutz ein vor Vollendung des 45. Lebensjahres erzieltes Entgelt nicht geschützt werden soll, entgegen der Ansicht der belangten Behörde auf seinen Fall nicht anzuwenden sei, da er sämtliche Anträge nach Vollendung seines 45. Lebensjahres gestellt habe. Überdies sei die Inanspruchnahme eines Weiterbildungsgeldes, die bei ihm vom bis gegeben war, der Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld gleichzusetzen, da sowohl der Bemessungsgrundlagenschutz für ältere Arbeitnehmer wie auch die Regeln der Bemessung des Weiterbildungsgeldes dieselben Ziele verfolgen würde, nämlich die Förderung der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit bzw. der Weiterbildung/Ausbildung älterer Arbeitnehmer zum Erhalt oder Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit, sodass die Bemessungsgrundlagensicherung des § 21 Abs. 8 AlVG zu berücksichtigen und - da sein Einkommen im Jahr 2007 geringer als im Jahr 2006 gewesen sei - sein Einkommen aus 2006 zur Bemessung des Arbeitslosengeldes heranzuziehen gewesen wäre.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass § 6 Abs. 1 AlVG eine Auflistung der Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung enthält, die in zwei Gruppen gegliedert werden können. Die erste davon wird von den Leistungen bei Arbeitslosigkeit und an Arbeitslose gebildet, konkret Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Pensionsvorschuss (Z. 1 bis 3) sowie die als Kompensation für entfallene Pensionsversicherungsleistungen geschaffenen Varianten des Übergangsgeldes (Z. 6 und 7). Beim Weiterbildungs- und beim Altersteilzeitgeld (Z. 4 und 5) als zweite Gruppe handelt es sich hingegen um arbeitsmarktpolitische Leistungen während eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. Dirschmied/Pfeil, AlVG3, 12. Erg.-Lfg., § 6).
In seinem Erkenntnis vom , Zl. 2000/02/0212, auf dessen Erläuterungen zu den arbeitsmarktpolitischen Hintergründen des Weiterbildungsgeldes gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, beschäftigte sich der Verwaltungsgerichtshof bereits mit der Unterscheidung von Arbeitslosen- und Weiterbildungsgeld und führte im Ergebnis wie folgt aus:
"Der in den Erläuterungen zum Arbeits- und Sozialrechtsänderungsgesetz 1997, BGBl. I Nr. 139/1997 (886 BlgNR 20. GP) genannte vorrangige Zweck der Implementierung des Bildungskarenzmodells, nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen für arbeitslose Personen, steht im Fall der Weiterbildung im Zusammenhang mit den individuellen Interessen des Arbeitnehmers (vgl. § 11 Abs. 1 AVRAG 1993 'unter Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers' und obige Erläuterungen). Sohin ist die Bildungskarenz (zumindest auch) eine individuelle Förderungsmaßnahme. Schon dadurch unterscheidet sie sich von den Bestimmungen zum Arbeitslosengeld. … (B)ei der Bildungskarenz wird im Gegensatz zum Arbeitslosengeld keine Arbeitslosigkeit begründet, sondern das Dienstverhältnis dem Bande nach aufrechterhalten."
Im vorliegenden Fall ist außerdem unstrittig, dass der Beschwerdeführer per erstmals nach Vollendung seines 45. Lebensjahres Arbeitslosengeld beansprucht hat (dasselbe gilt für das ab gewährte Weiterbildungsgeld). Weiters ist zu berücksichtigen, dass sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut von § 21 Abs. 8 AlVG der "Bemessungsgrundlagenschutz" auf das "monatliche Bruttoentgelt" und somit ein Arbeitsentgelt bezieht, wohingegen das Weiterbildungsgeld nach den obigen Ausführungen eine arbeitsmarktpolitische Leistung darstellt.
Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde unter Anwendung der im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0321, dargelegten Ausführungen, auf welche im Übrigen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, für die Bemessung des ab geltend gemachten Arbeitslosengeldes auf die beim Sozialversicherungsträger gespeicherten durchschnittlichen monatlichen Beitragsgrundlagen (aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt) aus dem Jahr 2007 nach § 21 Abs. 1 AlVG abstellt und im Ergebnis eine Anwendung von § 21 Abs. 8 leg. cit. zu Recht verneint.
3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am