VwGH vom 25.04.2018, 2018/13/0001
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Beschwerde des G W in G, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Fleischmarkt 1,
3. Stock, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1854-W/11, miterledigt RV/1853-W/11, betreffend u.a. Umsatzsteuer 2005 bis 2008 sowie Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlungen Jänner bis November 2009, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird - im angefochtenen Umfang (Umsatzsteuer 2005 bis 2008 sowie Umsatzsteuervorauszahlungen Jänner bis November 2009) - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Beim Beschwerdeführer wurde eine Außenprüfung betreffend die Jahre 2005 bis 2008 und den Nachschauzeitraum Jänner bis November 2009 durchgeführt. Der Prüfer stellte fest, dass der Beschwerdeführer im Streitzeitraum eine Liegenschaft erworben und ein darauf befindliches Gebäude renoviert sowie ein weiteres Gebäude errichtet habe. Zu diesem Zweck habe er Aufträge an acht Gesellschaften vergeben, die als Schein- bzw. Betrugsfirmen anzusehen seien.
2 An die vom Prüfer inkriminierten Gesellschaften seien Aufträge im Wert von insgesamt 805.126,75 EUR (netto) vergeben worden, wobei der Beschwerdeführer mit diesen Gesellschaften keine Vereinbarungen betreffend Gewährleistung oder Haftrücklass getroffen habe. Anbote des jeweiligen Auftragnehmers lägen nicht vor. Bautagebücher oder Aufzeichnungen über Baubesprechungen, anhand welcher die Leistungen der Gesellschaften verifiziert werden könnten, existierten ebenfalls nicht und die Bezahlung sei durchgehend in bar erfolgt. Laut Beschwerdeführer seien Auftragsvergabe, Baubesprechungen und Bezahlung immer vor Ort auf der Baustelle erfolgt. Der Beschwerdeführer habe zwar Unterlagen der Gesellschaften vorgelegt, von der Richtigkeit der im Firmenbuch angegebenen Adressen habe er sich aber nicht überzeugt. Wie im Zuge von Erhebungen festgestellt worden sei, hätten die Gesellschaften an den im Firmenbuch angeführten Adressen keine Geschäftstätigkeit entfaltet.
3 Dass es sich bei den Gesellschaften um Scheinfirmen handle, werde auch durch Aussagen von Bauleitern anderer Baufirmen erhärtet, die auf der Baustelle des Beschwerdeführers gearbeitet hätten. Die Bauleiter hätten angegeben, der Kontakt zum Beschwerdeführer sei stets über Anbote zustande gekommen und der Beschwerdeführer sei Ansprechperson für die Bauleiter gewesen. Von keinem der Bauleiter sei die Anwesenheit der "Gesellschaften" auf der Baustelle (Firmenschilder, Firmen-Kfz, Arbeitsgeräte oder Arbeitskleidung mit Firmenlogo) wahrgenommen worden. Einer der Bauleiter habe angegeben, die meist ausländischen Arbeiter auf der Baustelle seien mit privaten Kraftfahrzeugen (mit ausländischen Kennzeichen) angereist und vom Beschwerdeführer eingeteilt bzw. koordiniert worden. Anders als die vom Prüfer inkriminierten Gesellschaften seien die weiteren Baufirmen auch stets mit Banküberweisung und nicht in bar bezahlt worden.
4 Da sich die Abwicklung der Geschäfte mit den inkriminierten Gesellschaften ganz erheblich von der Abwicklung der Geschäfte mit den weiteren Baufirmen unterscheide, die auf der Baustelle des Beschwerdeführers tätig gewesen seien, und die Bauleiter der weiteren Baufirmen diese Gesellschaften nicht auf der Baustelle des Beschwerdeführers wahrgenommen hätten, sei davon auszugehen, dass die in den Rechnungen der Gesellschaften ausgewiesenen Leistungen nicht von diesen Gesellschaften erbracht worden seien. Deren Fakturen stellten Deckungsrechnungen dar. Der Beschwerdeführer habe die ausführenden Handwerker mit den verrechneten Arbeiten direkt beauftragt, eingeteilt, organisiert und bezahlt. Die in den Rechnungen der Gesellschaften ausgewiesenen Beträge würden der Höhe nach als Betriebsausgaben anerkannt, weil die verrechneten Leistungen erbracht worden seien. Ein Vorsteuerabzug stehe dem Beschwerdeführer aber nicht zu.
5 Das Finanzamt folgte dem Prüfer und erließ - nach teilweiser Wiederaufnahme der Verfahren - u.a. entsprechende Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2008. Weiters setzte es die Umsatzsteuer für den Nachschauzeitraum Jänner bis November 2009 neu fest.
6 Der Beschwerdeführer berief gegen die im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheide und brachte in der Berufung im Wesentlichen vor, es sei absolut üblich, dass Bauaufträge vor Ort auf der Baustelle vergeben würden. Die vom Prüfer befragten Bauleiter hätten die inkriminierten Gesellschaften nicht zwangsläufig wahrnehmen müssen und es komme auf jeder Baustelle vor, dass Mitarbeiter einer Baugesellschaft mit privaten Kraftfahrzeugen anreisten. Von den seitens des Prüfers beanstandeten Gesellschaften seien keine Kostenvoranschläge eingeholt worden, weil diese überwiegend Renovierungsarbeiten durchgeführt hätten. Solche Arbeiten würden generell in Regie vergeben, weil eine vorherige Kostenschätzung kaum möglich sei. Für den Beschwerdeführer sei nicht nachvollziehbar, was er noch alles hätte vorlegen sollen. Er habe die Arbeiten in bar bezahlt, nachdem sie zu seiner Zufriedenheit durchgeführt worden seien. Die nun beanstandeten Rechnungen seien Gegenstand mehrerer Umsatzsteuersonder- und Belegprüfungen gewesen. Durch diese Prüfungen sei für den Beschwerdeführer eindeutig und unzweifelhaft zum Ausdruck gekommen, dass ihm der Vorsteuerabzug zustehe, weshalb er sich auch auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufe.
7 Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung, nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens und einer mündlichen Verhandlung, zur Umsatzsteuer keine Folge. Im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides beschäftigt sich die belangte Behörde zunächst mit den Voraussetzungen einer im Sinne des § 11 Abs. 1 UStG 1994 ordnungsgemäßen (zum Vorsteuerabzug nach § 12 Abs. 1 UStG 1994 berechtigenden) Rechnung. Sodann setzt sich die belangte Behörde mit den - im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen - Rechnungen auseinander und begründet die Unzulässigkeit des Vorsteuerabzugs im Wesentlichen mit dem Vorliegen formeller Rechnungsmängel, insbesondere damit, dass die Rechnungen nicht die richtige Anschrift iSd § 11 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 enthielten, weil die vom Prüfer beanstandeten Gesellschaften an den in ihren Rechnungen ausgewiesenen Anschriften nicht auffindbar gewesen seien bzw. dort keine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet hätten.
8 Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1508/12-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
9 Die vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde brachte vor, die Entscheidung hänge von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ab, weil es zur Frage, welche (formellen und materiellen) Voraussetzungen für die Geltendmachung von Vorsteuer vorliegen müssten, neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gebe, die von der alten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Die Beschwerde wendet sich u.a. dagegen, dass die belangte Behörde die Unzulässigkeit des Vorsteuerabzuges im Wesentlichen mit dem Vorliegen formeller Rechnungsmängel begründet habe.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - erwogen:
11 Mit Beschluss vom , 2013/13/0039-8, wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in den Rechtssachen C-374/16 (Geissel) und C-375/16 (Butin) ausgesetzt, in denen die beiden Umsatzsteuersenate des deutschen Bundesfinanzhofes u.a. um die Klärung der auch im hier anhängigen Beschwerdefall relevanten Anforderungen ersucht hatten, die im Umsatzsteuerrecht an eine ordnungsgemäße Rechnung zu stellen sind, damit der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
12 Der in den Rechtssachen C-374/16 (Geissel) und C-375/16 (Butin) entschieden und führt in der Rn 40 dieses Urteils u.a. aus, "dass der Besitz einer Rechnung, die die in Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Angaben enthält, eine formelle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug darstellt. Sind die materiellen Anforderungen erfüllt, ist der Vorsteuerabzug zu gewähren, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat."
Zur Vorlagefrage, ob eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erforderliche Rechnung die "vollständige Anschrift" im Sinne von Art. 226 Nr. 5 dieser Richtlinie enthält, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, hat der zu Recht erkannt:
"Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a in Verbindung mit Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass in der Rechnung die Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt."
13 Im angefochtenen Bescheid wurde die Unzulässigkeit des Vorsteuerabzugs - wie bereits im Aussetzungsbeschluss erwähnt - im Wesentlichen mit dem Vorliegen formeller Rechnungsmängel begründet, insbesondere damit, dass die Rechnungen nicht die richtige Anschrift iSd § 11 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 enthielten, weil die vom Prüfer inkriminierten Gesellschaften an den in ihren Rechnungen ausgewiesenen Anschriften nicht auffindbar gewesen seien bzw. dort keine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet hätten. Anders als zuvor der Prüfer und das Finanzamt hat die belangte Behörde - vor dem Hintergrund des oben zitierten Urteils des EuGH in Verkennung der Rechtslage - keine Feststellungen zur Frage getroffen, ob die für die Gewährung des Vorsteuerabzugs erforderlichen materiellen Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind oder nicht (ob es sich etwa tatsächlich um bloße Schein- oder Deckungsrechnungen handelte).
14 Der angefochtene Bescheid war daher im (erkennbar durch den Beschwerdepunkt) angefochtenen Umfang, somit hinsichtlich der Umsatzsteuer 2005 bis 2008 und der Umsatzsteuervorauszahlungen Jänner bis November 2009, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
16 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:2018130001.X00 |
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