VwGH vom 19.03.2015, 2015/16/0002

VwGH vom 19.03.2015, 2015/16/0002

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:

* Vorabentscheidungsantrag:

2012/16/0119 B

* EuGH-Entscheidung:

EuGH 62014CJ0175

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Beschwerde des R P in B, vertreten durch Mag. Hannes Huber und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in 3390 Melk, Bahnhofstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , Zl. ZRV/0448-W/11, betreffend Tabaksteuer, zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 3a VwGG wird der angefochtene Bescheid dahin geändert, dass sein Spruch lautet:

"Die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien vom , Zl. 100000/90.288/481/2007-AFB, wird dahin geändert, dass deren Spruch lautet:

'Der Bescheid des Zollamtes Wien vom , Zl. 100000/90.288/460/2007-AFB, wird aufgehoben.'"

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer hat als LKW-Fahrer im Zeitraum zwischen Ende April 2005 und insgesamt 12.650.000 Stück Zigaretten, die von Unbekannten in das Zollgebiet der Europäischen Union geschmuggelt worden waren, auf Veranlassung des in Österreich ansässigen K-H S in Ungarn in den von ihm gelenkten LKW übernommen und bei fünf Fahrten als heimliche und undeklarierte Beifracht zu der in Frachtpapieren als Gesamtladung ausgewiesenen jeweiligen Tarnladung (Tapeten oder Kekse) von Ungarn über Österreich in das Vereinigte Königreich verbracht. Dort wurden die Zigaretten in vier Fällen von Unbekannten vom LKW abgeladen und in einem Fall von den britischen Behörden beschlagnahmt.

Das Zollamt Wien setzte mit Bescheid vom , Zl. 100000/90.288/460/2007-AFB, gegenüber dem Beschwerdeführer deshalb Tabaksteuer in Höhe von 1.249.820 EUR sowie einen Säumniszuschlag von 24.996,40 EUR fest. Der Beschwerdeführer habe diese Zigaretten bezogen und nach Österreich verbracht.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab das Zollamt Wien mit Berufungsvorentscheidung vom , Zl. 100000/90.288/481/2007-AFB, keine Folge.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine (Administrativ )Beschwerde.

Im Rechtsmittelverfahren brachte der Beschwerdeführer vor, er sei von K-H S, dem Vater seiner damaligen Lebensgefährtin, dafür angeworben worden, Zigaretten (illegal) im Rahmen seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer von Ungarn nach England zu transportieren. K-H S sei in der Hierarchie der Organisation des weit angelegten Zigarettenschmuggels wesentlich höher gestellt als er, der in der Kette selbst das letzte Glied gewesen sei und die Fahrten selbst durchgeführt habe. Er habe weder Informationen über die Menge der in "seinem LKW" verstauten Zigaretten gehabt noch seien ihm diesbezüglich Vertriebskonzepte bekannt gewesen. Unbestritten habe er lediglich in den fünf genannten Fällen zwischen April und Oktober 2005 einen LKW gelenkt, der mit den in Rede stehenden Zigaretten beladen gewesen sei, und sei mit dem beladenen LKW von Ungarn durch Österreich bis nach England gefahren. In England seien die Zigaretten dann von ihm unbekannten dritten Personen abgeladen worden. Sein "Auftrag" sei damit erledigt gewesen. Er sei als einfacher Lenker des LKW nicht wirtschaftlich verfügungsberechtigt über diese Zigaretten und deshalb nicht Bezieher dieser Zigaretten im Sinne des § 27 des (österreichischen) Tabaksteuergesetzes gewesen und habe sie in Österreich auch nicht in Verkehr gebracht. Im Übrigen sei die ledigliche "Durchfuhr" der Tabakwaren durch Österreich mit dem Zielland England von der Bestimmung des § 27 des Tabaksteuergesetzes nicht umfasst.

Der unabhängige Finanzsenat bestätigte mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid die Festsetzung der Tabaksteuer in der angeführten Höhe und stützte sich auf § 27 Abs. 2 des Tabaksteuergesetzes. Der Beschwerdeführer sei zwar nicht Bezieher der Zigaretten gewesen, habe aber über die vorschriftswidrigen Transporte gewusst und für die Transporte im Erfolgsfalle auch ein Entgelt erhalten. Der Beschwerdeführer habe als Lenker des jeweiligen LKW, mit dem die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken über Österreich nach Großbritannien transportiert worden seien, erstmals im Steuergebiet (Österreich) Gewahrsam über diese Tabakwaren gehabt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht verletzt erachtet, "nicht zur Zahlung von Tabaksteuer verhalten zu werden."

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, ohne eine Gegenschrift einzureichen, und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof legte mit Beschluss vom , EU 2014/0003-1 (2012/16/0119-5) dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

"Sind Artikel 7 Absatz 1 und 2 und Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABlEG Nr. L 76 vom , in der Fassung der Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom , ABlEG Nr. L 390 vom , dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, wonach eine Verbrauchsteuer (Tabaksteuer) für verbrauchsteuerpflichtige Waren (Zigaretten), die in einem (ersten) Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden waren und ohne Verwendung eines Begleitdokumentes nach Artikel 7 Absatz 4 dieser Richtlinie am Landweg durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (Durchfuhrmitgliedstaaten) in einen weiteren Mitgliedstaat (Bestimmungsmitgliedstaat) befördert wurden, um im Bestimmungsmitgliedstaat verkauft zu werden, auch im Durchfuhrmitgliedstaat erhoben wird ?"

Mit Urteil vom in dieser Rs. C-175/14 erkannte der EuGH zu Recht:

"Art. 7 Abs. 1 und 2 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren in der Fassung der Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom sind dahin auszulegen, dass im Fall der illegalen Verbringung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und ihrer Beförderung ohne das von Art. 7 Abs. 4 dieser Richtlinie vorgeschriebene Begleitdokument in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sie von den zuständigen Behörden entdeckt werden, nicht auch die Durchfuhrmitgliedstaaten befugt sind, beim Lenker eines Lkw, der diese Beförderung durchgeführt hat, Verbrauchsteuer zu erheben, weil er diese Waren in ihrem Hoheitsgebiet zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten hat."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

§ 27 Abs. 1 und 2 des Tabaksteuergesetzes 1995 in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Stammfassung (TabStG) lautet samt Überschrift:

"Bezug zu gewerblichen Zwecken

§ 27. (1) Werden Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken bezogen, entsteht die Steuerschuld dadurch, daß der Bezieher


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1.
die Tabakwaren im Steuergebiet in Empfang nimmt oder
2.
die außerhalb des Steuergebietes in Empfang genommenen Tabakwaren in das Steuergebiet verbringt oder verbringen läßt. Steuerschuldner ist der Bezieher. Der Bezug durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts steht dem Bezug zu gewerblichen Zwecken gleich.

(2) Werden Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates in anderen als den in Abs. 1 genannten Fällen in das Steuergebiet verbracht, entsteht die Steuerschuld dadurch, dass sie erstmals im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken in Gewahrsame gehalten oder verwendet werden. Steuerschuldner ist, wer sie in Gewahrsame hält oder verwendet."

Nach der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom , 2009/16/0072) und des Obersten Gerichtshofes (vgl. die Urteile vom , 13 Os 27/09h, und vom , 13 Os 83/11x) ist der Tatbestand des § 27 Abs. 2 TabStG gegenüber jenem des § 27 Abs. 1 leg. cit. subsidiär.

Die Erfüllung des Tatbestandes nach § 27 Abs. 2 TabStG setzt sohin voraus, dass der Tatbestand des § 27 Abs. 1 leg. cit. nicht erfüllt ist. § 27 Abs. 2 TabStG ist sohin etwa dann erfüllt, wenn keine Person Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken bezogen hat. Dies ist beispielsweise dann gegeben, wenn sich die Zweckbestimmung von Tabakwaren, die zunächst nicht für gewerbliche Zwecke in das Steuergebiet verbracht wurden, nach deren Verbringen ändert (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2005/16/0077).

Nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 TabStG wäre dies aber auch dann der Fall, wenn - wie im vorliegenden Beschwerdefall nach der unbestrittenen Sachverhaltsannahme des unabhängigen Finanzsenates -

Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates (im Beschwerdefall: Ungarn) mit einem Beförderungsmittel (im Beschwerdefall: LKW) durch Österreich über weitere Mitgliedstaaten in einen anderen Mitgliedstaat (im Beschwerdefall: in das Vereinigte Königreich) befördert werden. Denn in diesem Fall werden Tabakwaren zwar nicht in Österreich bezogen (§ 27 Abs. 1 TabStG), jedoch nach Österreich verbracht und erstmals in Österreich zu gewerblichen Zwecken in Gewahrsam gehalten (§ 27 Abs. 2 TabStG).

Der EuGH hat mit dem erwähnten Urteil vom ausgesprochen, dass dem die im Urteil angeführten Bestimmungen der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABlEG Nr. L 76 vom , in der Fassung der Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom , ABlEG Nr. L 390 vom , entgegenstehen.

Insofern wird somit § 27 Abs. 2 TabStG von diesen unionsrechtlichen Bestimmungen verdrängt (Anwendungsvorrang).

Anhand des unstrittigen Sachverhaltes erweist es sich somit als rechtswidrig, dem Beschwerdeführer die in Rede stehende Tabaksteuer samt Säumniszuschlag vorzuschreiben.

Der angefochtene Bescheid wäre demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Im fortzusetzenden Verfahren hätte gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 9 letzter Satz B-VG das Bundesfinanzgericht sodann die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes vom dergestalt zu ändern, dass damit der Bescheid des Zollamtes vom (ersatzlos) aufgehoben würde.

Gemäß § 42 Abs. 3a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof jedoch in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies ist im vorliegenden Beschwerdefall gegeben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der im Beschwerdefall noch anzuwendenden VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am