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VwGH vom 29.09.2011, 2011/16/0149

VwGH vom 29.09.2011, 2011/16/0149

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:

* Vorabentscheidungsantrag:

2009/16/0312 B

* EuGH-Entscheidung:

EuGH62010J0351 B

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des Zollamtes Linz Wels in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates vom , Zl. ZRV/0128- Z 2L/08, betreffend Eingangsabgaben (mitbeteiligte Partei: L in B, vertreten durch die Burghofer Rechtsanwalts GmbH in 1060 Wien, Köstlergasse 1/30), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Am wurde ein in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien zugelassenes Sattelfahrzeug der dort ansässigen mitbeteiligten Partei bei der Einfahrt in das Zollgebiet der Union in das formlos nach Art. 505 Buchstabe b und 501 Abs. 3 Buchstabe c iVm Art. 232 ZK-DVO bewilligte Verfahren der vorübergehenden Verwendung mit vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben übergeführt. Zweck der Einreise war die Durchführung von Transporten zwischen Schweden und Deutschland. In der Folge wurden in Schweden Waren für Deutschland und Österreich geladen und über Deutschland, für welches eine güterkraftfahrrechtliche Genehmigung vorlag, am nach Österreich befördert. Nach der Entladung in Österreich und der neuerlichen Beladung mit Waren für Empfänger in Schweden wurde das Fahrzeug von Organen der österreichischen Zollverwaltung kontrolliert. Dabei konnte dessen Fahrer keine für Österreich gültigen güterkraftfahrrechtlichen Genehmigungen vorweisen.

Mit Bescheid vom schrieb das beschwerdeführende Zollamt der mitbeteiligten Partei deshalb gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a und Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom (Zollkodex - ZK) iVm § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) für das Sattelzugfahrzeug Eingangsabgaben in Höhe von EUR 18.433,80 (Zoll EUR 7.524,-- und Einfuhrumsatzsteuer EUR 10.909,80) mit der Begründung vor, dass durch die widerrechtliche Verwendung eines im Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingebrachten Beförderungsmittels eine der damit verbundenen Pflichten nicht erfüllt worden sei. Auf Grund des nach den güterbeförderungsrechtlichen Bestimmungen unzulässigen Güterverkehrs sei das Sattelfahrzeug entgegen den Bestimmungen des Art. 558 Abs. 1 Buchstabe c ZK-DVO im Zollgebiet der Gemeinschaft verwendet worden, sodass die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK (für die Einfuhrumsatzsteuer: iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG) entstanden sei.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung erhob die mitbeteiligte Partei (Administrativ )Beschwerde.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Beschwerde Folge und änderte die Berufungsvorentscheidung dahingehend ab, dass der Berufung stattgegeben und der Bescheid des beschwerdeführenden Zollamtes vom aufgehoben wurde. Die belangte Behörde führte nach der Wiedergabe des Verfahrensganges und der anzuwendenden Rechtsvorschriften entscheidungswesentlich aus, der Vorschreibung der Zollschuld durch das beschwerdeführende Zollamt liege dessen unrichtige Auffassung, wonach die Zollschuld erst beim Überschreiten der österreichischen Grenze ohne entsprechende güterverkehrsrechtliche Genehmigung entstehe, zugrunde. Vielmehr entstehe die Zollschuld gemäß Art. 204 ZK bei widerrechtlicher Verwendung eines Fahrzeuges zu einer Kabotage-Fahrt bereits mit dem Beginn des Transportes. Für die Entstehung der Zollschuld komme es nämlich ausschließlich auf den Be- und Entladeort an. Die Fahrtroute (z.B. über Drittstaaten) oder der Umstand, dass für einen Teil der Waren eine Genehmigung vorgelegen sei, ändere daran nichts (Hinweis auf Witte/Henke , Zollkodex5, Art. 141, Rz 13). Das Entstehen der Zollschuld am Ort des Beginns der Beförderung habe zur Folge, dass nicht das beschwerdeführende Zollamt, sondern die Zollbehörden dieses Mitgliedstaates (Schweden) zur buchmäßigen Erfassung und Mitteilung zuständig seien.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher das beschwerdeführende Zollamt inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend macht.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde sowie den Ersatz der ihr entstandenen Kosten beantragt.

Aus Anlass des Beschwerdefalles hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , 2009/16/0312 (EU 2010/0002-1), dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

"1. Ist Art. 558 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 555 Abs. 1 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom (im Folgenden: ZK-DVO) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom dahin auszulegen, dass ein unzulässiger Einsatz eines Beförderungsmittels im Binnenverkehr bereits bei Beladung und Beförderungsbeginn vorliegt, wenn für das gewerblich verwendete Fahrzeug eine Bewilligung zum Binnenverkehr zwischen zwei Mitgliedstaaten erteilt wurde, die Beladung in einem der beiden Mitgliedstaaten erfolgt, der Bestimmungsort (geplante Entladeort) aber in einem anderen als den beiden Mitgliedstaaten liegt und für den anderen Mitgliedstaat keine Bewilligung erteilt wurde?

2. Ist im Falle der Bejahung der ersten Frage Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a in Verbindung mit Art. 215 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom (Zollkodex) dahin auszulegen, dass in dem Falle die Zollschuld im Mitgliedstaat der Beladung entsteht und dieser Mitgliedstaat zur Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig ist, obwohl erst beim Entladen feststeht, dass die Beförderung in einen Mitgliedstaat erfolgt ist, für den keine Bewilligung zum Binnenverkehr vorliegt?

3. Ist überdies im Falle der Bejahung der ersten Frage Art. 61 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass bei dem gegebenen Sachverhalt die Einfuhr im Mitgliedstaat der Beladung erfolgt und dieser Mitgliedstaat zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer zuständig ist, obwohl erst beim Entladen feststeht, dass die Beförderung in einen Mitgliedstaat erfolgt ist, für den keine Bewilligung zum Binnenverkehr vorliegt?"

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom , Rs. C-351/10, diese Vorlagefragen wie folgt beantwortet:

"Die Art. 555 Abs. 1 und 558 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Unzulässigkeit des Einsatzes eines Fahrzeugs, das nach dem Verfahren der vollständigen Befreiung von Zoll in die Europäische Union eingeführt und im Binnenverkehr verwendet wurde, zum Zeitpunkt der Überquerung der Grenze des Mitgliedstaats, in dem das Fahrzeug unter Verletzung der im Bereich des Verkehrs geltenden nationalen Bestimmungen fährt, d. h., bei fehlender Genehmigung für das Entladen, des Mitgliedstaats des Entladens, als gegeben anzusehen ist und die Behörden dieses Staates dafür zuständig sind, den Zoll zu erheben."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf deren Darstellung in dem Vorlagebeschluss vom verwiesen werden.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist strittig, ob die österreichischen Zollbehörden für die Erhebung der Eingangsabgaben zuständig waren. Die belangte Behörde hat dabei - unter Berufung auf die in Witte/Henke , Zollkodex5, Art. 141 Rz 13, vertretene Auffassung, welche sich wiederum auf die dort näher angeführte Rechtsprechung des BFH stützt - den Standpunkt vertreten, dass die Zollschuld bereits mit dem Beginn der Beförderung der Waren in Schweden entstanden sei, weil die Waren dort in das Beförderungsmittel mit einem Ziel in Österreich geladen worden seien, woraus sich die Zuständigkeit der schwedischen Zollbehörden zur buchmäßigen Erfassung und Mitteilung ergebe.

Im Lichte des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union vom vermag der Verwaltungsgerichtshof jedoch die Rechtsauffassung der belangten Behörde nicht zu teilen.

In dem genannten Urteil hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass eine Unregelmäßigkeit bei der Verwendung eines im Verfahren der vorübergehenden Verwendung eingeführten Fahrzeugs allein anhand der mit dem Fahrzeug durchgeführten Fahrten festzustellen sei. Die Unregelmäßigkeit, die zum Entstehen einer Eingangsabgabenschuld führe, konkretisiere sich erst, wenn das Fahrzeug tatsächlich aus dem System des Binnenverkehrs, zu dem es im Gebiet der Union zugelassen war, ausgeschieden wäre, indem es im Gebiet Österreichs eine gewerbliche Beförderung vorgenommen hätte, die der CEMT-Genehmigung nicht entsprochen und den Voraussetzungen, denen eine solche Beförderung nach den in Österreich geltenden Bestimmungen unterlegen sei, nicht genügt hätte. Dass in Schweden geladene Waren nach Österreich hätten befördert werden sollen, ohne dass der Beförderer (zum Zeitpunkt der Beladung) über diese Genehmigung verfügt hätte, stelle bis zu dem Zeitpunkt keine Unregelmäßigkeit dar, zu dem das Fahrzeug die Grenze zu Österreich nicht überquert hätte (vgl. in diesem Sinne das genannte Urteil, Randnr. 37f). Eine solche Unregelmäßigkeit wäre erst im Zeitpunkt des Passierens der österreichischen Grenze gegeben.

Daraus ergibt sich, dass erst in diesem Zeitpunkt die Zollschuld iSd Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK entsteht und die Zollbehörden jenes Mitgliedstaates, in dem die Unregelmäßigkeit gegeben ist, zur Erhebung der Eingangsabgaben zuständig werden.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am