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VwGH vom 13.08.2012, 2009/08/0209

VwGH vom 13.08.2012, 2009/08/0209

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, über die Beschwerde des W J in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9-001483, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, im Umlaufwege zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am wurde von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift wegen Nichteinhaltung der Kontrollmeldung vom aufgenommen. Darin gab der Beschwerdeführer an, er habe die Kontrollmeldung am nicht eingehalten, weil er kein Geld für die Fahrtkosten gehabt habe.

In den vorgelegten Verwaltungsakten befindet sich ein Schriftstück, welches mit datiert ist. Dieses Schriftstück, welches im vorgelegten Aktenverzeichnis nicht angeführt ist (es befindet sich zwischen den mit "Blatt 347" und "Blatt 348" bezeichneten Schriftstücken und trägt die Bezeichnung "GF 173"; im EDV-Ausdruck vom , "Blatt 354" findet sich zu GF 173 sowohl eine Eintragung vom 15. als auch vom ), ist überschrieben mit "Duplikat" sowie mit "Bescheid". Nach dem Inhalt dieses Schriftstückes erhalte der Beschwerdeführer für den Zeitraum 6. bis keine Notstandshilfe. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am ohne triftigen Grund nicht eingehalten und sich erst wieder am bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemeldet. Dieses Schriftstück enthält keine Zustellverfügung; ein Zustellnachweis ist in den vorgelegten Akten nicht ersichtlich.

Mit Eingabe per E-Mail vom ("Betreff: Niederschriftergänzung/Krankenstandsbekanntgabe") zeigte der Beschwerdeführer an, dass er ab durch den Arzt krankengeschrieben worden sei. Die Niederschrift vom werde von ihm dahin ergänzt, dass er die Kontrollmeldung am nicht einhalten habe können, weil ihm das Arbeitsmarktservice gesetzwidrig die Leistung eingestellt habe. Wegen der sohin fehlenden Bargeldmittel und seinem "schlechten - vom Arbeitsmarktservice herbeigeführten - Gesundheitszustand (Hungernmüssen, Schwächezustand mit latenter Kollapsgefahr)" sei es ihm unmöglich gewesen, den Termin am wahrzunehmen. Erst nach Wegfall des Hindernisses, also nach dem Erhalt der Notstandshilfe, habe er wieder Essen und Fahrscheine kaufen können; deshalb habe er am beim Arbeitsmarktservice vorgesprochen. Das Arbeitsmarktservice habe bereits für November 2008 gesetzwidrig die Notstandshilfe nicht zur Auszahlung gebracht. Da er sich persönlich erst wieder zurückmelden habe können, nachdem die Notstandshilfe zur Auszahlung gebracht worden sei und ihm dadurch die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden seien, liege kein Vergehen vor, welches eine Zwangsmaßnahme wie die Leistungsbezugseinstellung rechtfertigen könnte. Sollte sein triftiger Verhinderungsgrund keinen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen und damit ein Anspruchsverlust einhergehen, stelle er den Antrag auf Ausstellung und Zustellung eines schriftlichen Bescheides. Sollte es sich bei seinem Vorbringen um eine beweispflichtige Tatsache handeln und bedürfe es zur Dartuung und der Richtigkeit dieses Vorbringens eines Beweises, so werde dies im Verwaltungsverfahren "bescheidabspruchbeantragt".

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der "Berufung vom " gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom keine Folge gegeben.

Begründend führte die belangte Behörde aus, mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 6. bis keine Notstandshilfe erhalte. Dagegen richte sich die fristgerecht eingelangte Berufung des Beschwerdeführers, in welcher er im Wesentlichen ausführe, er habe den Termin am nicht einhalten können, weil ihm das Arbeitsmarktservice rechtswidrigerweise Geld vorenthalten habe und er daher weder Fahrscheine noch Essen hätte kaufen können.

Im Zuge des Berufungsverfahrens sei nachstehender Sachverhalt festgestellt worden:

Dem Beschwerdeführer sei anlässlich seiner Vorsprache am von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice für den ein Kontrolltermin vorgeschrieben worden. Die Vorschreibung sei mittels einer mit ihm aufgenommenen Niederschrift erfolgt. Der Beschwerdeführer sei über die Rechtsfolgen der Versäumung eines Kontrolltermines in Kenntnis gesetzt worden.

Der Beschwerdeführer habe diesen Termin am nicht eingehalten und sich erst am wieder zum Arbeitsmarktservice begeben. An diesem Tag sei eine Niederschrift zu den Gründen für die Nichteinhaltung des Termins am aufgenommen worden; der Beschwerdeführer habe angegeben, er habe kein Geld für die Fahrtkosten gehabt.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom sei der Beschwerdeführer seines Anspruches auf Notstandshilfe für den Zeitraum von sechs Wochen verlustig erklärt worden. Mit Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom sei der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers Folge gegeben worden; bereits am sei die entsprechende Nachzahlung des Leistungsbezuges veranlasst worden. Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer vom 4. bis wegen Versäumung eines vorgeschriebenen Kontrolltermines keine Notstandshilfe erhalte; dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen.

Der Beschwerdeführer erhalte die Zahlungen des Arbeitsmarktservice per Post. Mit Auszahlung vom sei die Überweisung der Notstandshilfe für 31 Tage im März 2009 erfolgt. Mit Auszahlung vom sei die Überweisung der Notstandshilfe für 13 Tage Februar erfolgt. Mit Auszahlung vom sei die Überweisung der Notstandshilfe für 42 Tage in Form einer Nachzahlung erfolgt.

Der tägliche Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers betrage EUR 12,17; davon würden im Exekutionsweg monatlich Beträge zwischen EUR 5,82 und EUR 18,43 (je nach Höhe des Auszahlungsbetrages) einbehalten.

Ein Arbeitsloser, der trotz Kenntnis der Rechtsfolgen einen Kontrolltermin des Arbeitsmarktservice ohne triftigen Grund versäume, erhalte bis zu seiner persönlichen Wiedermeldung beim Arbeitsmarktservice keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung. Der Verantwortung des Beschwerdeführers, das Arbeitsmarktservice habe ihm ungerechtfertigterweise Geld vorenthalten und deswegen habe der Beschwerdeführer den Termin nicht einhalten können, sei nicht zu folgen. Eine Nachzahlung sei bereits im Februar 2009 erfolgt. Dass der Beschwerdeführer für einige Tage im Februar 2009 keine Leistung erhalten habe, sei auf seine Versäumung eines vorgeschriebenen Kontrolltermins zurückzuführen. Für die Nichteinhaltung des Termins am liege somit kein triftiger Grund vor. Da sich der Beschwerdeführer erst am wieder zum Arbeitsmarktservice begeben habe, stehe ihm für diesen Zeitraum keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 15 Abs. 3 im Umlaufwege erwogen:

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde nehme eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nicht zukomme:

Voraussetzung für die Zuständigkeit der Berufungsbehörde zur Erlassung eines Bescheides zweiter Instanz sei, dass ein Bescheid erster Instanz erlassen worden sei. Es gebe aber keinen rechtswirksam erlassenen Bescheid erster Instanz, da ihm ein solcher nie zugestellt worden sei. Die belangte Behörde habe fälschlicherweise die Eingabe des Beschwerdeführers vom , mit der er auf Entschuldigungsgründe hingewiesen habe, als Berufung gewertet. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, es liege keine Belehrung über die Rechtsfolgen der Unterlassung einer Kontrollmeldung vor; eine Belehrung durch die Berufungsbehörde mit Schreiben vom entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen, wonach die Belehrung vor dem Kontrollmeldetermin zu erfolgen habe. Es liege auch ein triftiger Grund für die Versäumung des Kontrollmeldetermines vor: Der Beschwerdeführer habe kein Geld für Fahrtkosten gehabt, um zu dem Termin zu kommen. Die Überweisung der Notstandshilfe für März sei erst mit erfolgt. Daraus sei bereits abzuleiten, dass die Überweisung verspätet in Auftrag gegeben worden sei, weil diese mit Vollendung des Monats hätte erfolgen müssen. Arbeitslosengeld sei jedenfalls mit dem Monatsersten fällig. Dem Beschwerdeführer sei auch wiederholt Arbeitslosengeld verspätet ausbezahlt worden; dieser sei dadurch wiederholt in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht worden. Als Verfahrensmangel macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde gehe aktenwidrig davon aus, dass es einen Bescheid erster Instanz gebe; es gebe jedoch lediglich ein Duplikat eines Computerausdrucks eines Bescheides erster Instanz; es gebe aber insbesondere keinerlei Aktenbestandteile, welche auf eine gesetzmäßige Zustellung eines Bescheides erster Instanz hindeuteten. Die belangte Behörde habe auch keine Feststellung dazu getroffen, wann der Geldbetrag, dessen Zahlung am in Auftrag gegeben worden sei, dem Beschwerdeführer tatsächlich zugekommen sei; dem Beschwerdeführer sei diese Zahlung am um 8.45 Uhr, dem Zeitpunkt des vorgesehenen Kontrollmeldetermins, noch nicht zugekommen gewesen. Schließlich macht der Beschwerdeführer geltend, die Ruhens- und Wiedermeldungstatbestände des Arbeitslosenversicherungsrechtes würden dem Rechtsstaatlichkeitsgebot widersprechen. Die Regelungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes würden auch gegen

Artikel 13 EMRK iVm dem Artikel 1 erstes Zusatzprotokoll zur EMRK verstoßen; überdies liege eine Diskriminierung von Arbeitslosen durch von Artikel 11 B-VG abweichende gesetzliche Regelungen vor, die wiederum Artikel 14 EMRK verletzten würden. Schließlich verletze § 44 AlVG, welcher die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und ein Verfahren nach dem AVG vorsehe, das Grundrecht nach Artikel 6 Abs. 1 EMRK auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches auf Gesetz beruhendes Gericht.

2. Eine Berufung kann sich nur gegen einen Bescheid richten (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 § 63 E 13). Liegt kein Bescheid vor, so kann die gegen die Erledigung eingebrachte Berufung einer meritorischen Behandlung nicht zugeführt werden; sie muss vielmehr als unzulässig zurückgewiesen werden (vgl. aaO E 15). Ist die erstbehördliche Erledigung nicht rechtswirksam erlassen worden, so hat dies den Mangel der Zuständigkeit der Behörde zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers zur Folge. Die Zuständigkeit reicht in derartigen Fällen nur soweit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. aaO E 18 sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0329, mwN).

Geht - wie hier - aus den Verwaltungsakten eine Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides nicht hervor, ist die Behörde - im Allgemeinen (vgl. zu einem anders gelagerten Sachverhalt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0251) - verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt amtswegig zu ermitteln und in ihrem Bescheid Feststellungen über jene Tatsachen zu treffen, aus denen sich der rechtliche Schluss ableiten lässt, ein erstinstanzlicher Bescheid sei durch Zustellung an die Partei erlassen worden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/19/0899).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen darüber zu treffen haben, ob eine Zustellung eines erstinstanzlichen Bescheides an den Beschwerdeführer erfolgte. Bejahendenfalls wird sie berechtigt und verpflichtet sein, den Schriftsatz des Beschwerdeführers als (wenn auch mangelhafte: § 63 Abs. 3 AVG) Berufung zu behandeln. Ist hingegen eine Zustellung eines erstinstanzlichen Bescheides nicht festzustellen, wird die belangte Behörde den Schriftsatz des Beschwerdeführers als bloße Stellungnahme im erstinstanzlichen Verfahren der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Erledigung zurückzustellen haben.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am