VwGH vom 19.05.2015, 2015/21/0001

VwGH vom 19.05.2015, 2015/21/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Beschwerde des L T in W, vertreten durch Dr. Bernhard Eder, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 4, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, vom , Zl. E1/323.037/2012, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 1a FPG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger Nepals, beantragte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am die Gewährung von Asyl gemäß § 3 des Asylgesetzes 1997. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen. Außerdem erklärte das Bundesasylamt die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nepal für zulässig und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nepal aus. Mit Erkenntnis vom wies der Asylgerichtshof eine dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Am stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Ausstellung einer "Duldungskarte gemäß § 46a FPG". Diesen begründete er damit, dass die Botschaft Nepals für ihn seit mehr als zwei Jahren kein Heimreisezertifikat ausstelle. Eine Ausreise sei daher rechtlich und tatsächlich nicht möglich, wobei die Hinderungsgründe nicht in seinem Einflussbereich lägen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz (die belangte Behörde), diesen Antrag gemäß § 46a Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) zurück.

In ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde unter Hinweis auf den hg. Beschluss vom , Zl. 2012/21/0053, zusammengefasst die Ansicht, durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 sei die Antragsmöglichkeit in Bezug auf die Ausstellung einer Karte für Geduldete beseitigt worden. Der dennoch gestellte Antrag des Beschwerdeführers sei daher zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde (eine Gegenschrift wurde nicht erstattet) erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, dass die vorliegende Beschwerde seit Mai 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist. Daher sind gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 (insoweit wurde für den vorliegenden "Altfall" durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nichts Anderes angeordnet) die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden. Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im März 2013) zu überprüfen hat.

Der mit "Duldung" überschriebene § 46a FPG idF des (weitgehend) am in Kraft getretenen Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, lautete damals auszugsweise wie folgt:

"§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß


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1.
§§ 50 und 51 oder
2.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG- 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. ...

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er


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1.
seine Identität verschleiert,
2.
einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3.
an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. ..."

In der Regierungsvorlage zum FrÄG 2011 (1078 BlgNR 24. GP 23) war nach dem Wortlaut des § 46a Abs. 1a FPG noch vorgesehen, dass die eine Abschiebung hindernden Gründe von der Behörde auf Antrag oder von Amts wegen festzustellen sind.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1078 BlgNR 24. GP 27 f) führen zu dieser Bestimmung auszugsweise Folgendes aus:

"Die Duldung eines Fremden tritt gemäß der geltenden Rechtslage in allen Fällen ex lege ein, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen und somit ohne vorheriger behördlicher Feststellung. Dies ist zwar bei der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß §§ 50 und 51 FPG oder §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Informationssysteme noch relativ einfach feststellbar, doch gestaltet sich die Nachvollziehbarkeit des Vorliegens aller Voraussetzungen bei der Klärung, ob jemand geduldet ist, weil er aus tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar ist, umso schwieriger. Diese Situation ist weder für den Fremden noch für die Exekutive befriedigend. Der Fremde kann sich nie sicher sein, dass er sich geduldet im Bundesgebiet aufhält. Der Exekutivbeamte auf der anderen Seite weiß ebenfalls nicht sicher, ob er sich jemandem gegenüber sieht, der sich berechtigt geduldet im Bundesgebiet aufhält. Dies kann zu unnötigen Verwaltungsstrafverfahren und somit zu frustriertem Mehraufwand auf Exekutiv- und Behördenseite führen und darüber hinaus zu einer erheblichen Gefahr, dass eigentlich geduldete Fremde festgenommen werden, was letztendlich eine widerrechtliche Freiheitsentziehung darstellen würde. Der wahre Sachverhalt lässt sich in solchen Fällen nämlich nur auf Grund der vollständigen Aktenlage ermitteln, der der amtshandelnden Behörde meist nicht zur Verfügung steht.

Aus diesen Gründen wird vorgeschlagen, für die Fälle des bisherigen Abs. 1 Z 3 in einem eigenen Absatz die Möglichkeit zu schaffen, dass die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag feststellt, ob jemand geduldet wird, weil tatsächliche oder rechtliche Gründe einer Abschiebung entgegen stehen. Wie schon in der geltenden Rechtslage soll die Duldung nicht eintreten können, wenn die Unabschiebbarkeit deshalb eintritt, weil der Fremde nicht im erforderlichen Ausmaß am Verfahren, etwa zur Erlangung eines Heimreisezertifikates, mitwirkt. Da eine Abschiebung aber auch aus neu hervorgekommen rechtlichen Gründen, also aus Gründen des Privat- und Familienlebens gemäß § 61 Abs. 2, die erst nach einer rechtskräftigen Entscheidung eingetreten sind, nicht möglich sein kann, soll nunmehr auch dieser Fall Berücksichtigung finden.

Selbstverständlich ist damit der bisherige 'Automatismus' in solchen Fällen beseitigt, allerdings zu Gunsten von mehr Rechtssicherheit. ..."

Das in dieser Regierungsvorlage vorgesehene Antragsrecht findet sich im beschlossenen Gesetzestext nicht mehr. Im Ausschussbericht (1160 BlgNR 24. GP 9) wird - ohne Hinweis auf das gegenüber der Regierungsvorlage entfallene Antragsrecht - auszugsweise ausgeführt:

"Der neue Abs. 1a regelt, dass ein Fremder im Bundesgebiet zu dulden ist, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass dieser aus tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar ist. Tatsächliche Gründe liegen vor, wenn aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Fremden oder in äußeren Gegebenheiten liegen, die Abschiebung nicht möglich ist. Die Gründe dürfen jedoch nicht vom Fremden zu vertreten sein (siehe § 46 Abs. 1b zu den vom Fremden jedenfalls zu vertretenen Gründen). So kann das bloße Fehlen eines Reisedokumentes oder ähnlichem nicht automatisch einen individuellen Duldungsanspruch wegen tatsächlicher Unmöglichkeit begründen. ..."

In § 9 Abs. 2 dritter Satz FPG war - vom FrÄG 2011 unberührt -

u.a. weiterhin normiert, dass gegen die Versagung der Ausstellung einer Karte für Geduldete sowie gegen den Entzug einer Karte für Geduldete eine Berufung nicht zulässig ist. Den dann durch das Budgetbegleitgesetz 2012, BGBl. I Nr. 112/2011, mit Wirksamkeit seit vorgenommenen Entfall der Wortfolge ", einer Karte für Geduldete" im dritten Satz des § 9 Abs. 2 FPG erläuterte der Gesetzgeber (RV 1494 BlgNR 24. GP 23) wie folgt:

"Es handelt sich um die Bereinigung eines Redaktionsversehens. Die versehentliche Nichtanpassung dieser Bestimmung könnte insbesondere dahingehend missverstanden werden, dass fälschlicherweise eine Antragsmöglichkeit auf Erteilung einer Karte für Geduldete impliziert wird, die seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38/2011, aber nicht mehr vorgesehen ist."

In dem von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Auffassung zitierten Beschluss vom , Zl. 2012/21/0053, nahm der Verwaltungsgerichtshof in der Begründung einerseits auf Bescheide Bedacht, mit denen Anträge auf Ausstellung einer Karte für Geduldete inhaltlich erledigt und abgewiesen werden, und bezog sich andererseits auch auf Bescheide, mit denen Anträge auf Ausstellung einer Karte für Geduldete zurückgewiesen werden. Er kam dabei zum Ergebnis, dass in beiden Fällen - jedenfalls seit dem - eine Berufung zulässig sei.

Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Meinung führte der Verwaltungsgerichtshof im genannten Beschluss aber nicht aus, dass durch das FrÄG 2011 eine Beseitigung der Antragsmöglichkeit in Bezug auf die Ausstellung einer Karte für Geduldete erfolgte. Es wurde insoweit lediglich die bereits zitierte RV zum Budgetbegleitgesetz 2012 (1494 BlgNR 24. GP 23) referiert. Mit der Frage, ob diese (nachträgliche) Deutung im Wortlaut des § 46a FPG Deckung finde, hat sich der Verwaltungsgerichtshof hingegen gar nicht befasst. Dazu bestand auch kein Anlass, weil mit dem dort angefochtenen Bescheid der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete nicht zurück-, sondern abgewiesen worden war.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , G 160/2014 u.a., dargelegt, die behördliche Pflicht zur Ausstellung einer Karte für Geduldete diene auch dem Schutz der Interessen spezifischer Einzelpersonen, weshalb der Verpflichtung der Behörde zur Ausstellung dieser Karte ein entsprechendes Recht eines Fremden gegenüberstehe. Dieses subjektive öffentliche Recht begründe in Verbindung mit § 8 AVG die Parteistellung des Fremden in einem Verfahren über die Ausstellung der Karte - und damit einen Anspruch auf eine meritorische Entscheidung über dieses Recht, aus dem sich wieder ein Antragsrecht auf Ausstellung der Karte ergebe. Eine Duldung nach § 46a Abs. 1a FPG trete mit dem Vorliegen ihrer tatsächlichen Voraussetzungen ex lege ein. Dem Fremden komme daher ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSd § 46a Abs. 2 FPG zu. In dem über diesen Antrag abzuführenden Verfahren sei auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Duldung inhaltlich zu prüfen (vgl. in diesem Sinn auch die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , B 609/2013, und vom , B 77/2013).

Diesen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes ist beizutreten. Demzufolge hat ein Fremder das Recht, einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete zu stellen. Der Antrag des Beschwerdeführers wäre daher nicht zurückzuweisen, sondern einer meritorischen Erledigung zuzuführen gewesen.

Durch die dennoch erfolgte Verweigerung einer Sachentscheidung hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am