VwGH vom 26.01.2012, 2011/16/0176

VwGH vom 26.01.2012, 2011/16/0176

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des F in I, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , Zl. ZRV/0019-Z1W/08, betreffend Aussetzung der Vollziehung nach Art. 244 Zollkodex, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom teilte das Zollamt Wien dem Beschwerdeführer gemäß Art. 221 Abs. 1 Zollkodex die buchmäßige Erfassung von Eingangsabgaben in Höhe von 4.807,30 EUR an Zoll, 38.154,66 EUR an Einfuhrumsatzsteuer und 177.620 EUR an Tabaksteuer mit, welche für ihn gemäß Art. 203 Abs. 1 und Abs. 3 dritter Anstrich Zollkodex iVm § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz entstanden seien, weil er am die in einem dem Bescheid beiliegenden Berechnungsblatt genannten, vom Zollversandschein erfassten, jedoch nicht verladenen 2,140.000 Stück Zigaretten in Besitz gehabt habe, obwohl er im Zeitpunkt des Erhalts der Waren gewusst habe, dass die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien. Mit demselben Bescheid schrieb das Zollamt dem Beschwerdeführer eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR DG in Höhe von 6.806,79 EUR vor.

Mit Schriftsatz vom , überschrieben mit "Berufung gegen den Bescheid vom zur Zl. 100000/90.479/68/2007", erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Berufung gegen den erwähnten Bescheid des Zollamtes Wien und bestritt, von den nicht verladenen Zigaretten Kenntnis erlangt und diese zur weiteren Aufbewahrung übernommen und im Besitz gehabt zu haben. Er stellte ausdrücklich die Anträge

"1.) den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass eine Zollschuld nicht entstanden ist und das Verfahren gegen mich eingestellt wird, in eventu

2.) den angefochtenen Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Verfahrensdurchführung und Bescheidfällung an die Erstinstanz zurück zu verweisen,

3.) jedenfalls möge das Verfahren wegen Präjudizialität des landesgerichtlichen Strafverfahrens zur Zahl 245 Ur 175/05s, 32 Hv 94/07m ausgesetzt werden."

Mit "Mitteilung (Art. 6 ZK)" vom gab das Zollamt Wien dem Beschwerdeführer bekannt, dass über seine Berufung im Abgabenverfahren erst nach Durchführung des Finanzstrafverfahrens abgesprochen werde, weil das Ergebnis des gegen ihn geführten Finanzstrafverfahrens auch für die abgabenrechtliche Entscheidung von Relevanz sei.

Mit Bescheid vom wies das Zollamt Wien einen Antrag des Beschwerdeführers vom betreffend Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung des Zollamtes Wien vom ab.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom .

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Zollamt Wien die Berufung als unbegründet ab.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom eine (Adminstrativ )Beschwerde ein.

Die belangte Behörde wies die (Administrativ )Beschwerde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf "Aufschiebung der Vollziehung und Abstandnahme von der Sicherheitsleistung gemäß Art. 244 ZK" verletzt erachtet.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Verfügung vom den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz VwGG Gelegenheit gegeben, sich binnen einer gesetzten Frist zur vorläufigen Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zu äußern, dass nach der Aktenlage die belangte Behörde im Instanzenzug einen rechtlich nicht vorhandenen Antrag abgewiesen habe.

Innerhalb der gesetzten Frist brachte die belangte Behörde mit Schriftsatz vom vor, der "nicht eindeutig formulierte" Antrag des Beschwerdeführers vom sei "keiner Präzisierung mehr zugänglich" gewesen. Nach Ansicht der belangten Behörde erscheine "eine Auslegung des Antrages zu Ungunsten der Partei in diesem Verfahrensstadium" nicht vertretbar.

Der Beschwerdeführer brachte innerhalb der gesetzten Frist mit Schriftsatz vom vor, er vertrete "unter Zugrundelegung einer materiellen Auffassung" die Ansicht, der in der Berufung vom gestellte Antrag impliziere einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, zumal der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wegen Präjudizialität des landesgerichtlichen Strafverfahrens, "insbesondere im Zusammenhang mit dem Abänderungsantrag Punkt 1. und dem subsidiär gestellten Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag an die erste Instanz (Punkt 2.) auch eine Aussetzung der Vollziehung implizieren, zumal die gestellten Anträge Punkte 1 - 3 ohne eine solche nicht wirklich sinnvoll erscheinen und die Interessen des Beschwerdeführers nicht umfassend wahrnehmen würden".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 243 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom , (Zollkodex- ZK) kann jede Person einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiete des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen.

Art. 244 ZK lautet:

"Art. 244 Durch die Einlegung des Rechtsbehelfs wird die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt.

Die Zollbehörden setzten jedoch die Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte.

Bewirkt die angefochtene Entscheidung die Erhebung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, so wird die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht. Diese Sicherheitsleistung braucht jedoch nicht gefordert werden, wenn eine derartige Forderung aufgrund der Lage des Schuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen könnte. "

Nach Art. 245 ZK werden die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens von den Mitgliedstaaten erlassen.

Gemäß § 85b Abs. 3 letzter Satz des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) gelten soweit im ZollR-DG nichts anderes bestimmt ist, für die Einbringung der Berufung, das Berufungsverfahren und die Berufungsvorentscheidung die diesbezüglichen Bestimmungen der BAO sinngemäß.

Gemäß § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zu Grunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Berufungserledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld.

Gemäß § 231 Abs. 1 BAO kann die Einbringung fälliger Abgaben ausgesetzt werden, wenn Einbringungsmaßnahmen erfolglos versucht worden sind oder wegen Aussichtslosigkeit zunächst unterlassen werden, aber die Möglichkeit besteht, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zum Erfolg führen können.

§ 281 Abs. 1 und 2 BAO lautet:

"§ 281. (1) Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Berufung anhängig oder schwebt sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Berufung ist, so kann die Abgabenbehörde die Entscheidung über diese unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe aussetzen, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei (§ 78) entgegenstehen.

(2) Nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens, das Anlass zur Aussetzung gemäß Abs. 1 gegeben hat, ist das ausgesetzte Berufungsverfahren von Amts wegen fortzusetzen."

Die Formulierung im Berufungsschriftsatz vom , "möge … das Verfahren wegen Präjudizialität des landesgerichtlichen Strafverfahrens zur Zl. ... ausgesetzt werden" lässt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht die Deutung zu, damit wäre die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides nach Art. 244 Zollkodex oder die Aussetzung der Einhebung der vorgeschriebenen Abgaben nach § 212a Abs. 1 BAO beantragt. Vielmehr stellt dieser Antrag nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine Anregung dar, das Verfahren über die Berufung auszusetzen (Art. 245 ZK iVm § 281 BAO). Dementsprechend erging nach der Aktenlage auch die "Mitteilung (Art. 6 ZK)" vom .

Einerseits verwendet der Beschwerdeführer im Antrag selbst die Worte der Aussetzung des Verfahrens und weder den Begriff der Aussetzung der Vollziehung noch den Begriff der Aussetzung der Einhebung. Andererseits begründet er diesen Antrag mit der Präjudizialität eines landesgerichtlichen Strafverfahrens, also gerade mit einem Grund, aus welchem das Berufungsverfahren nach § 281 BAO ausgesetzt werden kann.

Damit war entgegen der Ansicht der belangten Behörde im Schriftsatz vom der Antrag des Beschwerdeführers eindeutig formuliert.

Der Beschwerdeführer räumt im Schriftsatz vom ein, dass der in Rede stehende Antrag in der Berufung vom ein Antrag auf Aussetzung des Berufungsverfahrens nach Art. 281 BAO sei, vertritt jedoch die Ansicht, dass dieser auch eine Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung impliziere, weil ohne eine solche Aussetzung der Vollziehung die im Berufungsschriftsatz gestellten Anträge auf Aufhebung des bekämpften Bescheides und auf Aussetzung des Berufungsverfahrens "nicht wirklich sinnvoll erscheinen" und die Interessen des Beschwerdeführers nicht umfassend wahrnähmen.

Dem ist entgegenzuhalten, dass ein eindeutig formulierter Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (nämlich des Berufungsverfahrens) nicht auch alle Anträge einschließt ("impliziert"), welche die Interessen des Beschwerdeführers wahren könnten und eine sinnvolle Vertretung der Interessen des Beschwerdeführers darstellten.

Im Übrigen ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Berufungsanträge und der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wären ohne einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht sinnvoll, entgegen zu halten, dass er im Beschwerdeschriftsatz vom seinen Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, damit begründet hat, dass er als suspendierter Beamter einen gekürzten Gehaltsbezug erhalte, der gerade die dringendsten Lebensbedürfnisse seiner Person und seiner Familie decke, und kein Aktivvermögen besitze. Das deutet darauf hin, dass die Abgabenschuld ohnehin uneinbringlich sei. Deshalb ist es durchaus nicht sinnwidrig, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu unterlassen, der gegebenenfalls Aussetzungszinsen (§ 212a Abs. 9 BAO) in nicht unbeträchtlicher Höhe hervorrufen würde.

Da der Beschwerdeführer somit einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach Art. 244 Zollkodex nicht gestellt hat, hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid im Instanzenzug einen rechtlich nicht vorhandenen Antrag abgewiesen. Die Abweisung eines nicht gestellten, rechtlich nicht existenten Antrages, belastet den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/13/0120).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung der Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft die Umsatzsteuer; neben dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand steht ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer nicht zu.

Wien, am