VwGH 28.02.2017, Ro 2014/06/0027
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Einer sachverständigen Äußerung zu einer im betreffenden Verfahren wesentlichen Sachfrage kommt nicht etwa deshalb keine Relevanz zu, weil sie in einem anderen Verfahren erstattet wurde. Die Behörde kann ohne weiteres das Beweis- und Erhebungsmaterial anderer Verfahren zu Beweiszwecken heranziehen, ohne neuerlich ein Ermittlungsverfahren durchführen zu müssen, allerdings unter Wahrung des Parteiengehörs im Sinn der §§ 37 und 45 Abs. 3 AVG (Hinweis E vom , 2008/04/0117). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag.a Merl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision der W K in H, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , ABT13-12.10-H288/2013-2, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien:
1. S AG in G, vertreten durch die Onz·Onz·Kraemmer·Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16,
2. Gemeinde Hengsberg), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die Revisionswerberin hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bauansuchen vom beantragte die Erstmitbeteiligte (im Folgenden: Bauwerberin) die Erteilung der Baubewilligung für die geringfügige Geländeanpassung von landwirtschaftlich genutzten Flächen im Bauland auf den Gst. Nr. A und B, EZ X und Y, KG K.
2 Am fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Revisionswerberin Einwendungen erhob (eine Kundmachung der mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis auf die Präklusionsfolgen ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen).
3 Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Gemeinde vom wurde (Spruchpunkt I) die Baubewilligung mit den Auflagen erteilt, dass 1. ein Gutachten über die Qualität des Schüttmaterials und 2. eine Überprüfung der Einreichplanung mit der tatsächlich ausgeführten Anschüttung von einem Befugten der Baubehörde vorzulegen seien, und (Spruchpunkt II) über die Einwendungen der Revisionswerberin wie folgt abgesprochen:
"Hinsichtlich des Nachbarrechtes auf Erlassung einer Baueinstellung bzw. eines Beseitigungsauftrages nach § 41 BG wird die Einwendung als unrichtig zurückgewiesen. Die übrigen Einwendungen (der Revisionswerberin) betreffen kein Nachbarrecht i.S. des § 26 des Stmk. BG und stellen somit keine Einwendung im Sinne des Stmk. Baugesetzes dar."
(Hervorhebungen im Original).
4 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin die
Berufung vom .
5 Mit Schreiben des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten
Gemeinde vom wurde der Revisionswerberin der Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , mit dem festgestellt worden war, dass das Vorhaben der Bauwerberin "Geländeanpassung in der KG K(...) auf Gst. Nr. 112, 113, 114/5, 128/1, 128/2, 128/3, 129/2, 129/3," nach Maßgabe des Projektes der Bauwerberin vom nicht der Genehmigungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 oder 3 des AWG unterliege, "im Sinne einer Anhörung nach AVG zur Kenntnisnahme und Äußerung übermittelt" und eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.
6 Die Revisionswerberin äußerte sich nicht.
7 Mit Bescheid des Gemeinderates der zweitmitbeteiligten Gemeinde vom (Beschlussfassung vom selben Tag) wurde der Berufung der Revisionswerberin vom keine Folge gegeben.
8 Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung der Revisionswerberin vom wurde mit dem angefochtenen Bescheid vom als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, wenn sich die Revisionswerberin gegen die vorgeschriebenen Auflagen im Baubewilligungsverfahren wende, sei ihr § 29 Abs. 5 Stmk BauG 1995 entgegenzuhalten. Selbst dann, wenn eine Auflage projektändernd wäre, könne die Revisionswerberin in keinen Nachbarrechten verletzt sein, solange für sie der ausreichende Schutz gewährleistet sei. Allein darauf, dass bereits die Einreichunterlagen die ausreichenden Grundlagen enthielten und nicht erst in Auflagen die entsprechenden Vorschreibungen erfolgten, habe der Nachbar im Baubewilligungsverfahren keinen Rechtsanspruch (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 2010/06/0056).
9 Auf einem 3,1 ha großen Areal seien Geländeanpassungen vorgenommen worden. Lediglich die Geländeanpassungen im südöstlichen Bereich unterlägen hierbei der Baubewilligungspflicht. Folglich könne sich eine behauptete Gefährdung oder unzumutbare Beeinträchtigung durch die Änderungen der Abflussverhältnisse nur auf die von diesen bewilligungspflichtigen Geländeanpassungen ausgehenden Gefahren bzw. Beeinträchtigungen beziehen. Der Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Gemeinde habe seinen Erwägungen ein in einem nach dem Abfallwirtschaftsgesetz abgehandelten Feststellungsverfahren erstattetes Gutachten eines Ingenieurbüros für technische Geologie zugrunde gelegt, welches der Revisionswerberin nachweislich im Wege des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden und durchaus geeignet sei, der ergangenen Bewilligung zugrunde gelegt zu werden, zumal das untersuchte Projekt im abfallrechtlichen Verfahren nicht nur die baubewilligungspflichtigen Geländeanpassungen, sondern zudem die im Freiland getätigten und somit nicht verfahrensgegenständlichen Geländeanpassungen umfasse. In diesem Gutachten erfolge eine geologische und hydrogeologische Beurteilung der Verhältnisse vor Ort. Dass dieses Gutachten im Rechtsbereich des Abfallrechtes erstellt worden sei, ändere an dessen Aussagekraft in Bezug auf § 88 Stmk BauG 1995 für den gegenständlichen Fall nichts, weil die dem Gutachten zugrunde liegenden Geländeveränderungen allesamt in der vorliegenden projektierten Form mitbehandelt worden seien. Von der Revisionswerberin sei im Wege des Parteiengehörs keine Stellungnahme zum Gutachten erfolgt. Das Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass durch die Schüttungen bzw. Geländeanpassungen keine negativen Auswirkungen auf die Boden- und Grundwasserverhältnisse der Umgebung sowie keine Beeinflussung von angrenzenden Grundstücken durch Oberflächenwässer zu erwarten seien; für das Untersuchungsgebiet ergebe sich, dass die Untergrundverhältnisse keinerlei Instabilität aufwiesen. Es wäre an der Revisionsweberin gelegen, ein diesbezügliches Gegengutachten vorzulegen, um die behauptete Verletzung ihrer Nachbarrechte entsprechend zu beweisen.
10 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
11 Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift - so wie die erstmitbeteiligte Bauwerberin - die Abweisung der Revision als unbegründet.
Die Revisionswerberin replizierte; das Landesverwaltungsgericht Steiermark erstattete eine Gegenreplik.
Die zweitmitbeteiligte Gemeinde beteiligte sich nicht am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gegenständlich liegt ein Übergangsfall iSd § 4 Abs. 1 VwGbk-ÜG vor. Die Revisionswerberin konnte daher bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z. 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben. Für die Behandlung der vorliegenden Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 fünfter Satz VwGbk-ÜG die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß.
13 Im Revisionsfall ist im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gemeinderates der zweitmitbeteiligten Gemeinde () folgende Rechtslage von Bedeutung:
Steiermärkisches Baugesetz 1995 (Stmk BauG 1995) idF LGBl. Nr. 13/2011
"§ 26
Nachbarrechte
(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über
...
5. die Vermeidung einer sonstigen Gefährdung oder
unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung (§ 57 Abs. 2, § 58, § 60 Abs. 1, § 66 zweiter Satz und § 88)
...
...
Veränderungen des Geländes
§ 88
Anforderungen
Bei Veränderungen des Geländes gemäß den §§ 19 oder 20 dürfen damit verbundene Änderungen der Abflussverhältnisse keine Gefährdungen oder unzumutbaren Beeinträchtigungen verursachen."
§ 37 und § 45 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) idF BGBl. I Nr. 158/1998 lauten (auszugsweise):
"§ 37. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach einer Antragsänderung (§ 13 Abs. 8) hat die Behörde das Ermittlungsverfahren insoweit zu ergänzen, als dies im Hinblick auf seinen Zweck notwendig ist.
§ 45. ...
(3) Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen."
14 Die Revisionswerberin bringt im Wesentlichen vor, ob und welche Auflagen bei der Erteilung einer Baubewilligung erforderlich seien, um eine Gefährdung der Nachbargrundstücke hintanzuhalten, sei eine technische Frage, die nicht ohne Beiziehung eines Sachverständigen von der Behörde allein geklärt werden könne (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 94/06/0022). Ebenso wenig sei von der Behörde allein zu klären, ob ein Sachverständigengutachten aus einem anderen Fachgebiet (hier: Abfallwirtschaft), welches in einem anderen Verwaltungsverfahren und somit zu einer anderen Themenproblematik erstattet worden sei, sich mit den entsprechenden Problematiken baurechtlicher Natur, insbesondere in Bezug auf § 88 Stmk BauG 1995, beschäftigt habe und somit auf den Verfahrensgegenstand "Baubewilligung und Bauauflagen" anzuwenden sei. Es wäre daher Aufgabe der Behörde gewesen, zumindest eine gutachterliche Stellungnahme hinsichtlich der Anwendung des vorliegenden "Fremdgutachtens" im Baurechtsverfahren einzuholen. Dies auch deshalb, weil der Verfasser dieses "Fremdgutachtens" im gegenständlichen Bauverfahren von der Behörde nicht als Sachverständiger beigezogen worden sei.
15 Einer sachverständigen Äußerung zu einer im betreffenden Verfahren wesentlichen Sachfrage kommt nicht etwa deshalb keine Relevanz zu, weil sie in einem anderen Verfahren erstattet wurde. Die Behörde kann ohne weiteres das Beweis- und Erhebungsmaterial anderer Verfahren zu Beweiszwecken heranziehen, ohne neuerlich ein Ermittlungsverfahren durchführen zu müssen, allerdings unter Wahrung des Parteiengehörs im Sinn der §§ 37 und 45 Abs. 3 AVG (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/04/0117).
16 Die Relevanz eines allenfalls in der konkreten Vorgangsweise der Behörde zu erblickenden Verfahrensmangels wird in der Revision nicht dargelegt.
17 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455 (siehe §§ 3 und 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §37; AVG §45 Abs2; AVG §45 Abs3; AVG §45; AVG §46; AVG §52; BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z5; BauG Stmk 1995 §26 Abs1; BauG Stmk 1995 §88; |
Schlagworte | Gutachten Verwertung aus anderen Verfahren Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Beweismittel Sachverständigenbeweis Beweismittel Sachverständigengutachten Parteiengehör Sachverständigengutachten |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RO2014060027.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAE-90191